Feld mit Markierungen, die Streumunition anzeigen
Streumunition ist noch lange nach der Kampfhandlung für Zivilist*innen gefährlich | Foto: Anna Macdonald/Oxfam via Flickr | CC BY-NC-ND 2.0

Militärisch nützlich, moralisch verwerflich? Die Debatten um die US-Lieferungen von Streumunition an die Ukraine

Die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, Streumunition an die Ukraine zu liefern, hat nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch in Deutschland zu intensiven Debatten geführt. Während die eine Seite auf den militärischen Nutzen von Streumunition verweist, um der Ukraine in ihrer Offensive entscheidende Vorteile zu gewähren, betonen die Gegner der Entscheidung die völkerrechtliche Ächtung und die moralische Notwendigkeit, diese Munition im Krieg nicht einzusetzen. Die Clustermunitionskonvention ruft alle Vertragsstaaten dazu auf, Nicht-Mitglieder, also auch die Ukraine, vom Einsatz solcher Munition abzubringen.

Die US-Entscheidung über die Lieferung von Clustermunition an die Ukraine

Der verteidigungspolitische Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Colin Kahl, ließ am Freitag die Bombe sprichwörtlich platzen. Teil eines weiteren, 800 Millionen Dollar teuren Paketes an militärischer Ausrüstung und Waffenhilfe für die Ukraine soll auch Clustermunition des Typs DPICM (dual-purpose improved conventional munition) sein. Inzwischen soll die US-Clustermunition in der Ukraine angekommen sein. Clusterbomben werden üblicherweise luftgestützt, also von Militärflugzeugen aus, abgeworfen. Der Container öffnet sich in der Luft und setzt eine große Stückzahl an Submunition frei, die sich über eine große Fläche ausbreitet und explodiert. Problematisch ist die hohe Fehlerquote dieser Submunition, die in der Regel zwischen 10-40 Prozent liegt. Besonders perfide ist daran, dass manche Submunition Getränkedosen ähnelt und durch ihre Versagensquote auch lange nach Ende der Kampfhandlungen Kinder oder Zivilist*innen verletzt oder gar tötet.

Im Fall der DPICM-Clustermunition ist diese artilleriegestützt und wird mittels Panzerhaubitzen verschossen, gibt aber ebenfalls im Flug ihre bis zu 80 Stück Submunition frei. Die Versagensquote soll hier zwischen 3-10 Prozent liegen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sollen bis zu 3,7 Millionen Clustermunition dieses Typs liefern können. US-Präsident Joe Biden sprach selbst von einer schwierigen Entscheidung, die er auch deshalb getroffen habe, weil der Nachschub für die Ukraine an Artilleriemunition nicht planmäßig laufe und die Ukraine zugesichert habe, die Clustermunition nur unter größter Vorsicht einzusetzen, unter anderem nicht in besiedelten Gebieten, sondern nur auf freiem Feld. Doch selbst wenn die Versagensquote nur bei den angegebenen 2,35 Prozent liegen sollte, wären das bis zu sieben Millionen nicht explodierter Submunition, die zu bereits verlegten russischen Anti-Personen- und Anti-Panzerminen, Clustermunition und anderer nicht explodierter Munition hinzukommen.

Mit der Clustermunitionskonvention (CMC), auch Oslo-Übereinkommen wegen des Verhandlungsortes genannt, ist diese Waffengattung seit 2010 ähnlich völkerrechtlich geächtet wie die Anti-Personenminen mit der entsprechenden Konvention (MBT) 1997. Die Vereinigten Staaten von Amerika und auch die Ukraine haben die CMC bislang nicht unterzeichnet. Allerdings hat der damalige US-Präsident George W. Bush 2008 angekündigt, bis 2018 alle US-Bestände an Clustermunition zu vernichten. Diese Direktive kippte US-Präsident Donald Trump 2017 im Zuge seiner Revision bestehender Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen. US-Präsident Joe Biden hatte diese Entscheidung bislang nicht rückgängig gemacht. Die DPICMs sind seit 2016 aus den US Militärarsenalen zwar ausgemustert, jedoch nicht zerstört worden.

