The heads of state stand in line next to each other at the Summit 2024 in Kazan.
Der BRICS-Gipfel 2024 in Kazan wurde im Narrativ des „Systemwettbewerbs“ als Gegenpol zur westlichen Weltordnung und der G7 gedeutet. | Foto: Prime Minister’s Office (GODL-India) via Wikimedia Commons | licensed under the Government Open Data License – India (GODL)

Die Weltordnung und der Systemwettbewerb: Zur außenpolitischen Positionierung der Parteien im Bundestagswahlkampf

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die seither ausgerufene „Zeitenwende“ haben die Debatte über Deutschlands zukünftige Außenpolitik erkennbar zugespitzt. Auch im Bundestagswahlkampf positionieren sich die Parteien zu schwierigen Fragen: Wie sollen Frieden und Sicherheit wiedergewonnen werden? Wie verändert sich die Weltordnung, und wie sollte Deutschland darauf reagieren? Dabei kommen sie zu teils sehr unterschiedlichen Antworten, die allerdings meist nicht über eine generelle Selbstverortung hinausgehen. Die chaotische Weltlage wird häufig als neuer „Systemkonflikt” zwischen Demokratien und Autokratien beschrieben, was jedoch die weitaus komplexere Realität nicht erfasst – und seit der Wiederwahl Donald Trumps auch keine praktisch umsetzbare Agenda mehr ist.

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Menschenmenge protestiert mit tunesischer Flagge
Präsident Kais Saied dreht die im Arabischen Frühling begonnene Demokratisierung Tunesiens in rasendem Tempo zurück. | Foto: Amine GRHABI via flickr | CC BY-NC 2.0

Der letzte Akt: Die Präsidentschaftswahlen 2024 und die Autokratisierung Tunesiens

Am 6. Oktober 2024 findet in Tunesien die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Selbst wenn es einer Stichwahl im November bedarf, wird der aktuelle Präsident Saied wiedergewählt werden. Sein harter Autokratisierungskurs, den er 2021 begann, wird kein anderes Ergebnis zulassen. Auch wenn unklar ist, welche Beliebtheitswerte er wirklich noch in der Bevölkerung genießt, sollte diese Wahl eine Mahnung an die EU und Deutschland sein, weiterhin demokratische Standards bei sogenannten Partnerländern einzufordern, selbst wenn etwa Migrations- und Energieinteressen gegeben sind.

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Black and white texture with a line in the middle
German debates about the Israel-Gaza war often get caught up in polarising terminology. | Photo: Siora Photography, Unsplash

Israel–Gaza Beyond the Concept of Genocide: End Mass Violence Against Civilians Now

German debates about the Israel-Gaza war often get caught up in polarising terminology. This applies in particular to the dispute whether a genocide is occurring. Apart from the legal assessment currently being made by the International Court of Justice, a parallel, polemical discussion about the concept of genocide distracts from actual priorities for action. The war has already cost tens of thousands of lives, and many more Palestinians will die as a direct and indirect consequence of the war. The mass violence against civilians and the destruction of conditions of life in Gaza must end immediately – regardless of whether the legal conditions for genocide are met.

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schwarz-weiße Textur mit Linie in der Mitte
Deutsche Debatten über den Israel-Gaza-Krieg verfangen sich oft in polarisierenden Begrifflichkeiten. | Foto: Siora Photography, Unsplash

Israel-Gaza jenseits des Genozid-Begriffs: Massengewalt gegen Zivilist*innen jetzt beenden

Deutsche Debatten über den Israel-Gaza-Krieg verfangen sich oft in polarisierenden Begrifflichkeiten. Das gilt insbesondere für den Streit um das Vorliegen eines Genozids. Abgesehen von der juristischen Einschätzung, die derzeit der Internationale Gerichtshof vornimmt, lenkt eine parallellaufende, polemische Diskussion um den Völkermordsbegriff von den eigentlichen Handlungsprioritäten ab. Der Krieg kostete schon Zehntausende das Leben, noch viel mehr Palästinenser:innen werden an direkten und indirekten Kriegsfolgen sterben. Die Massengewalt gegen Zivilist:innen und der Entzug von Lebensgrundlagen in Gaza müssen sofort beendet werden – unabhängig davon, ob juristisch die Bedingungen für einen Genozid erfüllt sind.

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Building at river by sunset
View of the German Reichstag in Berlin at sunset | Photo: Michabka via wikimedia commons | CC BY-SA 4.0

Israel–Gaza: A German War Discourse

The way the escalation of violence in Israel, the Gaza Strip, and adjacent areas in the region is discussed in Germany is, in many respects, not surprising. It follows the structural dynamics of war discourses: the polarization into a friend–enemy schema; the negation of moral ambivalence; patterns of legitimation which suggest that the actions of one side are more than justified by the previous actions of the other side; the compulsion of the threat situation, discrediting reflection and distancing as inappropriate; the construction of unparalleled amorality; the circumvention of humane standards through dehumanization of the enemy; the simplification of an inherently complex situation.

