Karakorum Highway im Gebirge Pakistans und Chinas
Der Karakorum Highway ist Teil des China-Pakistan Economic Corridor. | Photo: Atif.malick via Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0

Chinas Belt-and-Road-Initiative ist ein Sicherheitsproblem – aber nicht so, wie oft gedacht

Als Teil der „Zeitenwende“ in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik soll gegenwärtig und erstmalig eine nationale Sicherheitsstrategie erarbeitet werden. Sicherheit wird darin umfassender als bislang gedacht, entsprechend vielfältig ist daher auch das Bouquet der Einzelthemen, die im Rahmen der Strategiefindung behandelt werden sollen. Wenig überraschend zählt auch China bzw. dessen Aufstieg dazu; interessanter ist hier der spezifische Kontext der „Belt-and-Road“-Initiative (BRI), durch die Peking umfangreich in die Infrastruktur von Drittstaaten investiert. Dieses Engagement berührt tatsächlich auch die deutsche Sicherheit, allerdings indirekt und auch nicht nur negativ. Eine erfolgversprechende Politik sollte die BRI deshalb nicht pauschal verdammen, sondern Vor- und Nachteile nüchtern analysieren.

Gemäß der Rede der deutschen Außenministerin am 18.3. sind Infrastruktur und insbesondere chinesische Investitionen per se sicherheitsrelevant, da sie „Fragen von Souveränität, territorialer Integrität und des internationalen Völkerrechts“ berührten. Hier klingt ein Verständnis der BRI an, das den medialen Diskurs und häufig auch die politische Wahrnehmung in westlichen Ländern dominiert: Infrastruktur als Mittel chinesischen politischen Einflusses, durch den andere Länder in den Orbit Pekings gebunden werden und letzten Endes sogar eine antiwestliche Blockbildung stattfinden könnte.

Die von der BRI berührte „Sicherheit“ wäre demnach in erster Linie die von westlichen Staatenbündnissen, die sich durch chinesische Projekte etwa in Staaten Ost- und Südosteuropas direkt betroffen sehen. Politische Prozesse in den Empfängerländern werden hingegen oft unterbetont – wo eine Beschäftigung damit überhaupt stattfindet, bezieht sie sich meist auf das grob verfälschende Narrativ einer angeblichen „Schuldenfallen-Diplomatie“ Pekings: Demnach würde China Empfängerländern Projekte und die damit verbundenen Kredite buchstäblich aufdrängen, Zahlungsausfälle provozieren und diese dazu nutzen, langfristig politischen Einfluss vor Ort zu gewinnen. Diese Behauptung ist durch internationale Forschung längst widerlegt, die sowohl den bestimmenden Einfluss lokaler Eliten auf BRI-Projekte als auch Chinas Fokus auf Absicherung von Ausfallrisiken hervorgehoben haben.

Eine Bedrohung der Souveränität oder gar territorialen Integrität von BRI-Mitgliedsländern durch solche Projekte ist derzeit nicht zu erkennen. Sehr anders sieht es jedoch in Fragen ihrer internen Stabilität aus – durch die letztendlich auch Deutschlands Sicherheit betroffen sein könnte. Auch hier ist jedoch eine differenzierte und empirische Beschäftigung mit den positiven und negativen Auswirkungen der BRI nötig, um eine deutsche Antwort zu entwickeln.

Chinesische Infrastruktur in Hochrisikoumfeldern

Ein häufig übersehenes Merkmal der BRI ist die starke Konzentration ihrer Projekte in hochriskanten Umfeldern, insbesondere fragilen und konfliktanfälligen Staaten. Da diese Länder von internationalen Investoren gemieden werden, ist chinesisches Kapital oft die einzige Möglichkeit, eigene Entwicklungsziele umzusetzen. Werden diese erreicht, könnten sie wiederum einen Beitrag zur politischen Stabilisierung leisten – so ein explizites Argument, mit dem China die BRI als „Straße des Friedens“ bewirbt. Für viele Mitgliedsländer ist das Versprechen von Stabilität durch Entwicklung attraktiv, besonders für Regierungen, deren Legitimität ansonsten eher schwach ist.

