Durch gewalttätige Auseinandersetzungen erfahren Räume Bedeutungszuschreibungen, die auch bei der Schaffung von Frieden berücksichtigt werden müssen. In urbanen Räumen verdichten sich oftmals Gewalterfahrungen und entsprechende – auch konkurrierende – Erinnerungen. Für viele Städte des globalen Südens gilt dies auch jenseits von Bürgerkriegssituationen, denn Formen krimineller oder sozialer Gewalt sind häufig Teile des Alltags, wie hier am Länderbeispiel Mosambik aufgezeigt wird. Das Spotlight plädiert daher für eine stärkere Berücksichtigung der spezifischen Gewaltgeschichte in Alltag und Erinnerung bei Bemühungen um nachhaltigen Frieden – Projekte der Entwicklungszusammenarbeit können das unterstützen.
Viele der schnell wachsenden Städte, die wir heute im globalen Süden in großer Zahl finden, weisen eine gewaltvolle Vergangenheit und ein hohes soziales Konfliktpotenzial auf, das zum Teil damit in Verbindung steht. Auch wenn Gewaltphänomene nicht auf den städtischen Raum beschränkt sind, ist vor allem die konkrete städtische Infrastruktur oft ein Erbe kolonialer Geschichte und macht diese mitunter ungebrochen präsent: Monumente, Statuen und Bauten aus der Kolonialzeit dominieren viele Städte des globalen Südens, gelten als bauliche Zier und locken als Sehenswürdigkeiten Touristen an. Gleichzeitig stehen sie für eine blutige, Indigene diskriminierende Vergangenheit, die das soziale Gedächtnis bis in die Gegenwart beeinflusst. Willem Frijhoffs Satz „cities are communities of memories“ bringt diese Akkumulation historischer Erfahrung in Städten auf den Punkt. Eine stärkere Aufarbeitung jener historisch verankerten traumatischen Erfahrungen und Erinnerungen kann dazu beitragen, städtische Gesellschaften in Friedensprozessen zu unterstützen.1
Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass viele Siedlungen innerhalb derselben Städte auch im heutigen gesellschaftlichen Leben gebrandmarkt sind. Sie sind als Schauplätze von Bürgerkriegen oder – in der Debatte um Erinnerung und Vergangenheitsarbeit weit weniger diskutiert – als Horte von Kriminalität und sozialer Gewalt berüchtigt. Häufig sind in Städten des globalen Südens einige konkrete Stadtteile so stark von krimineller und sozialer Gewalt geprägt, dass sich besser Gestellte in gated communities zurückziehen und der gesellschaftliche Austausch im urbanen Raum systemisch beschränkt ist. Diese Bedeutungszuschreibungen sowie die realen Verdichtungen von Marginalisierung in einigen städtischen Quartieren verlangen nach maßgeschneiderten politischen Interventionen.
Gewalterfahrungen und Hierarchien der Erinnerungen
Auf politischer Ebene werden historische und aktuelle Gewalterfahrungen mit Blick auf ihre soziale Bedeutung selektiert: Was und wie thematisiert und erinnert wird, wird vor allem in Ländern ohne demokratische Öffentlichkeit selbst dann oftmals von Regierungsinstitutionen oder einschlägig tätigen Gremien vorgegeben, wenn Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft mitwirken. Politische Interessen führen so häufig dazu, dass gravierende Gewaltereignisse ausgelassen werden. In vielen Staaten des globalen Südens wird außerdem bei der Thematisierung von postkolonialer Bürgerkriegsgewalt das strukturelle Erbe von Kolonialismus und Sklaverei ebenso ausgeblendet wie die alltägliche kriminelle und soziale Gewalt. Dies gilt insbesondere für den städtischen Raum. Die erinnerungskulturelle Aufarbeitung konkreter Ereignisse kann demnach nicht ausschließlich als Sache der politischen Klasse funktionieren, sondern muss die Stadtgesellschaft involvieren, deren Alltag weiterhin von Gewalt geprägt und durchzogen ist.
Erinnerungskultur ist dabei als kollektiv geteiltes Wissen zu verstehen, das sich in Texten, Bildern und Denkmälern ausdrücken kann und sich so in der urbanen Öffentlichkeit wiederfindet. Historische Gewalt wird im alltäglichen Leben meist nicht verhandelt, obwohl sie als gesellschaftliche Erfahrung nachwirkt. Im Folgenden wird das Länderbeispiel Mosambik im Fokus stehen, da hier die Konfliktlinien im urbanen Raum in besonderer Weise sichtbar sind. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1975 sind die zwei alten Rivalen FRELIMO (die aktuelle Regierungspartei) und RENAMO (Opposition) noch nicht zu einem Ausgleich gelangt. Der Zusammenhang zwischen den innerstaatlichen Konflikten und den Bedeutungszuschreibungen konkreter Räume ist in der Hauptstadt Maputo unmittelbar präsent.
