Das Bild zeigt eine große Menschengruppe im dunklen vor dem Bundestag. Sie halten Lichter in die Höhe und Schilder, die Protest gegen die AfD ausdrücken.
Mittlerweile liegt die AfD in Umfragen stabil bei 20 Prozent. Ein Stück Hoffnung ist, dass Menschen wieder auf die Straße gehen. | Foto: Stefan Müller via flickr | CC BY-NC 2.0

Die CDU poltert, die AfD frohlockt und der Schaden ist angerichtet

In weniger als einem Monat wird gewählt und Deutschland diskutiert nach den schrecklichen Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg – mal wieder – über Migration. Es wird über die Brandmauer zur AfD gestritten und die Union spielt mit dem Feuer. Zugleich heißt es anlässlich des 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz im ganzen Land „Nie wieder!“, eine unheimliche Gleichzeitigkeit. Unabhängig davon, was in den nächsten Tagen und Wochen noch passiert, die extreme Rechte wird gestärkt hervorgehen, der Schaden ist angerichtet. Ein Kommentar zur neuerlichen Migrationsdebatte im Wahlkampf.

Es ist Montag, der 27. Januar 2025, der 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Die Sendung mit der Maus hat am Sonntag den Gedenktag für Kinder eindrucksvoll zum Thema gemacht. Mein Tag beginnt mit einem sichtlich aufgewühlten Kind. Die Sendung wirkt nach. Es kann nicht verstehen, wie es so weit kommen konnte, warum die jüdischen Mitbürger*innen zu Feinden erklärt wurden. Wir unterhalten uns lange, es ist kein einfaches Gespräch. Ich schalte das Radio ein, es ist 7 Uhr und Zeit für die Morgennachrichten. Auf allen Kanälen sind die migrationspolitischen Anträge, die die Union in den Bundestag einbringen will, das zentrale Thema. Sie verstoßen nach einhelliger Einschätzung von Kenner*innen des Verfassungs- und Europarecht mit großer Wahrscheinlichkeit gegen geltendes Recht und würden wohl das Ende von Schengen bedeuten. Zudem, wenn sich keine anderen Mehrheiten finden, sollen sie mit den Stimmen der AfD verabschiedet werden.

An diesem Montagmorgen wird der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zitiert. Er appelliert an die noch in der Regierung verbliebenen Parteien, die harten Maßnahmen mitzutragen. Er betont, es müsse nun etwas geschehen, und die Minister*innen von SPD und Grünen hätten den Eid geleistet, „Schaden vom Deutschen Volk“ abzuwenden. Die Aussage sickert ein, und ich denke an das Gespräch mit meinem Kind und an die Implikationen der Aussage. Ich bin erschüttert davon, dass ein deutscher Spitzenpolitiker und Kanzlerkandidat der CDU faktisch Migration und Asylrecht mit Schaden für das Deutsche Volk verbindet. Was passiert ist, warum Migration wieder zum zentralen Wahlkampfthema geworden ist und warum vor allem die extreme Rechte davon profitiert, ist Thema dieses Kommentars.

Konjunktur nach Rechtsaußen

Dieser Winterwahlkampf, so viel lässt sich jetzt schon sagen, hat es in sich und wird wohl als einer der hitzigsten der letzten Jahre in Erinnerung bleiben. Harte Auseinandersetzungen waren nach dem Bruch der Ampel im November 2024 und den konstanten Angriffen der Union auf die Grünen seit Sommer 2023 ohnehin zu erwarten. Richtig angeheizt wurde der Wahlkampf jedoch durch die beiden schrecklichen Bluttaten von Magdeburg und Aschaffenburg. In beiden Fällen sind die Täter männlich, gelten als psychisch krank und haben einen Migrationshintergrund. Migration ist damit – wieder einmal – zum zentralen Thema politischer Kontroversen geworden.

Und das, obwohl Deutschland vor großen Herausforderungen steht: Die Wirtschaft schwächelt, der ökologische Umbau drängt, Investitionen in Infrastruktur und Bildung sind notwendig, das Sozialsystem muss zukunftsfest gemacht und die Sicherheit Europas gewährleistet werden. Der Krieg in der Ukraine tobt weiter und international destabilisiert Donald Trump die Weltordnung zusätzlich und geht mit großen Schritten auf einen grundlegenden rechtsautoritären Umbau der USA zu.

