Der New START Vertrag begrenzt die Zahl der Trägersysteme für strategische Nuklearwaffen. | Photo: flickr, Eric Constantineau | CC BY-NC 2.0

Bloß Neustart oder Renaissance nuklearer Abrüstung? New START um fünf Jahre verlängert

Die Verlängerung von New START ist gesichert. Damit ist die seit zwei Jahrzehnten fortschreitende Auflösung zahlreicher Rüstungskontrollabkommen vorerst gestoppt. Es ist noch lange keine Renaissance der nuklearen Abrüstung. Hierzu müssen die Risiken nuklearer Eskalation minimiert und sub-strategische Nuklearwaffen in den Blick genommen werden. Es braucht außerdem die Einbindung Chinas und ein Upgrade der bilateralen Rüstungskontrolle auf die multilaterale Ebene. Wie kann das gelingen?

US-Präsident Joe Biden und der russische Präsident Wladimir Putin haben sich geeinigt, den sogenannten New START Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty) um fünf Jahre zu verlängern. Anderenfalls wäre er heute, am 5. Februar 2021, automatisch ausgelaufen. New START ist das letzte noch existierende nukleare Abrüstungsabkommen zwischen den beiden Nuklearmächten. 2010 wurde es von den damaligen Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedjew ausgehandelt und unterzeichnet. Der Vertrag begrenzt die Zahl der Trägersysteme für strategische Nuklearwaffen (mit langer, interkontinentaler Reichweite) auf jeweils 800. Die hierfür einsatzbereiten Sprengköpfe werden auf 1.550 reduziert. Die Gesamtzahl der nuklearwaffenfähigen Raketen und Bomber darf jeweils 700 nicht überschreiten. Außerdem wurden Maßnahmen zur gegenseitigen Überwachung und Verifikation vereinbart, um die Einhaltung  des Vertrages sicherzustellen.

Damit ist die seit zwei Jahrzehnten fortschreitende Auflösung zahlreicher Rüstungskontrollabkommen zunächst gestoppt. Sie hatte unter dem vorherigen US-Präsidenten Trump deutlich an Fahrt gewonnen. Nahezu alle Vereinbarungen zwischen Russland und den USA sowie ihren Bündnispartnern zur Begrenzung und Transparenz ihrer militärischen Fähigkeiten fielen dem zum Opfer. So stiegen die USA aus dem INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty) über die Vernichtung nuklear bestückbarer Trägersysteme mittlerer Reichweite aus und kündigten den Open-Skies-Vertrag über gemeinsame Aufklärungsflüge. Beides quittierte Russland seinerseits mit dem eigenen Ausstieg.

Die Rettung von New START setzt der Demontage der nuklearen Rüstungskontrolle zunächst ein Ende und friert die Rüstungsspirale für eine bestimmte Dauer, wenn auch auf relativ hohem Niveau, ein. Sie ist jedoch noch lange keine Renaissance der nuklearen Abrüstung. Doch schafft sie dringend benötigten Handlungsspielraum. Es ist kostbare Zeit gewonnen, um die nukleare Rüstungskontrollarchitektur an die neuen globalen Gegebenheiten anzupassen.

Dabei muss auf drei entscheidende Entwicklungen reagiert werden: 1) die aggressive Abschreckungspolitik der beiden größten Nuklearmächte Russland und USA und deren Erweiterung von Einsatzoptionen, 2) den Aufstieg der Nuklearmacht China, 3) den Ruf nach Multilateralisierung der nuklearen Rüstungskontrolle, der von etwa zwei Dritteln der internationalen Staatengemeinschaft ausgeht. Viele Herausforderungen, die alle gleichzeitig und –wertig nach Bearbeitung verlangen.

1) Wie Risiken reduzieren und substratgische Waffensysteme integrieren?

Immerhin haben der russische und neu-gewählte amerikanische Präsident ihre Bereitschaft erklärt, den Dialog zwischen Moskau und Washington über Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder aufzunehmen. Das ist dringend notwendig, denn die USA und Russland besitzen zusammen über 90 Prozent der weltweiten Nuklearwaffen. Außerdem haben sie in den letzten Jahren neue Sprengköpfe und Trägersysteme entwickelt, die das New START Abkommen nicht berücksichtigt. Insbesondere sub-strategische Nuklearwaffen (mit geringerer Sprengkraft und Trägersystemen kurzer oder mittlerer Reichweite), die teilweise auch in NATO-Bündnisstaaten stationiert sind, sind nicht erfasst. Das bedroht vor allem die europäische Sicherheit, da diese Waffensysteme für die sogenannte begrenzte nukleare Kriegsführung gedacht sind, die auf Stellvertreterszenarien ausgerichtet ist und eine direkte Konfrontation von USA und Russland vermeiden soll.