In Mosambiks Hauptstadt Maputo dominiert ein bestimmter historischer Moment den öffentlichen Raum: der Unabhängigkeitskampf. Die Innenstadt ist mit Statuen von Helden dieses Kampfes gegen die einstige Kolonialmacht Portugal gestaltet. Dagegen wird der verheerende sechzehnjährige Bürgerkrieg (1976–1992), bei dem über eine Million Menschen ums Leben kamen, in keiner vergleichbaren Weise symbolisch erinnert. Dies führt zur Abstinenz eines historischen Moments, der erinnerungskulturell unterdrückt wird und somit das historische Selbstbild verzerrt.
Infobox: Krieg und Konflikt in Mosambik
Mosambik erlangte seine Unabhängigkeit von Portugal am 25. Juni 1975. In vier Jahrzehnten hat das Land wichtige politische und wirtschaftliche Veränderungen erfahren. Diese Entwicklungen vollzogen sich parallel zum Übergang von einem verheerenden Bürgerkrieg (1976–1992) zum Frieden und dabei von einem Einparteienstaat (1975–1992) zu einer Mehrparteiendemokratie. Einflüsse externer Akteure führten bereits nach der Unabhängigkeit zur Spaltung des Landes in ein Nord-, Zentral- und Süd Mosambik. Diese Spaltung wird durch die politischen Handlungen der Akteure bis heute fortgeführt.Die seit 2013 andauernde militärische und politische Krise – der Konflikt zwischen FRELIMO und der größten Oppositionspartei RENAMO, den früheren Gegnern im Bürgerkrieg – einschließlich der Wiederaufnahme von Waffen stellt die politische Stabilität Mosambiks weiterhin in Frage.
Deutungsmacht im öffentlichen Raum: Beispiel Mosambik
Nach der Unabhängigkeit Mosambiks im Jahr 1975 kam es zu Destabilisierungsversuchen durch die weißen Minderheitsgesellschaften des angrenzenden Rhodesiens und des Apartheid-Regimes Südafrikas. Die Rekrutierung von Bewohnerinnen und Bewohnern aus Nord- und Zentralmosambik, die sich von der sozialistischen Regierung abgehängt fühlten, führte zur Gründung der heutigen Opposition RENAMO. Grund für den Unmut auf lokaler Ebene waren räumlich in und um Maputo herum konzentrierte Modernisierungsprozesse der Regierungspartei FRELIMO. Aufgrund guter Beziehungen zur damaligen Sowjetunion, welche FRELIMO unter anderem während des Unabhängigkeitskampfes unterstützte, wurden ideologische Konzepte der Modernisierung eingeführt. Dies führte zum Ausschluss vor allem der ländlichen Bevölkerung Nord- und Zentralmosambiks. Obwohl Mosambik 1992 als Vorzeigebeispiel gehandelt wurde, weil unter den Augen externer Akteure ein Frieden vereinbart werden konnte, blieb der Frieden als Prozess mit Aufarbeitung der Vergangenheit vielen Gesellschaftsgruppen verwehrt. 2013 kam es sogar zu einer Wiederaufnahme bewaffneter Konflikte zwischen den Rivalen FRELIMO und RENAMO. Die Marginalisierung verschiedener Bevölkerungsschichten spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Aufgrund hoher wirtschaftlicher Investitionen vor allem im Süden des Landes, die mit kulturellen bzw. ethnolinguistischen und sozioökonomischen Verteilungsmustern korrespondieren, spaltet sich das Land bis heute in ein relativ prosperierendes Südmosambik, dem ein abgehängtes Zentral- und Nordmosambik gegenüber steht. Diese Spaltung spiegelt sich jedoch auch innerhalb der Hauptstadt Maputo wider.
Die Stadtstruktur in Maputo ist aufgrund der kolonialen Geschichte explizit in zwei Bereiche geteilt: Cidade de cemento (die Zementstadt) und Cidade de caniço (die Strohstadt). Die koloniale Differenzierung, die durch das Baumaterial in diesen Gebieten benannt wurde, sowie sozioökonomische Merkmale der dort lebenden Haushalte trennen eine Sektion mit portugiesischen und asiatischen Wurzeln (Zementstadt) von einer anderen Gesellschaftsschicht, die den Kolonialherren als „wild“ und „unzivilisiert“ galt (Strohstadt). Diese deutungsmächtige Untergliederung der Stadt besteht bis heute fort und marginalisiert die in der „Strohstadt“ lebenden Gesellschaftsgruppen nachhaltig2 obwohl 60% der Einwohner Maputos in den dortigen unzulänglich ausgestatteten Wohneinheiten leben.