Die Krise der Rüstungskontrolle und die Erfolge der Clustermunitionskonvention

Die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung sind nicht erst seit dem neuerlichen Angriff Russlands auf die Ukraine in der Krise – die strategische nukleare Rüstungskontrolle zwischen Russland und den USA ist vollkommen zum Erliegen gekommen. Einzig im Bereich der humanitären Rüstungskontrolle gibt es Erfolge zu verbuchen. Ziel der humanitären Rüstungskontrolle ist es, besonders grausame Waffen völkerrechtlich zu verbieten, weil sie unterschiedslos wirken und unnötiges Leid verursachen. Dies gilt im Besonderen für Anti-Personenminen und für Clustermunition, deren Einsatz, Herstellung, Lagerung und Export in eigenen Verträgen international verhandelt worden sind. Beide Konventionen habe eine enorme Geltungskraft erzielen können. So haben sich inzwischen 164 Staaten der Anti-Personenminenkonvention angeschlossen und 123 Staaten haben die Clustermunitionskonvention ratifiziert oder zumindest unterzeichnet. Russland, die Ukraine und die Vereinigten Staaten von Amerika sind beiden Konventionen nicht beigetreten.

Zum Erfolg der Clustermunitionskonvention zählt, dass kein Mitgliedsstaat diese Waffen jemals eingesetzt hat. Deutschland hatte eines der größten Arsenale an Clusterbomben und hat die Zerstörung von 573.000 Clusterbomben und 62 Millionen Stück Submunition im November 2015 abgeschlossen. Nicht immer kann sich die internationale Staatengemeinschaft auf ein Verbot einer besonders grausamen und unterschiedslos wirkenden Waffenkategorie einigen. So haben die Staaten sich nur für gemeinsame Regeln des Einsatzes von Explosivwaffen (EWIPA) in Städten entschieden, um die Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung zu unterstreichen. Erst im Juni 2023 ist unter deutschem Vorsitz ein globales Rahmenabkommen zur Munitionskontrolle entstanden, in dem vor allem die unkontrollierte und gefährliche Lagerung von Munition verhindert werden soll.

Der Einsatz von Clustermunition und seine humanitären Folgen

Im humanitären Völkerrecht werden verschiedene Ziele nebeneinandergestellt: Deshalb steht der Schutz der Zivilbevölkerung oftmals im Gegensatz zu militärischer Notwendigkeit. Human Rights Watch hat den Einsatz von Clustermunition in der Ukraine dokumentiert. So hat vor allem die russische Armee Clustermunition in der Ukraine aber auch Anti-Personenminen massiv eingesetzt. Human Rights Watch zählt allein 689 Zivilist*innen, die russischer Clustermunition zum Opfer gefallen sind. Ein neuer Bericht der UN-Sonderbeauftragen für Kinderrechte, Virginia Gamba, dokumentiert, dass auch ukrainische Kinder solchen Flächenbombardements zum Opfer gefallen sind. Aber auch die ukrainische Armee hat Clustermunition beispielsweise in der Stadt Izium in der Ostukraine eingesetzt – Human Rights Watch hat auch hier über Opfer unter ukrainischen Zivilist*innen berichtet.

Nur Nicht-Vertragsmitglieder des Oslo-Übereinkommen haben nach dessen Abschluss bislang Clustermunition eingesetzt. So beispielsweise durch die Assad-Regierung in Syrien gegen die eigene Bevölkerung aber auch von Saudi-Arabien im Krieg gegen die Houthis im Jemen. Insbesondere Saudi-Arabien wurde international für seine unterschiedslose Kriegsführung scharf kritisiert. Eine solche Form der unterschiedslosen Kriegsführung ist völkerrechtswidrig.