Um das Risiko einer nuklearen Eskalation zu verringern, müssen also in künftigen Abrüstungsverhandlungen gerade die sub-strategischen Fähigkeiten einbezogen werden. Dies wird umso schwieriger, wenn sich die Gespräche weiter nur um Fragen der Fähigkeiten, sprich der nuklearpolitischen Hardware kreisen. Die nukleare Software, also die Ausgestaltung der Doktrinen und Einsatzszenarien, darf nicht außer Acht gelassen werden. Mit anderen Worten: Die aggressive Abschreckungspolitik der USA und Russlands, die Nuklearschläge im Falle eines konventionellen Angriffs nicht ausschließt, muss entschärft werden. Nur dann können Einsatzoptionen reduziert und auf entsprechende Bewaffnung verzichtet werden. Deutschland hat ein besonderes sicherheitspolitisches Interesse daran, auf eine solche Entschärfung der Abschreckungspolitik hinzuwirken, und sollte sich deshalb innerhalb des transatlantischen Bündnisses, aber auch gegenüber Russland, für eine Minimalabschreckung und den Verzicht auf Ersteinsatz einsetzen.

2) Wie China einbinden?

Fast wäre eine Verlängerung von New START gescheitert, weil die Trump-Administration bis zum Ende ihrer Regierungszeit unerfüllbare Bedingungen gestellt hat, darunter die Einbeziehung Chinas, das seine Nuklearstreitkräfte ebenso wie die anderen Nuklearmächte modernisiert und aufrüstet. Dass sich China auf ein trilaterales Abkommen mit Russland und den USA nicht einlassen will, verwundert nicht. Schließlich umfasst das chinesische Arsenal mit etwa 320 Sprengköpfen nicht einmal ein Zehntel der Arsenale Russlands (6.375) und der USA (5.800). Darüber hinaus sieht sich die Volksrepublik aufgrund ihres Erstschlagverzichts als rein defensive Nuklearmacht. So gerne man die Altlasten der Trump-Regierung loswerden möchte, so muss man auch dem neuen US-Außenminister Antony Blinken Recht geben, der betont, dass künftige Rüstungskontrollgespräche auch die Gefahr durch Chinas modernes und wachsendes Nukleararsenal in den Blick nehmen und reduzieren müssen, und New START nur der Anfang sein könne, um den Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts entgegenzutreten.

Damit die Einbindung Chinas in ein breiteres nukleares Rüstungskontrollregime gelingen kann, müssen auch Frankreich und Großbritannien, deren nukleare Streitkräfte mit 290 bzw. 214 Sprengköpfen eine ähnliche Größenordnung haben, miteinbezogen werden. China und Russland fordern dies aus sachlich gerechtfertigten Gründen schon lange. Dies wäre auch deshalb sinnvoll, weil diese fünf Staaten zugleich die Gruppe der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bilden und bereits im sogenannten P5 (Permanent Five)-Format im Austausch über nukleare Sicherheit und Fragen der globalen nuklearen Ordnung stehen – wenn auch bisher mit nur magerem Ergebnis (ein gemeinsames Nuklear-Glossar). Die P5 verbindet auch, dass sie die einzigen Nuklearwaffenstaaten sind, die der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) mit seinen 191 Vertragsstaaten als solche anerkennt. Durch den NVV stehen sie auch gemeinsam gegenüber den Nicht-Nuklearwaffenstaaten in der Pflicht, Abrüstung voranzutreiben und das Risiko eines Nuklearkrieges zu reduzieren.

Künftige nukleare Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen sollten daher über bilaterale Vereinbarungen Russlands und den USA hinausreichen und durch verbindliche multilaterale Abkommen ergänzt werden. In einem P5-Arrangement für nukleare Rüstungskontrolle könnte ein Zwei-Ebenen Ansatz verfolgt werden. Neben der substantiellen Abrüstung der exorbitanten russischen und US-amerikanischen Arsenale einschließlich sub-strategischer Streitkräfte, sollte darin für alle P5 vereinbart werden, jede Modernisierung der Sprengköpfe und Trägersysteme, die auf eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten abzielt, einzufrieren und auf den Ausbau von Fähigkeiten, auch in kleineren Arsenalen, zu verzichten. Die „zwei Großen“ rüsten weiter ab, während alle, einschließlich der „drei Kleinen“, die Modernisierung und Aufrüstung einstellen. Die Aussicht auf eine P5-Initiative verbunden mit einer multilateral abgestimmten Entschärfung der Abschreckungspolitik und Risikominimierung würde auch dem, auf Ersteinsatz ohnehin verzichtenden China einen starken sicherheitspolitischen Anreiz bieten, sich zu beteiligen.