Sozial segregierter Stadtraum in Maputo
Mosambik verzeichnet insgesamt in den letzten Jahren – vor allem aber innerhalb der Städte – ein erhöhtes Niveau an Kriminalität. Der Anteil der Gewaltkriminalität ist in diesem Zeitraum ebenfalls gestiegen; es kommt vermehrt zu Entführungen und Schutzgelderpressungen. Auch sind Drogenhandel und -konsum gewachsen. Ein Blick auf die Stadtentwicklung zeigt, warum dies so ist.
Ein Beispiel: Das Viertel Polana Caniço (Strohstadt) ist ein peri-zentrales Stadtviertel in der Nähe des Indischen Ozeans. Während des Bürgerkrieges erfuhr dieses Stadtgebiet ein starkes Wachstum durch eine große Zahl an Binnenvertriebenen, die Zuflucht suchten und damit einen ungeplanten Prozess der Urbanisierung beschleunigten. Spannungen und physische Grenzen zwischen zwei sehr unterschiedlichen Arten von städtischen Strukturen wuchsen: dem caniço (Wohnungen mit niedrigem Standard) einerseits und Wohn-, Geschäfts- und Dienstleistungsgebäuden mit hohem Standard andererseits. Seit den 2000er Jahren sind in dem Gebiet neue Siedlungen entstanden. Immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner haben sich in gated communities mit Überwachungskameras und Wachen niedergelassen und haben trotz des sehr engen Zusammenlebens mit den Bewohnern des caniço wenig Kontakt zu diesen.3
Im marginalisierten Stadtviertel Polana Caniço betreten selbst Bewohnerinnen und Bewohner die Straßen ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr: Verschiedene kriminelle Gruppierungen kontrollieren dann das Viertel und bedrohen alle, ohne, dass staatliche Sicherheitskräfte eingreifen würden. Die Sicherheitslage in diesem Teil der Stadt gerät also staatlicherseits zunehmend außer Kontrolle.4
Zwar erfährt Maputo hohe Investitionen in den Wohnungsbau und die Niederlassung von internationalen Firmen und Botschaften. Die Spaltung des Stadtraums bleibt davon aber bislang unberührt: Die Bewohnerinnen und Bewohner der marginalisierten Viertel werden in die Planung der Infrastruktur nicht integriert, sodass trotz städtischer Entwicklungsoffensiven die seit der Kolonialzeit bestehende urbane Spaltung fortgesetzt wird. Diese Reproduktion ungleicher Lebensbedingungen spiegelt sich in der städtischen Topographie der hohen Kriminalität und sozialen Gewalt wider.
Wege zum urbanen Frieden
Die Beobachtungen aus Mosambik weisen auf einen starken Zusammenhang zwischen historischer und alltäglicher Gewalt hin. Die Alltagsroutinen in den segregierten urbanen Räumen reproduzieren Stigmata und Ungleichheitsdynamiken, die erinnerungskulturell konflikthaft sind. Thematisiert werden diese nicht. In marginalisierten Vierteln konzentrieren sich häufig Schichten nicht aufgearbeiteter historischer Gewalt– von der Kolonialzeit über den Bürgerkrieg bis hin zur sozialen und kriminellen Gewalt des gegenwärtigen täglichen Lebens. Diese Gewaltgeschichte muss im öffentlichen Gedächtnis für die gesamte Gesellschaft vergegenwärtigt und bearbeitet werden, um die (auch erinnerungskulturelle) Spaltung der Gesellschaft überwinden zu können.
Die Entwicklungszusammenarbeit kann diesen Weg zum urbanen Frieden unterstützen, indem bei „Urban Upgrading“-Projekten der Dialog innerhalb der Gesellschaft und eine breite Bürgerbeteiligung forciert werden. Um die herkömmlichen Reproduktionseffekte einer letztlich kolonial entstandenen sozialen Hierarchie zu durchbrechen, ist es notwendig, die Perspektiven der Bewohnerinnen und Bewohner marginalisierter Quartiere einzubeziehen. Man muss die Praxen der Gewalt verstehen, um ihnen entgegenwirken zu können. Maputo ist ein Beispiel dafür, dass im globalen Süden vor allem Städte Brenngläser von gesellschaftlichen Verwerfungen sind, die historische Wurzeln haben. Die Förderung von Projekten, die ihren Fokus auf das Aufdecken dieser Geschichte(n) setzen und das Ziel eines Zusammenlebens gespaltener Gesellschaften innerhalb urbaner Räume verfolgen, kann in diesem Zusammenhang ein wichtiger Anstoß sein.
Die Autorin dankt Linda Helfrich (GIZ), Sabine Mannitz (HSFK) und Clara Süß (HSFK) für die hilfreiche Unterstützung.
Fußnoten und weiterführende Literatur