Die Debatte zur Nutzung von Gaming-Plattformen durch radikalisierte Akteur*innen hat sich infolge der Live-Übertragungen der Anschläge von Christchurch und Halle im Jahr 2019 intensiviert. Trotz des gestiegenen Interesses und obwohl deutliche Hinweise auf Radikalisierungsaktivitäten in diesen digitalen Räumen vorliegen, mangelt es bislang an fundierten Forschungsergebnissen. Das Verbundprojekt RadiGaMe strebt an, diese Lücke zu schließen. In einer ersten Phase wurden am PRIF 20 Gaming- und gaming-nahe Plattformen untersucht, um Einblicke in deren Funktionsweise sowie Relevanz für radikalisierte Akteur*innen zu erlangen. Der vorliegende Beitrag fokussiert exemplarisch auf die Plattformen Discord und Steam.
Relevanz gaming-naher Plattformen
Mit der Verbreitung digitaler Spiele geht auch ein Anstieg der Vernetzungsmöglichkeiten der Spielenden einher. Auch wenn es prinzipiell möglich ist, digitale Spiele vollkommen allein zu spielen, stellt Gaming für einen großen Teil der User*innen eine explizit soziale Freizeitbeschäftigung dar. Die Vernetzung untereinander findet dabei meist online über Plattformen statt, die speziell für Gamer*innen entworfen oder vorrangig von diesen genutzt werden. Die so entstehenden Communities können besondere Qualitäten aufweisen, die sie von regional gebundenen oder denen auf anderen sozialen Online-Plattformen unterscheiden, da digitale Spielekultur – nicht zuletzt aufgrund des Erlebnisweltcharakters – mit besonderen Verhaltensmustern sowie Interaktions- und Kommunikationsmustern einhergehen kann. Diese warten mit einem eigenen Slang und Humor sowie diversen Anspielungen auf digitale Spiele und die dazugehörige Kultur auf. Neben überregionalen Beziehungen kann dabei eine häufig rauer und auf Ironie setzender Ton beobachtet werden.
Darüber hinaus konnten in der Vergangenheit immer wieder radikalisierte Aktivitäten auf gaming-nahen Plattformen beobachtet werden. Insbesondere rechte, aber auch islamistische Akteur*innen nutzen Plattformen digitaler Spiele zur Vernetzung und Koordination von Aktivitäten, zur Verbreitung von Propagandamaterial und zur Ansprache radikalisierungsgefährdeter User*innen. Die häufig nur geringe Moderation der Plattformen begünstigt die Ausbreitung derartiger Inhalte zusätzlich. So können bestehende Verbindungen gefestigt und User*innen erreicht werden, die für diese Inhalte empfänglich sind.
Dabei verbleiben diese Inhalte nicht in Onlinesphären, sondern ziehen realweltliche Auswirkungen nach sich. Mehr noch: Diese Trennung von digitalem und realem Raum lässt sich in einer derart umfassend digitalisierten Gesellschaft nicht mehr angemessen aufrechterhalten, wie das antisemitische Attentat an Jom Kippur 2019 zeigt, bei dem der Attentäter einen Massenmord in der Synagoge von Halle verüben wollte. Neben der Gamifizierung seiner Tat durch die Erstellung von Achievement-Listen für sich selbst und potenzielle Nachahmungstäter, dem Streaming seiner Tat im Stil eines Ego-Shooters auf einer Streaming-Plattform, die sich vorrangig an Gamer*innen richtet und der Verwendung eines Slangs der Gaming-Szene fällt auf, dass seine Radikalisierung unter anderem auf Gaming-Plattformen stattfand. Entgegen häufig bemühter öffentlicher Erklärungen verdeutlicht dies, dass es sich bei derartigen Tätern nicht um Einzeltäter, sondern um zumindest online sozial integrierte Personen handelt, die sich auf gaming-nahen Plattformen vernetzen.
