Ein großer Bildschirm in einem dunklen und gefülltem Stadion
Antidemokratische Einflussnahmen nehmen auf Streamingplattformen wie Twitch, DLive und Kick zu. | Foto: María Eijo via flickr | CC BY-NC-ND 2.0

Von Streamern, Gamern und Bad Actors – Antidemokratische Kommunikationsformen auf Streamingplattformen

Livestreaming ist in den Fokus der Radikalisierungsforschung gerückt. Der 2019 verübte rechtsterroristische Anschlag auf Moscheen im neuseeländischen Christchurch, das Attentat auf eine Synagoge in Halle im selben Jahr oder der im Januar 2021 initiierte Sturm auf das US-Kapitol, sie alle haben gemeinsam, dass die Taten  gestreamed wurden und von einem Millionen Publikum live verfolgt werden konnten.  Das Phänomen ist aber nicht auf diese aufsehenerregenden Fälle begrenzt. Wie dieser Blog zeigt, nehmen antidemokratische Einflussnahmen auf Livestreaming-Plattformen immer weiter zu. Am Beispiel dreier Plattformen wird gezeigt, wie demokratiefeindliche Inhalte und extremistische Botschaften verbreitet werden.  

Livestreaming ist auf dem Vormarsch. Insgesamt gibt es ca. 7 Mio. Streamer*innen und ca. 140 Mio. aktive User*innen auf Twitch. Des Weiteren haben Analysen ergeben, dass allein im Mai 2024 1,73 Mio. Stunden Inhalte konsumiert wurden, was umgerechnet ca. 200 Jahre Videomaterial ergibt. In den USA ist Twitch, nach Netflix, Google und Apple, die am meisten frequentierte Webseite. Neben Streamer*innen die sich selbst beim Spielen filmen, werden auch Streams von Offline-Massenevents wie den Counterstrike Championships, mit 1.065.148 Zuschauenden, das Finale der League of Legends Worlds mit 639.375 Zuschauende und realweltliche Sportveranstaltungen, wie das Box-Event La Velda del Año 3 mit fast 3,5 Mio. Zuschauer*innen auf Twitch gestreamt.  

Durch die Formate In Real Life (IRL) und Subkategorien wie Just Chatting existieren auf der Plattform Möglichkeiten des ungezwungenen und themenungebundenen Austauschs. Politische Stiftungen, Parteien und Streaming Formate nutzen dies und bieten Räume an, die eine reine Fokussierung auf gesellschaftspolitische Themen haben. Während Twitch über einen langen Zeitraum eine dominierende und unangefochtene Position im Bereich des Streamings von Videospielen einnahm, sind mit DLive (2017) und Kick (2022) zwei Konkurrenzplattformen entstanden, die sich durch eine weniger restriktive Politik gegenüber den Nutzer*innen auszeichnen. Die gesellschaftspolitischen Foren finden sich auch auf diesen Plattformen wieder. Dort bieten sie aufgrund des weitestgehend offenen Austauschformats und dem geringen Maß an inhaltlicher Moderation, ein hohes Potenzial für antidemokratische Einflussnahmen. Insbesondere Streamer*innen, die auf Twitch aufgrund von Verstößen gegen die Community-Richtlinien gesperrt wurden, nutzen diese Plattformen, um ihre Inhalte zu verbreiten. Ausweichplattformen bieten somit grundsätzlich eine toxischere Umgebung als die Originalplattform. Während es keine zuverlässigen Nutzerzahlen zu DLive gibt, ist Kick mit einem Zuschauerpeak von 981.395 gleichzeitig streamenden Personen sowie 141.700 aktiven Channel pro Monat noch weit hinter Twitch.  

Im Folgenden präsentiert der Blog die vorläufigen Ergebnisse einer explorativen Studie demokratiefeindlicher Aktivitäten auf diesen drei Livestreaming-Plattformen, die im RadiGaMe Projekt durchgeführt wurde.  

Twitch 

In der Vergangenheit kam es auf der Plattform wiederholt zu Versuchen extremistischer Einflussnahmen, bei denen Streamer*innen extrem rechte Narrative verbreiteten. Das wohl bekannteste livegestreamte extremistische Video auf der Plattform war der Anschlag auf eine Synagoge in Halle im Jahr 2019, das allerdings innerhalb von 20 Minuten durch die Plattformbetreiber gesperrt wurde und in der Folge dennoch massenhaft zirkulierte. Aufgrund der Größe und der hohen Sichtbarkeit der Plattform hat Twitch ein aktives Moderationsteam, welches die Community-Guidelines versucht umzusetzen und rechtsextreme Streamer*innen bereits sperrte.  

