Unterstützer von Alexei Nawalny bei einer Demonstration im Oktober 2017 in St. Petersburg
Unterstützer von Alexei Nawalny bei einer Demonstration im Oktober 2017 in St. Petersburg | Photo: Alexei Kouprianov | CC BY 2.0

Alles unter Kontrolle? Präsidentschaftswahl in Russland zwischen Regimestabilität und Protest

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl in Russland am 18. März 2018 wird keine Überraschungen bereithalten: Die Wiederwahl Vladimir Putins zu seiner vierten Amtszeit und damit das Fortbestehen des politischen Regimes bis ins Jahr 2024 gelten als gesichert. Gleichzeitig zeigen die landesweiten Proteste und kritischen gesellschaftlichen Debatten der vergangenen Wochen und Monate, dass die Zukunft dieser vermeintlich unerschütterlichen Stabilität mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Anhaltende sozioökonomische Missstände, ein konflikthaftes internationales Umfeld und der anstehende Machtübergang nach 2024 können zu ernstzunehmenden Herausforderungen für das Regime werden.

Viele Anwärter, ein Sieger

Vladimir Putin verkündete im Dezember 2017, dass er erneut kandidieren und sich für eine vierte Amtszeit als Präsident zur Wahl stellen werde. Neben Putin hat die zentrale Wahlkommission sieben weitere KandidatInnen registriert. Darunter sind etablierte politische Figuren wie Vladimir Schirinowski für die ultranationalistische Liberal-Demokratische Partei Russlands oder der Gründer der sozialliberalen Partei Yabloko, Grigori Jawlinski; weiterhin treten Pawel Grudinin für die Kommunistische Partei und Maxim Suraikin für die Kommunisten Russlands, der ehemalige Duma-Sprecher Sergei Baburin für die rechtspopulistische Russische Volksunion sowie der wirtschaftsnahe Boris Titow für die Wachstumspartei an.

Die meiste mediale Aufmerksamkeit sowohl in Russland als auch im Ausland erhielt jedoch die Oppositionskandidatin Xenia Sobtschak. Die bekannte Fernsehmoderatorin und Journalistin vertritt einen Kurs der Annäherung an den Westen, hat Putin für seine Politik in der Ukraine scharf angegriffen und die Krim als ukrainisches Staatsgebiet bezeichnet – und mit dieser Position viel Kritik auf sich gezogen. Doch auch im oppositionellen Lager ist sie umstritten, da hinter der Kandidatur der Versuch des Kremls vermutet wird, mit einer chancenlosen Kandidatin den Anschein einer demokratischen Wahl zu wahren und gleichzeitig oppositionelles Wählerpotential zu binden. Der Tochter von Putins politischem Mentor aus Sankt Petersburger Zeiten Anatoli Sobtschak ist es somit nicht gelungen, als glaubwürdige Alternative zum bestehenden Regime wahrgenommen zu werden.

Aktuellen Umfragen nach zu urteilen haben alle sieben GegenkandidatInnen keinerlei Chancen, zu einer Gefahr für Putins Wiederwahl zu werden. Bei der letzten Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums vom Dezember 2017 erreichte Putin 61 Prozent, gefolgt von Schirinowski und dem Kandidaten der Kommunistischen Partei Russlands mit 8 bzw. 6 Prozent. Lediglich 1 Prozent der Befragten gab an, Xenia Sobtschak die Stimme geben zu wollen.

Politische Opposition auf Russlands Straßen – und im Netz

Während alles entschieden scheint, verdienen gerade die Ereignisse außerhalb des institutionalisierten Wahlprozesses Aufmerksamkeit. In den vergangenen Monaten fanden in Moskau und Sankt Petersburg, aber auch in vielen anderen russischen Städten, immer wieder Demonstrationen mit Tausenden TeilnehmerInnen statt – die größten seit den sogenannten BolotnajaProtesten 2011/2012. Sie richteten sich gegen Korruption im Staatsapparat, verknöcherte Machtstrukturen und mit dem Slogan „Rossija bes Putina“ (Russland ohne Putin) auch dezidiert gegen die Person Putin. Ausgangspunkt war die Veröffentlichung eines Videos durch den bekannten Oppositionsführer Alexey Navalny im März 2017, in dem er eine investigative Untersuchung über geheime Vermögen von Dmitri Medvedev präsentierte und die Korruption in Russland anprangerte. Das Video hat seither über 26 Millionen Aufrufe erreicht.

