Eine außenpolitische Frage spaltet Berlin: Soll sich Deutschland an einem Luftangriff auf Anlagen der syrischen Armee beteiligen, falls diese bei der anstehenden Entscheidungsschlacht um Idlib erneut Giftgas einsetzt? Dabei scheint derzeit sonst für außenpolitische Debatten in Deutschland kaum Platz zu sein. Das zeigt auch eine Auswertung der öffentlich-rechtlichen Sommerinterviews mit Blick auf die Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik.
Als Reaktion auf die Ablehnung der kontroversen Beförderung des Präsident des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen schrieb die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles gestern einen Brief an die Genossinnen und Genossen, Titel: „Zur aktuellen Lage“. Darin begründete sie die Notwendigkeit des Verbleibs der Partei in der Großen Koalition mit einem Verweis auf Herausforderungen in der Außenpolitik: Syrien, der Handelskrieg mit den USA und vor allem Europa. Das ist besonders deswegen bemerkenswert, weil diese Themen seit der Gewalt in Chemnitz in der öffentlichen Debatte kaum noch eine Rolle spielen. Auch im Verlauf des Sommers waren sie höchstens Randthemen.
Eigentlich ging es gut los: Beim ersten Sommerinterview des Jahres sprach Nahles knapp sieben Minuten über das transatlantische Verhältnis, den Bundeswehretat und Deutschlands Rolle in Europa. Es sollte eines von nur zwei Sommerinterviews bleiben, in denen es detaillierter um Außenpolitik ging. In knapp 4:30 Stunden wurde insgesamt 27 Minuten über Außen-, Verteidigungs- oder Europapolitik gesprochen – das zeigt eine Auswertung aller 14 Interviews.
Jeden Sommer senden die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender eine Interviewreihe mit PolitikerInnen aller im Bundestag vertretenen Parteien. Die Sommerinterviews drehten sich in diesem Jahr hauptsächlich um das Thema Flucht, Asyl und Migration (1:18:18) sowie die Parteienpolitik (1:09:10). Die Außenbeziehungen Deutschlands kommen mit 10% der Sendezeit bei der Themenwahl von ARD und ZDF sowie den Ausführungen der PolitikerInnen also vergleichsweise kurz. Aber über welche Themen wurde gesprochen, wenn es dann doch um Außenpolitik ging?
Kein einzelnes Themen dominierte: Die finanzielle Aufstellung der EU, Deutschlands Rolle in Europa im Allgemeinen, sowie die Beziehungen zu Russland und den USA wurden jeweils knapp sechs Minuten besprochen. Besonders interessant ist hier der Blick auf die Themen, die nicht besprochen wurden: Neben dem Krieg in Syrien kamen auch der anstehende „Brexit“ oder das Verhältnis zu China mit kaum einem Wort zur Sprache.
Klar ist, dass die Sommerinterviews auch von der Tagespolitik getrieben wurden und ein zeitlich sehr begrenztes Format bleiben. Dennoch: Nur etwa 10% der gesamten Redezeit widmeten sich außen- oder europapolitischen Themen.
Diese Verknappung der öffentlichen Debatte bemängelt auch Nicole Deitelhoff, Professorin für internationale Politik an der Universität Frankfurt und Leiterin der Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. „Selbst die Sommerinterviews zeigen inzwischen die Kluft zwischen Fakten und Gefühlen auf. Trotz stark sinkender Flüchtlingszahlen und immenser Herausforderungen in der Außenpolitik jenseits von Flucht und Migration“ wird dem Thema etwa dreimal soviel Zeit zur Verfügung gestellt, wie der Außen- und Europapolitik.
Denn „obwohl es gegenwärtig vor allem die Außenpolitik ist, welche die zentralen Herausforderungen für die deutsche Politik stellt,“ wie Deitelhoff feststellt, „schlägt sich das in den Sommerinterviews nicht nieder. Nach wie vor gilt, dass Außen- und insbesondere Sicherheitspolitik Non-Themen in der deutschen Öffentlichkeit sind.“
Vielleicht ist dies auch ein Merkmal der vergleichsweise konstanten deutschen Außenpolitik. Während in den USA verschiedene Präsidentschaften sehr unterschiedliche Strategien verfolgen, schwankt die deutsche Außenpolitik von Regierung zu Regierung und von Partei zu Partei vergleichsweise wenig. Das hat auch damit zu tun, dass das deutsche parlamentarische System im Verhältnis Regierung–Parlament konkurrenzaverser ist, als das amerikanische oder französische Präsidialsystem. Deshalb ist aus Sicht der JournalistInnen die wertvolle Zeit der Interviews vielleicht besser mit kontroverseren Themen gefüllt.
Einen weiteren Einblick gewährt die Aufteilung der Redezeit nach Partei. VertreterInnen einiger Parteien wurden nur sehr beschränkt außenpolitische Fragen gestellt, jenen der AfD und CSU überhaupt nicht.
Bei der CSU liegt das sicher größtenteils daran, dass Horst Seehofer als Innenminister sowohl von ARD als auch von ZDF befragt wurde. Hier liegen natürlich innenpolitische Themen nahe. Andererseits wurde hier auch eine Chance vertan: Ist die Einstellung der CSU zu Europa nicht ein bedeutendes Thema?
Der thematische Fokus der AfD auf Asyl, Flucht und Migration stand bereits häufiger im Mittelpunkt der Berichterstattung. ZDF-Moderator Thomas Walde wählte in seinem Interview mit Alexander Gauland gezielt Themen außerhalb von Flucht und Asyl aus – jedoch kein außenpolitisches. In der ARD wurde Jörg Meuthen von Tina Hassel zur „Populisten-Allianz“ um den italienischen Innenminister Matteo Salvini befragt, allerdings mit einem deutlichen parteipolitischen Impetus.
Mit der Frage um mögliche Vergeltungsschläge gegen das syrische Regime steht eine wichtige außenpolitische Debatte an. Ob sich Deutschland an dieser oder ähnlichen militärischen Aktionen beteiligen ist ein wichtiges Thema. Und, zumindest mit ihrem Hinweis auf das Bevorstehen entscheidender Momente in den Themenkomplexen Europa und Brexit und dem Syrienkonflikt hat Andrea Nahles in ihrem Brief an die SPD-Mitglieder recht. Gleichzeitig überschätzt sie vielleicht, wie viel „gefühlte Wichtigkeit“ diese Themen nach einem innenpolitisch geprägten Sommer in ihrer Partei und darüber hinaus tragen. All diese außenpolitischen Debatten scheinen von der Innenpolitik – rechter Gewalt, der Räumung des Hambacher Forstes, den kommenden Landtagswahlen – in den Hintergrund gedrängt worden zu sein.
Addendum: Natürlich hat auch das Thema „Flucht, Asyl und Migration“ eine wichtige außenpolitische Komponente und Bestimmt Deutschlands Beziehungen zu anderen Staaten bedeutend mit. Dennoch ist es sinnvoll, die Betrachtung anderer außenpolitischer Debatten gesondert darzustellen.