Die Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit, zu Konfliktbearbeitung beizutragen, sind gestiegen. Unsere neue Studie zeigt: Es fehlt nicht in erster Linie das Wissen dazu, was nötig wäre, damit Entwicklungszusammenarbeit zu Frieden beiträgt. Es mangelt an der Umsetzung – gerade beim Primat der Prävention und der uralten Frage nach der Politikkohärenz.
Entwicklungszusammenarbeit findet zunehmend in von Gewaltkonflikten betroffenen Staaten statt. Die Zahl staatlicher und nichtstaatlicher Gewaltkonflikte liegt aktuell auf einem historisch hohen Niveau. Im Jahr 2018 waren weltweit 37 Staaten von Gewaltkonflikten betroffen, 32 von ihnen sind Kooperationsländer der deutschen Entwicklungsarbeit. Mit der Ausbreitung und Verschärfung von Konflikten wachsen auch die Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit (EZ), zu konstruktiver Konfliktbearbeitung beizutragen. Nach OECD-DAC-Daten gehört Deutschland seit 2008 zu den TOP 3-Geberländern im Sektor „Konflikt, Frieden und Sicherheit“. Gleichzeitig sieht sich die EZ damit konfrontiert, dass das gegenwärtige Konfliktgeschehen über Jahrzehnte erreichte Entwicklungsfortschritte akut gefährdet. So belegt etwa eine aktuelle Studie zum Jemen, dass das Konfliktgeschehen die Entwicklung im Land bereits um 21 Jahre zurückgeworfen hat.
Der Nexus zwischen Frieden und Entwicklung steht im Zentrum einer soeben erschienenen Studie der HSFK. Gestützt auf Interviews mit 30 internationalen Expertinnen und Experten sowie einer Auswertung einschlägiger Policy-Dokumente und Forschungsbeiträge, arbeitet sie den Wissensstand zum Zusammenhang von Frieden und Entwicklung heraus. Der Bericht analysiert aktuelle Entwicklungen, Erfahrungen und Herausforderungen für den Entwicklungs-Frieden-Nexus und leitet daraus praxisorientierte Empfehlungen für die deutsche und internationale EZ ab. Dieser Beitrag fasst die zentralen Ergebnisse zusammen.
Aktuelle Herausforderungen der Friedensentwicklung
Nach Einschätzung der befragten Expertinnen und Experten prägen aktuell insbesondere drei globale Trends das Zusammenspiel von Frieden(-sförderung) und Entwicklung(-szusammenarbeit). Erstens erleben wir eine weltweite Welle innergesellschaftlicher Transformationen sowohl in Geber- als auch in Empfängerländern, die Auswirkungen auf die Gestaltung und die Erfolgschancen von EZ haben. Dies betrifft konkret den Aufstieg nationalistischer, illiberaler bzw. teils offen autoritärer Bewegungen und Führungspersonen sowie – damit teilweise verbunden – die zunehmenden Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume. Gleichzeitig zeigt sich weltweit – von Hongkong bis Chile – ein Aufschwung neuer Protestdynamiken und -formen. Zweitens identifizieren die Expertinnen und Experten Veränderungen der Umweltbedingungen und hier insbesondere den Klimawandel und damit zusammenhängende Ressourcenkonflikte als zentrale Herausforderungen. Auch wenn die genauen Zusammenhänge zwischen Klimaveränderungen und Konfliktgeschehen mitunter unklar sind, fungiert der Klimawandel doch offensichtlich als Risikomultiplikator mit enormem Potenzial zu Destabilisierung von Gesellschaften. Drittens sind aktuell weltpolitische Machtverschiebungen zu beobachten, die einerseits einen vermeintlichen Abstieg des „Westens“ und den gleichzeitigen Bedeutungszuwachs nicht-westlicher Akteure beinhalten, die in EZ und Peacebuilding zunehmend als Geber auftreten. Mit allen drei Trends verändern sich die Rahmenbedingungen, die Entwicklung, Frieden und ihr Zusammenspiel beeinflussen. Diese Veränderungen sind vielschichtige Herausforderungen einer auf Entwicklung und Frieden abzielenden Politik.
Problematische Engführung des Nexus in Politik und Praxis
In Wissenschaft und Praxis besteht ein weitreichender Konsens, dass zwischen Entwicklung und Frieden ein positiver Zusammenhang besteht: Entwicklung braucht Frieden und Frieden Entwicklung. Zugleich erweist sich das Zusammenspiel von Entwicklungs- und Friedensprozessen als komplex, widersprüchlich und keiner linearen Logik folgend. So sind Entwicklungsprozesse mitunter konfliktträchtig, und ein erfolgreicher Friedensschluss zahlt sich nicht automatisch und unmittelbar in Wohlstandsgewinnen aus. Das hat unmittelbare Folgen für die Entwicklungszusammenarbeit: Die Forschung zeigt etwa, dass entwicklungspolitisches Engagement in Gewaltkontexten teils kontraproduktive Wirkungen hat.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang die aktuell zu beobachtende Engführung des Zusammenhangs zwischen Entwicklung und Frieden in Politik und Praxis, die in unserer Studie von Expertinnen und Experten aus globalem Norden und Süden gleichermaßen kritisiert wird. Insbesondere in Reaktion auf die Zunahme grenzüberschreitender Migrations- und Fluchtbewegungen, haben sich in den letzten Jahren die Prioritäten des außen- und entwicklungspolitischen Handelns spürbar verschoben: So geht es in aktuellen Debatten häufig um kurzfristige Stabilisierung oder Sicherheit, ergänzt um die humanitäre Milderung akuten Leidens, und weniger um die Schaffung eines nachhaltigen Friedens. Diese Engführung führt dazu, dass internationales (entwicklungspolitisches) Engagement gegenwärtig weniger auf Konflikttransformation, sondern primär auf Sicherung des Status quo setzt. Trotz der allgegenwärtigen Betonung einer Präventionsagenda, handelt internationale Politik nach wie vor vor allem reaktiv. Zudem konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf kollektive kriegerische Gewalt auf nationaler Ebene zulasten von anderen, lokalen, nicht-konventionellen sowie interpersonalen Formen von Gewalt.
