Küste mit Lichtspur von Arrow-3-Rakete am Himmel
International sorgt der deutsche Kauf von Arrow 3 für Stirnrunzeln. | Foto: IDF Spokesperson's Unit photographer | Public Domain

Das Raketenabwehrsystem Arrow 3: Eine fragliche Beschaffung

Die Bundesregierung beschafft für rund vier Milliarden Euro das israelisch-amerikanische Raketenabwehrsystem Arrow 3. Im politischen Berlin stößt der Kauf auf breite Zustimmung, doch international sorgt er für Stirnrunzeln. Anders als das bereits vorhandene Patriot- und das kürzlich bestellte Iris-T-Luftverteidigungssystem der Bundeswehr eignet sich Arrow 3 nämlich gar nicht dazu, russische Raketen oder Marschflugkörper abzufangen. Auch andere Erklärungsansätze für die Beschaffung sind wenig überzeugend. Somit bleibt die Bundesregierung der deutschen Öffentlichkeit eine Antwort schuldig, gegen welche Bedrohungen sie das System in Zukunft einsetzen möchte.

Die Stimmen aus der Bundespolitik wirkten beinahe euphorisch, nachdem die Vereinigten Staaten vergangene Woche den Verkauf des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 an Deutschland genehmigt hatten. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, zeigte sich „sehr erleichtert“ über die bevorstehende Beschaffung im Rahmen der von Deutschland angestoßenen European Sky Shield-Initiative (ESSI). Generalleutnant Ingo Gerhartz, der Inspekteur der Luftwaffe, sprach von einer Fähigkeitslücke in der Abwehr Raketen großer Reichweite, die durch Arrow 3 geschlossen werden könne.

Im Ausland hingegen sorgte die Entscheidung für Verwunderung. Simon Højbjerg Petersen, Experte für die Abwehr ballistischer Raketen, bezeichnete den Kauf von Arrow 3 als „die seltsamste Beschaffungsentscheidung, die ich seit langem gesehen habe.“ Auch Prof. Dr. Jeffrey Lewis und Dr. Aaron Stein, zwei Koryphäen auf den Gebieten der Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, äußerten sich in ihrem Podcast kritisch zur Beschaffung von Arrow 3. Doch wie erklärt sich das Kopfschütteln über den Milliardendeal?

Was Arrow 3 kann – und was nicht

Das israelische Raketenabwehrsystem Arrow 3 ist darauf zugeschnitten, iranische Mittelstreckenraketen außerhalb der Erdatmosphäre abzufangen. Dazu befördert der zweistufige Raketenmotor der Arrow-3-Rakete ein manövrierfähiges „Kill Vehicle“ in den Weltraum. Dabei handelt es sich um eine Art Satellit, der die feindliche Rakete in einer Höhe von rund 100 Kilometern auf ihrer Flugbahn rammt und dadurch zerstört. Das alles geschieht noch bevor der Gefechtskopf wieder in die Erdatmosphäre eintreten kann und aufgrund seiner dann sehr hohen Endgeschwindigkeit nur noch schwer abzuwehren ist. Weil die Rakete außerhalb der Atmosphäre abgefangen wird, sprechen Fachleute von einem „exoatmosphärischen“ Raketenabwehrsystem.

Die Abwehr von ballistischen Raketen außerhalb der Erdatmosphäre stellt hohe Anforderungen an Radar und Abfangraketen, weshalb Arrow 3 als besonders leistungsfähig gilt. Anders als von zahlreichen deutschen Medien suggeriert, kann Arrow 3 allerdings nicht jede erdenkliche Bedrohung in einer Höhe von bis zu 100 Kilometern abwehren – das Kill Vehicle ist ausschließlich für den Einsatz im Weltraum konzipiert, also in einer Höhe von ungefähr 100 Kilometern. Mit Bedrohungen innerhalb der Erdatmosphäre, also darunter, kann Arrow 3 nicht umgehen. Denn das Kill Vehicle würde bei Geschwindigkeiten von mehreren Kilometern pro Sekunde mangels aerodynamischer Optimierung und Hitzebeständigkeit in der Atmosphäre verglühen.

Im mehrschichtigen Raketenabwehrsystem Israels deckt Arrow 3 deshalb lediglich die oberste Abfangschicht ab. Auf den darunterliegenden Schichten kämen im Falle eines Raketenangriffs zunächst die Systeme Arrow 2, Patriot und David’s Sling sowie schließlich der bekannte Iron Dome zum Einsatz. Um in Zukunft auch die unmittelbare Grenzregion zwischen Erdatmosphäre und Weltraum abdecken zu können, entwickelt Israel zusammen mit den Vereinigten Staaten außerdem das Arrow 4-Raketenabwehrsystem.