Die neuerliche Fokussierung auf Migration kommt vor allem der AfD zugute. Die in Teilen rechtsextreme Partei muss kaum etwas tun, um ihr Kernthema in den Vordergrund zu rücken. Das übernehmen anderen Parteien für sie: die Union, die FDP aber auch die SPD. Der in der Forschung weit verbreitete Verweis darauf, dass man die extreme Rechte nicht auf ihrem Terrain schlagen oder entzaubern kann und stattdessen eigene positive Narrative formuliert werden müssen, verhallt ungehört. So hat die AfD leichtes Spiel und kann sich ihrer Klientel als Kraft präsentieren, die die anderen Parteien vor sich hertreibt. Dabei hilft der AfD auch ihre mittlerweile etablierte Verbindung zu Elon Musk, – X-Eigentümer, Tech-Milliardär und Buddy von Donald Trump.

An Radikalität hat die Partei derweil nichts eingebüßt. Im Gegenteil. Die Rede von Alice Weidel auf dem Parteitag am 11. Januar 2025 in Riesa war ein offener Schulterschluss mit dem völkischen Flügel der Partei. So ausgeprägt und offen ist das neu. Angefeuert wurde sie dabei von „Alice für Deutschland“-Rufen, was im Chor sehr nach der verbotenen SA-Losung „Alles für Deutschland“ klingt, für deren Nutzung Björn Höcke (AfD) verurteilt wurde. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen alledem liegt die AfD in Umfragen mittlerweile stabil bei um die 20 Prozent. Sollte es so kommen, wären das fast 10 Prozentpunkte mehr als bei der Bundestagswahl 2021. Zwischenzeitlich waren die Werte im Zuge der Massenproteste für Demokratie 2024 etwas gesunken. Heute sind sie wieder fast dort, wo sie vor der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen zum Potsdamer Treffen waren.

Die Migrationsfrage kehrt zurück

Dass sich der Ton in der Migrationsfrage deutlich verschärft hat, ist vor allem auf die beiden Anschläge in Magdeburg und Aschaffenburg zurückzuführen. Es ist die Wiederkehr eines Dauerthemas. Spätestens seit den PEGIDA-Demonstrationen ab 2014 ist die Migrationsthematik ein beständiger Treiber rechter Mobilisierung und Grundlage ihres Erfolgs. Nun ist es aber gerade die Union, die politisch Kapital daraus schlagen will. In Magdeburg kamen am 20. Dezember 2024 bei einer Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt sechs Menschen ums Leben. In Aschaffenburg starben am 22. Januar 2025 bei einem Messerangriff auf eine Kindergartengruppe zwei Menschen, darunter ein Kleinkind. Sehr schnell wurde in beiden Fällen auf die migrantische Herkunft der Täter fokussiert. Die Tonalität kippte in Windeseile. Jeden Tag wird mittlerweile eine neue Pointe gesetzt und der Ton noch härter. Das Interesse an sachlicher Problemlösung scheint gering.

Es begann nach Magdeburg. Die Stimmen aus der etablierten Politik, die eine härtere Gangart in der Migrations- und Asylpolitik forderten, mehrten sich. Wie auch in anderen Fällen, in denen Migranten Täter sind, etwa in Chemnitz 2018, marschierte bald die extreme Rechte auf. Unter Rufen wie „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ oder „Remigration“ zogen Hunderte rechtsradikale durch Magdeburg. In diesen Weihnachtstagen bangten Migrant*innen um ihre Sicherheit, denn die Gewalt gegen Menschen, die von den Rechten als nicht deutsch genug bewertet wurden, nahm deutlich zu. Nie geht es der extremen Rechten auf der Straße um die Toten, die Schicksale, das Leid und die Sorgen der Familien, sie werden für das eigene politische Programm benutzt und missbraucht.

Ähnlich die Situation in Aschaffenburg wenige Wochen später. Das Unfassbare war geschehen: Ein Kind hatte sein Leben verloren, eine ganze Kindergartengruppe und ihre Betreuenden sind traumatisiert. Der Tatverdächtige, ein 28-jähriger Afghane, der eigentlich ausreisen sollte, war schnell gefasst. Anders als wenige Wochen zuvor waren es aber nicht primär rechtsextreme Gruppen und das Umfeld der AfD, die in sozialen Medien, Chatgruppen und vor Ort auf der Straße mobilisierten, sondern auch Akteur*innen aus der Mitte des parlamentarischen Betriebs.