Empfehlung 1: Friedensentwicklung als Transformationsprojekt verstehen
Eine erste Empfehlung unserer Studie setzt genau an dieser Engführung an: Eine EZ, die den Zusammenhang zwischen Frieden und Entwicklung ernst nimmt und sich am Ziel der Friedensentwicklung, also der gleichzeitigen Erreichung von Entwicklung und Frieden orientiert, muss auf die langfristige Unterstützung von Transformationsprozessen ausgerichtet sein. Das verlangt auch langfristige Planungsfähigkeit und -sicherheit sowie flexiblere Finanzierungsmechanismen und nicht zuletzt mehr Risikobewusstsein und Risikobereitschaft.
Ein solches Engagement beinhaltet nicht nur, sich auch weiterhin in herausfordernden Konfliktsituationen zu engagieren und alle Konsequenzen zur Absicherung der Entwicklungsakteure zu tragen. Es bedeutet auch, sich auf neue Partnerschaften einzulassen, die über das klassische Partnerspektrum der EZ hinausgehen. Viele Entwicklungsakteure arbeiten beständig in hochriskanten Umfeldern, aber nicht alle Projektdesigns sind darauf ausgelegt, diesem Risiko auch zu begegnen. Zudem ist entscheidend, dass man Wege, Ziele und Erwartungen, die mit diesen Risiken verbunden sind, transparent kommuniziert. Grundlegend für ein auf Transformation ausgerichtetes Engagement in der Friedensentwicklung sind hohe Fähigkeiten und Kapazitäten für kontextspezifische Analysen.
Empfehlung 2: Erkenntnisse und Ziele zu Prävention und Kohärenz umsetzen
Ein zentrales Ergebnis unserer Studie zum internationalen Engagement an der Schnittstelle von Entwicklung und Frieden lautet: Während es Wissenslücken und Unsicherheiten gibt, ist die größte Herausforderung dennoch nicht das mangelnde Wissen, was funktioniert, sondern vielmehr die Umsetzung existierenden Wissens und vereinbarter Politiken. Zentrale Paradigmen der Debatte, wie insbesondere das Primat der Prävention und das Postulat der Kohärenz, sind alles andere als neu. Sowohl international als auch in Deutschland wurden in den letzten Jahren eine Vielzahl von Strategiepapieren und Konzepten veröffentlicht, die einen grundsätzlich zielführenden Rahmen für die Entwicklungs- und Friedensförderung in konfliktbetroffenen Staaten bieten. Bis heute harren diese Ziele und Strategien allerdings der konsequenten Umsetzung.
Dies betrifft erstens das Primat der Konfliktprävention als zentralem Baustein und Leitmotiv der internationalen Friedensentwicklung. Wer sich regelmäßig zur Prävention als Schwerpunkt der deutschen und internationalen EZ bekennt, muss auch die entsprechenden finanziellen Ressourcen bereitstellen. Auch eine stärkere Verzahnung von Früherkennungsmaßnahmen mit kontinuierlichen Analysen von Präventionsmaßnahmen sowie eine methodische Flexibilisierung bei der Evaluierung der Wirkung von Prävention wären notwendig.
Ein zweites zentrales Postulat betrifft ein uraltes Thema und Problem der Entwicklungszusammenarbeit: die Kohärenz. Sie gilt es auf verschiedenen Ebenen sicherzustellen: in den Geberländern, international und „on the ground“ in von Konflikten betroffenen Staaten. In Deutschland wurden im Zuge der Verabschiedung der Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ im Jahr 2017 unterschiedliche Mechanismen zur Koordination der Aktivitäten verschiedener Ressorts geschaffen, die aber gerade erst angestoßen werden und mit zeitlichem Abstand einer Bewertung unterzogen werden sollten. Auf internationaler Ebene hat die Debatte über den Humanitarian-Development-Peace-Nexus wichtige Impulse zur Koordinierung in Konfliktregionen geliefert, die aber ebenfalls der Umsetzung bedürfen. Die Bilanz ist bislang aber eher ernüchternd. Die Umsetzung des Kohärenzgebots verlangt dringend neue organisatorische Designs und institutionelle Veränderungen.
Die Komplexität des Zusammenspiels von Entwicklungs- und Friedensprozessen verschließt sich einfachen und kurzfristigen Lösungen. Auch und gerade in Konfliktkontexten bedarf EZ der Nachhaltigkeit und der Langfristigkeit – verlangt hier aber zugleich nach mehr Flexibilität.
Dieser Blogbeitrag fasst Ergebnisse der Studie „Frieden und Entwicklung 2020: Eine Analyse aktueller Erfahrungen und Erkenntnisse“ zusammen, die am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) erstellt wurde. Der Bericht wurde im Rahmen eines Ressortforschungsvorhabens für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erstellt. Der Bericht wurde verfasst von Jonas Wolff, Antonia Witt, Jens Stappenbeck, Simone Schnabel, Anton Peez, Julian Junk, Melanie Coni-Zimmer, Ben Christian, Sophia Birchinger und Felix Bethke.