Eine Fähigkeitslücke, die keine ist

Die größte Bedrohung für Deutschland und Europa geht derzeit vor allem von russischen Kurzstreckenraketen des Typs 9K720 Iskander und der Hyperschallwaffe Kh-47M2 Kinzhal sowie von russischen Marschflugkörpern aus. Allen diesen Waffensystemen ist allerdings gemein, dass sie die Erdatmosphäre während ihres Fluges gar nicht verlassen. In anderen Worten: Arrow 3 kann russische Kurzstreckenraketen oder Marschflugkörper überhaupt nicht abfangen.

Darüber hinaus hat der Krieg in der Ukraine gezeigt, dass bereits vorhandene Luftverteidigungssysteme der Bundeswehr mit russischen Kurzstreckenraketen und Marschflugkörpern umgehen können. So gelang es der Ukraine im Mai 2023 offenbar, mehrere Kinzhal-Raketen über Kyiv mit Hilfe des US-amerikanischen Patriot-Systems abzufangen. Die Bundeswehr besitzt bereits mehrere Flugabwehrraketensysteme des Typs Patriot und hat im Jahr 2019 beschlossen, die neusten PAC-3 MSE-Flugkörper für das System zu beschaffen.

Marschflugkörper gelten als schwieriger zu erkennen und abzuwehren, da sie tief über dem Boden fliegen und somit erst spät von Radarsystemen erkannt werden können. Allerdings ist es der Ukraine auch mit Hilfe westlicher Luftverteidigungssysteme im vergangenen Winter gelungen, durchschnittlich 70 Prozent aller russischen Marschflugkörper erfolgreich abzufangen. Das deutsche Iris-T-System, das nun auch von der Bundeswehr beschafft wird, erzielte nach Angaben ukrainischer Regierungsbeamter sogar eine Abfangrate von 90 Prozent.

Da Arrow 3 zur Abwehr von Kurzstreckenraketen und Marschflugkörpern weder in der Lage noch erforderlich ist, würde das Raketenabwehrsystem also lediglich gegen ballistische Mittelstreckenraketen zum Einsatz kommen. Damit sind nach gängiger Definition Systeme mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern gemeint. Ballistische Raketen mit einer größeren Reichweite gelten als Interkontinentalraketen – und diese fliegen so hoch und so schnell, dass sie außerhalb des Wirkbereichs von Arrow 3 liegen. Aktuell verfügt Russland zumindest nach öffentlich verfügbaren Informationen jedoch nicht über ballistische Mittelstreckensysteme. Landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern waren außerdem bis zum Ende des Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme im Jahr 2019 verboten.

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die Spannungen zwischen Russland und der NATO kann nicht ausgeschlossen werden, dass Russland an neuen Mittelstreckenraketen arbeitet, doch Erkenntnisse dazu liegen der in der Regel gut informierten Fachcommunity zum aktuellen Zeitpunkt nicht vor. Das einzige öffentlich bekannte russische Waffensystem, das nach dem Kalten Krieg entwickelt wurde und als ballistische Mittelstreckenrakete klassifiziert werden könnte, ist die RS-26 Rubezh. Diese Rakete wurde allerdings nie bei den russischen Streitkräften eingeführt und das entsprechende Rüstungsprojekt offensichtlich im Jahr 2018 eingestellt. Und bei der 9M729/SSC-8, die schlussendlich zum Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme führte, handelt es sich um einen Marschflugkörper, den Arrow 3 nicht abwehren kann.

Selbst wenn Russland demnächst die RS-26 Rubezh oder eine andere ballistische Mittelstreckenrakete in das eigene Waffenarsenal aufnehmen sollte, wäre Deutschland dieser neuen Bedrohung zudem nicht vollkommen schutzlos ausgeliefert, denn im Rahmen der NATO betreiben die Vereinigten Staaten landgestützte Aegis-Ashore-Raketenabwehranlagen in Rumänien und bald auch in Polen, die sicherlich auch zur Bekämpfung russischer Raketen adaptiert werden könnten. Darüber hinaus sind im spanischen Rota mehrere Lenkwaffenzerstörer der U.S. Navy stationiert, die ebenfalls mit dem Aegis-Kampfsystem ausgestattet sind und zur Verteidigung des Allianzgebiets zur Verfügung stehen.

