Es ist Wahlkampf und in aktuellen Debatten über deutsche Rüstungsexporte scheinen die Parteien von CDU, SPD, Bündnis 90/Grüne und Linke auffällig einig: Deutsche Kriegswaffen sollten nicht nach Saudi-Arabien gelangen, solange das Land einen Krieg im Jemen führt, unter dem in erster Linie die Zivilbevölkerung leidet. Allerdings sind dort bereits deutsche Waffen im Einsatz. Die Angriffe aus der Luft fliegt Saudi-Arabien unter anderem mit Kampfflugzeugen des Typs Tornado und Eurofighter Typhoon, die aus EU-Gemeinschaftsproduktionen mit deutscher Beteiligung stammen und von Großbritannien dorthin geliefert worden sind. Wie steht es um die Bilanz der Großen Koalition in der Rüstungsexportpolitik?
Saudi-Arabien nutzt deutsche Patrouillenboote zur Kriegsbeteiligung
Deutschland lieferte 2014 Patrouillenboote nach Saudi-Arabien, die noch von der CDU/FDP-Vorgängerregierung genehmigt worden waren. „Was schwimmt, geht“ lautete das Credo deutscher Rüstungsexportpolitik seit den 1970er Jahren. Auch die Entscheidung der Großen Koalition, die Patrouillenboote nach Saudi-Arabien zu liefern, wurde damit begründet, dass es sich dabei lediglich um Schiffe zur Grenzsicherung handele, man also einem legitimen Sicherheitsinteresse des Landes nachkomme. Jedoch werden genau diese Schiffe jetzt zur Seeblockade im Golf von Aden genutzt, so dass keine Güter zur Gesundheitsversorgung und Ernährung der Zivilbevölkerung ins Land gelangen können. Zudem werden Kleinwaffen, unter anderem auch des Typs G3, von Saudi-Arabien abgeworfen, um die Kämpfer vor Ort im Krieg gegen die schiitischen Houthi-Milizen zu unterstützen. Die Sturmgewehre stammen zwar aus Waffenproduktion Saudi-Arabiens – Deutschland hatte die Lizenz für diese Produktion allerdings nur für den Eigenbedarf des Landes erteilt. Zusammengenommen zeigt dies, dass Rüstungsexporte nicht nur unmittelbaren Schaden anrichten, sondern auch mittel- und langfristige Folgen haben können, wie etwa den Einsatz solcher Waffen zur Konflikteskalation oder im Krieg.
Deutschland lieferte auch im 1. Halbjahr 2017 Rüstungsgüter an problematische Drittstaaten. So haben Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate trotz ihres Krieges gegen den Jemen deutsche Rüstungsexporte im Wert von 128,3 Millionen Euro erhalten. Nach Saudi-Arabien wurde auch 2017 erneut die Lieferung von Patrouillenbooten genehmigt. Mehr als die Hälfte, nämlich 54,3 Prozent entfielen im Zeitraum zwischen Januar und April 2017 auf Drittstaaten, also Länder außerhalb der EU, der NATO und gleichgestellter Länder, wie beispielsweise der Schweiz, Neuseeland und Australien. Unter dem Top-10 der Bezieher deutscher Rüstungsexporte finden sich sechs Drittstaaten: Algerien, Ägypten, Saudi-Arabien, Singapur, Südkorea und die Vereinigten Arabischen Emirate. Damit setzt sich ein Trend fort, der sich auch in den Jahren davor schon abzeichnet. Deutsche Rüstungsexporte verharren auf einem nahezu konstant hohen Niveau und der Anteil der Lieferungen an Drittstaaten belief sich in den vergangenen Jahren auf mehr als 50 Prozent.
