Die Erde ist aus dem Weltraum zu sehen. Oben rechts in der ecke ist ein Satellit.
Neue Counter-Space-Technologien gefährden Satelliten im Orbit. | Photo: NASA | Unsplash License

Weltraumsicherheit: Teststopp von Anti-Satellit-Waffen

Die Abhängigkeit hoch technologisierter Streitkräfte von weltraumbasierten Fähigkeiten ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Gleichzeitig verstärken die führenden Weltraumnationen USA, Russland und China ihre Fähigkeiten im Bereich der sog. Anti-Satellit-Waffen. Während China und Russland vermehrt Anti-Satellit-Waffen testen, haben sich Deutschland und weitere Staaten im September 2022 dem bisher unilateralen Teststopp von Anti-Satellit-Waffen der Biden-Administration angeschlossen. Nach den gescheiterten chinesisch-russischen Vertragsvorschlägen von 2014 kann der Vorstoß als neues diplomatisches Signal an China und Russland verstanden werden, erneut Gespräche über die Sicherheit von Weltraumobjekten aufnehmen zu wollen.

Anti-Satellit-Waffen und Counter-Space-Fähigkeiten

Die militärische Handlungsfähigkeit hoch technologisierter Staaten wie China, Russland und den Vereinigten Staaten ist im 21. Jahrhundert stark abhängig von der Zugänglichkeit zum Weltraum und der freien Nutzung ihrer weltraumbasierten Fähigkeiten: Satelliten. Nachdem die USA und die Sowjetunion schon in den 1960er Jahren das immense Potential neuer Satellitentechnologie, d.h. Aufklärung, Frühwarnsysteme, Echtzeit-Kommunikation, Ortsbestimmung und präzise Navigation, erkannt hatten, begannen beide Supermächte an Waffentypen zu forschen, mit denen man auf die Satellitenfähigkeiten des Gegners einwirken könnte.

Diese sog. Anti-Satellit-Waffen (ASAT) werden als kinetisch-physische Waffen bezeichnet. Das bedeutet, dass sie ihr Ziel entweder direkt treffen oder in seiner unmittelbaren Nähe detonieren. Kinetische ASAT-Waffen werden unterteilt in:

  1. Direktaufstiegs ASAT-Waffen (direct-ascent; Erde → Weltraum), Raketen die von der Erde aus auf einen Satelliten im All gerichtet werden
  2. Co-orbitale ASAT-Waffen (Orbit → Ziel), Waffentypen, die im Orbit stationiert werden und gegen ein Objekt im Weltraum oder auf der Erde manövriert werden

Mittlerweile gibt es eine Reihe von Waffentypen, mit denen auf die Weltraumfähigkeiten eines Gegners eingewirkt werden kann. Um der weltraumgestützten Überlegenheit der Vereinigten Staaten entgegen treten zu können, verfolgen China und Russland eine Strategie, mit der die Handlungsfähigkeit des umfangreichen Satellitennetzwerkes der USA durch sog. Counter-Space-Fähigkeiten im Konfliktfall unterbunden werden kann. Diese Strategie soll es ermöglichen, Informationen und Dienste aus dem Weltall einzuschränken, welche hoch technologisierte Staaten wie die USA für eine vernetzte Operationsführung (Network Centric Operation) dringend benötigen. Counter-Space-Fähigkeiten umfassen die kinetisch-physischen Waffen wie ASAT-Technologie (d.h. Direktaufstiegsraketen und co-orbitale ASATs), aber auch nicht-kinetisch-physische Lasersysteme, die zum Blenden eines Satelliten eingesetzt werden können. Die elektronische Beeinträchtigung von Satelliten durch jamming oder spoofing, d.h. Stören oder Überlagern der Datentransmission zwischen Satelliten und Erdfunkanlage, zählen ebenfalls zu den Counter-Space-Fähigkeiten.

Völkerrechtlicher Rahmen und geopolitische Rivalität

1959 wurde das erste Committee on the Peaceful Use of Outer Space (COPUOS) der UN eingerichtet. 1967 folgte der Outer Space Treaty (OST) als erster internationaler, völkerrechtlicher Vertrag, 1984 das Moon Agreement. Beide Verträge enthalten Paragraphen, welche die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im Orbit oder auf Himmelskörpern, wie dem Mond, Asteroiden und weiteren Planeten, verhindern sollen. 1985 richtete die UN zusätzlich zu COPUOS ein Ad-hoc Komitee Prevention of an Arms Race in Outer Space (PAROS) im Rahmen der Conference of Disarmament (CD) ein. Bis in die 2000er wurden immer wieder ähnliche Initiativen eingeleitet, ohne jemals erneut rechtlich bindende Verträge wie den OST oder dem Moon Agreement zu verhandeln.

