Die Verabschiedung der neuen Leitlinien durch die Bundesregierung unterstreicht die Bedeutung ziviler Krisenprävention für die deutsche Friedenspolitik. Die Erwartungen an das neue Leitliniendokument, dessen Entwicklung seit Juli 2016 durch einen intensiven Debattenprozess mit der (Fach-)Öffentlichkeit begleitet wurde, waren hoch. Die Leitlinien formulieren zwar ein friedenspolitisches Leitbild und grundlegende Strategien – es fehlen aber konkrete Zielvorgaben. Wenn die Leitlinien die Grundlage für eine erfolgreiche und langfristige Friedensförderung bilden sollen, hat die Arbeit gerade erst begonnen.
Die neuen Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (pdf) ersetzen den alten Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ aus dem Jahr 2004 und ergänzen das bereits 2016 veröffentlichte Weißbuch zur Sicherheitspolitik. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier eröffnete im Juli 2016 den PeaceLab-Prozess – so der offizielle Name des Konsultationsprozesses, der die Entwicklung der Leitlinien vorantreiben sollte – im Rahmen einer Konferenz im Auswärtigen Amt. Die Bedeutung der Leitlinien ist nicht zu unterschätzen, denn so Steinmeier in seiner Eröffnungsrede: „Diese Leitlinien sollen künftige Grundlage sein für unser Engagement zur Verhinderung und Lösung von Konflikten. Aber eben auch: für unsere langfristige Friedensförderung.“
Intensiver Konsultationsprozess – wenn auch nicht ganz bis zum Ende
Ein breites Spektrum von gesellschaftlichen Gruppen kam dem Aufruf zur Beteiligung an diesem Prozess nach – von der Zivilgesellschaft, über die Wissenschaft bis hin zur Wirtschaft. Fachgespräche, Workshops und Konferenzen zu verschiedensten Themen wurden organisiert. Selbstgewählte Ziellinie der Bundesregierung war die Verabschiedung der neuen Leitlinien im Frühjahr 2017.
27 Veranstaltungen, dutzende Blogbeiträge und noch viel mehr informelle Gesprächsrunden später wurde es nochmals spannend, denn die neuen Leitlinien steckten in der Ressortkoordination zwischen verschiedenen Bundesministerien fest. Ausgang ungewiss. Letzte Woche war es nun endlich soweit und die Bundesregierung verabschiedete ihre neuen Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“.
Der Peacelab-Prozess wurde weithin als positiv bewertet – sowohl von Regierungsseite als auch von denjenigen, die Veranstaltungen organisiert hatten oder daran teilgenommen hatten. Solche breiten Konsultationsprozesse haben aber auch ihre Tücken, denn nicht zuletzt steigen die Erwartungen der beteiligten Akteure, die sich engagieren und ihre Expertise zu unterschiedlichen Bereichen, Organisationen und Ländern einbringen, in denen sie aktiv sind. Der Schreibprozess selbst fand hinter verschlossenen Türen statt und muss sich der Kritik aussetzen, dass der Entwurf der Leitlinien nicht mehr mit einer breiteten (Fach-)Öffentlichkeit oder auch nur mit beratenden Gremien, wie dem Beirat Zivile Krisenprävention, diskutiert wurde. Damit soll nun nicht gesagt werden, dass der intensive PeaceLab-Prozess nicht sinnvoll war – er war wertvoll und hat die Community, die sich mit dem Thema beschäftigt, aktiviert. Und sicher haben viele Inputs Eingang in die Leitlinien gefunden. Aber denkbar wäre etwa auch gewesen, den Entwurf des Dokuments zur Kommentierung zugänglich zu machen. Öffentliche Konsultationsverfahren können auch dann wertvolle Hinweise liefern.