Rechtliche Regeln: Keine Waffenlieferungen an Kriegsparteien
Die politischen Grundsätze aus dem Jahr 2000 – damals von der rot-grünen Bundesregierung erlassen – sind eindeutig in ihren Vorgaben. So wird die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern nicht genehmigt, wenn Drittstaaten in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind. Auch das Verhalten von Drittstaaten etwa im Hinblick auf die Unterstützung des Terrorismus oder die Bereitschaft zum Gewaltverzicht sollten berücksichtigt werden. Während diese nur politische Richtlinien bilden, sind mit dem Gemeinsamen Standpunkt der EU von 2008 rechtlich verbindliche Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärgütern und -technologie geschaffen worden. Acht Kriterien regeln die Bewertung der Empfängerländer. Kriterium 2 fordert ein, dass die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts im Empfängerland beurteilt werden soll. Auch im internationalen Waffenhandelsvertrag von 2014 sind in Artikel 6 Verbotstatbestände aufgelistet, wonach an Staaten, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen und etwa unterschiedslos Zivilisten töten und verletzen, wie dies gegenwärtig im Krieg gegen den Jemen der Fall ist, keine Kriegswaffen geliefert werden dürfen. Auch systematische Verletzungen der Menschenrechte oder die Unterstützung des Terrorismus sollen nach Artikel 7 sorgfältig gegen die legitimen Sicherheitsinteressen der Staaten abgewogen werden – danach dürfte beispielsweise Katar nicht Empfänger deutscher Rüstungsgüter sein, weil es im Verdacht steht, den islamistischen Terror zu finanzieren. 2015 noch war Katar mit 1,66 Milliarden Euro Spitzenreiter unter den Empfängern deutscher Rüstungsexporte.
Mit politischen Grundsätzen gegen die Verbreitung von Klein- und Leichtwaffen
Sigmar Gabriel hatte bei seinem Amtsantritt als Bundeswirtschaftsminister versprochen, sein besonderes Augenmerk auf deutsche Rüstungsexporte von Klein- und Leichtwaffen zu legen. Nach Rekordwerten an Kleinwaffengenehmigungen in den Jahren 2012 und 2013 von 76,15 und 82,63 Millionen Euro, hatten sich die Genehmigungswerte für 2014 und 2015 nahezu halbiert. Jedoch blieb der Anteil der Genehmigungen an Drittstaaten mit rund 46 Prozent hoch. 2016 stieg der Export an Kleinwaffen dann um 15 Millionen Euro auf, der Anteil der Drittstaaten reduzierte sich auf 35 Prozent. Hohe Genehmigungswerte auf für das erste Halbjahr 2017 begründen sich vor allem mit der gestiegenen Nachfrage von EU-Staaten im Zuge ihrer Terrorismusabwehrstrategie. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war im März 2015 die Verabschiedung der neuen Kleinwaffengrundsätze. Aufgrund des hohen Risikos der unkontrollierten Weiterverbreitung und ihres Potenzials zur gewaltsamen Eskalation bestehender innerstaatlicher Konflikte gibt es seit mehr als 15 Jahren auf internationaler Ebene Bemühungen, auch exportierende Staaten dazu aufzufordern, keine Kleinwaffen an problematische Drittstaaten zu liefern. Die Kleinwaffengrundsätze sehen vor, dass es künftig keine Lizenzvergaben mehr an Drittländer geben soll. Grund dafür sind vor allem die negativen Erfahrungen mit der Vergabe von G3- und G-36 Lizenzen nach Saudi-Arabien. Allerdings sehen die Kleinwaffengrundsätze auch einen Bestandsschutz für bestehende Verträge vor. Weiterhin sollen keine Kleinwaffen aus deutscher Produktion an nicht-staatliche Akteure genehmigt werden. Der Exportgrundsatz „Alt für Neu“ soll bei Genehmigungen befolgt werden – die Empfängerländer sollen auf freiwilliger Basis ihre ausrangierten Kleinwaffen bei Neuerwerb deutscher Waffen vernichten, um auch auf dieser Weise möglicher unkontrollierter Verbreitung von Waffen Vorschub zu leisten. Neben den Endverbleibserklärungen soll es auch sogenannte Post-Shipment Kontrollen geben – bislang ist aber nur eine einzige im Anschluss an einen Export von Kleinwaffen nach Indien erfolgt. Wichtig sind auch die in den Kleinwaffengrundsätzen geforderten einheitlichen und nicht entfernbaren Markierungsstandards für Kleinwaffen „made in Germany“.