Konkrete Gespräche zur Beschränkung von Direktaufstiegs-ASAT-Waffen hatten tatsächlich schon einmal 1978 zwischen der Sowjetunion und den USA stattgefunden, wurden nach einem Jahr aber wieder eingestellt. Die Notwendigkeit eines erweiterten völkerrechtlichen Rahmens wurde als gering eingestuft, da die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten das Testen von Anti-Satellit-Fähigkeiten als zu großes Risiko für die eigenen Satelliten im Orbit betrachteten und deshalb auf solche Waffentests verzichteten. Das hat sich zu Beginn des 21. Jahrhundert geändert. Seit 2005 führte China Zehn und Russland seit 2014 Zwölf ASAT-Tests an eigenen Satelliten durch. Der Weltraum gerät immer mehr ins Zentrum der geopolitischen Rivalitäten zwischen China, Russland und den USA.

Seit 2010 testet China verstärkt co-orbitale Satellitenfähigkeiten anhand sog. Rendez-Vous/Proximity-Operations (RPO). Bei diesen Operationen werden Satelliten (z. B. die Chinesische SJ-Serie) so nah wie möglich an andere Objekte im All gesteuert, um entweder mit ihnen zu interagieren oder um sie zu überwachen. Auf diese Art und Weise können Satelliten in einen höheren Orbit manipuliert oder beschädigt werden, wodurch sie den Kontakt zur Erdstation verlieren und damit auch ihre Funktion. Offiziell werden diese Fähigkeiten für die Inspektion und Reparatur von defekten Satelliten, sowie die Entfernung von Weltraumschrott getestet. Die rapide Geschwindigkeit in der China seine Counter-Space-Fähigkeiten ausbaut und die wachsende Regelmäßigkeit seiner RPOs bereiten AnalystenInnen in den Vereinigten Staaten allerdings großes Unbehagen. Counter-Space-Technologien, vor allem Direktaufstiegswaffen, sind bei einer Anzahl von ca. 2800 US-Satelliten in der Erdumlaufbahn (China 467, Russland 168, Deutschland 47) natürlich ein Dorn im Auge Washingtons. Die große Frage, die noch unbeantwortet im Raum steht, ist welches Ziel China mit der Ausweitung seiner Counter-Space-Technologien verfolgt. Mit voranschreitender Digitalisierung und Vernetzung wird die Abhängigkeit von Satelliten noch weiterwachsen. Das erhöht gleichzeitig die Verwundbarkeit derjenigen Staaten, die sich militärisch auf ihre Satellitentechnologie stützen. Dazu gehören vor allem die westlichen Demokratien, Russland und China. Satelliten sind unerlässlich für die zivile und militärische Infrastruktur von hoch technologisierten Staaten auf der Erde und zeitgleich sehr einfach zu treffende Ziele. Die Folgen eines Totalausfalls beträfen nicht nur die globale Kommunikation, sondern jeden Bereich des öffentlichen Lebens. Ampeln, Schienenverkehr, Geldautomaten, Flugzeugnavigation, keines dieser Dinge wäre ohne Satellitendaten möglich.

Vertragsentwürfe und Teststopp von ASAT-Waffen

Ebenso wie die USA und China identifiziert Russland den Weltraum mittlerweile als zusätzlichen Bereich konventioneller Kriegsführung. Dazu gehört die Forschung an und das Testen von ASAT-Fähigkeiten. Die heutigen Ziele der russischen Föderation im Weltall richten sich vor allem darauf, die amerikanische Präsenz im Orbit einzuschränken. Zusammen mit China nutzt Russland die etablierten diplomatischen Kanäle der UN, um vorgeblich die fortschreitende Militarisierung des Orbits zu stoppen. Gemeinsam präsentierten beide Staaten 2008 einen Vertragsentwurf, der Waffenstationierungen im Orbit verhindern sollte. Der Prevention of an Arms Race in Outer Space (PAROS) Vertrag (nicht zu verwechseln mit dem PAROS-Committee), später umbenannt in Prevention of the Placement of Weapons in Outer Space, the Threat or Use of Force against Outer Space Objects (PPWT) wurde von beiden Nationen als Möglichkeit präsentiert, rechtlich bindende Verträge aufzusetzen, die zukünftiges Konfliktpotential im Weltall reduzieren sollen. Der PAROS- bzw. PPWT-Entwurf wurde von den USA und weiteren Staaten mit der Begründung blockiert, dass erdgestützte Anti-Satelliten Waffen nicht im Vertragsentwurf enthalten und die Verifikationsmechanismen des Entwurfs unzureichend seien. 2014 wurde eine neuformulierte Fassung des Drafts vorgestellt, ohne jedoch die kritischen Kernmängel der Vorgängerversion verbessert zu haben. In der Fassung von 2014 war der PPWT weiterhin nicht in der Lage, die Sicherheit von Objekten im Orbit zu garantieren, da die Entwicklung, das Testen und die Stationierung von ASATs, die sich nicht permanent im All befinden, vertraglich weiterhin nicht abgedeckt sind.

