Die Wahlen in Burkina Faso bedeuten vor allem hinsichtlich der Opposition eine Veränderung. Foto: picture alliance/REUTERS/Zohra Bensemra
Die Wahlen in Burkina Faso bedeuten vor allem hinsichtlich der Opposition eine Veränderung. Foto: picture alliance/REUTERS/Zohra Bensemra.

Burkina Faso nach den Wahlen: „Wir werden einen neuen Stil der Opposition erleben.“

Im fünften und letzten Interview der Blogreihe zu den Wahlen in Burkina Faso haben Simone Schnabel und Antonia Witt mit dem Politikwissenschaftler Dr. Abdoul Karim Saidou gesprochen. Saidou lehrt an der Universität von Ouagadougou und arbeitet am Centre pour la Gouvernance Démocratique du Burkina Faso (CGD), einem Think Tank in Ouagadougou, der sich für Demokratisierung und gute Regierungsführung einsetzt. Das CGD ist auch Projektpartner der HSFK. Dr. Abdoul Karim Saidou arbeitet zu Themen der Demokratisierung und Sicherheitssektorpolitik und hat in internationalen Fachzeitschriften publiziert.


Die Wahlen in Burkina Faso fanden am 22. November 2020 statt. Wie würden Sie den Verlauf der Wahlen beurteilen, insbesondere vor dem Hintergrund der sehr angespannten Sicherheitslage?

Zunächst einmal ist es eine gute Sache, dass die Wahlen überhaupt stattgefunden haben und der Wahlkalender trotz der Unsicherheiten und der Sicherheitskrise eingehalten werden konnte. Die Wahlen verliefen gut, trotz der Sicherheitslage, in der sich das Land derzeit befindet. Es gab keine sicherheitsrelevanten Zwischenfälle, es gab keine Angriffe oder Gewalt am Wahltag. Das ist also bereits eine gute Sache. Es muss jedoch auch betont werden, dass es trotzdem Unregelmäßigkeiten gab, und mehr Probleme als noch 2015. Obwohl die Wahlen also insgesamt friedlich verliefen, gab es Rückschritte in organisatorischer Hinsicht.

Mit Blick auf die Ergebnisse: Der derzeitige Präsident Roch Kaboré wurde mit 58% der Stimmen wiedergewählt, seine Partei, die MPP (Mouvement du Peuple pour le Progrès), ging mit 56 von insgesamt 125 Sitzen in der Nationalversammlung als stärkste Kraft hervor. Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?

Ich denke, die Ergebnisse festigen die Position von Roch Kaboré und seiner Partei (MPP), denn mit diesen Ergebnissen haben sie eine sehr viel solidere Mehrheit als zuvor. 2015 hatte die MPP eine einfache Mehrheit, aber sie brauchte die Unterstützung anderer Parteien, darunter der NTD (Nouveau Temps pour la Démocratie), um eine absolute Mehrheit zu bekommen. Mit den Ergebnissen, die sie bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen, vor allem aber bei den Parlamentswahlen erzielt haben, verfügen sie jetzt mit der NTD, die zur drittgrößten politischen Kraft geworden ist, und die eine sehr enge Verbündete ist, über eine absolute Mehrheit. Mit Blick auf die Ergebnisse lässt sich also sagen, dass die Opposition stark geschwächt und das Lager von Präsident Kaboré gestärkt ist.

Nur als Erinnerung, wie war die Verteilung der Sitze in der Nationalversammlung für die MPP während der letzten Regierung?

Im Parlament ist die MPP in der Tat sehr konstant. 2015 lag sie bei 55 Sitzen und dieses Mal 56. Bei der UPC (Union pour le Progrès et le Changement) hat es Veränderungen gegeben, sie sind von 33 auf 12 Sitze gefallen, das heißt, die UPC ist sehr geschwächt aus den Wahlen herausgegangen. Das Ergebnis der CDP (Congrès pour la Démocratie et le Progrès und Partei des alten Regimes unter Blaise Compaoré, Anm. d. Redaktion) ist relativ konstant, sie hatten seit 2015 18 Sitze, diesmal haben sie 20. Dann die NTD, die zuvor drei Sitze innehatte und jetzt bei 13 ist. Was die Parlamentswahlen insgesamt betrifft, so ist also der erhebliche Rückgang der Zahl der Abgeordneten für die UPC von 33 auf zwölf Sitze bemerkenswert, ebenso der deutliche Anstieg der NTD von drei auf 13 Sitze.

Im Laufe des Jahres hat die Mehrheit der Opposition ein Abkommen geschlossen, um im Falle einer möglichen zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen gegen Kaboré zu stimmen. Hat dieses Abkommen jetzt noch Gewicht, insbesondere im Hinblick auf die Arbeit der Opposition in der Nationalversammlung?