Alexei Navalny hatte auch angekündigt, für das Amt des Präsidenten antreten zu wollen. Jedoch wurde ihm im Dezember 2017 die Registrierung als Kandidat durch die Zentrale Wahlkommission versagt. Als Grund wurde seine laufende Bewährungsstrafe genannt, die laut russischem Wahlgesetz eine Kandidatur ausschließe. Navalny war 2013 wegen Unterschlagung von Geldern bei einem staatlichen Unternehmen zu fünf Jahren Lagerhaft auf Bewährung verurteilt worden; er bezeichnet die Vorwürfe als konstruiert und das Verfahren als politisch motiviert.

Soziale Medien und neue Technologien ermöglichen die schnelle Verbreitung von Informationen und sorgen für eine kritische Öffentlichkeit, die im nach wie vor relativ freien russischen Internet für die Regierung nur schwer zu kontrollieren ist. Blogger berichten live von Protestaktionen und stellen Transparenz bei Polizeigewalt her; kreative Protestformen wie Flashmobs finden landesweit Unterstützung. So schreiben AnwohnerInnen das Wort „Navalny“ auf nicht geräumte Schneeverwehungen und vereiste Straßen, um ein politisches Statement zu setzen und gleichzeitig auf konkrete Missstände ihres Lebensalltags und die Untätigkeit der zuständigen Behörden hinzuweisen. Und tatsächlich: Die verdächtigen Schriftzüge – und damit die Hindernisse – werden innerhalb kürzester Zeit entfernt.

Anhaltende sozioökonomische Krise als ernste Herausforderung

Sind diese Proteste nur die Stimmen einer kleinen, politisch bedeutungslosen Minderheit? Immerhin verzeichnete Putin noch im Sommer 2015 Rekordwerte von 89 Prozent, was die Zustimmung der Bevölkerung zu seinem politischen Kurs anging. Dieser hohe Wert resultierte jedoch vor allem aus einem Rally ‘round the flag-Effekt, ausgelöst durch einen verstärkten Fokus auf die Außenpolitik, vermeintliche Erfolge in der Ukraine und Syrien und eine selbstbewusste Rhetorik gegenüber dem Westen. Auf lange Sicht wird dies nicht ausreichen, um von den zahlreichen innenpolitischen Problemen ablenken zu können.

In letzter Zeit zeichnet sich eine wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung ab, die vor allem auf die anhaltend schwierigen sozioökonomischen Bedingungen zurückzuführen ist. In den 2000er Jahren hatte die wesentliche Verbesserung der Lebensbedingungen – eine Entwicklung, die vor allem auf historisch hohe Öl- und Gaspreise zurückzuführen ist – die Stabilität des politischen Systems und die Zustimmung der Bevölkerung gesichert. Mit der bereits 2013 beginnenden ökonomischen Stagnation, die sich mit der außenpolitischen Krise, internationalen Sanktionen und dem globalen Ölpreisverfall ab 2014 zu einer handfesten Wirtschaftskrise entwickelte, bröckelte auch das Vertrauen in den Kurs der Regierung. Heute gibt es, wie eine repräsentative Studie vom Herbst 2017 zeigt, eine breite Nachfrage nach Veränderungen. Insgesamt 83 Prozent der Befragten sprachen sich für einen „radikalen, umfassenden“ (42%) bzw. „graduellen“ (41%) Wandel der Politik in Russland aus.