2015 war Russland einer der Hauptunterstützer der United Nations General Assembly (UNGA) Resolution on Prevention of an Arms Race in Outer Space, sowie einer zweiten Resolution No First Placement of Weapons in Outer Space. Anders als in den vorherigen Jahren stimmte Deutschland gegen den Entwurf. Zusammen mit 11 weiteren Staaten wurde eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die fortwährende Entwicklung und das Testen von Counter-Space-Fähigkeiten durch die Initiatoren (Russland und China) des Entwurfs als scheinheilig kritisiert werden.

Auf Grund der Zerwürfnisse zwischen China, Russland und den USA kam die Verkündung eines unilateralen Teststopps der Biden Administration von ASAT-Waffen im April 2022 sehr überraschend. Washington mahnt bereits seit einigen Jahren, dass das Testen von Direktaufstiegswaffen im Orbit zu einer schnell anwachsenden Menge an Weltraumschrott führt, die unseren Orbit immer unzugänglicher macht. Deutschland hat dieses Problem ebenfalls erkannt und sich dem Teststopp im September 2022 angeschlossen, obwohl es keine ASAT-Technologie besitzt oder erforscht. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Vereinigten Staaten ein erhebliches Interesse daran haben den Schutz ihres Satellitennetzwerkes zu gewährleisten. Nach den gescheiterten Vertragsvorschlägen von Russland und China könnte nun erneut ein günstiger Moment für weitere Verhandlungen entstanden sein. Japan, Neuseeland und Kanada haben sich dem Teststopp ebenfalls angeschlossen und weitere Staaten werden folgen.

Fazit

Die Sicherheit von Satelliten im Orbit ist im 21. Jahrhundert sehr viel gefährdeter als noch Ende der 1990er Jahre. Neue Counter-Space-Technologien können einen Satelliten schnell und effizient ausschalten, ohne überhaupt im Orbit stationiert zu sein. Deshalb greift ein Vertrag, der lediglich die Stationierung von Waffen im Orbit umfasst, nicht aber Counter-Space-Fähigkeiten auf der Erde, zu kurz. Die Authentizität der Entwürfe erscheint zudem fraglich, wenn China und Russland fortwährend neue ASAT-Technologie testen und gleichzeitig auf die friedliche Nutzung des Orbits verweisen. Durch seine unzureichenden Definitionen und dem Fehlen konkreter Verifikationsmechanismen konnte der PPWT nicht als angemessenes Instrument für eine Reduzierung des Konfliktpotentials im Orbit eingeführt werden. Er war aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ohne den PPWT-Draft von 2008 wäre PAROS wahrscheinlich nicht als zentraler Programmbereich der CD etabliert worden.

Der unilaterale Teststopp von ASAT-Waffen der Biden-Administration im April dieses Jahres signalisiert nun die Bereitschaft Washingtons, Gespräche zur Sicherheit von Weltraumobjekten aufzunehmen, um die Aufrüstung von Anti-Satellit-Waffen zu bremsen. Deutschland und weitere westliche Staaten haben sich dem Teststopp bereits angeschlossen. Es bleibt die Frage, ob China und Russland überhaupt noch Interesse an weiteren Verhandlungen haben. Die Zurückweisung des PPWT-Drafts von westlichen Staaten hat einerseits gezeigt, wie gering das Vertrauen des Westens gegenüber China und Russland mittlerweile geworden ist. Auf der anderen Seite könnte die wiederholte Ablehnung der Vertragsvorschläge bei Russland und China zu einem diplomatischen Verdruss geführt haben, welcher nun ein Entgegenkommen der beiden Staaten erschweren könnte. Wenn die jüngsten Vertragsvorschläge Russlands und Chinas jedoch genuin waren, dann liegt es auch weiterhin im Interesse der beiden Staaten, den völkerrechtlichen Rahmen des Weltraums gemeinsam mit dem Westen zu erweitern und auf den Teststopp einzugehen.

Pars Tijen Peikert

Pars Tijen Peikert

Pars Tijen Peikert studiert Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und war Praktikant im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ bei Anna-Katharina Ferl an der HSFK. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Internationale Beziehungen und Rüstungskontrolle. // Pars Tijen Peikert is currently studying Political Science at Goethe University Frankfurt and was an intern of Anna-Katharina Ferl at PRIF’s research department “International Security”. His focus is in international relations and arms control.
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