Das Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität über den eigenen Körper und die eigene Identität bleiben auch im Bundestagswahlkampf 2025 ein umstrittenes Thema. Die Debatten stehen stellvertretend für die politische Aushandlung zwischen der Aufrechterhaltung rechter und (wert-)konservativer patriarchaler Geschlechterrollen einerseits und progressiven sowie feministischen Positionen andererseits. Mit dem vorzeitigen Ende der Ampel-Regierung kündigt sich ein politischer Wandel an, der sich auch auf den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) negativ auswirken könnte.
Vor diesem Hintergrund werfen wir einen Blick in die Wahlprogramme von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke, BSW, CDU und AfD. Wir fokussieren uns dabei auf §218 ff. Schwangerschaftsabbruch StGB sowie das neue Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) und betten diese sowohl in historische als auch in globale Entwicklungen ein.
Nationale Entwicklungen im Spiegel globaler Trends
Als Teil ihrer feministischen Außenpolitik hatte sich die Bundesregierung zu Anfang der Legislaturperiode verpflichtet, die Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen weltweit zu stärken sowie sich für mehr Diversität in allen Bereichen einzusetzen. Dies galt auch für ihre feministische Entwicklungspolitik, deren Fokus auf der Stärkung von Rechten und dem Zugang zu SRGR von Frauen, Lesben, intergeschlechtlichen, nicht-binären, trans- und agender Personen (FLINTA) lag.
Gleichzeitig beobachten wir seit Jahren auf globaler Ebene einen sogenannten Gender Backlash, also die gezielte Bekämpfung und Erosion geschlechtertransformativer Normen und Menschenrechte. Dies zeigt sich beispielsweise in den Vereinten Nationen, wo unter anderem Russland massiv gegen die Inklusion von Geschlechternormen, aber auch ganz konkret gegen die Weiterentwicklung bestehender Normen, wie die „Women, Peace, Security“ (WPS)-Agenda, vorgeht. Ein solcher Backlash gegen die Menschenrechte von FLINTA zeigt sich auch im Peacebuilding. Mit der Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsidenten erhält der Gender Backlash auch in den Vereinigten Staaten von Amerika neuen Impetus. Besonders die massiven Kürzungen im Bereich SRGR treffen FLINTA nicht nur in den USA, sondern auch im Globalen Süden.
Die Trump-Politik: Medizinische Hilfe schwindet weltweit
In einer seiner ersten Amtshandlungen hat US-Präsident Donald Trump im Januar 2025 ein Dekret verfasst, die einen sofortigen Stopp der US-Entwicklungshilfe zufolge hatte. Zusammen mit der Global Gag Rule, die Trump wieder eingeführt hat, hat dies schwerwiegende Folgen für die Gesundheitsversorgung von Millionen von Menschen in Ländern des Globalen Südens, die von der Entwicklungsbehörde USAID versorgt werden. Dabei geht es insgesamt um reproduktive und sexuelle Gesundheitsrechte, so etwa auch um die Versorgung von Opfern, die geschlechtsspezifische sexualisierte Gewalt in Kriegen und bewaffneten Konflikten erfahren haben. Die Konsequenzen der Politik Trumps sind bereits spürbar, beispielsweise in Johannesburg, wo eine Anlaufstelle für trans Personen geschlossen werden musste. Weltweit hat der abrupte Zahlungsstopp zum vorläufigen Ende flächendeckender medizinischen Versorgung von HIV, Polio- und Malariapatient*innen geführt.
In den USA konzentriert sich der Streit seit Jahren vor allem auf das Recht von Frauen auf Schwangerschaftsabbrüche. Schon im Land selbst hat das fatale Folgen für die Gesundheit von Frauen, doch die Global Gag Rule verschärft ein ohnehin virulentes Problem. So ist der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in vielen Ländern eingeschränkt oder ganz verboten. 2019 wurden über sieben Millionen Frauen weltweit wegen Komplikationen nach unsachgemäßem Schwangerschaftsabbruch ins Krankenhaus eingeliefert, fast 23.000 starben. Komplikationen während der Schwangerschaft und der Geburt gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen bei 15- bis 19-jährigen Mädchen, oft in Folge eines medizinisch unsicheren Schwangerschaftsabbruchs. Es mangelt weltweit an legalen Zugängen sowie medizinisch sicherer und kostenfreier Vor- und Nachsorge. Die Gesundheit von Schwangeren hängt nachweislich davon ab.
