Federica Mogherini war die Vorsitzende des Treffens der Joint Commission zur JCPOA am 6. Juli 2018 in Wien
Federica Mogherini war die Vorsitzende des Treffens der Joint Commission zur JCPOA am 6. Juli 2018 in Wien | Photo: European Council Newsroom, free use

Der amerikanische Rückzug vom Iran-Deal. Das letzte „hurray“ einer scheiternden Supermacht?

„Make America Great Again“: unter diesem Slogan will Präsident Trump die Vormachtstellung und unilaterale Handlungsfähigkeit der USA in einer nach seinem Willen immer weniger multilateral gestalteten Weltordnung weiter festigen. Tatsächlich sind die USA auf dem besten Wege, ihre herausgehobene Position selbst zu demontieren: durch schrankenlose Machtpolitik und die dadurch ausgelösten Gegenreaktionen. Zum sinnfälligen Ausdruck dieser Entwicklung wurde die Pressekonferenz eines Staatenformats im September 2018, das unter dem Kürzel E3/EU+2 zur Rettung des Nuklearabkommens mit dem Iran antritt.

Der Umbruch wird durch den Vergleich deutlich. Unter Präsident Obama trugen die USA einen multilateralen Ansatz in dieser Frage mit, der sich in der Formel EU3+3 ausdrückte: Die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie die drei weiteren ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates USA, China und Russland, mit der EU-Außenbeauftragten als Sprecherin. Dieser Staatengruppe, die stellvertretend für die Staatengemeinschaft handelte, war es gelungen, Teheran den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) abzutrotzen. Im Gegenzug zur Aufhebung amerikanischer und internationaler Sanktionen verpflichtete sich der Iran, spaltbares Material abzurüsten, intrusive Inspektionen dauerhaft zu akzeptieren und kritische Aktivitäten wie die nukleare Anreicherung, die anderen Mitgliedstaaten des Nichtverbreitungsvertrages zustehen, für Zeiträume von 10 bis 15 Jahren auszusetzen bzw. drastisch zu beschränken.  Nach Präsident Trumps einseitigem Rückzug von diesem Nuklearabkommen tritt nun das neue Format vor die Öffentlichkeit: die bisherigen Protagonisten ohne und gegen die USA, dafür begleitet vom iranischen Außenminister. Die Botschaft ist offensichtlich: Nicht nur Russland, China und andere, auch die ehemaligen transatlantischen Partner, sind nicht länger gewillt, das unilaterale Vorgehen der USA einfach auszusitzen und auf die Zeit nach Trump zu hoffen. Eine grundlegende Veränderung der internationalen Konstellation zeichnet sich ab: der Zerfall der transatlantischen Gemeinschaft.

Der amerikanische Unilateralismus: Von der unipolaren Versuchung zur strukturellen Hybris?

Auch Trumps Vorgänger neigten gelegentlich zu unilateralem Handeln,  nicht zuletzt versucht durch den unipolaren Moment, die Situation des deutlichen Übergewichts der USA gegenüber allen anderen Staaten. Aber selbst auf dem Höhepunkt amerikanischen Machtgefühls, als Präsident Bush 2003 den unnötigen Krieg gegen den Irak lostrat, suchten und fanden die USA zum einen Verbündete und waren zum anderen nicht so vermessen, gleichzeitig weitere Konflikte eskalieren zu lassen. Unter Trump versuchen sie, ihren Willen nicht nur punktuell und gegen den Widerstand einzelner, sondern in der Fläche und notfalls gegen den Widerstand vieler durchzusetzen. Es scheint, als verlören die USA die Unterscheidungsfähigkeit zwischen wichtigen Konflikten und anderen Streitfragen sowie zwischen Gegnern, möglichen Verbündeten und Partnern.

