Die USA sind der wichtigste Verbündete Israels, doch die Kriegführung Israels im Gaza-Streifen stellt diese Jahrzehnte währende „besondere Beziehung“ derzeit auf eine Belastungsprobe. Nun stehen die US-Wahlen an: Wie würden sich Trump und Harris im Falle ihrer Wahl gegenüber dem Gaza-Krieg und dem israelisch-palästinensischen Konflikt positionieren? Und würden die Unterschiede zwischen ihnen tatsächlich einen Unterschied machen mit Blick auf eine langfristige Lösung des Konflikts?
Vor etwas mehr als einem Jahr, am 7. Oktober 2023, verübte die Hamas ihren Terroranschlag auf Israel, bei dem etwa 1200 Menschen getötet und rund 240 als Geiseln genommen wurden. Noch immer sind rund 100 Geiseln in der Hand der Hamas, wie viele davon noch leben, ist nicht bekannt. Die Bilanz der darauffolgenden militärischen Offensive Israels ist verheerend für den Gazastreifen: Stand 22. Oktober 2024 sind mehr als 42.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden. Gebäude und Infrastruktur im Gazastreifen sind weitgehend zerstört, die humanitäre Lage ist katastrophal. Die Vorwürfe, dass Israel bei seinem Vorgehen in dem palästinensischen Gebiet das humanitäre Völkerrecht massiv verletzt, werden immer lauter. Der Internationale Gerichtshof prüft in einem Verfahren, ob Israel in Gaza einen Völkermord begeht, und der Internationale Strafgerichtshof hat Antrag auf Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen gestellt – nicht nur für drei Führungsmitglieder der Hamas, sondern auch für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant.
Seit Kriegsbeginn ringen die westlichen Staaten darum, wie sie auf diese Eskalation zwischen Hamas und Israel und auf die Ausweitung des Konflikts auf die Region reagieren sollen – allen voran die Vereinigten Staaten. Keine zwei Wochen nach dem Massaker der Hamas besuchte Präsident Joe Biden Israel. Schon dieser Besuch zeigte das Dilemma auf, in dem sich Biden seither befindet: Er sicherte Israel die volle Unterstützung der USA zu und bat wenige Tage später den Kongress um Milliardenhilfen für Israel. Doch noch auf dem Rollfeld des Flughafens in Tel Aviv mahnte er: Die USA wollten helfen, dass Israel nicht einige der Fehler wiederhole, die die USA in ihrem Krieg gegen den Terror nach dem 11. September 2001 begangen hätten. Gerechtigkeit müsse hergestellt werden, so Biden, “but I caution this: While you feel that rage, don’t be consumed by it. After 9/11 we were enraged in the United States. While we sought justice and got justice, we also made mistakes”.
Die US-Regierung im Zwiespalt zwischen Unterstützung und Kritik
Doch ein Jahr später scheint Israel tatsächlich von Wut und Rache aufgezehrt. Der Krieg im Gazastreifen dauert in unverminderter Härte an. In den vergangenen Wochen ist eine Offensive im südlichen Libanon hinzugekommen, zudem schaukelt sich die Konfrontation mit dem Iran immer weiter auf. Vor allem das militärische Vorgehen im Gaza-Streifen hat dazu beigetragen, dass Israel an internationaler Unterstützung verliert und heftiger Kritik ausgesetzt ist – sowohl von Regierungen und internationalen Organisationen als auch von NGOs und Protestbewegungen weltweit. Der israelisch-palästinensische Konflikt wird weltweit derzeit so scharf und unversöhnlich diskutiert wie nie zuvor.
Diese Vehemenz der Polarisierung hat Bidens Dilemma verschärft: Progressive Demokratinnen und Demokraten fordern, dass die USA mehr Druck ausüben soll, um den Krieg zu beenden – beispielsweise, indem Waffenlieferungen an Israel eingeschränkt oder gestoppt werden. Waffenlieferungen, so argumentieren sie, widersprächen geltendem US-amerikanischem Recht, welches Waffenlieferungen an die Einhaltung des Völkerrechts bindet. Pro-israelische Kräfte treten dagegen für die bedingungslose Unterstützung der israelischen Regierung ein, um die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah auszuschalten und den Iran als Drahtzieher und Sponsor der selbsternannten „Achse des Widerstands“ in die Schranken zu weisen.