Nein, diese Vereinbarung ist jetzt nicht mehr aktuell, denn es wurde darin vereinbart, dass die Oppositionsparteien den Oppositionskandidaten im Falle einer Stichwahl bei den Präsidentschaftswahlen unterstützen würden. Da es aber keine zweite Runde mehr gibt, ist das nicht mehr relevant. Die Opposition wird sich in der neu gewählten Nationalversammlung (Parlament) neu organisieren. Wenn der Oppositionsführer ernannt ist, werden die Parteien ihre Positionen beziehen – und sich aufteilen in diejenigen, die die Regierung unterstützen werden, und diejenigen, die in die Opposition gehen werden. Damit werden wir eine Klärung der Positionen und Interessen sehen.

Bislang haben die meisten Oppositionskandidaten dem neuen Präsidenten gratuliert und die Ergebnisse akzeptiert. Besteht dennoch die Möglichkeit, dass einige Oppositionsparteien Beschwerden gegen die Ergebnisse und bestimmte Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Wahlen einreichen werden?

Für die Präsidentschaftswahl wird es offenbar keine Berufung geben. Die CDP hat auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass es keine Vereinbarung mit den anderen Oppositionskandidat*innen gab, eine Beschwerde einzureichen, sodass es keine Berufung für die Präsidentschaftswahl geben wird. Was die Parlamentswahlen angeht, wird die Opposition ihre Kandidat*innen auffordern, von Fall zu Fall Beschwerden einzureichen, da dies auf Provinzebene geschieht. Ich denke, dass es für die Parlamentswahlen bereits eine Reihe von Einsprüchen gab, die beim Verfassungsgericht eingegangen sind. Es gibt Berufungsverfahren, aber diese müssen wirklich auf der Ebene der Provinzen von Fall zu Fall entschieden werden.

Der Kandidat der Partei des ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré, Eddie Komboïgo, ging als zweitstärkster Kandidat aus dem Wahlgang hervor. Wie wird sich dieses Ergebnis auf die Arbeit der Opposition auswirken?

Wenn ich mir die Ergebnisse der Opposition anschaue, werden wir einen neuen Stil der Opposition erleben, denn der frühere Oppositionsführer, Zéphirin Diabré, agierte moderater. Ich denke, dass die Opposition mit der CDP ein bisschen stärker, ein bisschen engagierter sein wird, weil die Persönlichkeiten von Eddie Komboïgo (CDP) und Zéphirin Diabré (Union pour le Progrès et le Changement, UPC) sehr verschieden sind. Zum Beispiel haben alle Kandidat*innen der Präsidentschaftswahlen Präsident Kaboré gratuliert – alle, außer Eddie Komboïgo. Er und General Zida (ebenfalls Präsidentschaftskandidat 2020 und Interims-Premierminister nach dem Sturz von Blaise Compaoré im Oktober 2014, Anm. d. Redaktion) sind die einzigen, die Präsident Kaboré noch nicht gratuliert haben. Das zeigt bereits, und wir wissen, dass die MPP, die Partei des Präsidenten, aus der CDP hervorgegangen ist, dass der eigentliche Widerspruch  zwischen der MPP und der CDP liegt. Wenn also die CDP in der Opposition die Führung übernimmt, würde ich sagen, dass die Opposition noch energischer sein wird und dass es noch mehr Konflikte zwischen der Präsidentschaftsmehrheit und der Opposition geben wird. Selbst wenn die Opposition nach den Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen geschwächt ist.  Aufgrund der Beziehung zwischen der CDP und der MPP und der Persönlichkeit von Eddie Komboïgo kann man eine viel konfliktreichere Beziehung erwarten, als wir sie in den letzten fünf Jahren gesehen haben.

Was können wir im Hinblick auf die Rückkehr der Hauptakteure des früheren Regimes, insbesondere Blaise Compaoré und General Zida, erwarten?

Das wird sicherlich von den Verhandlungen mit der Regierung über ihre Rückkehr abhängen, aber ich glaube, ihre politischen Lager sind geschwächt. Zida ist geschwächt, er konnte nicht einmal fünf Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Wenn er mehr Mobilisierungskraft gehabt hätte, hätte er vielleicht einen größeren Zulauf bekommen und dann Präsident Kaboré dazu bringen können, mit ihm zu verhandeln. Aber mit den Ergebnissen, die er erzielt hat, macht ihn das, meiner Meinung nach, noch schwächer als vor den Wahlen. Auch die Ergebnisse der CDP schwächen das Lager des alten Regimes, denn wenn die CDP viele Abgeordnete bekommen hätte oder wichtige Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen, dann hätte das gezeigt, dass sie immer noch eine große Kraft ist, mit der man rechnen muss, und das hätte Präsident Kaboré zu Verhandlungen gezwungen. Aber ich glaube, ob es sich nun um Blaise Compaoré oder Zida handelt, die Ergebnisse, die sie bei den Wahlen erzielt haben, machen beide noch schwächer als zuvor. Dass Zida weniger als fünf Prozent der Stimmen bekommen hat, zeigt, dass er nicht so bedeutsam ist, so dass man nicht verpflichtet ist, mit ihm über die Macht zu verhandeln.

