Derzeit überschlagen sich die Ereignisse in Bolivien. Nach wochenlangen Protesten gegen Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen, trat Präsident Evo Morales am 10. November zurück und ging ins mexikanische Exil. Eine Übergangsregierung bereitet Neuwahlen vor, während die Gewalt zu eskalieren droht. Bisher sind fast 30 Menschen ums Leben gekommen. Für Deutschland hat die politische Krise direkte Auswirkungen. Kurz vor seinem erzwungenen Rücktritt kündigte Morales einen bolivianisch-deutschen Kooperationsvertrag zum Abbau von Lithium. Eine Affekthandlung, die tiefen Einblick in die komplexe politische Gemengelage im Andenland gewährt. Die dahinterstehenden Auseinandersetzungen zeigen aber auch wie sozial-ökologisch komplex der Abbau des zentralen Rohstoffs der Elektromobilität ist.
Das bolivianische Lithiumprojekt
Vor 10 Jahren begann das ehrgeizige Vorhaben, den größten Lithiumschatz der Welt im bolivianischen Salar de Uyuni zu bergen. Die Industrie lechzt nach dem Technologierohstoff, den sie u.a. für die Batterien der Elektroautos braucht, die bald deutsche Straßen in sechsstelliger Größenordnung befahren sollen. Nach Meinung der bolivianischen Regierung sollte Lithium vor allem Treibstoff der eigenen Wirtschaft werden und das Land von der Fessel des Rohstofflieferantentums befreien. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit erklärte Präsident Morales Lithiumförderung daher zum strategischen Staatsziel.
Dies war nicht der erste Versuch, die Lithiumvorkommen zu erschließen. In den frühen 1990er Jahren war eine Kooperation mit einem US-amerikanischen Unternehmen am massiven Protest lokaler Akteure gescheitert. Auch deshalb wollte die Regierung Morales das Vorhaben anders aufziehen, in bolivianischer Verantwortung, durch ein Staatsunternehmen. Aus den damals noch üppigen Staatsreserven – die Einnahmen aus den gerade erst neu verhandelten Gasverträgen sprudelten – wurden 900 Millionen US Dollar in das größte Projekt der staatlichen Bergbaugesellschaft COMIBOL und ihrer Lithium-Unterorganisation investiert. Im größten Salzsee der Welt baute man erst Pilot- und dann Industrieanlagen; neben Lithium sollte vor allem Kali als Düngemittel gewonnen werden. In die Planung und den Bau der Anlagen stiegen nach und nach ausländische Partner ein – neben deutschen Unternehmen insbesondere Kooperationspartner aus China, die Bolivien u.a. mit einer schlüsselfertigen Fabrik für Batterien(-montage) versorgten. Ein chinesisches Unternehmen baut auch die vom Thüringer Mittelständler K-UTEC geplante Industrieanlage zur Gewinnung von Lithiumkarbonat.
Das bolivianisch-deutsche Joint Venture
Ende 2018 trat Deutschland erneut auf den Plan, als das bis dahin unbekannte mittelständische Unternehmen ACI Systems Alemania (ACISA) aus Baden-Württemberg unter Beteiligung von K-UTEC und das bolivianische Staatsunternehmen Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) ein Joint Venture eingingen. Ab 2022 sollten bis zu 40.000 Tonnen Lithiumhydroxid prioritär für den deutschen Markt produziert werden. Bolivien hält 51% am Joint Venture, dessen Bestand gesetzlich für 70 Jahre garantiert ist. Ein ähnliches Geschäftsmodell wählte YLB auch mit einer chinesischen Firma für die noch explorativen Planungen zum Abbau von Lithiumvorkommen in zwei weiteren Salzseen.
Am 3. November 2019 hob die bolivianische Regierung nun aber Dekret 3738 auf, mit dem der Vertrag mit dem deutschen Konsortium begründet war. Der Geschäftsführer von ACISA erfuhr davon nach eigenen Angaben aus dem Radio. Auch der Vorsitzende von K-UTEC und das Bundeswirtschaftsministerium zeigten medienwirksam ihr Unverständnis über diesen Schritt. Wenngleich es sicher nicht zu den diplomatischen Gepflogenheiten gehört, von Verträgen ohne Vorwarnung zurückzutreten, so ist es nicht überraschend, dass die (ehemalige) Regierung Morales sich in ihrer ausweglosen Lage zu diesem Schritt entschlossen hat.