Während des vergangenen Jahres glich Bidens Antwort darauf stets dem Muster seiner ersten Reaktion auf dem Flughafen in Tel Aviv: In seinen Reden betonte er, dass die USA fest an der Seite Israels stünden. Zugleich mahnte er die israelische Regierung immer wieder, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen zuzulassen, eine politische Lösung zu suchen und einem Waffenstillstand sowie einem Geisel-Deal zuzustimmen. Doch praktisch erhöhte die US-Regierung nach dem 7. Oktober 2023 ihre ohnehin umfangreichen Waffenlieferungen an Israel, die schon vor dem Terrorangriff der Hamas 69 Prozent aller Waffenimporte Israels ausmachten – trotz aller Bedenken, die auch aus der Administration selbst an der israelischen Kriegführung laut wurden.
Benjamin Netanjahu hat die Mahnungen der US-Regierung ein ums andere Mal ignoriert – und zugleich die militärische Unterstützung der USA entgegengenommen. Die extrem rechten und religiös-nationalistischen Koalitionspartner in seiner Regierung wollen längst nicht mehr nur die Hamas ausschalten, sondern den Gaza-Streifen wiederbesetzen und -besiedeln sowie langfristig auch das Westjordanland vollständig unter israelische Souveränität bringen. Die Washington Post berichtete, dass das israelische Militär jüngst begonnen habe, Teile eines Plans zur Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Norden Gazas umzusetzen. Erst die Warnung der US-Regierung, die militärische Unterstützung einzustellen, sollte Israel diese Politik weiterverfolgen, sorgte augenscheinlich für eine Abkehr von diesem Plan.
Nun stehen die Präsidentschaftswahlen in den USA an. Eine Schicksalswahl für die amerikanische Demokratie, für die europäische Sicherheit, für die Rivalität der USA mit China – aber auch für den Nahen Osten? Wie würde die Antwort des künftigen Staatsoberhaupts auf das beschriebene Dilemma aussehen: Wie würden Trump oder Harris die „besondere Beziehung“ mit Israel gestalten? Wie würden sie angesichts der frappierenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts künftig mit dem wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten umgehen? Gibt es endlich Aussicht auf eine Lösung des Jahrzehnte währenden Konflikts?
Donald Trump, der „beste Freund Israels“
Donald Trumps erste Amtszeit sowie seine Aussagen im Wahlkampf geben Hinweise darauf, wie er sich als Präsident positionieren könnte. Trump hat sich selbst immer wieder als besten Freund bezeichnet, den Israel jemals hatte. Tatsächlich hat er während seiner ersten Amtszeit Entscheidungen getroffen, die vor allem im Interesse der israelischen rechts-nationalistischen Regierungen lagen. So verlegte er die amerikanische Botschaft nach Jerusalem und signalisierte damit die Anerkennung als Hauptstadt des Staates Israel, trotz der völkerrechtswidrigen Annexion des Ostteils der Stadt. Er widerrief das Atom-Abkommen mit dem Iran, das unter Obama verhandelt worden war und das Israels Regierung aus Sorge vor iranischen Atomwaffen stets massiv kritisiert hatte. Trump legte zudem einen eigenen Plan zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts vor. Der sogenannte „Deal of the Century“ sah die Gründung eines demilitarisierten, an den Außengrenzen von Israel kontrollierten palästinensischen Staates mit erheblich eingeschränkter Souveränität vor – aber erst nach einer Übergangsphase von vier Jahren. Innerhalb dieser Zeit sollten eine Reihe von Bedingungen erfüllt werden: Dazu zählten die Entwaffnung von Hamas, die Anerkennung Israels als jüdischer Staat und der Verzicht auf Anklagen gegen Israel bei den internationalen Gerichten, aber auch die Errichtung demokratischer, rechtsstaatlicher Institutionen. Im Gegenzug sollte dieser palästinensische Quasi-Staat umfangreiche Hilfen und Investitionen bekommen. Während der vier Jahre sollte Israel den Siedlungsbau einstellen, hätte aber die bestehenden jüdischen Siedlungen und das Jordantal annektieren dürfen. Trumps Plan gewährte Israel damit den Freibrief zur Annexion von insgesamt rund 30 Prozent des palästinensischen Gebiets, ohne vorherige Verhandlungen mit den Palästinenser*innen.