Polizeiangaben zu Folge ereignete sich der Angriff gegen 11.45 Uhr in einem öffentlichen Park. Rund vier Stunden später meldete sich Julia Klöckner (CDU) auf X zu Wort. Dort schrieb sie:

„Es ist so unfassbar schlimm. Ein Kind + ein Erwachsener werden einfach erstochen. Das übliche Beschwichtigen mit Einzelfällen ist in der Summe zu viel. Es gibt Kulturen, die sind mit unserer Lebensweise nicht einverstanden, deshalb können wir mit ihnen nicht einverstanden sein!“

Ohne Umschweife stellt sie die Herkunft des Mannes und dessen vermeintliche Kultur als zentrale Ursache heraus. Schon einige Tage zuvor, am 9. Januar, war sie mit einem später wieder gelöschten Sharepic auf Instagram aufgefallen, als sie sich offensichtlich an AfD-Wähler*innen wandte und ihnen sagte: „Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.“ Doch bei einzelnen Stimmen blieb es nicht. Die Parteispitze nahm sich des Themas an. Der CDU-Kanzlerkandidat betont seither unentwegt, dass nun „Entscheidungsbedarf“ bestehe und „spätestens seit Aschaffenburg“ klar sein müsse, dass es „so nicht weitergehen“ könne. Bereits nach der Tat von Magdeburg hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann gegenüber dem Deutschlandradio gefordert, dass jetzt schnell abgeschoben werden müsse. Und weiter, wer vorsätzlich zwei Straftaten begehe, müsse das Aufenthaltsrecht verlieren. Der eigentlich als moderater geltende Hendrik Wüst  (CDU) unterstützt bei Caren Miosga die Aussage jüngst. Bereits ein zweimaliges Schwarzfahren könne reichen, sagte er in der Diskussion.

Um die Toten und Trauer geht es schon lange nicht mehr

Die Tat in Aschaffenburg war von den betroffenen Familien noch nicht mal richtig erfasst, da machte Friedrich Merz klar, dass er im Falle einer Kanzlerschaft noch am ersten Tag – was wohl nicht zufällig an Trump und seine Ankündigungen erinnert, gleich am Tag nach der Vereidigung aktiv zu werden – seine Richtlinienkompetenz nutzen und hart gegen illegale Einreisende vorgehen würde. Dass er als Kanzler im deutschen politischen System aus historischen Gründen nichts im Alleingang entscheiden kann – egal. An die Adresse möglicher Koalitionspartner gerichtet sagte er: „Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich“. In einem offenen Brief bot Weidel Ende Januar Merz schließlich an, in der Asylpolitik zusammenzuarbeiten. Unter dem Vorwand, der AfD das Wasser abzugraben, und mit Verweis auf Bürger*innen, die harten Maßnahmen wollten, hieß es seitens der Union wenige Tage später, man werde noch vor der Wahl am 23. Februar aktiv.

Angekündigt wurden Gesetzentwürfe im Bundestag, um unter anderem die Grenzen dauerhaft zu kontrollieren, sie selbst für Schutzberechtigte zu schließen und Ausreisepflichtige unbefristet in Abschiebehaft zu nehmen. Dafür muss in Deutschland, einem Land, dem es augenscheinlich gut geht, der Asyl-Notstand festgestellt werden. Die geforderten Maßnahmen sind europarechtlich – freundlich formuliert – umstritten. Aber auch das scheint der Union egal. Jens Spahn etwa stellt klar: „Kein EU-Recht der Welt kann uns zwingen, uns selbst zu überfordern.“ Auch daran, mit wem die sie die Pakete durchsetzt, ist die Union offenbar nicht interessiert. Wir werden die Anträge „einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“, sagt Merz und fügte hinzu: „Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“

Sein eigenes Versprechen von Ende November 2024, keine Anträge in den Bundestag einzubringen, die auf „Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder mit den Linken“ basieren, gilt offenbar nicht mehr. Schwer beschädigt ist auch die mantraartig wiederholte Zusicherung, mit der AfD auf keinen Fall koalieren zu wollen. Wer weiß schon genau, was nach der Wahl ist. Die AfD wertet das Agieren der Union indes schon mal als Entgegenkommen auf ihren offenen Brief und als eindeutigen Erfolg. Derweil werden die offen kritischen Stimmen in der Union immer leiser.

