Eine Person spielt ein Computerspiel.
Gaming, eine der beliebtesten Freizeitaktivitäten, wird auch durch demokratiefeindliche Akteure instrumentalisiert. | Foto: Axville | Unsplash License

Pixel, Politik, Polemik – Digitale Gaming-Welten als politische und gesellschaftliche Diskursräume

Videospiele sind ein wachsender Wirtschaftszweig und eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Gaming- und gaming-nahe digitale Plattformen werden zudem immer mehr zu politischen Diskursräumen, in denen sich Millionen von Menschen zu aktuellen Ereignissen austauschen Sie sind Bestandteil moderner Wahlkämpfe und werden für politische Bildungsarbeit genutzt.  Wichtige gesellschaftliche Debatten werden hier abgebildet, und beeinflusst. Deshalb ist es unabdingbar, digitale Gaming-Welten als neue gesellschaftliche Diskursräume zu begreifen, ihren Einfluss ernst zu nehmen und sie in politische Kommunikationsstrategien einzubeziehen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil anti-demokratische Akteure momentan Teile dieser Gaming-Räume zu beeinflussen versuchen und demokratische Gegenrede unzureichend praktiziert wird.

Auch wenn sich das Klischee des jungen, männlichen und sozial isolierten Gamers hartnäckig hält und in den Medien immer wieder reproduziert wird, so ist Gaming bei weitem keine Nischenaktivität. Im Gegenteil: Über 3 Milliarden Menschen auf der Welt spielen hin und wieder digitale Spiele. Der durchschnittliche Gamer ist über 35 Jahre alt und fast die Hälfte  sind weiblich. Gaming ist also eine sehr populäre Freizeitbeschäftigung vieler Menschen. Dies trifft auch auf Deutschland zu. 6 von 10 Deutschen im Alter zwischen 6 und 69 Jahren spielten im Jahr 2022 zumindest gelegentlich Computer- und Videospiele.

Gaming ist also längst ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, eine beliebte Freizeitaktivität und fester Bestandteil der Lebensrealität großer Teile der Bevölkerung. Es ist daher wenig verwunderlich, dass auch politische Akteure inzwischen versuchen Videospiele in ihre strategische Kommunikation zu integrieren und digitale Gaming-Räume zunehmend Schauplatz politischer Debatten sind. Dieser Blogartikel legt dar auf welche Art und Weise das geschieht, weshalb es sich lohnt dies im Blick zu haben und warum digitale Gaming-Welten unbedingt als wichtige politische Diskursräume verstanden werden sollten.

Politik und Videospiele

Videospiele sind auf internationaler Ebene bereits fester Bestandteil politischer Kommunikation. Seit einigen Jahren schon bemühen sich staatliche aber auch nicht-staatliche, oft anti-demokratische Akteure darum, Videospiele für politische Zwecke nutzbar zu machen und sie in Wahlkämpfe, strategische Kommunikationskampagnen und die Verbreitung von Propaganda einzubinden.

So versucht beispielsweise die chinesische Regierung ihre Politik mit Hilfe eines ideologisch gefärbten Videospiels zu legitimieren und Russland verbreitet seit kurzem anti-Ukrainische Propaganda und pro-Russische Desinformation in populären Videospielen. Auch in Europa und den USA integrieren immer mehr Politiker und Parteien Videospiele in ihre Kampagnen, vor allem in Wahlkampfzeiten. US-Präsident Joe Biden hat 2020 seinen digitalen Wahlkampf teilweise in den populären Videospielen Fortnite und Animal Crossing geführt, um gaming-affine Zielgruppen mit seinen Inhalten zu erreichen. In Deutschland werden beliebte Videospiele inzwischen zumindest sporadisch für politische Kommunikation benutzt – sowohl auf Eigeninitiative einzelner Politiker*innen als auch über offizielle Partei- oder Fraktionskanäle. Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ging im Wahlkampf 2010 sogar noch einen Schritt weiter: Sie ließ ein eigenes Videospiel namens Moschee baba entwickeln, bei dem Spielende im Stile des bekannten Moorhuhn aus dem Boden sprießende Minarette und Moscheen ‚abschießen‘ müssen.

Videospiele werden außerdem in der politischen Bildungsarbeit eingesetzt. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigt sich seit längerem mit dem pädagogischen Potenzial digitaler Spiele. Videospiele können weitreichende positive Effekte haben und spielerisch erklären wie, z. B. demokratische Prozesse ablaufen. Sie ermöglichen auch die Vertiefung wichtiger Sozialkompetenzen wie beispielsweise das sogenannte perspective-taking, bei dem die Spielenden neue Rollen einnehmen und dadurch Empathie für andere soziale Gruppen erlernen.