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Gebäude vor Sonnenuntergang an Fluss
Der Reichstag in Berlin zum Sonnenuntergang. | Foto: Michabka via wikimedia commons | CC BY-SA 4.0

Israel – Gaza: Ein deutscher Kriegsdiskurs

Wie über die Gewalteskalation in Israel, dem Gazastreifen und angrenzenden Gebieten der Region in Deutschland gesprochen wird, ist in vielerlei Hinsicht nicht überraschend, sondern folgt der strukturellen Dynamik von Kriegsdiskursen: die Polarisierung in ein Freund-Feind-Schema; das Negieren moralischer Ambivalenz; das Rechtfertigungsmuster, wonach die Akte der einen Seite durch vorherige Akte der anderen Seite mehr als gedeckt seien; der Zwang der Bedrohungslage, die Reflexion und Distanzierung als unangemessen diskreditiert; die Konstruktion beispielloser Amoralität; die Aushebelung humaner Standards durch Entmenschlichung des Feindes; die Vereindeutigung einer unauflösbar komplexen Lage. 

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Ein Foto des Deutschen Bundestages bei Nacht
Welche Rolle kommt politischen Regimetypen in der Nationalen Sicherheitsstrategie zu? | Foto: j0nqh via Pixabay

Nicht darüber reden ist auch keine Lösung: Die Rolle von Autokratie und Demokratie in der Nationalen Sicherheitsstrategie

Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde das Narrativ eines globalen Wettstreits zwischen Demokratien und Autokratien wiederbelebt, das bereits im Zuge des Aufstiegs Chinas an Bedeutung gewonnen hatte. Im März 2022 hatte auch Außenministerin Annalena Baerbock noch von einem „Bündnis von liberalen Demokratien weltweit“ gesprochen, das es gegen die Diktaturen dieser Welt zu schließen gelte. Etwas mehr als ein Jahr später hat die Bundesregierung nun ihre Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht, in der vom Zwei-Lager-Denken nichts mehr zu finden ist. Diese positive Entwicklung wird jedoch konterkariert von einem weitgehenden Schweigen zu Fragen von Stabilität und Sicherheit, die sich im Umgang mit unterschiedlichen Regimetypen  stellen – was auch keine Lösung ist, wie wir im Folgenden argumentieren.

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Wall with bricks, half is painted white, the other half is painted blue, but on both sides a few bricks have the opposite color.
States with different political regime types increasingly view each other as competitors. | Photo: Katerina Pavlyuchkova, Unsplash (edited)

Regime Competition in a Fragmented World: Consequences for Peace and Conflict

More than thirty years after the proclaimed “end of history” and the third wave of demo­cratization, the world is once again marked by increased diversity in political regimes. The (re-)emergence of powerful autho­ritarian states like China and Russia and the trend of back­sliding in seemingly consolidated demo­cracies have created a more pluralistic and multipolar world, in which states with different political regime types increasingly view each other as competitors, seeking to prove the superiority of their own political and economic systems and to win the alle­giance of third countries.

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Portrait des tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed.
Portrait des tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed | Foto: Houcemmzoughi via Wikimedia Commons

Still und leise: die Abschaffung der tunesischen Demokratie

Während sich die mediale Berichterstattung international sowie hierzulande mit der Corona-Pandemie, der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und seit Februar dieses Jahres mit dem Ukraine-Krieg beschäftigte, hat der tunesische Präsident Kais Saied relativ unbemerkt von der Weltöffentlichkeit seit dem Sommer 2021 den tunesischen Demokratisierungsprozess beendet und demokratische Institutionen abgebaut. Die Opposition gegen Saied wächst und der Rückhalt in der Bevölkerung für seinen Kurs nimmt ab. Nun ist es auch an Deutschland und der EU, der Autokratisierung Tunesiens entschieden entgegenzutreten.

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Proteste in Sudan, 2019. | Photo: Wikimedia Commons, Esam Idris | CC BY-SA 4.0

Nichts ist vorbei! Zehn Jahre Arabische Aufstände

Vor zehn Jahren brachten Massenproteste den tunesischen Diktator Ben Ali zu Fall. Weitere Aufstände folgten, aber auch Bürgerkriege, regionale Instabilität und Flucht. Ab 2016 jedoch begann eine zweite Welle an großen Demonstrationen, die 2019 von Algerien bis in den Irak Demokratie und soziale Gerechtigkeit forderten und Präsidenten und Regierungen stürzten. Statt also nur zu fragen, was von den arabischen Aufständen blieb, sollten wir genau hinschauen, welche Transformationen weiterhin laufen und diskutieren, wie Europa die Prozesse des Wandels unterstützen kann.

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