Doch zur Umsetzung kam es nicht. Stattdessen schloss Israel die Abraham-Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und weiteren arabischen Ländern, ebenfalls orchestriert von der Trump-Regierung. Diese Normalisierungsabkommen dienen ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen, insbesondere aber dem Ziel, eine breite Front gegen den Iran und seine verbündeten islamistischen Gewaltakteure in der Region zu etablieren. Als Faustpfand für die Abkommen verzichtete Israel auf die Annexion der in Trumps Friedensplan vorgesehenen Gebiete des Westjordanlands. Die Abkommen zählen fraglos zu den Erfolgen der Trumpschen Außenpolitik, sorgen sie doch für einen Ausgleich zwischen den Golfmonarchien und Israel. Die Frage nach palästinensischer Souveränität spielt darin jedoch kaum eine Rolle. Auch der Normalisierungsprozess mit Saudi-Arabien, den die Biden-Regierung fortgeführt hat, klammert die die palästinensische Frage bislang weitgehend aus (Hagemann 2023); erst der der Terrorangriff der Hamas beendete jedoch jäh diesen Annäherungsprozess.
Die jüngsten Äußerungen Trumps im Wahlkampf schließen nahtlos an seine Politik der ersten Amtszeit an. Trump unterstützt die israelische Offensive im Gaza-Streifen, deutete aber an, dass Israel dabei sei, den Kampf um die öffentliche Meinung zu verlieren. An Netanjahu gewandt sagte er, dieser solle tun, was er tun müsse „[to] finish up the war“. Nach dem iranischen Raketenangriff Anfang Oktober empfahl Trump Israel zudem, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Generell ist Trumps Nahostpolitik von der Unterstützung Israels und einem harten Kurs gegenüber dem Iran geprägt. Im Gegenzug strebt Trump gute Beziehungen zu Saudi-Arabien an. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel nach dem Vorbild der Abraham-Abkommen könnte daher ins Zentrum von Trumps Politik rücken. Der Status der palästinensischen Gebiete spielt hingegen eine nachrangige Rolle. Trumps Positionen zum Nahostkonflikt und zur jüngsten Eskalation in der Region spiegeln auch die Präferenzen seiner Stammwählerschaft, nämlich konservativer Republikaner und evangelikaler Christen, die traditionell pro-israelisch eingestellt sind.
Kamala Harris erbt das Dilemma Bidens
Mit Blick auf Kamala Harris‘ Positionen zum Gaza-Krieg und zum israelisch-palästinensischen Konflikt deutet viel auf eine Kontinuität mit der bisherigen Politik der US-Regierung hin. Harris unterstützt das Ziel der israelischen Regierung, die Hamas zu eliminieren. Sie hat – ebenso wie Biden – stets das Selbstverteidigungsrecht Israels hervorgehoben und weitere militärische Unterstützung zugesichert. Jedoch hat Harris früher als Biden einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg gefordert und auf die humanitäre Katastrophe hingewiesen. Sie forderte Israel auf, Zivilist*innen besser zu schützen und mehr humanitäre Hilfe zuzulassen.
Kamala Harris hält wie Joe Biden am langfristigen Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung fest. Dazu müsse die palästinensische Autonomiebehörde revitalisiert werden, um Gaza und das Westjordanland regieren zu können. Vor den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 hat die Biden-Harris-Regierung zudem die Annäherung Israels und Saudi-Arabiens vorangetrieben. Zu diesem Zweck verhandelte die US-Regierung über Sicherheitsgarantien für Saudi-Arabien, eine Kooperation im Bereich ziviler Nuklearenergie sowie israelische Konzessionen gegenüber den Palästinenser*innen. Mit Blick auf ihre Wählerschaft ist es für Kamala Harris jedoch schwieriger als für Donald Trump, sich im laufenden Wahlkampf zu positionieren. Sie erbt das Dilemma der Biden-Administration, zwischen der zunehmenden Kritik auch aus den Reihen der demokratischen Partei und der traditionell starken Solidarität mit Israel navigieren zu müssen.
Der Vergleich zwischen Trump und Harris zeigt: Trump ist klar auf Seiten der aktuellen israelischen Regierung und schert sich wenig um rechtliche und politische Bedenken – weder mit Blick auf die israelische Kriegführung noch hinsichtlich möglicher Annexionspläne Israels. Jedoch hat er mit seiner Unterstützung der Abraham-Abkommen für eine Befriedung der Beziehungen Israels zu einigen der Golfstaaten beigetragen. Harris‘ Position sucht eher einen Mittelweg. Sie beklagt die hohe Zahl ziviler Opfer und die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen, fordert einen Waffenstillstand und kritisiert die Siedlungen – stellt sich aber insgesamt in die US-amerikanische Tradition der Unterstützung des israelischen Staates.