3) Wie kann Multilateralisierung gelingen?

Eine tatsächliche Multilateralisierung der Rüstungskontrolle erfordert auch eine konsequente Multilateralisierung der Verifikation. Zur Vertrauensbildung innerhalb der P5, aber auch gegenüber den Nicht-Nuklearwaffenstaaten, sollten künftige Überprüfungs- und Verifikationsmaßnahmen multilateraler Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen unter Beteiligung von Staaten außerhalb der P5-Gruppe und der Ägide der Vereinten Nationen stattfinden. Viele Nicht-Nuklearwaffenstaaten fordern schon lange eine Multilateralisierung der nuklearen Rüstungskontrollarchitektur über den NVV hinaus. Denn bisher werden nur sie im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes aufgrund von Safeguards-Agreements mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) überwacht und inspiziert. Die Nuklearwaffenstaaten selbst unterliegen keiner multilateralen Kontrolle, geschweige denn einer Verifikation, an der auch die Nicht-Nuklearwaffenstaaten mitwirken. Die P5 sollten Verantwortung dafür übernehmen, dieses rüstungskontrollpolitische Defizit zu korrigieren. Das klandestine Design der bilateralen nuklearen Verifikation Russlands und der USA schwächt die nukleare Ordnung insgesamt und hält auch die Nuklearwaffenstaaten außerhalb des NVVs davon ab, sich einer multilateralen Kontrolle zu unterziehen.

Deutschland und Frankreich haben in einem gemeinsamen Forschungsprojekt im Rahmen des International Partnership for Nuclear Disarmament Verification (IPNDV) bereits Methoden entwickelt und erfolgreich erprobt, wie nukleare Abrüstung auch multilateral und unter Beteiligung von Nicht-Nuklearwaffenstaaten sicher verifiziert werden kann, ohne dass sensible Informationen weitergegeben werden. In Norwegen und Großbritannien gibt es ähnliche Experimentalstudien. Auch die RWTH Aachen forscht zu innovativen Verifikationsmethoden, an denen sich Nicht-Nuklearwaffenstaaten beteiligen könnten. Die von den USA initiierte CEND-Initiative (Creating an Environment for Nuclear Disarmament), die als Dialogplattform zwischen Nuklearwaffenstaaten (einschließlich der Nicht-NVV-Vertragsstaaten Indien, Pakistan und Israel), NATO-Mitgliedern und Nicht-Nuklearwaffenstaaten dienen soll, könnte um eine Arbeitsgruppe erweitert werden, die Möglichkeiten multilateraler Verifikation im Lichte der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auslotet und operationalisiert. Diese Möglichkeiten sollten genutzt werden, um Abrüstungs- und Begrenzungsvereinbarungen der P5 unter Einbeziehung von Nicht-Nuklearwaffenstaaten zu verifizieren. Letztere könnten beispielsweise aus dem Kreis der rotierenden Mitglieder im Sicherheitsrat gewonnen und somit die Einbettung in die Vereinten Nationen gewährleistet werden. Die Multilateralisierung der nuklearen Abrüstung wäre dann nicht bloß ein Neustart, sondern eine Renaissance für die gesamte Rüstungskontrollarchitektur und ein Come-Back der Vereinten Nationen.

Sascha Hach

Sascha Hach

Sascha Hach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF und arbeitet zu Europäischer Sicherheit, Rüstungskontrolle und Vereinte Nationen. Er ist Teil der Forschungsgruppe „PATTERN“ sowie der „Arms Control Negotioation Academy (ACONA)“. // Sascha Hach is a researcher at PRIF and his interests include European Security, arms control and the United Nations. He is part of the research group “PATTERN” and the “Arms Control Negotiation Academy (ACONA)”.

Sascha Hach

Sascha Hach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF und arbeitet zu Europäischer Sicherheit, Rüstungskontrolle und Vereinte Nationen. Er ist Teil der Forschungsgruppe „PATTERN“ sowie der „Arms Control Negotioation Academy (ACONA)“. // Sascha Hach is a researcher at PRIF and his interests include European Security, arms control and the United Nations. He is part of the research group “PATTERN” and the “Arms Control Negotiation Academy (ACONA)”.

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