Am 7. Juli beschlossen 122 Staaten – Zweidrittel der Mitglieder der Vereinten Nationen (UN) – ein umfassendes und rechtlich bindendes Verbot von Atomwaffen. Damit senden sie eine klare Botschaft an die Länder, die in ihrer Sicherheitspolitik weiterhin auf atomare Abschreckung bauen und den Verhandlungsprozess daher boykottierten. Ohne den Beitritt auch nur eines einzigen Kernwaffenstaates besteht natürlich die Sorge, der Verbotsvertrag könne zum reinen Papiertiger werden. Dennoch ist die erstmalige völkerrechtlich bindende Ächtung von Atomwaffen ein bedeutsamer Schritt in Richtung einer nuklearwaffenfreien Welt. Daneben birgt der Vertrag einen weiteren Nutzen, indem er die Unzufriedenheit der Nichtkernwaffenstaaten und der Zivilgesellschaft mit der mangelnden Abrüstungsbereitschaft der Kernwaffenstaaten produktiv wendet.
Engagement von unten, Boykott der Mächtigen
Dass es überhaupt zu einem Verbotsvertrag kam, ist dem beharrlichen Engagement der Zivilgesellschaft sowie abrüstungsfreundlichen Nichtkernwaffenstaaten zu verdanken: Unzufrieden mit dem im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) zementierten „Sonderstatus der Atommächte“ und mangelnden Fortschritten bei der nuklearen Abrüstung hatten sie sich 2010 in der sogenannten „Humanitären Initiative“ zusammengeschlossen. Diese nahm die verheerenden humanitären Konsequenzen eines Kernwaffeneinsatzes zum Anlass, um die Ächtung von Atomwaffen zu fordern. Einer Serie internationaler Konferenzen (2013 in Oslo, 2014 in Nayarit und Wien) folgten 2013 und 2016 mehrwöchige Diskussionen in einer Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (Open-Ended Working Group on Nuclear Disarmament) in Genf. Im Dezember 2016 schließlich setzten die UN-Mitgliedstaaten den Startschuss für Verhandlungen über ein vollständiges Verbot von Atomwaffen – gegen den erklärten Willen der Kernwaffenstaaten und ihrer Verbündeten – darunter auch Deutschland –, die ihren Unmut durch eine Protestkundgebung außerhalb des Plenarsaales der UN-Vollversammlung zum Ausdruck brachten.
Widerstand äußerten also wenig überraschend vor allem Staaten, deren Politik von einer Verbotsnorm betroffen wäre: Keiner der offiziellen und inoffiziellen Kernwaffenstaaten nahm an den Verhandlungen teil. Zwar wagte keiner, das Ziel einer kernwaffenfreien Welt in Abrede zu stellen, denn hierzu verpflichtet langfristig gesehen auch der NVV. Die amtierende UN-Botschafterin der USA, Nikki Haley, erklärte anlässlich des Beginns der Verhandlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag, „there is nothing I want more for my family than a world with no nuclear weapons.” Allerdings sei die Zeit noch nicht reif für eine Verbotsnorm: Zuerst müssten sicherheitspolitische Rahmenbedingungen geschaffen werden, innerhalb derer man bedenkenlos auf die Atomwaffen zugeschriebene Abschreckungswirkung verzichten könne. Diese Haltung teilen auch mit den USA verbündete Staaten sowie andere Kernwaffenbesitzer. Einem kategorialen Verbot sei ein schrittweiser Abrüstungsprozess im Rahmen des NVV vorzuziehen, ein zusätzlicher Verbotsvertrag dagegen könnte das bestehende nukleare Nichtverbreitungsregime schwächen.
Artikel VI des NVV (pdf) verpflichtet die Kernwaffenstaaten dazu, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung.“ Aus Sicht der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft sind sie diesem Versprechen bislang jedoch nicht oder nur unzureichend nachgekommen. Nach einer kurzen Hochphase nach dem Ende des Ost-West-Konflikts befindet sich der Prozess nuklearer Abrüstung gegenwärtig auf einem Tiefpunkt. Damals hatten die USA und Russland Reduzierungen ihrer strategischen Atomwaffenarsenale vereinbart und damit die Zahl der weltweit existierenden Kernwaffen drastisch reduziert. Heute stagniert der rüstungskontrollpolitische Dialog zwischen den USA und Russland ebenso wie derjenige zwischen Indien und Pakistan bzw. Indien und China. Mit dem Ziel strategischer Balance vergrößern China, Indien, Nordkorea und Pakistan beständig ihre Nuklearwaffenarsenale. Alle Atommächte investieren mehr oder minder kräftig in die Modernisierung ihrer Programme und blockieren (ausgenommen Frankreich, Großbritannien und Russland) das Inkrafttreten des umfassenden Atomteststoppvertrages. Kurzum, Atomwaffen scheinen für die Mächtigen nach wie vor die gängige „Währung der Macht“ zu sein.