Dass sich die russische Regierung dessen auch bewusst ist, zeigt sich etwa in der Rolle von Wirtschaftspolitik im offiziellen Diskurs und den Vorbereitungen auf die anstehende neue Regierungsperiode 2018-2024. So beauftragte Putin persönlich verschiedene Ökonomen damit, ein Wirtschaftsprogramm für die kommenden sechs Jahre auszuarbeiten, darunter ein Team um den  liberalen Reformer und Vorsitzenden des Zentrums für Strategische Studien Aleksei Kudrin. Den mehr auf staatliche Steuerung ausgelegten Gegenentwurf lieferten Ökonomen des Stolypin Klubs um Wirtschaftsvertreter (und heute selbst Präsidentschaftskandidat) Boris Titow. Auch wenn die Umsetzung dieser Pläne bestenfalls ungewiss ist – immerhin steht das Thema umfassender Wirtschaftsreformen seit Jahren auf der russischen politischen Agenda –, sollen diese öffentlich geführten Debatten Handlungsfähigkeit und Vision der Regierung gegenüber der zweifelnden Bevölkerung demonstrieren.

Wahlen im autoritären Russland: mehr als nur Schein

Kritiker bemängeln, Wahlen in Russland seien bedeutungslos, da sie die ihnen in Demokratien zugedachte Rolle, politische Macht ergebnisoffen und nach dem Willen des Volkes zu verteilen, nicht erfüllen könnten.

Jedoch sollte der Druck auf das Regime und die Signalwirkungen politischer Proteste und öffentlicher Kritik nicht unterschätzt werden. Auch wenn die russische Führung einer plebiszitären Bestätigung entgegen sehen kann, muss sich das Regime darum bemühen, Legitimität nach innen und außen zu wahren. Nur so kann der politische Status quo dauerhaft gesichert werden. Die Führung in Moskau beobachtet und reagiert trotz ihres autoritären Charakters durchaus auf Forderungen der Bevölkerung und passt ihre Politik an. Als Beispiel hierfür kann der von oben angeordnete Austausch regionaler Eliten angesehen werden, im Zuge dessen im Verlauf des letzten Jahres zahlreiche alteingesessene politische Figuren durch jüngere Technokraten – als vielversprechendere „Manager“ der Wirtschaft – ersetzt worden sind.

Schließlich naht im Jahr 2024 das Ende der vierten Amtszeit von Vladimir Putin. Da die russische Verfassung die Anzahl konsekutiver Amtszeiten des Präsidenten auf zwei begrenzt, wird sich für Putin, Jahrgang 1952, die Frage des Machtübergangs und des Aufbaus eines Nachfolgers stellen. Diese Phase ist in personalistischen politischen Systemen, wofür Russland unter Putin ein Paradebeispiel darstellt, von besonderer Instabilität geprägt. Trotz des gesicherten Ausgangs der diesjährigen Präsidentschaftswahl sieht die russische Regierung somit einer Phase der Herausforderungen und der Ungewissheit entgegen.

Vera Rogova
Vera Rogova ist assoziierte Forscherin der HSFK und seit 2021 stellv. Leiterin des Bereichs „Osteuropa, Zentralasien und Südkaukasus“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Innen- und Außenpolitik Russlands und wirtschaftliche Reformpolitiken in autoritären Regimen. // Vera Rogova is Associate Fellow at PRIF and deputy head of Section “Eastern Europe, Central Asia, South Caucasus” at German Academic Exchange Service (DAAD). Her research focusses on economic reform policies in authoritarian regimes and the case of Russia. | Twitter: @vvrogova

Vera Rogova

Vera Rogova ist assoziierte Forscherin der HSFK und seit 2021 stellv. Leiterin des Bereichs „Osteuropa, Zentralasien und Südkaukasus“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Innen- und Außenpolitik Russlands und wirtschaftliche Reformpolitiken in autoritären Regimen. // Vera Rogova is Associate Fellow at PRIF and deputy head of Section “Eastern Europe, Central Asia, South Caucasus” at German Academic Exchange Service (DAAD). Her research focusses on economic reform policies in authoritarian regimes and the case of Russia. | Twitter: @vvrogova

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