Dennoch haben wir in unserer Beobachtung zahlreiche Inhalte vorgefunden, die Trans- und Homofeindlichkeit beinhalteten, Rassismus und Antisemitismus transportierten und rechtsextreme Ideologien unterstützten. Gesperrte rechtsextreme Streamer wie Martin Sellner wurden von anderen Streamer*innen eingeladen und konnten so trotz Sperrung weiter ihre Inhalte auf der Plattform verbreiten. In einem identifizierten Stream wurde Sellner knappe zwei Stunden zu seinem neu veröffentlichten Buch interviewt, in dem er ethnopluralistische Gesellschaften als Wunschgebilde entwirft. Des Weiteren haben rechtsextreme Influencer das neue Spiel der rechtsextremen Spielentwickler KVLTGAMES gestreamt und dabei aktiv für das Spiel geworben. Das Spiel reproduziert szenetypische Narrative, wie die des „Großen Austauschs” und kreiert Feindbilder, wie z. B. Menschen mit Migrationshintergrund, Asylsuchende, Homo- und Trans-Personen bis hin zu Politiker*innen, garniert ist dies mit optischen Bezügen zu realweltlichen Personen. 

Alles in allem ist Twitch trotz aktiver Moderationsbemühungen eine Plattform, auf welcher rechte und rechtsextreme Influencer*innen eine Präsenz etablieren konnten und aufgrund aktiver Vernetzung auch geblockte Akteure ihre Botschaften verbreiten können.  

DLive

Die Streaming-Plattform DLive, welche 2017 gegründet wurde und seitens medialer Berichterstattung bereits als „extremist heaven betitelt wurde, spielte eine signifikante Rolle während des Sturms auf das US-Kapitol im Jahre 2021. Bekannte rechtsextreme Streamer, wie zum Beispiel der America First-Host, Maga-Aktivist und Antisemit Nicholas Fuentes oder der Livestreamer Baked Alaska, welcher die Erstürmung livestreamte, riefen bereits im Vorfeld auf ihren DLive-Kanälen zu Gewalthandlungen auf. So bezeichnete Fuentes einen Großteil der republikanischen Parteimitglieder als zu weich und schlussfolgerte: „What are we going to do to them? What can you and I do to a state legislator besides kill them?Und auch wenn DLive nach dem Vorfall ebenjene Streamer sperrte, so findet sich immer noch eine große Anzahl von rechten Streamer*innen auf der Plattform, die eine permanente Präsenz etablieren konnten und Geld mit ihren Streams verdienen.  

In unserer Beobachtung konnten wir feststellen, dass viele der rechten Streamer*innen durch sogenannte „Lemons“, die plattformeigene Währung, zusätzliche Einnahmen generieren können und ihre Follower*innen zu Spenden aufriefen. Wir fanden außerdem Verlinkungen auf geschlossene Plattformen, wie zum Beispiel Telegram, die zur weiteren Vernetzung dienen und die zumeist noch explizitere Kommunikation beinhalten. Konkret wurden neben Kanälen, denen keine Initiatoren zugeordnet werden konnten und die Streams mit verschwörungstheoretischen Inhalten anbieten, rechte, antisemitische und homophobe Streamer*innen ausfindig gemacht. Dabei wurden Holocaustleugnungen, White-Genocide-Phantasmen und Umsturz-Überlegungen propagiert. Auch die deutschsprachige extreme Rechte hat hier eine etablierte Präsenz, in welcher sie Diskursverschiebungen durch vorpolitische Raumbesetzungen anstrebt (Metapolitik) sowie chiffrierte und camouflierte Kommunikationsstrategien nutzt (Dog-Whistling).  

Führende Kader der identitären Bewegung, so zum Beispiel erneut Martin Sellner, haben auf der Plattform allwöchentliche Streams, in welchen sie gesellschaftspolitische Themen aufgreifen und für ihre Zuhörerschaft in rechtsextremer Manier aufbereiten. Rechte Codewörter wie 14 Words und 88 sind sowohl in Profilnamen als auch in den Kommentarspalten zu beobachten. Ebenfalls auffällig sind die Anspielungen auf nordische und germanische Mythologie, wie zum Beispiel dem häufig von der extremen Rechten instrumentalisierten Nibelungen-Lied. Vor allem in den Kommentarspalten haben wir auch strafrechtlich relevante Inhalte identifiziert. So wurden Aussagen beobachtet, in denen muslimische Menschen als Kakerlaken und Ungeziefer betitelt , Jüdinnen und Juden als satanische Brut verspottet sowie Hakenkreuze gepostet wurden. Des Weiteren wurden Mordaufrufe zu Politiker*innen geteilt.  

Unsere Beobachtungen zeigen, dass DLive eine wichtige Plattform für extrem rechte Akteure ist. Und trotz der Tatsache, dass DLive plattformeigene Community-Guidelines hat, in welchen hasserfülltes Verhalten explizit verboten wird, haben wir in öffentlich zugänglichen Streams und Kommentarspalten eine große Anzahl an extremistischen und antidemokratischen Inhalten vorgefunden. 

