Im Mai 2016 wurde mit Rodrigo Duterte ein Politiker zum Präsidenten der Philippinen gewählt, der versprochen hatte, Drogenkriminalität in wenigen Monaten auszurotten, vor allem durch das Töten von Dealern und Süchtigen. Deren Leichen würden „die Fische in der Bucht von Manila fett machen.“ (1) Seit er diese Ankündigung umsetzt, sind seine Zustimmungswerte auf 80% gestiegen. Die liberale Mittelschicht unterstützt ihn, obgleich er Menschenrechte und liberale Freiheiten ignoriert, und die Armen unterstützen ihn, obgleich die mörderische Anti-Drogen-Kampagne fast ausschließlich Arme ins Visier nimmt. Warum ist das so? (2)
Die philippinischen Präsidentschaftswahlen 2016 gewann Rodrigo Duterte mit 39% der Stimmen. Seit seinem Amtsantritt Ende Juni 2016 belegen Umfragen stabile allgemeine Zufriedenheitswerte mit seiner Regierung von knapp unter oder um die 80%, je nach Umfrageinstitut. Damit liegen sie deutlich über denen all seiner demokratischen Vorgänger seit dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos 1986. Weder ökonomische Klasse noch Alter oder Geschlecht haben einen nennenswerten Einfluss auf die Zufriedenheitswerte. Überraschend ist, dass die Zufriedenheit tendenziell, wenngleich nur leicht, mit dem Bildungsniveau steigt und Duterte die höchsten Zufriedenheitswerte unter Filipinos und Filipinas mit Hochschulabschluss hat, also gerade in der Gruppe, die man gemeinhin als Träger liberaler Demokratie versteht. Hierzu passt, dass die Gegenspielerin Dutertes, die liberale Vizepräsidentin Maria Leonor Robredo, nicht nur allgemein deutlich niedrigere Zustimmungswerte hat als Duterte. Anders als bei Duterte sinken ihre Werte mit steigendem Bildungsniveau.
Den mit Abstand geringsten Zuspruch hat sie in der ökonomischen Ober- und der oberen Mittelschicht – in den Philippinen gängiger Weise als ABC-Klasse bezeichnet. Dabei handelt es sich um die einkommensmäßig obersten 10% der Bevölkerung, gefolgt von der D-Klasse, die ca. die Hälfte der restlichen 90% umfasst. (3)
Ebenfalls überraschen dürfte, dass das schon in den Jahren vor Duterte hohe Vertrauen in die Polizei von über 60% während seines Drogenkriegs mit tausenden von Toten nicht zurückging, sondern anstieg.
Zum Verständnis der breiten Zustimmung für Duterte ist es zentral, weder seine Person noch seine Politik auf den brutalen Kampf gegen Drogenkriminalität zu reduzieren. Ebenfalls wichtig für die Beurteilung Dutertes durch die Filipinas und Filipinos sind soziale Fragen, wie die Bekämpfung von Hunger und Armut oder aber die seit Jahrzehnten als Grundübel wahrgenommene Korruption. Auch hier liegen die Zufriedenheitswerte für die Duterte-Regierung deutlich über den für seinen liberalen Vorgänger Benigno Aquino. Dies gilt auch, wenn man jeweils vergleichbare Zeiträume (die ersten drei Jahre) vergleicht: Dutertes Werte liegen dann zwischen 13 und 22 Prozentpunkte über denen der Regierung Aquino.
Gleichzeitig sind Filipinos und Filipinas unter Duterte auch zufriedener mit ihrer Demokratie. Die persönliche Zufriedenheit, wie sie der „World Happiness Report“ regelmäßig abfragt, stieg ebenfalls gegenüber der Vorgängerregierung. (5) So wundert es nicht, dass bei den Zwischenwahlen von 2019 keiner der Oppositionskandidat.innen für die Senatorenposten, die gemeinsam und explizit gegen die Duterte-Politik angetreten waren, erfolgreich war.