Wahrnehmung der Lithiumförderung in der Lokalbevölkerung
Als ich 2016 für meine Promotion über die lokale Wahrnehmung des Lithiumabbaus über 100 Interviews in Bolivien führte, war eine nationale Krise diesen Ausmaßes noch nicht absehbar, die lokalen Konfliktlinien im Lithiumprojekt aber schon. Lange bestehende, historisch wie kulturell belastete Differenzen beeinflussten die Perspektiven auf das Vorhaben in den fünf Gemeinden um den Salzsee. Es ging um die wahrgenommene politische Bevorzugung von bestimmten Regionen und sozialen Bewegungen, um ungeklärte Gemeindegrenzen und die Frage, wer von den Einnahmen profitieren würde. Die jubilierende politische Kommunikation zum Projekt als strategischer Meilenstein gemischt mit Intransparenz bezüglich der eigentlichen Planungen hatten aber auch zu übersteigerten Erwartungen an die Initiative beigetragen. Gleichzeitig verfolgte die bolivianische Regierung alte Muster der Zusammenarbeit im Rohstoffsektor, national geprägt von zentralistischen Entscheidungsstrukturen und international von Exportorientierung. Große Opposition dagegen gab es nicht, denn die Region war politisch noch fest in der Hand des Movimiento al Socialismo (MAS) und ein Großteil der Bevölkerung überzeugt, dass die Regierung, trotz wahrgenommener Unzulänglichkeiten, in ihrem Interesse handeln würde.
Lithium im Zeichen der politischen Krise
Dies änderte sich jedoch mit dem stetigen Vertrauensverlust in Präsident Morales nach einem verlorenen Referendum im Februar 2016, mit dem er die Verfassung ändern und sich eine weitere Amtszeit ermöglichen wollte. Es folgte ein bizarrer Rechtsstreit, in dessen Ergebnis das oberste Wahlgericht Ende 2018 seine erneute Kandidatur zuließ. Zu diesen politischen Klimmzügen kamen persönliche Skandale, die ihr weiteres taten, um das Vertrauen in das Staatsoberhaupt zu schwächen.
Dass die Administration in Bezug auf den Abschluss der Joint Venture zu Lithium mit Deutschland und China dann kurz vor der Präsidentschaftswahl zu wenige Informationen offenlegte und lokale Akteure nicht einband, führte im Oktober erstmals zu größeren Protesten gegen das Vorhaben. Kritisiert wurden u.a. die lange Vertragsdauer und die Priorisierung von Export über Wertschöpfung. Zudem äußerte eine wiedererwachende Zivilgesellschaft Zweifel an der Kompetenz des Unternehmens aus Deutschland. Der Druck auf Morales, auch aus der eigenen Anhängerschaft, wurde Anfang des Monats dann wohl zu groß. Die Aufkündigung des Vertrags kann somit als Affekthandlung verstanden werden, um in der innenpolitischen Krise die eigenen Reihen, die lange hinter dem Projekt standen, zu befrieden.
Morales hat dieser Schritt nicht mehr gerettet. Er stellt eine neue bolivianische Regierung, die frühestens am 22. Januar 2020 feststeht, aber vor ein mehrschichtiges Dilemma. Nimmt sie den Vertrag mit Deutschland nicht wieder auf, ist dies ein diplomatischer Eklat, der auch zu Regressansprüchen führen könnte. Bolivien hätte viel Geld in einen weißen Elefanten versenkt und internationale Investoren durch seine Unbeständigkeit verunsichert. Die technologischen Komplexitäten des Lithiumabbaus machen eine allein nationale Lösung schwer vorstellbar. Gleichzeitig ist die Wiederaufnahme des Joint Ventures politisch heikel, international wie national. Boliviens schwächelnde Wirtschaft kann internationalen Kreditgebern nur noch schwer gerecht werden; gerade China könnte Forderungen geltend machen, auch gegen das Lithiumprojekt. National gibt es zudem beträchtliche Unsicherheiten. Ohne den berechtigten Forderungen nach einer größeren finanziellen Beteiligung der Abbauregion, nach Transparenz und einem seriösen Umweltgutachten zu entsprechen, wird die neue Regierung das Projekt nicht wieder lancieren können.