Doch auch anti-demokratische und extremistische Gruppierungen haben die Anziehungskraft digitaler Spiele für sich entdeckt und versuchen diese für propagandistische Zwecke zu nutzen. Bereits in den 1980er Jahren entwickelten rechtsextreme Akteure erste Videospiele wie KZ Manager, um ihre Ideologie interaktiv erfahrbar und ‚spielbar‘ zu machen. Seitdem wurden dutzende propagandistische Spiele veröffentlicht. Auch islamistische Gruppierungen wie die libanesische Hisbollah oder der sogenannte Islamische Staat publizieren digitale Spiele und verbreiten Propagandainhalte, in denen sie explizit Bezug auf populäre kommerzielle Videospiele nehmen.

Sowohl demokratische als auch anti-demokratische Akteure scheinen also das Potenzial digitaler Spiele erkannt zu haben und versuchen, dieses Medium zur strategischen Verbreitung politischer Inhalte zu nutzen. Da prognostiziert ist, dass die Relevanz von Videospielen in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird, ist anzunehmen, dass sich dieser Trend noch verstärken und die Verzahnung von Politik und digitalen Spielen immer enger werden wird.

Politische Diskurse auf Gaming- und gaming-nahen Plattformen

Gaming- und gaming-nahe Plattformen sind inzwischen zu wichtigen Schauplätzen politischer Debatten geworden. Der Begriff „Gaming- und gaming-nahe Plattformen“ beschreibt digitale Plattformen, die entweder (ursprünglich) für Gamer geschaffen wurden und/oder auf denen sich eine große Anzahl an Gaming-Inhalten finden lässt bzw. die von Gaming Communities genutzt werden. Dazu gehören beispielsweise die Spielevertriebsplattform Steam, die Spielentwicklungsplattform Roblox oder Foren, in denen von Nutzer*innen erstellte Spielinhalte geteilt und diskutiert werden, z. B. Mod DB, sowie die Livestreaming Plattform Twitch und die Chat-Plattform Discord. Viele dieser Plattformen erreichen ähnlich viele oder sogar mehr Menschen als klassische Social-Media-Plattformen. So sind auf Discord 560 Millionen Nutzerprofile registriert, auf Steam sind täglich über 60 Millionen Menschen aktiv und auf Twitch haben Nutzer*innen allein im Mai 2024 etwa 1,73 Millionen Stunden Videoinhalte konsumiert – das sind fast 200 Jahre Videomaterial.

Auch wenn die Forschung zu politischen Debatten auf diesen Gaming- und gaming-nahen Plattformen noch in den Kinderschuhen steckt, ist unstrittig, dass in diesen digitalen Räumen über eine Vielzahl aktueller Themen aus Politik und Gesellschaft gesprochen und diskutiert wird. So waren beispielsweise im Juni 2024 auf Disboard, einer durchsuchbaren Liste von Discord-Servern, fast 5800 Gruppen mit Stichwort #politics versehen und wurden somit von den Nutzer*innen selbst explizit als politische Diskursräume deklariert. Viele weitere Gruppen werden zum Austausch über aktuelle Themen genutzt. So sind z. B. fast 50.000 Gruppen mit den Schlagworten #chatting oder #chat getagged, fast 59.000 mit #hangout und über 74.000 mit #social versehen.

Auf Twitch finden sich u. a. die Kategorien „IRL“ (in real life) oder „Just Chatting“, in denen auch Streams mit politischen Inhalten zu finden sind. So konnten im Juni 2024 beispielsweise etliche Analysen zur kürzlich stattgefundenen Europawahl dort aufgerufen werden. Auch auf Steam werden politische Inhalte geteilt und diskutiert. Momentan gibt es weit über 400 Videospiele auf der Plattform, die mit dem Stichwort „Politik“ oder „Politiksimulation“ getagged sind. In den Foren auf Steam werden ebenfalls politische Themen diskutiert. Im „Off Topic“ Forum, in dem Inhalte diskutiert werden, die nicht direkt mit Gaming in Verbindung stehen, hat eine Suche mit dem Schlagwort „politic“ (um sowohl politics als auch political mit einbeziehen zu können) fast 70.000 Treffer ergeben. In den gefundenen Diskussionen ging es meist um aktuelle politische und gesellschaftliche Themen, u. a. um die Covid-19 Pandemie und ihre Folgen, den Gaza-Krieg, aktuelle politische Entscheidungen auf nationaler oder internationaler Ebene, Politiker wie beispielsweise US-Präsident Biden, die europäischen Sanktionen gegen Russland im Zuge des Ukraine-Krieges, das Konzept Europas als Friedensstifter oder die Rechte von LGBTQ-Personen.