Rodrigo Duterte hat eine brutale Kampagne gegen Handel und Konsum illegaler Drogen zu verantworten, der Tausende zum Opfer fielen. Wie konnte es ihm gelingen, trotzdem über die vergangenen vier Jahre nicht nur seine Wähler.innen bei der Stange zu halten, sondern auch noch die Zustimmung des großen Rests der Bevölkerung zu gewinnen?
Der patriarchale Boss, der liefert
Duterte verkörpert im Extrem einen Führungstypus, der in den Philippinen eine breite kulturelle Akzeptanz genießt: den autoritären, aber fürsorglichen Patron, den „patriarchalen Boss“. (7) Als Duterte zur Wahl antrat, war vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit als langjähriger Bürgermeister der Millionenstadt Davao und seines unverblümten Auftretens allen klar, dass er die Erfahrungen und Praktiken von Davao auf die nationale Ebene übertragen würde. Im ganzen Land war er berühmt-berüchtigt für seine offene Unterstützung einer Todesschwadron, der in zwei Jahrzehnten in Davao vermutlich fast 1.500 Menschen, zumeist Kleinkriminelle und Drogensüchtige, zum Opfer gefallen waren. Der Duterte-Davao-Mythos ist aber breiter als der einer von Gewalt geprägten Stadt, die durch die eiserne Hand des Bürgermeisters befriedet wurde. Er steht auch für den außergewöhnlichen ökonomischen Aufschwung einer Stadt, in der in einem komplexen Umfeld unterschiedliche Religionen und ethnische Gruppen friedlich zusammenleben und die Stadtregierung mittels progressiver lokaler Gesetze Geschlechtergerechtigkeit ebenso herzustellen strebt wie den Schutz von LGBT-Gemeinschaften. Wie repräsentative Umfragen zeigen, war die lokale Unterstützung für Duterte als Bürgermeister ebenso wie für den Präsidenten beinahe total (97%–99%). Ca. 90% waren und sind der Meinung, dass die lokale Regierung (seit 2016 unter der Tochter Dutertes) sich der Sorgen der kleinen Leute annimmt. Diesen Gesellschaftsvertrag – Sicherheit und Entwicklung gegen eine freie Hand bei der Wahl der Mittel – bot Duterte 2016 erfolgreich der nationalen Wählerschaft als Alternative zur Fortsetzung des Status quo an. Das brachte ihm den Sieg mit fast 40% der Stimmen.
Aus 40% Stimmen wurden 80% Zustimmung, weil Duterte aus Sicht der meisten Filipinos und Filipinas seine Wahlversprechen in den Feldern der inneren Sicherheit, der Armutsbekämpfung und der staatlich initiierten Infrastrukturentwicklung in einem kaum gekannten Ausmaß erfüllte, nachdem hier alle Vorgänger und mit ihnen das Leitbild der liberalen Demokratie gescheitert waren. Alle nationalen Umfragen zeigen, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regierungshandeln nicht nur in Bezug auf die Kriminalitätsbekämpfung, sondern auch in Bezug auf den Kampf gegen Korruption und Armut um 20 bis 30 Prozentpunkte höher liegt als während der Aquino-Präsidentschaft. Die detailreicheren Meinungsumfragen in Davao-Stadt zeigen noch deutlicher, dass das Phänomen Duterte nicht auf den brutalen Drogenkrieg reduziert werden darf, sondern vor dem Hintergrund des Versprechens Entwicklung und mehr Gerechtigkeit im Gegenzug zu Unterwerfung und Gehorsam verstanden werden sollte. Zentral für die Bevölkerung waren zwei umfassende Programme der neuen Regierung: der Krieg gegen Drogen und das umfassende Infrastrukturprogramm, das der Präsident unter dem Slogan „Build, Build, Build!“ aufgelegt hat. Wichtig waren der Bevölkerung aber auch eine Reihe sozialer Programme, wie die Abschaffung der Zuzahlung in öffentlichen Krankenhäusern und der Studiengebühren an höheren staatlichen Bildungseinrichtungen. In praktisch allen Politikfeldern gilt Duterte als erfolgreich, als ein Politiker, der Wort hält und seine Versprechen erfüllt.