Lokale Beteiligung reformieren
Gerade eine Reform der lokalen Beteiligung an Bergbauprojekten ist unbedingt nötig. Nach dem Bergbaugesetz liegt die lokale Gewinnbeteiligung für Lithium bei mageren 3%, verteilt zu 85% auf das Departement, in dem das Projekt liegt, und zu 15% auf die Abbaugemeinde. Welche Gemeinde profitiert ist umstritten und politisch ungelöst. Auch die grundlegende Struktur, in der eine Gemeinde in der Region überproportional an einem Projekt verdient, ist nicht sachgerecht und öffnet Missbrauch Tür und Tor. Ein lokaler Strukturfonds wäre eine regional sensiblere Lösung.
Auswirkungen auf die Umwelt
Ein weiteres Thema sind Umweltauswirkungen auf den Salar de Uyuni, über die zu wenig bekannt ist. Obgleich dies für viele lokale Akteure, wie meine Interviews zeigten, vor drei Jahren noch so gut wie keine Rolle spielte, könnte dieses Thema als Verhandlungsmasse in der neuen politischen Spannungssituation an Bedeutung gewinnen. Zwar hat das deutsche Unternehmen ACISA nach eigenen Angaben einen Prozess entwickelt, der die Umweltverträglichkeit verbessern und den Wasserbedarf reduzieren würde, aber diese Ankündigung entbindet eine neue bolivianische Regierung nicht von der Verantwortung eines eigenen umfassenden Umweltgutachtens. Die vorherigen Umweltprüfungen haben nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen und könnten erwachsende Kritik somit auch nicht entkräften.
Der schwierige Weg der Deeskalation
Gleichzeitig wird eine Kompromisssuche von historisch beladenen Antagonismen und einem grundsätzlichen Misstrauen zwischen Bevölkerungsgruppen – lokal wie national – belastet. Ob eine neue Regierung in dieser komplexen Verhandlungssituation Erfolg haben kann, hängt von ihrer Zusammensetzung ab, ihrem diplomatischen Geschick und der Frage, wie kompromissbereit lokale Gruppen sind, die dem MAS nahestehen und in der Ausgestaltung des Lithiumprojekts maßgeblich mitgeredet haben. Dabei ist auch entscheidend, ob die einflussreichen sozialen Bewegungen der Region die wirtschaftlichen Chancen des Projekts höher bewerten als die politischen Spielräume, die ein Scheitern einer neuen Administration möglicherweise bringen würde. Wenn sich im Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung die bereits bestehende Wahrnehmung verfestigt (ob gerechtfertigt oder nicht), dass bolivianische Interessen und die lokale Beteiligung zu Gunsten ausländischer Wirtschaftsinteressen zurückstehen müssen, steigt das Mobilisationspotential nicht nur in der Lokalbevölkerung. Zudem ist es in der derzeitigen Situation wahrscheinlich, dass sich eine Opposition gegen das Joint Venture mit anderen innerbolivianischen Diskussionen vermischt, was die Deeskalation weiter erschwert.
Eine Renaissance der Zusammenarbeit ist also fraglich und wird die bolivianisch-deutschen Beziehungen auf eine Probe stellen. Um innerbolivianisch einen Kompromiss zu ermöglichen, ist ein Umdenken in der Bergbaupolitik genauso nötig wie in der politischen Kommunikation. Denn während Verschleierung gerade in Bezug auf die lokale Gewinnbeteiligung vor einigen Jahren eine funktionale Taktik der Konfliktkontrolle war, klappt dies in der aufgeladenen politischen Stimmung nicht mehr. Ohne einen umfassenden Dialogprozess, der lokal ansetzt, Transparenz schafft und um Vertrauen wirbt, wird eine Deeskalation nicht möglich sein. Hier sind auch die deutschen Kooperationspartner gefragt. Sie können zur Transparenz beizutragen, was auch heißt, sozio-ökologische Folgen eines Ausbaus der globalen Lithiumförderung zu benennen und diesen in Zusammenarbeit mit Akteuren in Bolivien entgegenzuwirken.