Marina Weisband hat recht, wenn sie auf Bluesky mit Blick auf mediale Berichterstattung schreibt: „Es geht uns bei Berichterstattung um Amokläufe von Nichtweißen eben nie um die Toten. Wollten wir gewaltsamen Tod verhindern, würde die Gesellschaft über ganz andere Maßnahmen sprechen.“ Das gilt auch für die politische Bearbeitung. Wenn es darum ginge Taten wie jene von Magdeburg und Aschaffenburg zu verhindern, wenn es darum ginge das Leid zu lindern, dann würden wir über Gewalt und ihre Ursachen reden.

Dann müssten wir über toxische Männlichkeit reden, über eine aus finanziellen Gründen schlecht aufgestellte psychiatrische Versorgung, über Sicherheitsbehörden, die nicht in der Lage sind, vorhandene Daten zusammenzuführen und auch über die Taten von Deutschen. Stattdessen redet das ganze Land über Migration und befeuert rechtsextreme Narrative. In der Folge dessen steigt die Zahl derer, die in Umfragen Migration als zentrales Problem benennen, was wiederum als Vorwand für politisch harte Forderungen genutzt wird. Die aufgeheizte Stimmung legt den Nährboden für neue Höchstzahlen fremdenfeindlicher Gewalt. Denn eines ist sicher: Mit jeder Welle verbaler Entgleisungen steigt auch die Zahl der Gewalttaten.

Brandmauer? Die ist schon lange gefallen.

Wie auch immer die nächsten Tage und Wochen verlaufen, ob die CDU mit der AfD die Verschärfungen durchsetzt oder ob sie es noch einmal beruhen lässt, ist nicht die relevante Frage. Der Schaden ist längst angerichtet.

Die AfD kann sich mitten im Wahlkampf geadelt fühlen. Sie ist in politische Prozesse eingebunden. Alles dreht sich um sie und sie kann sich als Antreiberin der politischen Debatten feiern. Schließlich bekommt sie ihre Inhalte aus der Opposition durchgesetzt. Jedoch, niemand soll glauben, dass die extreme Rechte sich auf ihren Erfolgen ausruhen wird. Schon um des eigenen politischen Überlebens willen muss sie immer härtere Forderungen aufstellen, die Spirale der Diskursverschiebung weiterdrehen. Jedes Entgegenkommen bedeutet die Öffnung der nächsten Tür nach Rechtsaußen. Ein regressiver Teufelskreis mit gefährlichem Ende, aus dem die extreme Rechte gestärkt hervorgeht. Was das schon jetzt bedeutet, zeigt die Süddeutsche Zeitung. Sie vergleicht das Wahlprogramm der CSU 2025 mit dem der AfD von 2021 und stellt fest: Die Christsozialen haben in wesentlichen Bereichen die Positionen der AfD übernommen, während die Blauen noch weiter ins Braune gerückt sind.

Die Entwicklungen der letzten Tage sind alles andere als neu. Die politischen Verschiebungen habe ich in meinem Buch „Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten“ ausführlich nachgezeichnet. Und so ist es auch nicht das erste Mal, dass die Merz-CDU eine Brandmauerdebatte führt. Kurz nach der ersten Wahl eines AfD-Politikers zum Landrat im thüringischen Sonneberg im Juni 2023 erklärte der CDU-Chef im Sommerinterview, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene künftig nicht mehr ausgeschlossen sei. Damals regte sich noch heftiger Widerstand in der Partei und Merz musste zumindest diskursiv zurückrudern.

De facto war die Zusammenarbeit mit der AfD aber gerade in Ostdeutschland längst Realität. Dafür finden sich zahlreiche Beispiele auf kommunaler Ebene bis hin zum Thüringer Landtag. Jüngstes Beispiel: In Sachsen wurden AfD-Abgeordnete mit den Stimmen der CDU in wichtige Ausschüsse des Landtags gewählt. Dort sind sie nun unter anderem für die Beobachtung des Verfassungsschutzes mit zuständig, der wiederum die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Als gelebte Abgrenzung nach Rechtsaußen ist die Brandmauer schon lange gefallen, heute geht es nur noch darum, wie offen und unmittelbar diese Kooperationen gestaltet werden. Das ist keinesfalls trivial, aber mit klaren und deutlichen Trennlinien hat das nichts mehr zu tun.