Aber wird das Ergebnis des CDP-Kandidaten Eddie Komboïgo Druck auf die Regierung ausüben können, damit sie eine würdige Rückkehr für Blaise Compaoré organisiert?

Ja, das ist möglich, aber Blaise Compaoré ist aktuell auch in mehrere juristische Prozesse  verwickelt, ob es sich nun um die Ermordung von Thomas Sankara (Militär, Revolutionär und Präsident Burkina Fasos von 1984 bis zu seiner Ermordung 1987, die bis heute nicht aufgeklärt wurde, Anm. d. Redaktion), Norbert Zongo (Investigativjournalist, der unter dem Regime von Blaise Compaoré 1998 ermordet wurde und dessen Mord ebenfalls bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist, Anm. d. Redaktion) etc. handelt. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der nicht akzeptieren wird, dass Compaoré  zurückkommen kann, ohne sich der Justiz zu stellen. Blaise Compaoré will natürlich genau das Gegenteil: Er will zurückkehren und dann begnadigt werden, er will nichts mit der Justiz zu tun haben. Für Präsident Kaboré wird es schwierig sein, bei einem Teil der Bevölkerung dafür Akzeptanz zu finden. Und er selbst hat aus politischen Gründen kein Interesse daran, Blaise Compaoré zurückzubringen, denn wenn Blaise Compaoré zurückkehrt, wird er seine politischen Aktivitäten wieder aufnehmen und für die MPP wird es schwierig sein, ihre dominante Position zu erhalten.

Noch einmal zurück zur Sicherheitslage: Sie war eines der wichtigsten Themen bei den Wahlen. Die Oppositionskandidat*innen haben Vorschläge für zivile Ansätze der Konfliktbearbeitung gemacht, die neben den militärischen Ansätzen standen, die von Kaboré in den letzten fünf Jahren bevorzugt wurden. Was können wir in den kommenden fünf Jahren erwarten?

Hier wird es v.a. Kontinuität geben, denn Präsident Kaboré hat keine neuen Ankündigungen im Hinblick auf seine Sicherheitsstrategie gemacht. Er wird nach der gleichen Logik vorgehen, er wird nicht mit den Terroristen verhandeln. Er hat Reformen angestoßen und ich denke, eines der Projekte, an denen er arbeiten wird, ist die Reform der nationalen Sicherheitspolitik. Es gibt eine nationale Sicherheitspolitik, die im Anschluss an das Nationale Sicherheitsforum 2007 entwickelt wurde, die aber noch nicht verabschiedet ist. Ich glaube, mit Blick auf die Reformen ist das wichtigste Feld die Ausarbeitung einer sektorspezifischen Politik im Rahmen der nationalen Sicherheitspolitik, die zwischen 2018 und 2019 ausgearbeitet wurde. Zusammengefasst denke ich aber nicht, dass es zu größeren Veränderungen oder Umwälzungen kommen wird, es wird eher Kontinuität geben.

Simone Schnabel
Simone Schnabel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Programmbereich „Glokale Verflechtungen“ der HSFK, wo sie zu afrikanischen Regionalorganisationen und der afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur sowie zu internationaler Entwicklungszusammenarbeit arbeitet. // Simone Schnabel is a Doctoral Researcher at PRIF’s Research Department “Glocal Junctions” where she is working on African regional organizations and the African Peace and Security Architecture, as well as on International Development Cooperation. | Twitter: @schnabel_simone
Antonia Witt
Dr. Antonia Witt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin der Forschungsgruppe „African Intervention Politics“ im Programmbereich „Glokale Verflechtungen“ der HSFK, wo sie zu afrikanischen Regionalorganisationen und zur Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur forscht. // Dr. Antonia Witt is a Senior Researcher and Leader of the Research Group “African Intervention Politics” at PRIF’s Research Department “Glocal Junctions” where she is working on African regional organizations and the African Peace and Security Architecture.

Simone Schnabel

Simone Schnabel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Programmbereich „Glokale Verflechtungen“ der HSFK, wo sie zu afrikanischen Regionalorganisationen und der afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur sowie zu internationaler Entwicklungszusammenarbeit arbeitet. // Simone Schnabel is a Doctoral Researcher at PRIF’s Research Department “Glocal Junctions” where she is working on African regional organizations and the African Peace and Security Architecture, as well as on International Development Cooperation. | Twitter: @schnabel_simone

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