Versäumnis Rüstungsexportkontrollgesetz
Diese Kleinwaffengrundsätze sind jedoch als ein politisches Projekt auf den Weg gebracht worden und könnten von einer Nachfolgerregierung verändert oder gar abgeschafft werden. Insgesamt krankt die deutsche Rüstungsexportpolitik am Stück- und Flickwerk der Vorschriften und Gesetze. Ein einheitliches Rüstungsexportkontrollgesetz sollte Abhilfe schaffen und selbst den Forderungen der deutschen Rüstungsindustrie Folge leisten, die routineartig mehr Erwartungssicherheit in der bundesdeutschen Genehmigungspraxis einfordern. Aus der von Sigmar Gabriel geplanten Kommission wurde dann letztlich nur ein Konsultationsmechanismus mit drei Anhörungen, zu denen sehr selektiv Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Rüstungsindustrie, der Wissenschaft und – einige wenige – der Zivilgesellschaft eingeladen wurden. Die Ergebnisse dieser Anhörungen finden sich auf der Homepage des Bundeswirtschaftsministers – die Vereinbarung eines weiteren Prozesses oder gar die Einrichtung einer Beratungskommission fiel dem Vorwahlkampf zum Opfer.
Aufgaben für die nächste Bundesregierung in der Rüstungsexportpolitik
Ein solches Rüstungsexportkontrollgesetz wäre eine zentrale Aufgabe für die kommende Bundesregierung, das über Jahre gewachsene Flickwerk an deutscher Rüstungsexportgesetzgebung und politisch verbindlichen Regeln zu vereinheitlichen. Das Rüstungsexportkontrollgesetz könnte sich entlang der erst kürzlich verstärkten acht Kriterien des EU-Gemeinsamen Standpunktes orientieren. Eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik bedarf der politischen Begründungspflicht für Rüstungsexporte in problematische Drittstaaten. Bestehende Verträge, wie etwa der internationale Waffenhandelsvertrag oder der Gemeinsame Standpunkt der EU, sollten systematisch umgesetzt werden. Staaten, die den internationalen Waffenhandelsvertrag nicht unterzeichnet haben, sollten keine Empfänger deutscher Rüstungsexporte sein. Exporte von Rüstungsgütern in Krieg führende Staaten sind auf Grundlage solcher bereits existierender Vorschriften abzulehnen. Erst so kann aus der derzeitigen Wahlkampfrhetorik, zumindest derzeit keine Waffen mehr an Saudi-Arabien zu liefern, eine konsequente deutsche Rüstungsexportpolitik werden. Auch der hinreichende Verdacht, dass deutsche Waffen zur internen Repression oder fortdauernder Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden können, sollte die Ablehnung solcher Anfragen von Drittstaaten durch künftige Bundesregierungen nach sich ziehen. Das gilt im Übrigen auch für NATO-Staaten, die fortdauernd und systematisch Menschenrechte verletzen, so wie es gegenwärtig in der Türkei geschieht. Die gegenwärtige Bundesregierung hat im vergangenen Jahr Rüstungsexporte in die Türkei auf Grundlage der EU-Kriterien 2, 3 und 7 zumindest teilweise abgelehnt. Als kritisch wurden demzufolge die Menschenrechtslage, die innere Lage aufgrund von Spannungen und das Risiko der Weitergabe deutscher Waffen erachtet. Dennoch sind dann im 1. Halbjahr 2017 Rüstungsexporte im Wert von 21,98 Millionen Euro genehmigt worden.