Delegitimierung durch Ächtung von Atomwaffen
Gerade vor diesem Hintergrund feierten seine Befürworter das Atomwaffenverbot als einen historischen Meilenstein. Einige sehen darin gar den Grundstein für die endgültige Vernichtung von Atomwaffen. Tatsächlich schließt der Vertrag eine rechtliche Lücke, indem er neben der Herstellung, dem Einsatz und Besitz auch die Drohung mit einem Nuklearschlag sowie den Transfer und die Stationierung von Atomwaffen in anderen Staaten verbietet. Zwar enthält der Vertragstext Schwachstellen, insbesondere bezüglich der Überwachung der Vertragseinhaltung (hier wäre die Verpflichtung auf das Zusatzprotokoll als Verifikationsstandard wünschenswert gewesen), dem Umgang mit Vertragsverletzungen oder der Reichweite und Definition einzelner Regelungen. So untersagt der Vertrag zwar die Unterstützung verbotener Handlungen, unklar ist jedoch, ob darunter auch die Beteiligung an militärischen Vorbereitungen zum Einsatz von Atomwaffen, die Finanzierung ihrer Entwicklung und Herstellung oder ihr Transit fallen. Viele dieser Punkte werden auf der ersten Staatenkonferenz nach Inkrafttreten des Vertrags zu klären sein.
Nichtsdestotrotz hält der Vertrag unmissverständlich fest, dass Atomwaffen illegal sind und bricht damit mit dem Status quo. Neben biologischen und chemischen Waffen unterliegen nun auch Atomwaffen erstmals einem kategorialen völkerrechtlichen Verbot. Letztendlich werden Atomwaffen durch die Schaffung einer internationalen Verbotsnorm völkerrechtlich delegitimiert. Ein Festhalten am Konzept nuklearer Abschreckung ist zwar solange nicht völkerrechtswidrig, wie deren Verfechter sich nicht dem Verbotsvertrag anschließen. Sie werden dennoch rechtfertigen müssen, warum sie nach wie vor an einer Politik festhalten, die von der Staatenmehrheit als illegal und unmoralisch betrachtet wird.
Zwar (vorerst) keine faktische Abrüstung, aber moralische Sogkraft
Nun könnte man fragen – und von Seiten der Vertragskritiker ist dies auch wiederholt eingewandt worden – was ein Verbotsvertrag bringen soll, dem die Kernwaffenstaaten nicht angehören? Tatsächlich bezeichneten Frankreich, Großbritannien und die USA den Vertrag mit Verweis auf die derzeitige Situation in Nordkorea kurz nach seiner Verabschiedung als realitätsfern und verkündeten, sie beabsichtigten nicht, ihm jemals beizutreten. Stattdessen fordern sie eine Stärkung des NVV. Eine solche Aussage erweckt den Eindruck, dass es sich um eine Entweder-oder-Situation handele und das Atomwaffenverbot in Konkurrenz zum NVV stünde. Dies ist schlicht falsch: Der Vertragstext hält fest, dass beide komplementär zu verstehen sind. Zwar konnten sich die Verhandlungsteilnehmer nicht darauf einigen, die Beziehung beider Konventionen in einem eigenen Paragraph detaillierter auszuführen. Auch konnte sich der Vorschlag nicht durchsetzen, den Beitritt zum Verbotsvertrag mit einer Mitgliedschaft im NVV zu koppeln. In der Präambel werden die Vertragsparteien aber aufgefordert, ihren aus dem NVV resultierenden Pflichten nachzukommen. Die Sorge, Nichtkernwaffenstaaten könnten den NVV mit Verweis auf die moralische Überlegenheit des neuen Vertrages verlassen, scheint damit ausgeräumt, zumal der Verbotsvertrag alle Mitglieder dazu verpflichtet, sich dem Verifikationsregime des NVV zu unterwerfen.
Die sofortige Abrüstung auch nur einer einzigen Atomwaffe ist also durch den Vertragsschluss erst einmal nicht zu erwarten. Dennoch zeigen Beispiele wie das Verbot von Landminen oder Streumunition, dass Abrüstungsprozesse auch ohne Beteiligung der Großmächte eingeleitet werden und die dahinter stehenden Verbotsnormen moralische Wirkung entfalten können, denen sich große Staaten irgendwann nur noch schwerlich verweigern können. Die Humanitäre Initiative hat den normativen Kontext und öffentlichen Diskurs dahingehend verändert, dass Atomwaffen als dringlich zu verbietende Gefährdung der menschlichen Sicherheit wahrgenommen werden. Der Verbotsvertrag wird die Stigmatisierung von Atomwaffen festigen und der Zivilgesellschaft ein weiteres Instrument an die Hand geben, politischen Druck aufzubauen. Mit dem Verbotsvertrag wird die vermeintliche Legitimität von Atomwaffen, die der NVV durch die Anerkennung von fünf „offiziellen“ Kernwaffenstaaten suggeriert, aberkannt.