Für diesen Verlust an strategischer Orientierung und den Blick auf die Kosten und Nutzen unilateralen Handelns trägt Trump ein gerütteltes Maß an Verantwortung. Aber nicht nur er allein, sondern das politische System der USA insgesamt. Trumps Programmatik und Rhetorik lässt durchaus Impulse der Zurückhaltung erkennen. Diese wurden allerdings vom Kongress und der sicherheitspolitischen Bürokratie konterkariert. Beispiel Russland: Während Trump noch auf dem Helsinki-Gipfel im Juli 2018 den Ausgleich mit Putin suchte, legte ihn der Kongress mit dem überparteilich beschossenen Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) auf einen strammen Konfrontationskurs fest. Weitere Sanktionsmaßnahmen werden bereits  vorbereitet. Ihren strategischen Sinn beschreibt Wess Mitchell, Staatssekretär im State Department wie folgt: „steady cost-imposition until Russia changes course“.  Weil der Handel zwischen den USA und Russland begrenzt ist, wirken die US-Sanktionen extraterritorial. Bestraft werden nämlich fremde Entitäten, die auf verbotenen Feldern mit Russland Handel treiben. Auch der Kongress setzt also darauf, einseitig definierte Ziele durchzusetzen, indem weltweit Drittparteien mit Zwangsmaßnahmen bedroht werden. Das traf beispielsweise eine Abteilung des chinesischen Verteidigungsministeriums wegen Rüstungsgeschäften mit Russland. Es könnte indische Firmen und Regierungsstellen treffen, wenn diese für den geplanten Kauf russischer  S 400 Luftabwehrraketen keine Ausnahmeregelung erreichen. Auch die Investoren der in Bau befindlichen Northstream II Pipeline könnten zum Ziel amerikanischer Sanktionen werden.

Die Kündigung des Iran-Abkommens als Wendepunkt

Die einseitige Demontage des Iran-Abkommens ist also nicht der einzige Ausdruck der amerikanischen Hybris, sie könnte aber zum Wendepunkt werden.  Der Joint Comprehensive Plan of Action war nach jahrelangem iranischem Widerstand zustande gekommen, weil die Weltgemeinschaft geschlossen Druck ausgeübt hatte, vermutlich auch, weil im Iran der Hardliner Ahmadinedschad  im Sommer 2013 dem Reformer Rouhani Platz gemacht hatte. Obwohl das Abkommen durch die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats abgesichert ist und die Internationale Atomenergiebehörde die Einhaltung der iranischen Abrüstungsverpflichtungen bestätigt, kündigte Trump das Abkommen am 8. Mai 2018 auf. Dadurch trat die erste Welle der ausgesetzten US-Sanktionen am 6. August wieder in Kraft. Am 4. November startet die zweite und entscheidende Sanktionswelle, die die iranische Ölindustrie treffen und das Land vom Dollar-basierten Zahlungsverkehr abschneiden soll. Wiederum entfalten die amerikanischen Sanktionen ihre Wirkung vor allem extraterritorial. Sie drohen fremden Firmen, die mit dem Iran Handel treiben, mit Ausschluss vom amerikanischen Markt und vom Dollar-basierten Zahlungsverkehr. Welche Alternative die USA zum JCPOA verfolgen, ist reichlich unklar. Außenminister Mike Pompeo sprach zwar von einem besseren Abkommen, das Teheran nicht nur zu weiteren nuklearen Zugeständnissen zwingt, sondern auch sein Raketenprogramm und die Unterstützung bewaffneter Kräfte in der Region stoppen soll. Das Mittel hierzu: maximaler Druck.  Warum aber heute durchsetzbar sein soll, was auf dem Höhepunkt internationaler Konzertierung unerreichbar war, bleibt sein Geheimnis. Vermutet wird daher, die Kündigung laufe auf die militärische Option hinaus, die die USA spätestens dann ziehen werden, wenn der Iran reagiert und seinerseits die Abrüstungsverpflichtungen des JCPOA nicht mehr einhält.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich die EU entschlossen, das Abkommen zu retten und die dem Iran zugesagte wirtschaftliche Kooperation und den erhofften Aufschwung zu sichern. Das erste Instrument zur Abwehr amerikanischer Sanktionen, die sogenannte Blocking Statute,  erwies sich als stumpf. Damit bedrohte die EU europäische Firmen mit Sanktionen, falls sie amerikanischen Sanktionen nachgeben. Ein zweites Element der europäischen Gegenwehr ist ein Hilfspaket im Umfang von 50 Millionen Euro. etwa zur Unterstützung kleiner iranischer Unternehmen. Auf der oben erwähnten Pressekonferenz stellte die EU das dritte Element vor: eine Special Purpose Vehicle genannte Finanzierungsfazilität. Die Idee ist einfach; ihre Umsetzung schwierig. Die EU würde ein Organ schaffen, das unabhängig vom Dollar den Handel mit dem Iran verrechnet. Große, multinationale Firmen lassen sich damit nicht gegen die amerikanische Sanktionsdrohung abschirmen. Peugeot, Renault, Total, Eni, Siemens und andere haben ihr Iran-Engagement bereits aufgegeben. Interessant wäre diese Fazilität allenfalls für kleinere, auf den Iran-Handel spezialisierte Firmen.