Diese Einschätzung lässt sich mit einigen harten Daten unterfüttern. Sie verdeutlichen, dass sich zumindest bis Beginn der Corona-Krise zentrale Indikatoren von Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und Kriminalität verbessert haben. So sank die offizielle Armutsrate von 23,3% im Jahr 2015 auf 16,7% im Jahr 2018. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sanken von 25,1% im letzten Jahr unter Präsident Aquino (7/2015-6/2016) auf 20,1% im dritten Jahr von Duterte (7/2018-6/2019). Der Wert der exportierten Güter wuchs in den ersten drei Jahren der Duterte-Präsidentschaft schneller als zuvor. War die Zahl der Tötungsdelikte im ersten Jahr von Duterte noch deutlich angestiegen, als neben den Tötungen durch die Polizei auch die Selbstjustiz dramatisch eskalierte, so sank sie in den Folgejahren deutlich unter die Werte während der Aquino-Präsidentschaft. Auch andere Formen der Kriminalität, wie Körperverletzung, Vergewaltigung, Raub und Diebstahl gingen in den letzten drei Jahren zurück, z.T. um 50% und mehr. So scheint Duterte für einen großen Teil der Bevölkerung seinen Teil des illiberalen Gesellschaftsvertrags erfüllt zu haben.
Eine Fassadendemokratie ist ungenügend
Die dauerhaft breite Zustimmung zu Dutertes Regierungshandeln heißt nicht, dass Filipinos und Filipinas politische Freiheits- und Menschenrechte nicht wertschätzen. Sie signalisiert aber, dass das freiheitliche und menschenrechtliche Versprechen der liberalen Demokratie nicht per se Zustimmung und Legitimität generiert, wenn die regierenden Eliten die grundlegenderen Versprechen von Sicherheit, Wohlfahrt und Gerechtigkeit für die Mehrheit der Bevölkerung und damit die Dimension einer Regierung für das Volk ignorieren. Eine Demokratie, die Armut und Ungerechtigkeit perpetuiert, delegitimiert sich selbst und schafft den Raum, in dem die illiberale Alternative mit ihrem Versprechen einer effizienten Regierung für das Volk eine Chance bekommt, auf demokratischem Weg die Macht zu erobern.
Dieses Spotlight basiert auf dem PRIF Report 1/2020 „A patron-strongman who delivers. Explaining enduring public support for President Duterte in the Philippines“.
Hinzu kommt in den Philippinen, dass die real existierende Demokratie auf allen Ebenen der Politik aus einer beschränkten Zahl von Familien besteht, die die politische und ökonomische Macht in ihren Händen konzentriert. Insofern war sie trotz regelmäßiger Wahlen weder eine Regierung des Volkes, noch wurde sie durch das Volk ausgeübt.
Der liberal-demokratische Diskurs maskierte ebenso wie der „chaotische Zirkus der philippinischen Demokratie“, dass „eine räuberische Oligarchie einem patrimonialen und schwachen Staat unangemessene Privilegien entzieht und folglich langfristige Entwicklungsziele durch diese offen partikularistischen und kurzfristigen Forderungen der mächtigen Wenigen behindert werden.“ (9) Ohne diese ausgehöhlte Demokratie, die weder eine Regierung des Volkes noch eine durch das Volk und für das Volk ist, wäre der Erfolg Dutertes nicht zu erklären.
Solange eine sozial gerechte(re) liberale Demokratie in den Philippinen nur ein vages Versprechen bleibt, ist nicht zu erwarten, dass die Bevölkerung einem illiberalen Präsidenten eine Absage erteilt, der, wenn auch auf illiberalem Weg, die versprochenen grundlegenden Güter zu liefern scheint – Sicherheit und Wohlfahrtssteigerung für die Mittelschicht und für die breite Masse.
Link: Fußnoten und weiterführende Literatur