Ermächtigung der Nichtkernwaffenstaaten und zivilgesellschaftlicher Akteure
Neben dem praktischen Ziel einer atomwaffenfreien Welt ist entscheidend, dass der Vertrag die Unzufriedenheit der Nichtkernwaffenstaaten und der Zivilgesellschaft mit den mangelnden Abrüstungsschritten der Kernwaffenstaaten adressiert. Nukleare Abrüstung, das hält der Verbotsvertrag unmissverständlich fest, ist künftig nicht mehr allein deren Sache. Den Abrüstungsbefürwortern ist ein beeindruckendes Lehrstück gelungen, in dessen Verlauf sie nicht nur die Diskurshoheit erobern, sondern auch zeigen konnten, dass es möglich ist, internationales Recht gegen den Willen und ohne die Beteiligung der mächtigen Staaten zu verhandeln. Gerade in der Sicherheitspolitik stellt dies für vermeintlich schwache Akteure aus der Zivilgesellschaft und kleinere Staaten eine Ermächtigung dar. Einmal mehr wird damit die gemeinsame Verantwortung der Staatengemeinschaft für die Zukunft des Planeten unterstrichen.
Der Verbotsvertrag wird also zwar nicht unmittelbar dazu führen, dass Atomwaffen vollständig abgerüstet werden. Aber er erhöht den Druck auf die Kernwaffenbesitzer, den Weg in eine atomwaffenfreie Welt zu beschleunigen – künftig wird das Festhalten an der Doktrin nuklearer Abschreckung stärkerer Rechtfertigungen bedürfen. Genau darin liegt die Sogkraft von Normen, dem werden sich auf lange Sicht auch die Kernwaffenstaaten nicht ohne Weiteres entziehen können.
Es bleibt viel zu tun
Freilich, der Weg zur vollständigen Abrüstung von Atomwaffen wird ein weiter sein. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass der Verbotsvertrag in das bestehende nukleare Nichtverbreitungsregime integriert wird. Solange eine Welt ohne Atomwaffen noch nicht erreicht ist, sollte die Staatengemeinschaft dieses weiterhin ausbauen, um Proliferationsgefahren effektiv begegnen zu können. Dafür sind auch weitere multilaterale und bilaterale Maßnahmen im Bereich der Abrüstung, Nichtverbreitung sowie der nuklearen Sicherheit nötig, insbesondere bei fortgesetzter ziviler Nutzung von Kernenergie (die der Verbotsvertrag bedauerlicherweise als ein Recht aller Vertragsparteien in der Präambel festhält).
Die Abrüstungsbefürworter ihrerseits werden kaum Gelegenheit haben, sich von den Strapazen der gerade abgeschlossenen Verhandlungen zu erholen: Der Vertrag soll am 20. September 2017 zur Unterschrift freigegeben werden. Damit er in Kraft treten kann, sind 50 Ratifizierungen notwendig. Angesichts der überwältigenden Unterstützung der Staatenmehrheit scheint dies kein schweres Unterfangen. Die Zivilgesellschaft und den Vertrag unterstützende Staaten sollten allerdings auf die Kernwaffenbesitzer und insbesondere ihre Verbündeten zugehen und versuchen, mit ihnen in Dialog zu treten. Diesbezüglich wäre auch Deutschland gut beraten, sich in den Deliberationsprozess einzubringen und bspw. an den künftigen Vertragsstaatenkonferenzen des Verbotsvertrages als Beobachter teilzunehmen. Durch den Boykott des Verhandlungsprozesses und die kategoriale Ablehnung des Vertrags verschenkt die Bundesrepublik eine Möglichkeit, sich einzubringen. Über kurz oder lang wird sie gezwungen sein, stärker Stellung zu beziehen: Die Stationierung amerikanischer Atomwaffen auf deutschem Boden ist nicht nur nicht mehr zeitgemäß, sie ist künftig auch nur schwer mit dem Geist des Verbotsvertrages vereinbar. Mit der Verabschiedung des Atomwaffenverbots hat die internationale Staatengemeinschaft Tatsachen geschaffen. Statt sich diesen zu verweigern, sollte Deutschland sich auf sein traditionelles Engagement für Rüstungskontrolle und Abrüstung besinnen und die globale Ächtung von Atomwaffen tatkräftig unterstützen.