Positiver Friede als Leitbild, Vorrang für Prävention und Primat der Politik
Die Verabschiedung der Leitlinien soll nun nicht mehr und nicht weniger sein als der „Beginn einer neuen Phase deutscher Friedenspolitik“ (Leitlinien S.3). Ein hoher Anspruch! Die Leitlinien sind sicher keine Revolution. Im Gegensatz zum alten Aktionsplan aus dem Jahr 2004 – und das ist lobenswert – beginnt das Dokument nicht nur mit einer Analyse der globalen Herausforderungen, denen sich die Bundesregierung gegenübersieht, sondern es wird auch ein explizites friedenspolitisches Leitbild entwickelt, das wichtige Grundwerte deutscher Außenpolitik bekräftigt. Ein zentraler Pfeiler ist, dass sich die Bundesregierung in ihrer Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik an einem positiven Friedensbegriff orientieren will. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt. Er ist „nur nachhaltig, wenn weitere Elemente, wie politische und soziale Teilhabe, Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung und der Schutz und die Gewährleistung der Menschenrechte hinzukommen“. (S. 18) Explizit ist auch das Bekenntnis zum Vorrang für Maßnahmen der Prävention von Gewalt und für Mittel der zivilen Krisenprävention – der Einsatz von Gewalt ist ultima ratio. Das ist einerseits tatsächlich alles wenig spektakulär und dennoch müssen dies zentrale Pfeiler einer wertegebundenen deutschen Außenpolitik sein. Gleichzeitig verbergen sich hier aber auch große Herausforderungen, nicht nur die deutsche Bundesregierung tut sich schwer damit, der Prävention den Vorrang zu geben, also Konflikte nicht nur reaktiv zu bearbeiten, wenn diese bereits mit Gewalt ausgetragen werden – dies gilt für die gesamte Staatengemeinschaft. Der neue Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres hat die Prävention zu einer Priorität für seine Amtszeit gemacht und die Bedeutung von Konfliktprävention als Wert an sich unterstrichen: „It is an essential means of reducing human suffering and enabling people to reach their full potential.“ Nicht zuletzt mit Blick auf die Bewerbung um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Jahre 2019/2020 sollte Deutschland sich hier auch international positionieren und diese Initiative nachdrücklich unterstützen.
Ausbuchstabiert wird in den neuen Leitlinien auch der internationale Referenzrahmen. In zentraler Weise sind dies etwa die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – nachhaltige Entwicklung schafft auch die Bedingungen für nachhaltigen Frieden, der New Deal for Engagement in Fragile States oder auch die Globale Strategie 2016 der Europäischen Union.
Der Werkzeugkasten
Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, die gewaltsame Austragung von Konflikten zu verhindern und, sofern dies nicht gelingt, zur Beilegung des gewaltsamen Konfliktaustrags und zur Friedenskonsolidierung beizutragen. Das Engagement der Bundesregierung soll langfristig und nachhaltig angelegt sein. Krisenprävention und Friedensförderung sind Generationenaufgaben, für die es einen langen Atem braucht. Die Initiativen müssen kontextspezifisch für den jeweiligen Konflikt geplant werden, die Initiativen verschiedener Ressorts müssen miteinander abgestimmt sein und sie sollen lokale Eigenverantwortung ermöglichen und fördern. Soweit, so gut.
Dem alten Aktionsplan Zivile Krisenprävention mit seinen 161 Aktionen war teilweise – und nicht ganz zu Unrecht – Unübersichtlichkeit vorgeworfen worden, eine Ansammlung von Maßnahmen. Kürzer sind die neuen Leitlinien nun kaum geworden – vielleicht ist das auch der komplexen Aufgabe und dem eben breiten Verständnis von Krisenprävention geschuldet. Und so wird es auch im neuen Leitliniendokument wieder unübersichtlich. An die Stelle der 161 Aktionen sind nun Selbstverpflichtungen der Bundesregierung getreten und zwar eine ganze Reihe:
Entlang der Peace and Statebuilding Goals werden in fünf Handlungsfelder zahlreiche Strategien, Ziele und Instrumente identifiziert, mit denen die Bundesregierung zur Gewaltprävention beitragen will. Der Werkzeugkasten der Krisenprävention reicht von der Förderung der Rechtstaatlichkeit und der Zivilgesellschaft, über die Mediation, hin zur Sicherheitssektorreform, der Reintegration von Kombattanten, der Förderung von Transitional Justice Prozessen bis hin zur Schaffung von Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bevölkerung in Konfliktregionen. Unklar bleibt bei den Ausführungen, in welchem Verhältnis diese Handlungsfelder und Ziele zueinander stehen. Spannungen und Zielkonflikte sind nicht auszuschließen.
Etwas mehr Mut und Selbstkritik
Trotz einer Fülle von Selbstverpflichtungen bleibt letztlich vieles schwammig, konkrete Zielvorgaben sind kaum zu finden. Außenminister Gabriel hat in einem Interview mit dem Spiegel nun mehr Mittel für Krisenprävention gefordert – man wird nach den Wahlen sehen, ob und wie ernsthaft er dieses Ansinnen weiterverfolgen will und kann. Im Gegensatz dazu sind Steigerungen für den Verteidigungsetat in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes fest eingeplant. Die NATO-Mitgliedsstaaten haben sich bereits 2014 darauf geeinigt, dass sie anstreben, sich der Zielmarke von 2% ihres Bruttoinlandsprodukts als Verteidigungsetat anzunähern.