Demokratie stärken, heißt demokratische Werte verteidigen

Es ist eine unheimliche Gleichzeitigkeit. Deutschland begeht den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und mahnt: „Nie wieder!“ Gleichzeitig ist die extreme Rechte in den Parlamenten von den Kommunen bis in den Bundestag so stark wie seit 1945 nicht mehr und rechte Straftaten erreichen Jahr für Jahr Höchstwerte. Es ist Zeit anzuerkennen, dass Demokratien nicht primär von den politischen Rändern her zerstört werden, sondern dass sie im Zusammenspiel mit der Mitte, Schritt für Schritt, mit kleinen Nadelstichen hier und da langsam ausgehöhlt werden. Und das sehen wir heute schon.

Als Gesellschaft haben wir nicht erst dann ein Problem mit autoritären und illiberalen Bestrebungen, wenn sie Wahlen gewinnen oder, schlimmer noch, tatsächlich an die Macht kommen. Das Problem beginnt schon dann, wenn die Abwertung schwächerer Gruppen um sich greift, wenn die Schuld für alle erdenklichen Missstände bei der Migration gesucht wird, wenn der Wunsch nach Abschottung wächst und wenn geltende Grundrechte zur Verhandlungssache werden. Das Problem beginnt dort, wo Demokratie nur noch ein Begriff für Institutionen und Wahlen ist, aber das damit verbundene normative Versprechen auf Menschenrechte und Menschenwürde, auf Schutz von Minderheiten, auf politische Teilhabe – auch für auf den ersten Blick Fremde – und tendenziell auch das Versprechen auf soziale Gerechtigkeit in Vergessenheit gerät.

Politiker*innen eines radikalisierten Konservatismus preisen eine solch erodierende Politik nicht selten im Namen des Kampfes gegen Rechts. Doch damit erweisen sie der Demokratie einen Bärendienst. Die Verteidigung der Demokratie wird mit der Verteidigung der eigenen Macht verwechselt. Es ist ein Stück Hoffnung, dass die Menschen wieder auf die Straße gehen: 100.000 in Berlin, 50.000 in Köln, 10.000 in Halle und viele mehr. Schnelle Erfolge sind aber nicht zu erwarten. Der Kampf um Demokratie und Menschenrechte ist ein Langstreckenlauf. Die Unruhe und Unsicherheit in der Gesellschaft sind groß, die Zukunftsängste real. Ja, es gilt, die Sorgen der Bürger*innen ernst zu nehmen, aber mit einer positiven Perspektive in die Zukunft, mit guter Bildung und stabiler Infrastruktur, mit sozialer und politischer Teilhabe, mit einem Gefühl von Sicherheit, das aber anerkennt, dass es ultimative Sicherheit nicht gibt. Mit einer Politik, die Probleme eingesteht und anspricht, aber nicht das Blaue vom Himmel verspricht.

Daniel Mullis

Daniel Mullis

Dr. Daniel Mullis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich Glokale Verflechtungen. Er arbeitet zu Krisenprotesten sowie zum aktuellen Rechtsruck in Europa. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit Neoliberalisierungsprozessen und Stadtentwicklung. // Dr. Daniel Mullis is a Postdoctoral Researcher at PRIF’s Research Department Glocal Junctions. He works on crisis protests and the current shift to the right in Europe. He also works on neoliberalization processes and urban development. | Bluesky: @daenumullis.bsky.social

Daniel Mullis

Dr. Daniel Mullis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich Glokale Verflechtungen. Er arbeitet zu Krisenprotesten sowie zum aktuellen Rechtsruck in Europa. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit Neoliberalisierungsprozessen und Stadtentwicklung. // Dr. Daniel Mullis is a Postdoctoral Researcher at PRIF’s Research Department Glocal Junctions. He works on crisis protests and the current shift to the right in Europe. He also works on neoliberalization processes and urban development. | Bluesky: @daenumullis.bsky.social

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