Radikalisierte Communities verfügen zum Teil über dezidierte Plattformen, wie die vom US-Neonazi und Shoah-Leugner Andrew Anglin betriebenen Gamer Uprising Forums, die sich explizit an rechte Gamer wenden. Dennoch ist zu beobachten, dass die meisten radikalisierten Akteur*innen Plattformen nutzen, die in Gaming-Communities weit verbreitet sind und sich an die Mehrheit der Spielenden richten.
Kommunikationsplattformen
Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil der Online-Gaming-Kultur. Es existiert eine Vielzahl von Plattformen, die es Gamer*innen ermöglicht, auf verschiedene Arten miteinander zu kommunizieren. Darunter finden sich unter anderem klassische Foren, soziale Nachrichtenaggregatoren, so genannte „Looking for Group“-Plattformen, die es ermöglichen nach gleichgesinnten Spieler*innen zu suchen oder Chat-Plattformen, mit denen eigene Server betrieben werden können, auf denen sowohl schriftlich als auch mündlich kommuniziert werden kann.
Ein besonders beliebtes und weit verbreitetes Beispiel für letztere ist Discord. Die 2015 gegründete Plattform verfügt über rund 190 Millionen aktive monatliche Nutzer*innen auf etwa 19 Millionen Servern (Stand 2024). Discords Verbreitung ist vor allem auf dessen Funktionsumfang, Verbindungsqualität und Zugänglichkeit zurückzuführen und hat in den letzten Jahren zu einer teilweisen Verdrängung anderer gaming-naher Kommunikationsplattformen geführt. Die Plattform ermöglicht den Betrieb sowohl privater als auch öffentlicher Server, die von den Betreiber*innen oder mit Privilegien ausgestatteten Nutzer*innen selbst moderiert werden. Auf diesen Servern können Gruppenchats in unterschiedlichen Kanälen organisiert werden. Darüber hinaus ermöglicht Discord den User*innen private Chats untereinander, das Teilen von Text-, Audio- und Bildinhalten, Streamingfunktionen sowie die Möglichkeit Sprach- und Videoanrufe zu tätigen.
Discord ist in der Vergangenheit wiederholt als Plattform in die Öffentlichkeit geraten, die von rechtsextremen, verschwörungsmythischen, antifeministischen und islamistischen Akteur*innen genutzt wird. Auf Servern der Plattform wurden politische Aktionen wie die rechtsextreme Unite the Right rally 2017 in Charlottesville vorbereitet oder Onlinebelästigungskampagnen organisiert. Unter diesen Communities befanden sich immer wieder auch solche aus dem deutschen Raum, wie das rechtsextreme Netzwerk Reconquista Germanica, das nicht nur zum Ziel hatte, rechte Online-Attacken auf politische Gegner*innen zu koordinieren, sondern auch gezielt die Alternative für Deutschland (AfD) zu stärken.
Um einem Discord-Server beizutreten, ist ein gültiger Einladungslink notwendig. Diese Links werden meist durch persönliche Weitergabe oder über bestehende Discord-Communities verteilt. Server, die abseits dessen auffindbar und betretbar sein sollen, werden in Serverlisten eingetragen und können mit Hilfe von Schlagworten durchsucht werden. Um relevante Discord-Server zu identifizieren, hat das RadiGaMe-Projekt Schlagwortsuchen in Serverlisten durchgeführt. Wie aufgrund vorheriger Studien zu erwarten war, ergab die Erkundung der Plattform eine große Anzahl auffälliger Server. Hierzu zählen Server, die sich explizit rechtsextremen oder islamistischen Inhalten widmen, wobei in einigen Fällen bereits die Serverbeschreibungen, -namen und -bilder explizit gegen bestimmte soziale Gruppen gerichtet sind. So finden sich dort antisemitische, homophobe oder rassistische Karikaturen sowie Verweise auf nationalsozialistische und islamistische Gruppierungen wie Waffen-SS, Wehrmacht oder Muslimbruderschaft. Auch mehrere Server deren eigentlicher Schwerpunkt auf digitalen Spielen liegt enthalten antisemitische, rassistische und sexistische Inhalte. Darüber hinaus konnten wiederholt Verschwörungserzählungen beobachtet werden, etwa über vermeintlich durch jüdische Akteur*innen koordinierte Schädigungen von Staaten und Individuen, sowie homophobe und misogyne Beiträge, die auch Aufrufe zur Gewalt enthielten. Zudem existieren Server, auf denen es untersagt ist, geschlechtsübergreifend zu kommunizieren. Zuletzt finden sich auch Hinweise darauf, dass die Server auch zur direkten politischen Vernetzung genutzt werden. So kommt es neben dem Austausch ideologischen Materials auch zur Planung und Bewerbung von Veranstaltungen oder zur Vereinbarung von Offline-Treffen.
