Wenn an der HSFK ein neues Forschungsprojekt startet, sollte die nötige Literatur schon bereitstehen. Dazu verfolgt die Bibliotheksleitung aufmerksam die aktuellen Debatten der Friedensforschung und ergänzt ihre umfangreiche Sammlung laufend. Für unser Jubiläumsmagazin anlässlich 50 Jahren HSFK hat sich der aktuelle Leiter Andreas Heinemann mit seinem Vorgänger Stephan Nitz unterhalten, der die Bibliothek mehr als drei Jahrzehnte führte und professionalisierte.
Herr Nitz, warum sind Sie 1984 zur HSFK gekommen?
Stephan Nitz: Es wird Sie nicht überraschen: Ich musste Geld verdienen. Als Zeitungsleser und als Student der Geschichte und Philosophie hatte ich um 1970 die Gründung der HSFK wahrgenommen, aber zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich sie 1983 längst vergessen hatte. In der Zeit der großen deutschen Friedensbewegung war ich einige Schritte mehr den Weg vom Pol des Pazifismus zum Pol des Realismus gegangen. Die HSFK war für mich daher zunächst sehr lehrreich und ein Erlebnis, wie zwischen beiden Polen Positionen entwickelt werden können, die nicht einfach der Resignation geschuldet sind.
Über die Jahre hat sich die HSFK deutlich gewandelt, ist gewachsen und professioneller geworden. Was unterscheidet sie eigentlich von anderen Think Tanks im Bereich Internationale Beziehungen?
Stephan Nitz: Was die HSFK schon immer hervorgehoben hat, ist, dass ihre Politikberatung auf einer von Theorie informierten Basis beruht. Ich habe es für einen Vorteil gehalten, dass die HSFK nicht in Berlin sitzt. Politikberatung muss das Ohr der Politik finden, aber der Politik hilft es nicht, wenn man ihr nur sagt, was sie hören will. Dazu hilft Distanz und theoriebasierte Forschung. Zur Tradition der HSFK gehört es außerdem, der Politik und auch der Öffentlichkeit unbequeme Wahrheiten zu sagen. Die Politik hat sich bewegt, aber Wahrheiten, die jetzt nur als störend wahrgenommen werden, gibt es weiterhin zu entdecken.
Als Sie die HSFK-Bibliothek übernommen haben, war sie bis dahin von einem ehemaligen Antiquar geführt worden und es gab einigen Bedarf an Reorganisation…
Stephan Nitz: Dass die Bibliothek von einem überforderten Antiquar geführt wurde, war für die wissenschaftlichen Mitarbeiter eine Last. An sich war die Bibliothek aber von Anfang an in einem guten Zustand, da sie mit der Vorgabe eröffnet worden war, immer über aktuelle Projekte und Spezialisierungen der Mitarbeiter hinaus die Literatur der Friedensforschung und die theoretischen Debatten im Fach Internationale Beziehungen zu verfolgen. Wir hatten eine Stelle geschaffen, die schon an die Literatur für künftige Projektanträge denkt.
Sie haben mir vor einiger Zeit mal die Anekdote erzählt, dass Ihr Mitarbeiter, als man ihm erstmals das Internet zeigte, Angst hatte, er könne mit einer falschen Taste das Internet löschen. Wie schwierig war es, den Wandel von der Karteikarte zum Online-Katalog in einer kleinen Bibliothek zu gestalten?
Stephan Nitz: Wir waren keine Pioniere, aber als PCs und Bibliotheksprogramme zur Verfügung standen, mit denen etwas geleistet werden konnte, waren wir schnell dabei. Wir haben 1993 begonnen, Neuerwerbungen und die älteren Bestände elektronisch zu katalogisieren und auf der HSFK-Webseite für Literaturrecherchen zugänglich zu machen. Von Anfang an wollten wir die Chance nutzen, die EDV und das Internet auch für die Öffnung der HSFK nach außen zu nutzen.
Wenn ich Bibliothekarinnen und Bibliothekare anderer Institute treffe, fällt mir immer die extreme Heterogenität auf, gerade was die Aufgaben der Bibliotheken betrifft. In manchen Fächern gibt es dort gar keine gedruckten Bücher mehr. Blüht uns das auch?
Stephan Nitz: Zunächst verschwindet das Buch so schnell nicht, es werden bekanntlich immer mehr. Dass es Disziplinen gibt, die auf Bücher verzichten können, wird daran liegen, dass sie Ergänzungen und Korrekturen relativ einfach und nach klaren Regeln ihrem Forschungsstand anfügen können. Wer dagegen, wie in den Sozialwissenschaften üblich, für neue Fragestellungen immer neu nach angemessenen Methoden sucht und vorher nicht wissen kann, wohin ihn seine Frage führt, der braucht Bücher. Ein Buch ist vor allem der Aufbau eines komplexen Arguments. Bücher werden für vieles, was sie einst leisten sollten, nicht mehr gebraucht, aber sie werden weiterhin gebraucht zur Einübung komplexer Argumente und als Ort der Entfaltung eigener komplexer Argumente.
Wenn man viele Jahre in einem Institut arbeitet, wird man dort auch zur Institution, um die sich Mythen und Legenden ranken. Von Ihnen heißt es, dass Sie jedes Buch in der Bibliothek auch gelesen hätten und nie krank gewesen seien.
Stephan Nitz: „Nie krank“ stimmt nicht wörtlich, aber als Bibliothekar kann man eher als in vielen anderen Berufen zur Arbeit gehen, wenn man zwischen gesund und bettlägerig ist. Bettlägerig war ich fast nie. Auch das mit den Büchern stimmt nicht wörtlich. Wenn ich für die weitere Bedeutung von Büchern argumentiere, so bin ich doch weit davon entfernt zu glauben, jedes Buch lohne sich zu lesen.
Auch in Ihrem Ruhestand arbeiten Sie an einem Großprojekt: der Bibliographie zur Theorie von Krieg und Frieden. Mal ketzerisch gefragt, wer braucht denn im Google-Zeitalter noch Bibliographien?
Stephan Nitz: Gerade im Google-Zeitalter werden solche Bibliographien gebraucht. Google hat die Menge von Informationen endgültig unüberschaubar gemacht. Gerade weil niemand mehr alles lesen kann, werden Hintergründe gebraucht. Meine Bibliographien sind heftig kommentierte Bände; das ist es, was bei Google fehlt. Anfang der 1970er Jahre gab es ein starkes Interesse an Bibliographien, das wurde als Teil der Identitätsfindung des Faches Friedens- und Konfliktforschung begriffen. Das ist dann stark zurückgegangen. Insofern soll das Projekt zum historischen Bewusstsein beitragen, das in Friedensforschung und IB besonders schwer zu erreichen ist.
Was wünschen Sie der HSFK und ihrer Bibliothek zum Geburtstag?
Stephan Nitz: Ich wünsche der HSFK eine Öffentlichkeit und Politiker, die den Nutzen von theoretisch angeleiteter Forschung begreifen und nicht mit aktuellen Kurzanalysen zufrieden sind. Der Bibliothek wünsche ich neugierige Wissenschaftler und Studenten, die über den Tellerrand ihres aktuellen Projekts schauen und die Bibliothek als einen Ort sehen, der ihnen dabei helfen kann.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Jubiläumsmagazins zum 50-jährigen Bestehen der HSFK. Das Magazin steht hier zum kostenlosen Download bereit (pdf, 5,42 MB).