Auf den ersten Blick sind in den Leitlinien viele wichtige Bereiche und Initiativen angesprochen. Aber an so mancher Stelle scheint vielleicht etwas mehr Mut, Selbstkritik und Selbstreflexion mit dem bisher in der Krisenprävention (nicht) erreichten gefehlt zu haben. Das eine oder andere konkrete Beispiel deutschen Engagements kommt sehr positiv daher. Andere Themen hätten hingegen einer kritischeren Auseinandersetzung bedurft – wie zum Beispiel das Thema Privatwirtschaft und Handel: die Leitlinien listen hier wichtige Ziele, wie die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten in Zielländern, den Aufbau von nachhaltigen Lieferketten oder die gerechte Ausgestaltung handelspolitischer Rahmenbedingungen. Dagegen lässt sich kaum etwas einwenden. Die Realität ist aber komplexer und weniger schön, das würden sowohl Zivilgesellschaft als auch Wissenschaft unterschreiben. In den Leitlinien findet sich keine Diskussion, wie die Aktivitäten der Privatwirtschaft und ungerechte Handelsbeziehungen zur Konfliktverschärfung beitragen können. Und ja, es wäre wünschenswert, wenn Unternehmen innovative Beiträgen zur Konfliktprävention erbringen und wenn sie sich stärker in das Akteursnetzwerk der Bundesregierung einbringen würden. Das dies in den letzten 13 Jahren – seit Veröffentlichung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention – nicht gelungen ist, hat aber Gründe. Unternehmen sind meist sehr zurückhaltend, wenn es um ihr Engagement in Ländern geht, in denen es Gewaltkonflikte gibt. Sicherheit und Frieden gelten als Kernaufgaben des Staates, in die man sich nicht einmischt. Ähnliche Argumente lassen sich auch für andere Bereiche machen, die in den Leitlinien behandelt werden.
Viel zu tun
Der Beginn einer „neuen Phase deutscher Friedenspolitik“ – ein hoher Anspruch! Wie bisher wird der Zivilgesellschaft, ebenso der Wissenschaft und auch dem bald neu zu wählenden Bundestag die Aufgabe zufallen, das Handeln der Bundesregierung kritisch an ihren selbstgesetzten Zielen zu messen, konkrete Zielsetzungen vorzuschlagen und entsprechende Ressourcen für Maßnahmen einzufordern. Kurzum: die Umsetzung der Leitlinien kritisch zu begleiten. Eine wichtige Funktion nimmt dabei der „Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“ ein, der in den Leitlinien hinsichtlich seines Mandats gestärkt wurde. Der Beirat wurde durch den Aktionsplan Zivile Krisenprävention eingerichtet und hat seit 2005 die Umsetzung desselben begleitet. Er setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Wirtschaft zusammen, die jeweils für zwei Jahre berufen wurden. Die Personen und Organisationen im Beirat verfügen über umfangreiche Netzwerke und Expertise. Der Beirat hat damit potenziell eine wichtige Rolle in der Beratung der Ressorts und als Impulsgeber für deutsche Friedenspolitik, kann aber auch eine wichtige Funktion bei der Vermittlung des Themas in eine breitere Öffentlichkeit spielen. Das Potenzial dafür wurde bisher aber kaum ausgeschöpft, was auch daran liegt, dass dem Beirat keine eigenen finanziellen Ressourcen oder eine Unterstützungsstruktur (Sekretariat) zur Verfügung stehen, der Beirat sich jährlich nur zu zwei Arbeitssitzungen traf und oft nur sehr kurzfristig befasst wurde. Das soll jetzt besser werden. Als Kernaufgaben des Beirats werden nun in den Leitlinien, die „Beratung der Ressorts, die Entwicklung eigener konzeptioneller Beiträge sowie die Förderung des Austauschs mit der Fachöffentlichkeit“ (S. 63) definiert. Welche Ressourcen dem Beirat dafür zur Verfügung stehen werden, wird freilich in den Leitlinien nicht gesagt. Genau hier fängt die Arbeit von Beirat, breiterer Zivilgesellschaft und Wissenschaft nun an. Die Ziele hat die Bundesregierung gesetzt, nun muss die Umsetzungsarbeit beginnen.