Die Erforschung der Plattform ist jedoch mit ethischen sowie datenschutzrechtlichen Hürden und letztlich auch mit Risiken für die Forschenden selbst verbunden. So ist es auf vielen einschlägigen Servern erforderlich, zunächst in einer Art Lobbybereich persönliche und ideologische Fragen zu beantworten, um das notwendige Vertrauen zu gewinnen, das den Zugriff auf weitere Kanäle der Server erlaubt. Unabhängig von den damit verbundenen Abwägungen zeigt sich eine ausgesprochen große Relevanz gaming-naher Kommunikationsplattformen für Phänomene im Zusammenhang mit Radikalisierungsprozessen. Discord muss daher, in Übereinstimmung mit der vorhandenen Literatur, für die Radikalisierungsforschung als äußerst relevant erachtet werden.
Digitale Spieleplattformen
Neben expliziten Kommunikationsplattformen existieren auch solche, die in erster Linie für den Vertrieb von digitalen Spielen oder Erweiterungen entworfen wurden. Auch diese verfügen meist über Community-Funktionen und werden von den User*innen neben der Verwaltung ihrer Spiele-Bibliothek auch zur Kontaktpflege im Sinne sozialer Netzwerke genutzt. Ihr zentraler Zweck – die Verwaltung digitaler Spieleinhalte – sorgt dafür, dass nahezu alle PC-Spieler*innen von ihnen Gebrauch machen.
Die wohl bedeutendste dieser Plattformen ist Steam. Die Vertriebsplattform verfügt über gleichzeitige Nutzungszahlen von bis zu ca. 36 Millionen User*innen und stellt damit die mit Abstand größte Vertriebsplattform für digitale Spiele im PC-Bereich dar. Sie dient vor allem dem Verkauf und der Verteilung von digitalen Spielen und Zusatzinhalten und wird von vielen Entwickler*innen als exklusive Vertriebsplattform genutzt. Neben einigen weiterführenden Funktionen für digitale Spiele, Entwickler*innen und Gamer*innen fungiert Steam vor allem auch als soziales Netzwerk. Dies wird insbesondere durch gestaltbare Profile mit Freundeslisten, Foren, Gruppenfunktionen und einem eigenen Messenger sowie Streaming-Funktionen erreicht.
Steam umgab in den letzten Jahren immer wieder eine negative Presseberichterstattung. So sind Steam-Gruppen mutmaßlich an der Radikalisierung terroristischer Attentäter, wie der Täter des rassistischen und antiziganistischen Anschlags in München 2016 oder des o. g. antisemitischen Anschlags in Halle 2019 beteiligt gewesen. Es ist bekannt, dass einige Gruppen auf der Plattform ausschließlich der Verbreitung antisemitischer, misogyner, rechter oder islamistischer Inhalte dienen. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl von Diskussionsgruppen, durch die bisher weniger stark radikalisierte User*innen an radikale Inhalte herangeführt werden. Sie dienen somit sowohl als Vernetzungs- als auch als Agitationsumgebungen. Neben diesen Kommunikationsinhalten sind auch Spielinhalte wiederholt durch radikalisierte, beispielsweise antisemitische Inhalte aufgefallen.