Das humanitäre Völkerrecht gilt auch für die Nicht-Mitglieder der Clustermunitionskonvention

Auch wenn weder Russland, die Ukraine oder die USA noch Syrien oder Saudi-Arabien gegen die Clustermunitionskonvention verstoßen, weil sie ihr bislang nicht beigetreten sind, so gibt es im humanitären Völkerrecht andere Vorschriften, an die sich alle Staaten halten müssen. Die Genfer Abkommen von 1949 bemühen sich darum, die Grausamkeiten des Krieges abzumildern. Sie schützen insbesondere Menschen, die nicht am Krieg teilnehmen, wie Zivilist*innen und Gesundheitspersonal. Die Genfer Konventionen enthalten aber auch Regeln für den Umgang mit Verletzten der Streitkräfte oder die Unterbringung von Gefangenen. Der Gemeinsame Artikel 3, der sich in allen vier Genfer Abkommen findet, wendet die Geltung des humanitären Völkerrechts auch auf nicht-internationale, also beispielsweise innerstaatliche Konflikte an. Die Genfer Konventionen sehen bei schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht auch die nationale Strafverfolgung solcher Verbrechen vor.

Das humanitäre Völkerrecht enthält zudem auch eine Reihe von Abkommen, in denen es darum geht, besonders grausame Waffen zu ächten. So sind sogenannte Dum-Dum-Geschosse schon seit 1899 geächtet und mit den Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 wurden zudem allgemeine Regeln aufgestellt, nach denen Waffen und Munition verboten sind, die unnötiges Leid anrichten. Sie finden sich auch in Artikel 35 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Konventionen von 1977. Solche Einsatzregeln und teilweise sogar Verbote ganzer Waffenkategorien wurden auch in den UN-Waffenkonventionen (CCW) festgelegt. Während sich die internationale Staatengemeinschaft im Hinblick auf ein Verbot von Anti-Personenminen im Rahmen der CCW nur auf Einsatzregeln einigen konnte, konnte sie 2005 mit dem Protokoll IV sogar ein präventives Verbot von blind machenden Laserwaffen beschließen. 2003 wurde das Protokoll zum Umgang mit explosiven Rückständen nach Kriegen auf den Weg gebracht, sowohl Russland, die Ukraine und die Vereinigten Staaten haben das Protokoll ratifiziert. Darin geht es unter anderem darum, die Risiken solcher Sprengstoffe, unter anderem auch Clustermunition, für die Zivilbevölkerung zu minimieren.

Solche Normen und Regeln zeigen, dass Staaten völkerrechtliche Grundregeln festgelegt haben und diese beständig weiter ausdehnen, nach denen an Konflikten beteiligte Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel der Kriegführung haben und beim Einsatz bestimmter konventioneller Waffen humanitäre Aspekte berücksichtigen müssen. Dennoch stehen sich im humanitären Völkerrecht zwei Prinzipien oftmals gegenüber: Das der militärischen Notwendigkeit, im Krieg Erfolge zu erzielen und hierfür bestimmte Waffen einzusetzen, und die humanitären Aspekte, das Leid gerade auch der Zivilbevölkerung möglichst gering zu halten. Genau an dieser Schnittstelle siedelt auch die Debatte zu den US-Lieferungen von Streumunition an die Ukraine an.

Zwischen militärischer Notwendigkeit und humanitärer Überlegung: Die Differenzen der NATO-Staaten

Die Entscheidung der Biden-Administration, die Streubomben an die Ukraine zu liefern, hat in den Vereinigten Staaten von Amerika aber auch bei NATO-Verbündeten für Unverständnis gesorgt. Vor allem Belgien, Großbritannien und Spanien haben öffentlich Kritik daran geäußert, dass die Biden-Administration sich zu dieser Entscheidung durchgerungen hat. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat auf die Bedeutung der Oslo-Konvention hingewiesen, allerdings keine weitergehende Kritik an der US-Entscheidung geübt, ähnlich hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz geäußert. In den Vereinigten Staaten haben Nichtregierungsorganisationen, allen voran die internationale Kampagne zum Verbot von Clustermunition, aber auch Kongressabgeordnete Kritik an der Entscheidung des US-Präsidenten geübt und diese mit humanitären Argumenten begründet. US-Präsident Biden hält dennoch an seiner Entscheidung und dem Argument der militärischen Nützlichkeit dieser Munition fest. Völkerrechtler*innen weisen allerdings darauf hin, dass die Lieferung durch die Vereinigten Staaten und der mögliche Einsatz durch die ukrainischen Streitkräfte keinen Bruch des Völkerrechts darstellt, weil beide Staaten nicht der Clustermunitionskonvention angehören und die Ukraine auch angekündigt hat, sich an spezifische Einsatzregeln zu halten, um der eigenen Bevölkerung nicht zu schaden.