Kick

Kick ist eine 2022 gegründete Streaming- und Glücksspielplattform, die große Ähnlichkeiten zu Twitch aufweist, jedoch gezielt Glücksspielformate bewirbt und eine höhere Gewinnausschüttung an ihre Streamer*innen verspricht. Hinsichtlich der Durchsetzung von Community-Guidelines weist Kick ebenfalls einen laissez fairen Umgang auf.  

Es wurden zahlreiche rechtsextreme, antisemitische und queerfeindliche Streamer*innen und Kommentare vorgefunden, wobei die meisten Inhalte in einem englischsprachigen Kontext stattfanden. 

Auch hier sind Kommentarspalten und Streams zugleich interessant. Der 24/7 verfügbare Kanal Infowars verbreitet extrem rechte Inhalte und Verschwörungstheorien. Der Kanal wird von Alex Jones betrieben, der als einer der Schlüssel-Ideologen der Alt-Right Bewegung fungiert. Der bereits genannte Nick Fuentes ist mit seinem America First-Format ebenfalls omnipräsent auf dieser Plattform. In solchen Formaten werden verschwörungstheoretische Inhalte verhandelt und neue Zusammenhänge vermeintlich aufgedeckt, die auf eine angebliche Verschwörung hinweisen sollen. So beobachteten wir, wie ein Streamer Kausal-Zusammenhänge zwischen der Covid-19 Pandemie, Migration und dem aktuellen Gaza-Konflikt konstruierte. Dabei entdeckten wir in der Kommentarspalte zum Beispiel die folgende Aussage: “Why are we out here slaving away for Jews who are profiting off of us killing each other”. Mit dieser Aussage nahm der Verfasser direkten Bezug auf Aussagen des Streamers, welcher eine antisemitische Verschwörungstheorie postulierte.   

Unter einem Stream zu Dating-Erfahrungen eines rechtsextremen Influencers fand sich eine Masse an menschenfeindlichen und demokratiegefährdenden Kommentaren wieder. So postete ein User, dessen Profil nationalsozialistische Bezüge aufwies, Vergewaltigungs- sowie Tötungsfantasien gegenüber jüdischen Frauen. Dabei zeigt sich deutlich, dass antisemitische und rechtsextreme Rhetoriken in bestimmten Streams auf der Plattform ohne Gegenrede geäußert und seitens der Plattform toleriert werden. Ähnlich wie DLive kann Kick als wichtiger Hub für extrem rechte Propaganda gewertet werden, wobei die Multifunktionalität der Plattform als Livestreaming-Plattform für Glücksspiel und Gaming zugleich, einen Unterschied macht.  

Fazit

Streaming-Plattformen sind ein essenzieller Bestandteil digitaler Kulturen und beherbergen sowohl Gaming-Inhalte als auch Streams zu vielen weiteren Themen. Auf allen untersuchten Plattformen wurden bei den themenunspezifischen Streaming-Formaten Just Chatting und In Real Life antidemokratische und extremistische Streamer*innen und Kanäle ausfindig gemacht. Die Masse sowie Intensität der Inhalte variiert jedoch stark von Plattform zu Plattform und ist maßgeblich von der inhaltlichen Moderation abhängig. Dabei sind Streamer*innen und Zuschauende in einem Wechselspiel: Sie gehen aufeinander ein und bedingen aufkommende toxische Dynamiken gegenseitig. Durch unsere explorative Beobachtung wurde deutlich, dass antidemokratische und menschenfeindliche Inhalte auf Streaming-Plattformen frei zugänglich vorzufinden sind. Und auch wenn die Toxizität auf den Ausweichplattformen exponentiell steigt, so ist auch auf Twitch ein relativ leichter Zugang zu Streams und Kommentarspalten mit rassistischen und antisemitischen Inhalten zu beobachten. Dieses Problem gilt es in Zukunft seitens staatlicher Regularien, plattformspezifischer Durchsetzungen der Community-Guidelines und zivilgesellschaftlicher Präventionsmaßnahmen zu adressieren. Dafür müssen Plattformbetreiber, Zivilgesellschaft und Strafverfolgungsbehörden Hand in Hand arbeiten, um die Attraktivität der Streaming-Plattformen für extremistische Akteure zu minimieren und eine ohnehin in Teilen der Streaming-Szene bereits gelebte Vielfalt und Toleranz zu etablieren. 

Lars Wiegold

Lars Wiegold

Lars Wiegold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Projekten RadiGaMe und RADIS. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Erforschung von radikalen und extremistischen Online-Milieus, insbesondere in digitalen Spiele-Communitys. // Lars Wiegold is a research associate in the RadiGaMe and RADIS projects. His research focuses on radical and extremist online milieus, particularly in digital gaming communities.

Lars Wiegold

Lars Wiegold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Projekten RadiGaMe und RADIS. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Erforschung von radikalen und extremistischen Online-Milieus, insbesondere in digitalen Spiele-Communitys. // Lars Wiegold is a research associate in the RadiGaMe and RADIS projects. His research focuses on radical and extremist online milieus, particularly in digital gaming communities.

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