Dauerzankapfel in Deutschland: §218 Strafgesetzbuch
In Deutschland gilt bis heute: Ein Versuch sowie der durchgeführte Schwangerschaftsabbruch sind nach §218 ff. StGB strafbar. Dabei ist längst erwiesen, dass der Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen Leben rettet. Deshalb ist der Paragraf, wie kein anderer, hoch umstritten. Seitdem er 1871 im Strafgesetzbuch des deutschen Kaiserreichs verankert wurde, war er in allen darauffolgenden deutschen Staaten Gegenstand heftiger bevölkerungspolitischer, juristischer, religiöser und feministischer Debatten. Besonders Feminist*innen kämpfen seit fast 150 Jahren gegen eine vom Staat als Straftat geahndete Regelung an. Bis heute gilt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Zuvor war ein Streit entbrannt über die Vereinbarkeit der liberalen Rechtslage der DDR, nach welcher ein Abbruch legal war, und der Gesetzeslage der BRD, welche einen Abbruch als Strafbestand regelte. Letztlich setzten sich konservative und kirchliche Interessenvertreter*innen durch. Fortan war ein Abbruch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche sowie nach einem Beratungstermin und einer Wartefrist zwar straffrei, galt aber als Straftat. Insbesondere für Menschen in der ehemaligen DDR war dies ein massiver Rückschritt.

Die Vereinten Nationen kritisieren die gegenwärtige Gesetzeslage. So äußern sie Bedenken über die dreitägige Wartefrist, welche die WHO als medizinisch unnötig einstuft. Bemängelt wird auch, dass sämtliche Kosten für einen Abbruch auf eine schwangere Person zurückfallen und Schwangerschaftsabbrüche nicht zur ärztlichen Grundausbildung gehören.
Erst mit der Ampel-Regierung kam wieder Bewegung in die Debatte. Unter Protest der Union und der AfD setzte die Regierung 2022 die Aufhebung von §219a StGB durch, welcher das Verbot zur Werbung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzt*innen regelt. Im November 2024 brachten 328 Bundestagsabgeordnete einen Gruppenantrag zur Streichung des §218 ein. Damit reagierte sie auf eine Empfehlung einer zuvor eingesetzten Expert*innenkommission. Die Union warnte daraufhin vor einem gesellschaftlichen „Großkonflikt“. Auch die FDP verwies auf voreilige Entscheidungen – trotz der seit 150 Jahren währenden gesellschaftlichen Debatten. Kurz vor der Bundestagswahl blockierten Union und FDP die Abstimmung im Rechtsausschuss des Bundestags über die Streichung des Paragrafen. Damit ist die Legalisierung eines Abbruchs zumindest in den ersten drei Monaten inklusive einer Beratungspflicht in Deutschland vorerst gescheitert.
Backlash befürchtet: Das Selbstbestimmungsgesetz in der Kritik
Kaum ist es gestartet, droht ihm nach der Bundestagswahl vielleicht schon wieder das Aus. Die Rede ist vom neuen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), das am 1. November 2024 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz macht es für trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen einfacher, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Ampel-Koalition hat sich diese Gesetzesänderung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, um damit das Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahr 1980 abzulösen. Sie setzte damit mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichtes um, in denen das TSG als verfassungswidrig erklärt worden war. Mit dem neuen Gesetz ist ein ärztliches Begutachtungs- oder Gerichtsverfahren nicht länger erforderlich.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz hat dazu geführt, dass allein im vergangenen Jahr mehr als 6.000 Menschen einen Antrag auf Änderung ihres Geschlechtseintrages bei den Standesämtern gestellt haben. In Reaktion auf Stimmen, die eine Streichung des SGBB befürworten, spricht die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit in ihrer Stellungnahme von „transfeindlicher Agitation“ und „purem Populismus“. Die Abschaffung des SGBB widerspreche den Resolutionen des Europarates und auch der EU Equality Strategy 2020-2025, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) verantwortet hat.
Der Kampf um Identität und das Recht am eigenen Körper national und global: Die Wahlprogramme der Parteien
Die Wahlprogramme zu SRGR lassen zum Teil nichts Gutes vermuten, sollte sich ein Politikwechsel realisieren. Viele Programme beinhalten ein binäres Geschlechterverhältnis und einen Fokus auf „Frauengesundheit“. Die Interessen von inter-, trans- und nicht-binären Menschen werden kaum berücksichtigt. Auch der Zugang zu SRGR für FLINTA mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus, subsidiärem Schutz oder als Asylsuchende ist kein Thema.
Auf globaler Ebene halten die SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Einzige an der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik fest. Während die Sozialdemokrat*innen weiterhin einen Fokus auf die Rechte von FLINTA legen, betonen die Grünen die Notwendigkeit für den Abbau struktureller, sich überschneidender Diskriminierungsformen weltweit. Beide Parteien verorten die globale Gesundheitspolitik in der Agenda 2030 und verweisen auf den Zusammenhang zwischen dem Anstieg globaler Ungerechtigkeit und kolonialen Kontinuitäten in der Außen- und Entwicklungspolitik, welchen sie begegnen wollen. Alle anderen Parteien, auch die ehemalige Koalitionspartnerin FDP, behandeln diese Themen nicht.