Die USA: ein erfolgloser Vermittler in Nahost
Diese Tradition ist jedoch seit Jahrzehnten dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht an der zu Grunde liegenden Problematik des israelisch-palästinensischen Konflikts rüttelt. Zwar spricht Kamala Harris von der Zwei-Staaten-Lösung als dem einzig gangbaren Weg zu einer dauerhaften Beilegung des Konflikts. Doch der Blick in die Geschichte US-amerikanischer Nahostpolitik lässt Zweifel aufkommen, ob diesem Bekenntnis Taten folgen werden. Zu tief ist in der US-amerikanischen politischen Kultur verwurzelt, was Jerome Slater die Mythologien des Nahostkonflikts nennt (Slater 2021): Der zentrale Mythos, so Slater, kumuliere im berühmten Satz des ehemaligen israelischen Außenministers Abba Eban aus dem Jahr 1973, dass die Araber nie eine Gelegenheit verpassten, um eine Gelegenheit zu verpassen („The Arabs never miss an opportunity to miss an opportunity“). Dieser bis heute viel zitierte Satz insinuiert, dass allein die arabischen und palästinensischen Akteure die Verantwortung dafür tragen, dass keine der Friedensinitiativen seit den 1970er Jahren von Erfolg gekrönt war.
Doch die historische Evidenz entlarvt diesen Mythos der einseitigen Verantwortung für das Scheitern. Ohne Zweifel haben arabische und palästinensische Führungen ihren Anteil an verpassten Friedenschancen. Weit häufiger waren jedoch die israelischen Regierungen nicht zu Kompromissen bereit, wenn es um die Kernfragen des Konflikts wie die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die Rückkehr von palästinensischen Flüchtlingen, den Status Jerusalems oder die künftigen Grenzen ging. Die USA als wichtigster Verbündeter Israels haben diese mangelnde Kompromissbereitschaft mit ihrer meist bedingungslosen Unterstützung ermöglicht und mitgetragen: „[…] even when American governments have disagreed with hard-line Israeli policies, only rarely have they been willing to press for changes in them“ (Slater 2021: 11; vgl. Khalidi 2013).
Eine Einschätzung, die auch für die Politik der Biden-Harris-Regierung im vergangenen Jahr Gültigkeit beanspruchen kann. Die Gründe für diese Politik sind vielfältig: Sie reichen von einer aus dem Holocaust abgeleiteten Verantwortung für den jüdischen Staat über die postulierten Gemeinsamkeiten in der religiös-moralischen Wertebasis und der demokratischen Kultur bis hin zum Einfluss pro-israelischer christlich-evangelikaler und jüdischer Organisationen sowie handfesten geopolitischen Interessen in der Region des Nahen Ostens.
Ob Trump oder Harris – eine Konfliktlösung ist nicht in Sicht
Die Unterschiede zwischen Trumps und Harris‘ Positionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt werden sich auf den weiteren Verlauf des Konflikts und die israelischen und palästinensischen Gesellschaften auswirken. Insbesondere Trumps Äußerungen lassen befürchten, dass er Netanjahu und seinen rechtsextremen Koalitionspartnern weitgehend freie Hand lassen würde – allen völkerrechtlichen Bedenken gegenüber der aktuellen Kriegführung und der Besatzung der palästinensischen Gebiete zum Trotz. Das würde auch die deutsche Regierung herausfordern, die bislang immer an der Zwei-Staaten-Lösung festgehalten und die israelische Siedlungspolitik kritisiert hat.
Eine neue Regierung unter Kamala Harris würde an der grundsätzlichen Konfliktkonstellation nur etwas ändern, wenn sie der Forderung nach einer politischen Lösung die notwendigen Taten folgen ließe. Dazu müsste sie die Einflussmöglichkeiten der USA auf Netanjahus Regierung konsequent nutzen – beispielsweise mit Blick auf die Waffenlieferungen. Zugleich müsste Harris die arabischen Nachbarstaaten stärker in die Pflicht nehmen, konstruktiv zur Zukunft eines palästinensischen Staates beizutragen. Ein Neustart der Normalisierungsbestrebungen beispielsweise mit Saudi-Arabien sollte dann auch eine Perspektive für palästinensische Staatlichkeit enthalten. Wenn Harris – oder Biden in seinen letzten Wochen vor der Amtsübergabe – Israel tatsächlich stärker unter Druck setzten, wäre auch die Bundesregierung gefordert, ihre bisherige Politik der Unterstützung Israels zu überdenken. Da Harris sich aber augenscheinlich anschickt, die Politik der USA seit rund fünf Jahrzehnten fortzusetzen, ist damit eher nicht zu rechnen.