Darüber hinaus sind auch extremistische, toxische und anti-demokratische Inhalte sind auf diesen Plattformen weit verbreitet. Insbesondere extremistische Aktivitäten auf Gaming (-nahen) Plattformen werden momentan am PRIF gemeinsam mit weiteren untersucht. Das RadiGaMe-Projekt analysiert u. a. welche extremistischen Inhalte in digitalen Gaming-Räumen geteilt werden und welche Kommunikationsmuster sich hierbei erkennen lassen. Eine erste Analyse von 20 Gaming- und gaming-nahen Plattformen ergab, dass in nahezu allen digitalen Gaming-Räumen rechtsextreme, rassistische, antisemitische, homo- und transphobe Inhalte sowie Verschwörungsnarrative verbreitet werden. Auch einige islamistische Inhalte konnten identifiziert werden. Ebenso zeigen erste Studien, dass Russland gezielt versucht Desinformation und Propaganda auf Gaming-Plattformen wie Roblox zu verbreiten und damit tausende, vor allem junge Nutzer*innen erreicht. Es ist inzwischen klar belegt, dass digitale Gaming-Räume zunehmend für die Verbreitung anti-demokratischer und extremistischer Inhalte missbraucht werden und auch politische Konflikte zunehmend im Gaming-Bereich Spuren hinterlassen.

Aufgrund der hohen Nutzerzahlen erreichen diese Inhalte auf Gaming- und gaming-nahen Plattformen Millionen von Menschen, können die Meinungsbildung zu aktuellen Debatten beeinflussen und somit auch auf politische Diskurse einwirken. Deshalb ist es notwendig digitale Gaming-Räume als wichtige Schauplätze politischer Debatten zu verstehen, die dort stattfindenden Diskussionen ebenso ernst zu nehmen wie Diskurse auf anderen digitalen Plattformen und Gaming-Räume nicht dem Einfluss anti-demokratischer Akteure zu überlassen, sondern sie als integralen Bestandteil moderner politischer Kommunikation zu begreifen.

Fazit

Sowohl Videospiele als auch Gaming- und gaming-nahe Plattformen haben sich in den letzten Jahren zu einem ernstzunehmenden Bereich gesellschaftlicher und politischer Debatten entwickelt. Sie sind Schauplatz demokratischer sowie anti-demokratischer Kommunikationsbemühungen und ein zunehmend integraler Bestandteil digitaler Diskurse. Diese Relevanz wird sich in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach dank des starken Wachstums der Gaming-Industrie noch vergrößern. Dies bietet für demokratische Akteure in diesen Bereichen viele Chancen, eine starke Präsenz aufzubauen und beispielsweise mit Präventionsangeboten radikalen Strömungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dass diese Entwicklung von dringender Notwendigkeit ist, zeigt sich daran, dass gegenwärtig demokratische Angebote in diesen digitalen Räumen drohen in den Hintergrund zu geraten. Im Gegensatz dazu sind anti-demokratische Akteure, Hassrede, Verschwörungsnarrative, radikale und toxische Inhalte leicht zu finden und allgegenwärtig. Aus dem Grund ist es notwendig, Gaming-und gaming-nahe Plattformen als Austragungsort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zu begreifen und sie als wichtiges Spielfeld demokratischer Kommunikationsprozesse zu verstehen. Der Gaming-Kosmos beeinflusst Millionen von Menschen und darf daher nicht zu einem alleinigen Spielfeld anti-demokratischer Player werden.

Linda Schlegel

Linda Schlegel

Linda Schlegel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am PRIF und Research Fellow bei modus Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung. Sie forscht zu Gaming und Extremismus(-prävention), Radikalisierungsprozessen im digitalen Raum und Narrativkampagnen gegen Extremismus. // Linda Schlegel is a Research Fellow at PRIF and modus Centre for Applied Research on Deradicalisation. Her research focuses on gaming and (counter-) extremism, online radicalization, and narrative campaigns against extremism. | Twitter: @LiSchlegel
Johannes von Eyb

Johannes von Eyb

Johannes von Eyb (B.A. Politikwissenschaften und Ethnologie) studiert Internationale Studien / Friedens- und Konfliktforschung im Master an der Goethe-Universität Frankfurt und der TU Darmstadt. Er ist wissenschaftliche Hilfskraft am PRIF im Verbundprojekt RadiGaMe. // Johannes von Eyb (B.A. political science and cultural anthropology) is currently pursuing a Masters degree in International Studies / Peace and Conflict Studies at Goethe-University Frankfurt and TU Darmstadt. He is a research assistant at PRIF in the research alliance RadiGaMe.

Linda Schlegel

Linda Schlegel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am PRIF und Research Fellow bei modus Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung. Sie forscht zu Gaming und Extremismus(-prävention), Radikalisierungsprozessen im digitalen Raum und Narrativkampagnen gegen Extremismus. // Linda Schlegel is a Research Fellow at PRIF and modus Centre for Applied Research on Deradicalisation. Her research focuses on gaming and (counter-) extremism, online radicalization, and narrative campaigns against extremism. | Twitter: @LiSchlegel

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