Wie weiter?

Trotz der begrenzten Möglichkeiten des Special Purpose Vehicle stehen die Zeichen auf erbitterte transatlantische Konfrontation. Diese würde an Schärfe noch zunehmen, wenn die EU dieses Instrument auch zur Abwicklung von Transaktionen zwischen iranischen und russischen sowie chinesischen Entitäten zur Verfügung stellt. Aber selbst wenn die EU hiervor zurückschreckt, sind die kurzfristigen Folgen des Streits destruktiv und könnten die langfristigen grundstürzender Natur sein.

Kurzfristig werden sich die europäischen und amerikanischen Iran-Strategien wechselseitig blockieren. Das JCPOA ist sicherlich nicht perfekt. Die Hoffnung der EU bestand darin, mit der Kooperation und dem wirtschaftlichen Aufschwung werden die Reformen im Iran an Fahrt aufnehmen und eine sicherheitspolitische Neuorientierung einleiten. Diese Hoffnung verfliegt unter der amerikanischen Konfrontationsstrategie und mit dem absehbaren Wiedererstarken der iranischen Wagenburgmentalität.  Blockiert wird aber auch die maximale Druckstrategie der USA. Denn im Gegensatz zu der Zeit vor dem JCPOA ist der Iran heute kein Paria, sondern genießt internationale Unterstützung. Stattdessen befinden sich die USA in einer politisch diskreditierten Position, die sie gegen den Widerstand fast der gesamten Staatengemeinschaft durchsetzen müssten.  Dass ihr dies noch einmal gelingt, ist nicht ausgeschlossen. Der Preis dafür wäre aber hoch.

Langfristig geht es um nichts weniger als die Vormachtstellung der USA. Die Europäer ventilieren bereits Alternativen zum Dollar-basierten Zahlungssystem und versuchen, ihre sicherheitspolitische Abhängigkeit zu reduzieren. Damit würden sich die transatlantischen Beziehungen nachhaltig verändern und würde ein Pfeiler erodieren, auf den sich die amerikanische Vormachtstellung stützt.

Matthias Dembinski
Dr. Matthias Dembinski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programmbereich „Internationale Institutionen“ und Projektleiter an der HSFK. Er forscht zu Fragen von Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen, regionalen Sicherheitsorganisationen und humanitären Interventionen. Sein regionaler Schwerpunkt ist Westeuropa. // Dr Matthias Dembinski is Senior Researcher in the research department “International Institutions” and project manager at PRIF. His research interests are questions of justice in international relations, regional security organisations and humanitarian interventions. His regional focus is Western Europe.

Matthias Dembinski

Dr. Matthias Dembinski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programmbereich „Internationale Institutionen“ und Projektleiter an der HSFK. Er forscht zu Fragen von Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen, regionalen Sicherheitsorganisationen und humanitären Interventionen. Sein regionaler Schwerpunkt ist Westeuropa. // Dr Matthias Dembinski is Senior Researcher in the research department “International Institutions” and project manager at PRIF. His research interests are questions of justice in international relations, regional security organisations and humanitarian interventions. His regional focus is Western Europe.

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