Am 3. April führte die Trump-Regierung im Rahmen ihres „Befreiungstags“ hohe neue Importzölle ein, die sich vor allem gegen Handelspartner mit hohen bilateralen Überschüssen richten – allen voran China. Die Reaktion aus Peking erfolgte prompt mit der reziproken Verhängung von Gegenzöllen. Seither sind beide Staaten in einem eskalierenden Handelskrieg gefangen, der letztlich jeden Güteraustausch zum Erliegen bringen könnte. Das ist kein rein wirtschaftliches, sondern auch ein friedenspolitisches Problem: In rascher Folge fallen Konflikthemmnisse weg, die die geopolitische Rivalität beider Seiten bislang begrenzten.
Mit der Verhängung von neuen Zöllen von bislang 104% auf sämtliche Importe aus China führt die Trump-Regierung konsequent einen Kurs fort, der sich bereits seit Januar in der schrittweisen Erhöhung von Handelsbarrieren gegen China äußerte und entsprechende Gegenreaktionen zur Folge hatte. Damit haben die amerikanischen Zollhürden bereits ein Niveau erreicht, das praktisch alle chinesischen Direktexporte dorthin unwirtschaftlich macht, im Durchschnitt liegen diese inzwischen über 120%. Amerikanische Ausfuhren nach China wiederum wurden von Peking mit Vergeltungszöllen belegt, deren absolute Höhe geringer ausfällt und stärker variiert, aber nach den jüngsten Maßnahmen ebenfalls über 100% liegen dürfte. In atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht sich so ein Prozess, den beide Seiten bislang noch klar abgelehnt hatten: die „Entkopplung“ ihrer Wirtschaften, durch den die wichtigste geteilte Interessenbasis wegfällt.
Wirtschaftliche Verflechtungen wurden schon seit einigen Jahren zunehmend skeptischer beäugt und angesichts der Rivalität zwischen beiden Seiten als Sicherheitsrisiko klassifiziert. Dies betraf zunächst den Import von Technologien, die direkte Verwendung in der kritischen Infrastruktur finden und als Einfallstor etwa für Cyberangriffe dienen könnten – prominente Fälle waren hier chinesische 5G-Mobilfunktechnik und amerikanische Betriebssysteme. Umgekehrt waren auch Exporte betroffen, bei denen eine Seite Asymmetrien ausnutzen und mit relativ geringen Einschränkungen die Entwicklung ganzer Sektoren beeinflussen kann: Die USA kappten im Rahmen ihrer „small yard, high fence“-Strategie vor allem Chinas Zugang zu fortschrittlichen Halbleitern, die für das Training von KI-Modellen notwendig sind; China wiederum setzt jetzt wie schon 2010 gegen Japan auf eine Exporteinschränkung für seltene Erden, die in der Batterieherstellung Anwendung finden. Speziell seit Russlands Angriff auf die Ukraine und den folgenden Sanktionen haben sich auch beide Seiten um eine stärkere Diversifizierung ihrer Handelsbeziehungen bemüht, um ein prophylaktisches „De-risking“ zu betreiben. Dies bedeutete für China die Suche nach neuen Exportmärkten etwa im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative; für die USA wiederum den Aufbau alternativer Lieferketten für Konsumgüter v. a. in Südostasien.
Diese Prozesse waren schon Ausweis einer klar veränderten Denkweise, in der sowohl Washington als auch Peking ihre Beziehungen vor allem als geopolitische Rivalität verstehen und entsprechend immer weniger geneigt waren, wirtschaftlichen Austausch als „win-win“-Prozess zu verstehen. Das Ziel der geopolitischen Logik ist der relative Machtgewinn gegenüber einem Konkurrenten, für den man auch punktuell eigene Nachteile in Kauf nehmen kann. Diese Politik wird jetzt von Trumps Team auf die Spitze getrieben: Einflussreiche Berater wie Peter Navarro sehen die negative Handelsbilanz mit China als zentrale Ursache des eigenen Machtverlustes an, rhetorisch wird sie als „Plünderung“ oder gar „Vergewaltigung“ Amerikas dargestellt.
Von der globalisierten Welt zur ungehemmten Konfrontation
Die handelspolitische Kehrtwende unter Trump hat deshalb auch eine klare friedenspolitische Relevanz: Es fällt ein wichtiges verbindendes Element weg, das bislang noch eine gewisse gemeinsame Interessenbasis geschaffen hat und dadurch zur Eindämmung von Konflikten diente. Diese Erkenntnis lässt sich schon auf Immanuel Kants Schrift „zum ewigen Frieden“ zurückführen, seither wurde sie zur Grundlage der modernen Interdependeztheorie. Zwar konnten intensive Handelsbeziehungen in der Vergangenheit kriegerische Auseinandersetzungen nicht immer verhindern, wie jüngst Russlands Überfall auf die Ukraine. Sie steigern jedoch die Kosten von Waffengängen durch Wohlstandsverluste, was zumindest für einen nicht-militärischen Abschreckungseffekt sorgt. Zudem stärkt der wirtschaftliche Austausch internationalistisch ausgerichtete Akteure und schafft eine Plattform, auf der sich Menschen aus fremden Ländern begegnen und überwiegend positive Interaktionen miteinander haben können, wodurch Vorurteile und Feindbilder aufgelöst werden.