In der Realität haben viele davon jedoch Probleme, die so ins Land strömenden Ressourcen zielführend und fair zu verwalten: Korruption ist an der Tagesordnung, Projekte werden für Patronagezwecke gekapert und interregionale Verteilungskonflikte angeheizt. Die Lokalbevölkerung vor allem in ländlichen Gegenden hat negative Effekte wie Landnahme und den Verlust traditioneller Lebensgrundlagen zu erleiden, ohne in den Genuss der versprochenen Modernität zu kommen. Im Resultat ergeben sich weitere Verluste von politischer Legitimität und Stabilität, Unruhen, oder gar direkte Gewalt gegen Projekte und Personal.

Wichtig ist, dass diese Probleme meist nicht durch die BRI geschaffen wurden, sondern schon vorher existierten. Der chinesische Beitrag bestand hier auch nicht darin, den jeweiligen Regierungen Projekte aufzudrängen, sondern ihnen eher zu sehr entgegenzukommen: Im Interesse einer möglichst schnellen Umsetzung wurden Absprachen vor allem mit nationalen Eliten getroffen, ohne weitere Stakeholder einzubinden. Dieses in China funktionierende Top-Down-Modell der Infrastrukturentwicklung kommt jedoch im Ausland schnell an seine Grenzen – oft, weil die inhärente Kontroversität von Megaprojekten und die politische Dimension von Entwicklungsarbeit unterschätzt wird.

Die BRI als Triebfeder einer neuen chinesischen Außensicherheitspolitik

Angesichts dieser Probleme hat in China bereits ein Umdenken in vielerlei Hinsicht eingesetzt. Auslandsinvestitionen in riskante Gebiete waren schon vor dem Anbruch der Corona-Pandemie rückläufig, bei der Genehmigung von Projekten wurden die Schrauben angezogen und vor allem Nachhaltigkeitsaspekte inzwischen stärker beachtet, und auch soziale Investitionen in CSR- und Bildungsinitiativen getätigt. Angesichts des finanziellen und politischen Kapitals, das China in die BRI investiert hat, wird diese aber auch China selber als sicherheitspolitischen Akteur stärker fordern, um Investments und Staatsbürger in Übersee zu schützen.

Mit Pakistan, wo chinesisches Personal besonders gefährdet ist, besteht etwa schon eine engere Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung; auch chinesische Überwachungstechnologie wurde exportiert. Anders als die USA konzentriert sich China vor allem auf Kooperation im Bereich der inneren Sicherheit, die umfassende Stationierung chinesischer Streitkräfte in Übersee bleibt auch in Zeiten der BRI in weiter Ferne (Ausnahme sind hier UN-Missionen). Normativ stellt Chinas Verwicklung in innere Konflikte von BRI-Mitgliedsländern vor allem das bisherige Primat seiner Außenpolitik, sich nicht in deren innenpolitische Belange einzumischen, zunehmend in Frage. Diese Herausforderungen haben bereits zu Debatten über mögliche neue Paradigmen wie etwa eine „kreative Einmischung“ geführt, die Chinas Aufstieg weiterhin begleiten werden. Für die Zukunft ist deshalb zu erwarten, dass sich China selbst immer stärker in Konfliktgebieten engagieren und die BRI enger mit Maßnahmen wie Peacebuilding oder Mediation verknüpfen wird. Diese Form chinesischen Einflusses ist nicht unproblematisch (etwa, wo sie zu einer Verfestigung autoritärer Strukturen führt), bietet aber trotzdem Schnittmengen auch mit deutschen Sicherheitsinteressen, etwa der nachhaltigen Stabilisierung von Konfliktstaaten in Subsahara- und Nordafrika.

Konkurrenz oder Kooperation?