Im Rahmen einer Exploration von Steam konnten vermehrt Nutzer*innen-Profile ausfindig gemacht werden, die durch verschiedenste radikalisierte Inhalte ausgeschmückt wurden. Bezüge zum Nationalsozialismus werden bereits durch Verwendung von Namen und Avataren deutlich. Dies geschieht beispielsweise durch die Verwendung rechter Codes oder Fotos von Angehörigen der Wehrmacht oder Waffen-SS. Auch finden sich dort antisemitische Karikaturen oder die Verhöhnung von im Zuge der Shoah ermordeten Jüdinnen*Juden, die Verherrlichung von Terrororganisationen und Attentäter*innen, islamistische Anspielungen, Bezüge zu Incel-Bewegungen oder anti-linke Symbole. Die Hintergründe der Nutzer*innen-Profilseiten werden zum Teil mit Wehrmachtsästhetik geschmückt. Auch in den Kommentarspalten wird einschlägig kommuniziert, genau wie in den Foren der Plattform, in denen es immer wieder zu antisemitischen, rassistischen, verschwörungsmythischen, islamistischen oder misogynen Äußerungen kommt. So begegnet man in den Diskussionsbereichen antisemitischen Beleidigungen von Personen des öffentlichen Lebens sowie anderer User*innen, Shoah-Relativierungen und -Leugnungen, rassistischen Anspielungen, Verschwörungserzählungen, beispielsweise bezüglich der Covid-19-Pandemie, völkischen Ideologien, wiederholten Bagatellisierungen von Gewalt mit Verweis auf die freie Meinungsäußerung und den gängigen Umgangston in Communities digitaler Spiele sowie Aufstachelungen zur Gewalt bis hin zu Mord. Obwohl Steam die Möglichkeit bietet, geschlossene Gruppen zu erstellen, sind viele radikalisierte Inhalte offen zugänglich, sodass die Gruppen ihren Mitgliedern auch als Aushängeschild ideologischer Standpunkte dienen.
Ausblick
Diese ersten Explorationsergebnisse bestätigen die vermutete Relevanz der untersuchten Plattformen für Interaktionen mit Radikalisierungsbezügen. Die bisher durchgeführten Untersuchungen belegen, dass gaming-nahe Kommunikationsplattformen ebenso wie Spieleplattformen von radikalisierten Akteur*innen genutzt werden und radikalisierte Inhalte enthalten. Trotz des zunehmenden Interesses an der Nutzung digitaler Spielräume durch entsprechende Akteur*innen fehlt es jedoch noch immer an systematischen Erhebungen und Analysen, um die Rolle dieser Plattformen im digitalen Ökosystem der Radikalisierung angemessen beurteilen zu können.
Im weiteren Verlauf des RadiGaMe-Projektes werden ausgewählte Plattformen eingehend analysiert, um das Verständnis von radikalisierten Inhalten und Radikalisierungsprozessen in Räumen digitaler Spiele zu erhöhen. Dabei werden auch Plattformen untersucht, die von der Radikalisierungsforschung bisher weitgehend unbeachtet geblieben sind, ersten Explorationen nach jedoch äußerst relevante Räume für Radikalisierungsprozesse und somit letztlich auch für Präventionsbemühungen darstellen können. Dies trifft insbesondere auf Plattformen zu, die dem Vertrieb von digitalen Spielen sowie Spiel-Modifikationen dienen und die von einer Vielzahl von Spielenden auch zur Vernetzung genutzt werden. Erste Erkenntnisse zeigen, dass in diesen Räumen offen zugänglich umfangreiches radikalisiertes Material geteilt und somit niedrigschwellig in Umlauf gebracht wird.