Die resultierende „komplexe“ oder „dichte Interdependenz“ zwischen den USA und China wurde deshalb gerne als Faktor genannt, in dem sich das Verhältnis beider Seiten klar von der amerikanisch-sowjetischen Rivalität des Kalten Krieges unterscheidet. Nun wird ihr die wichtigste Komponente entzogen, und es ist wahrscheinlich, dass dies eine sehr viel umfassendere Konfrontation beider Seiten befeuert. Die ideologischen Spannungen nehmen ebenfalls zu – allerdings nicht, wie häufig angenommen, durch den Gegensatz zwischen Chinas Einparteienstaat und der US-Demokratie, deren Erhalt sich Trump erkennbar nicht verpflichtet fühlt. Sondern durch stark unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der Weltordnung und ihrer polit-ökonomischen Spielregeln: Chinas Vision einer china-zentrischen Globalisierung, in der andere Staaten wirtschaftlich in den Orbit des gigantischen eigenen Marktes gezogen werden, trifft hier auf das protektionistische Modell der Trump-Regierung, nur noch bevorzugten Partnern Zugang zum eigenen Markt zu gewähren. Auch die persönlichen Kontakte zwischen beiden Seiten werden zunehmend eingeschränkt, Spionageverdachte sind inzwischen an der Tagesordnung, internationalistisch orientierte Wissenschaftler*innen werden skeptisch beäugt. In der amerikanischen Medienlandschaft erscheint China überwiegend als machtpolitische Bedrohung und handelspolitischer „Betrüger“; Chinas Propaganda wiederum stellt die USA als unverbesserlichen Hegemon dar, dem zum eigenen Machterhalt jedes Mittel der Einhegung recht ist. Zuletzt bleibt mit der nuklearen Bewaffnung beider Seiten zwar noch eine potente Abschreckung gegen direkte militärische Auseinandersetzungen erhalten, die allerdings nur das letzte Mittel sein kann und auch nicht unfehlbar ist.
Der Handelskrieg trifft nicht nur China
Rein realpolitisch ist zudem zweifelhaft, ob dem Verlust dieser Konflikthemmnisse irgendein wirklicher strategischer Vorteil für die USA gegenüberstehen wird. Als geopolitisches Machtmittel ist die Handelswaffe inzwischen nicht mehr so potent, wie sie es noch vor zehn oder zwanzig Jahren gewesen wäre. Denn Chinas Volkswirtschaft und gesamter Außenhandel sind in dieser Zeit sehr viel schneller gewachsen als die Exporte in die USA: Diese sanken entsprechend zwischen 2013 und 2023 von 16,7% auf 14,2% von Chinas gesamten Exporten, und von 3,9% auf 2,8% seines BIP (Quellen: UN Comtrade (Exportwerte Chinas in die USA), UN Comtrade (Exportwerte Chinas in alle Länder), Weltbank (BIP)).Generell ist inzwischen die landesinterne Nachfrage ein wichtigerer Faktor für das chinesische Wirtschaftswachstum, zentrale Probleme der letzten Jahre waren hier eine Konsumschwäche und ein Durchhänger im Immobilienmarkt. Selbst der totale Verlust aller Exporte in die USA wäre hier zwar ein weiterer Schock, aber nicht das dringendste Problem. Chinesische Staatsmedien stimmen die Bevölkerung schon seit Jahren auf eine „lange Auseinandersetzung“ mit den USA ein, auch die Anpassungen an die neuen Zölle lassen sich jetzt glaubhaft als notwendiges Opfer für den eigenen Wiederaufstieg darstellen.
Die strategische Planlosigkeit der Trump-Zölle zeigt sich auch in ihrer wahllosen Anwendung auf alle Länder, mit denen besonders hohe Handelsdefizite existieren. So wurden etwa gegen Vietnam 46%, gegen Thailand 36%, gegen Indonesien 32%, und gegen Indien 26% verhängt. Genau auf diese Staaten wurde jedoch bislang gesetzt, um die amerikanischen Handelsbeziehungen von China weg zu diversifizieren, etwa indem Produktionsketten für Smartphones dorthin verlagert werden. Diese Politik war für den raschen Anstieg ihres Exportvolumens in die USA hauptverantwortlich, entsprechend wenig nachvollziehbar ist es, sie jetzt für ihre Mitarbeit daran zu bestrafen. Hier war die Politik der Biden-Regierung, auf internationale Koalitionen und Amerikas Verlässlichkeit als Bündnispartner zu setzen, für China sehr viel gefährlicher – drohte damals Chinas Abkopplung von der globalisierten Welt, vollziehen die USA diese nun ihrerseits.
Für Deutschland und Europa stehen die jüngsten US-chinesischen Verwerfungen derzeit nicht an erster Stelle der Prioritätenliste, nachvollziehbarerweise konzentriert man sich hier zunächst auf die Gefahren für die eigene Verteidigungsfähigkeit und Exportwirtschaft. Aber durch den Wegfall einer für alle verbindlichen Globalisierung als Ordnungsmodell wird sich auch hier der Druck aus Washington und Peking erhöhen, politisch Stellung zu beziehen und sich für ein Modell des wirtschaftlichen Austausches zu entscheiden. Diese Frage wird für die künftige strategische Autonomie Europas von mindestens so zentraler Bedeutung sein wie die angestrebte Wiederbewaffnung, und hier sollte deshalb auch keine Kurzschlussreaktion erfolgen. Ziel der Trump-Regierung ist offensichtlich, durch eine shock-and-awe-Politik die weltweiten Handelspartner auseinanderzudividieren und zu individuellen Konzessionen zu zwingen. Dem sollte die EU nicht nachgeben und stattdessen die Koordination mit anderen Betroffenen suchen – was auch einen entsprechenden Dialog mit China einschließt. Dessen Globalisierungsmodell entspricht zwar auch nicht dem Freihandelsideal, bietet aktuell aber noch mehr Überschneidungen als der neue Wind aus Washington.