Sollte sich eine deutsche Sicherheitsstrategie überhaupt mit dem Thema BRI auseinandersetzen, und wenn ja, wie? Deutschland ist schließlich kein Mitglied der Initiative und wird es auch nicht werden, hauptsächlich durch seine Ausschreibungsregeln ist es ohnehin chinesischen Infrastruktur-Investitionen kaum zugänglich. Das gleiche gilt für das nahe europäische Umfeld. Darüber hinaus besteht aber durchaus ein deutsches Sicherheitsinteresse an der Stabilität von Staaten gerade an Europas Peripherie. Welche Infrastruktur dort gebaut wird, und wie diese mit lokalen Konfliktdynamiken interagiert, sind hierfür direkt relevante Fragen.

Eine solche Auseinandersetzung sollte die BRI nicht pauschal verdammen oder per se zum Sicherheitsproblem stilisieren, sondern sich ernsthaft damit beschäftigen, warum sie im globalen Süden so rasch und umfassend vordringen konnte – trotz auch dort verbreiteten Befürchtungen, dass mit chinesischem Kapital politischer Einfluss einhergeht. Die BRI zielt klar auf Nischen, die von der westlichen Entwicklungsarbeit gelassen wurden, und punktet durch schnelle Umsetzung, meist günstige Zinsen auch in Hochrisikoumfeldern, und nicht zuletzt den Verzicht auf politische Reformbedingungen. Wenn Deutschland selbst Alternativen anbieten will (etwa im Rahmen des europäischen „Global Gateway“-Programms), muss man diese Konkurrenz nüchtern in ihren Stärken und Schwächen analysieren. Unsachliche Kritik wie die an einer angeblichen „Schuldenfallen-Diplomatie“ verfängt jedenfalls in BRI-Mitgliedsländern nicht, wird eher als beleidigend empfunden, und spielt antiwestlichen Ressentiments in die Hände.

Ist das vorrangige Sicherheitsziel jedoch die Stabilisierung der betroffenen Staaten, sollte man auch eine zumindest punktuelle Kooperation mit chinesischen Projekten nicht ausschließen – hier besteht ein durchaus geteiltes Interesse, das ob der Politisierung der BRI nicht vergessen werden sollte. Auch die eingesetzten Instrumente sind grundsätzlich komplementär: durch ihre hohe Risikotoleranz und Umsetzungsgeschwindigkeit ist die BRI gut positioniert, um Entwicklungsimpulse in fragilen Staaten zu geben oder einen Beitrag zum Wiederaufbau von Postkonflikt-Staaten zu leisten. In Bereichen wie Stakeholder-Orientierung und Konfliktsensitivität könnte man hingegen gezielt Erfahrungen aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit einspeisen, um diese bislang defizitären Aspekte der BRI zu verbessern. Dies kann jedoch nur in einem politischen Klima geschehen, das China und seinen Einfluss in der Welt nicht an sich als sicherheitspolitisches Problem begreift.

Pascal Abb

Pascal Abb

Dr. Pascal Abb ist Koordinator der Forschungsgruppe „Regimewettbewerb“ und wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF mit Schwerpunkt China. Er betreibt aktuell ein Forschungsprojekt zu den Auswirkungen der Belt-and-Road-Initiative auf Konfliktstaaten. // Dr Pascal Abb is Coordinator of the Research Group “Regime Competition” and Senior Researcher at PRIF with a focus on China. He is currently conducting a research project on the impact of the Belt and Road Initiative on conflict states.

Pascal Abb

Dr. Pascal Abb ist Koordinator der Forschungsgruppe „Regimewettbewerb“ und wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF mit Schwerpunkt China. Er betreibt aktuell ein Forschungsprojekt zu den Auswirkungen der Belt-and-Road-Initiative auf Konfliktstaaten. // Dr Pascal Abb is Coordinator of the Research Group “Regime Competition” and Senior Researcher at PRIF with a focus on China. He is currently conducting a research project on the impact of the Belt and Road Initiative on conflict states.

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