Vor diesem Hintergrund ist die von Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz kolportierte Fähigkeitslücke kritisch zu hinterfragen – nicht zuletzt, weil Arrow 3 bislang nur sechs Mal getestet wurde und die SM-3-Rakete des Aegis-Systems mit über 45 Tests die technisch deutlich ausgereiftere Abfangrakete ist.

Arrow 3 als Anti-Satelliten-Waffe durch die Hintertür?

Weil Deutschland Arrow 3 eigentlich gar nicht zur Raketenabwehr benötigt, wird diskutiert, ob die Bundesregierung nicht in Wirklichkeit an der Anti-Satelliten-Fähigkeit des Systems interessiert ist. Zwar haben Israel und die Vereinigten Staaten Arrow 3 bislang nicht für diesen Einsatzzweck getestet, doch das leistungsfähige Radarsystem eignet sich auch dazu, Satelliten auf ihrer Umlaufbahn zu verfolgen, die im Anschluss mit dem Kill Vehicle zerstört werden könnten. Neben den Vereinigten Staaten, Russland und China hat bisher lediglich Indien entsprechende Tests durchgeführt.

Anti-Satelliten-Raketen sind allerdings hochumstritten. Grund dafür ist, dass bei der Zerstörung von Satelliten große Mengen an Weltraumschrott entstehen, die wiederum andere Satelliten – auch die des Angreifers – bedrohen können. Ein russischer Anti-Satelliten-Test im Jahr 2021 gefährdete sogar die Sicherheit der Internationalen Raumstation ISS.

Um die Sicherheit der eigenen Weltrauminfrastruktur zu gewährleisten, haben die Vereinigten Staaten deshalb im April 2022 verkündet, in Zukunft keine Tests von Anti-Satelliten-Waffen durchzuführen, die zur Zerstörung von Satelliten und damit zu neuem Weltraumschrott führen könnten. Diesem unilateralen Teststopp, der Gesprächsbereitschaft zur Weltraumsicherheit signalisiert, hat sich auch die deutsche Bundesregierung angeschlossen. Dass ausgerechnet die Anti-Satelliten-Fähigkeit von Arrow 3 ausschlaggebend für die Beschaffung war, ist daher kaum vorstellbar.

Die Fragezeichen bleiben

Nach eingehender, technischer Betrachtung von Arrow 3 und der aktuellen Bedrohungslage bleibt offen, warum die Bundesregierung vier Milliarden Euro aus dem Sondervermögen der Bundeswehr in ein zum aktuellen Zeitpunkt nicht erforderliches Raketenabwehrsystem investiert, anstatt zusätzliche Luftverteidigungssysteme der Typen Patriot und Iris-T zu beschaffen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine muss Deutschland seine Fähigkeiten in den Bereichen Landesverteidigung, Bündnisverteidigung und Abschreckung ausbauen. Doch ob Arrow 3 dafür das richtige Instrument ist, muss bezweifelt werden. Schließlich ist das System derzeit nicht einmal interoperabel mit der integrierten Luftverteidigungsarchitektur der NATO, auch wenn die Interoperabilität mit der Link-16-Datenverbindung grundsätzlich gewährleistet ist.

Das Bundesministerium der Verteidigung sollte deshalb transparenter kommunizieren, warum die Wahl ausgerechnet auf Arrow 3 und nicht auf andere Raketenabwehrsysteme gefallen ist. Denn sonst drängt sich der Eindruck auf, dass die Beschaffung, ähnlich wie der Kauf des russischen S-400-Luftverteidigungssystems durch die Türkei, in erster Linie aus symbolischen Gründen erfolgt ist. Mit Blick auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik wäre das ein fatales Signal.

Frank Kuhn

Frank Kuhn

Frank Kuhn ist Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am PRIF. Zu seinen Forschungsinteressen zählen nukleare Abschreckung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Militärtechnologien und -strategien. // Frank Kuhn is the project coordinator for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR) at PRIF. His research interests include nuclear deterrence, arms control and non-proliferation, as well as military technology and strategy. | Twitter: @_FrankKuhn

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Frank Kuhn ist Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am PRIF. Zu seinen Forschungsinteressen zählen nukleare Abschreckung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Militärtechnologien und -strategien. // Frank Kuhn is the project coordinator for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR) at PRIF. His research interests include nuclear deterrence, arms control and non-proliferation, as well as military technology and strategy. | Twitter: @_FrankKuhn

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