Die Haltung zur Zukunft des §218 und SRGR ist zwischen den Parteien sehr kontrovers. Die Partei Die Linke will den §218 ersatzlos streichen. Beratungsangebote sollen freiwillig sein, die Versorgungslage müsse deutschlandweit verbessert werden. Sämtliche Verhütungsmethoden sollen von den Krankenkassen bezahlt werden. Bündnis 90/Die Grünen wollen ebenfalls den §218 abschaffen, Frauen müssten über ihren Körper selbst bestimmen können. Die Grünen fordern bessere Gesundheitsversorgung von Frauen und ortsnahe Einrichtungen, die einen Abbruch nach Beratung innerhalb der ersten drei Monate vornehmen können. Die SPD fordert die Streichung des §218 und die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts, vorausgesetzt, der Abbruch findet unter Zustimmung der Schwangeren statt. Die Partei betrachtet Abbrüche als Teil der medizinischen Grundversorgung, spricht sich aber nicht für die flächendeckende Ausbildung von Fachpersonal aus.
Das BSW fordert die Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche, äußert sich aber nicht zur Frage der Abschaffung des §218. Allerdings spricht sich die Partei für den kostenlosen Zugang von Frauen und Mädchen zu Verhütungsmitteln aus. Auch die FDP lässt ihre Haltung gegenüber §218 offen. CDU/CSU wollen, dass §218 erhalten bleibt. Die AfD lehnt „alle Bestrebungen ab, Abtreibungen zu einem Menschenrecht zu erklären“. Vielmehr sollen mit dem Ziel der Abschreckung Müttern während der Schwangerschaftskonfliktberatung Ultraschallbilder des Embryos bzw. Fötus gezeigt werden, um sie von einem Abbruch abzuhalten.
Auch die Zukunft des SBGG bleibt umstritten. Die SPD bekräftigt ihre Position und will am Aktionsplan „Queer leben“ festhalten. Die Sozialdemokrat*innen schlagen eine Grundgesetzerweiterung vor, um der Diskriminierung aufgrund von sexueller und geschlechtlicher Orientierung und Identität entgegenzutreten. Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen den Aktionsplan „Queer leben“ verstetigen und treten für den Erhalt des Selbstbestimmungsgesetzes ein. Zudem wollen sie den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes verankern und Hasskriminalität gegen LGBTIQ* bekämpfen. Die Linke hält das SBGG in seiner jetzigen Form für mangelhaft und will es weiter verbessern. Auch sie setzt sich für die Grundgesetzerweiterung von Artikel 3 ein. Die FDP beruft sich prinzipiell auf den Freiheitsbegriff hinsichtlich des Eintrags von Geschlechtsidentität, zur Zukunft des Selbstbestimmungsgesetzes äußert sie sich nicht.
Im Wahlprogramm von CDU/CSU ist zu lesen: „Wir schaffen das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel wieder ab“. Begründet wird das mit dem Kinder- und Jugendschutz, da das Gesetz auch bei Kindern und Jugendlichen erlaube, über ihren Geschlechtseintrag und Vornamen auch ohne Gutachten oder Beratung und gerichtliche Entscheidung zu bestimmen. Das lehnen CDU und CSU mit Hinweisen auf die Entwicklung in der Kindheit und der Pubertät ab. Dieser Punkt deckt sich mit der Haltung der AfD. Ebenso wie die CDU/CSU spricht auch sie von „biologischen Tatsachen“ in Bezug auf die Existenz lediglich zweier Geschlechter. Dies bezieht sich insbesondere auf das Thema Selbstbestimmung und Rechte von FLINTA. Mit Begriffen wie „Genderideologie“ oder „Trans-kult“ folgt sie einem biologistischen, queerfeindlichen und anti-feministischen Schema.
Fazit: Das individuelle Recht am eigenen Körper und Identität
Das Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität über den eigenen Körper und die eigene Identität bleibt ein hart umkämpftes Thema, auch im Wahlkampf. Auch auf internationaler Ebene zeichnen sich gewaltige Rückschritte im Bereich SRGR ab. In kaum einem anderen Fall zeigt sich historisch, aber auch gegenwärtig, dass gebärfähige Menschen nicht souverän über ihren eigenen Körper bestimmen können. Auch verweisen die Debatten auf die schleichende, aber merkliche Rückkehr zu einem Verständnis binärer Geschlechterrollen und misogyner Gesellschaftsordnung. Hervorzuheben ist, dass insbesondere konservative und rechte Parteien die Körper und Identitäten spezifischer Gruppen politisch mobilisieren, um patriarchale und gewaltvolle Gesellschaftsverhältnisse (wieder) herzustellen. Mit einem Regierungswechsel ist zu erwarten, dass sich der Trend einer im Vergleich zu vorherigen Regierungsprogrammen eher progressiven Politik im Bereich SRGR nicht fortsetzen wird. Stattdessen könnte sich deren Ausgestaltung an globale Entwicklungen anpassen. Für FLINTA und rassifizierte Menschen würde dies sowohl in Deutschland als auch weltweit erhebliche Einschnitte im Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und ihre Identität bedeuten.