Fazit: Moralische Aspekte und die Kraft sozialer Normen

Dennoch, so zeigen die bisherigen Erfahrungen, können zivile Opfer nicht ausgeschlossen werden, auch werden und sind Ackerflächen aufgrund der konventionellen Kriegführung Russlands ohnehin schon mit Munition verseucht. Die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden ist zwar völkerrechtlich legal, moralisch aber höchst umstritten, wie sich auch anhand der deutlichen Statements einiger Mitgliedsstaaten der Konvention zeigt. Sie ist auch als Tabubruch zu bewerten, weil sie gegen die Erwartungshaltung der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft verstößt, die Waffen zu ächten und nicht mehr einzusetzen. Auch das Argument, Russland habe ja ebenfalls Streubomben eingesetzt, ist in der Abwägung des Für und Wider ein schwaches.

In der Clustermunitionskonvention geht es darum, eine Waffenkategorie zu ächten und ultimativ weltweit zu verbieten. Den Export jetzt zu erlauben, verletzt zwar keine völkerrechtliche Norm im Sinne eines Vertragsverstoßes, wohl aber soziale Normen, wie die Erwartungshaltung der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft und der transnationalen Zivilgesellschaft, nicht auch weiterhin diese unterschiedslos wirkenden Waffen einzusetzen. In der internationalen Politik spielen solche sozialen Normen aber auch rechtlich nicht-bindende Normen eine wichtige Rolle, wie beispielsweise das nur politisch verbindliche Kleinwaffenaktionsprogramm (UNPoA) von 2001 zeigt. Auch muss es darum gehen, die Geltungskraft des humanitären Völkerrechts insgesamt zu stärken, also beispielsweise auch die Normen und Regeln der Genfer Konventionen anzuerkennen. Die ukrainische Seite hat versprochen, dies zu tun und klare Einsatzregeln für die US-Clustermunition benannt und dennoch ist die Gefahr weiterer ziviler Opfer nicht auszuschließen. Schließlich muss es bei all der schwierigen Abwägung auch darum gehen, die Rüstungskontrolle und Abrüstung insgesamt nicht aus dem Auge zu verlieren, um die es derzeit insgesamt schlecht bestellt ist. Ziel der humanitären Rüstungskontrolle muss es sein, solche Verbote wie das Oslo-Übereinkommen wirkungsvoll zu stärken und ihm universale Gültigkeit zu verleihen. Alle Mitgliedsstaaten haben sich bislang an die Normen der CMC gehalten. Die Vertragsstaaten sollen aber gerade auch Nicht-Mitglieder ermutigen, dem Vertrag beizutreten und sie auch vom „Einsatz von Streumunition abzubringen“. Diese wichtigen Ziele gilt es auch in Zukunft mit vereinten Kräften zu verfolgen.

Simone Wisotzki
Dr. habil. Simone Wisotzki ist Projektleiterin im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ am PRIF. Sie forscht zu humanitärer Rüstungskontrolle (Landminen, Clustermunition, Klein- und Leichtwaffen), Rüstungsexporten und Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. // Dr habil Simone Wisotzki is project manager at PRIF’s Research Department “International Security”. She conducts research on humanitarian arms control (landmines, cluster munitions, small arms and light weapons), arms exports, and gender perspectives in peace and conflict research. | Twitter: @SimoneWisotzki

Simone Wisotzki

Dr. habil. Simone Wisotzki ist Projektleiterin im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ am PRIF. Sie forscht zu humanitärer Rüstungskontrolle (Landminen, Clustermunition, Klein- und Leichtwaffen), Rüstungsexporten und Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. // Dr habil Simone Wisotzki is project manager at PRIF’s Research Department “International Security”. She conducts research on humanitarian arms control (landmines, cluster munitions, small arms and light weapons), arms exports, and gender perspectives in peace and conflict research. | Twitter: @SimoneWisotzki

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