Seit Schweden im Jahr 2014 offiziell eine feministische Außenpolitik verfolgt, wird der Begriff in der Sicherheits- und Außenpolitik immer präsenter. Fünf weitere Länder haben mittlerweile offiziell eine feministische Außenpolitik oder zumindest feministische Leitlinien der Außen- und Sicherheitspolitik eingeführt: Kanada, Frankreich, Mexiko, Spanien und Luxemburg. Damit stellen diese Staaten die Gleichberechtigung der Geschlechter als zentrales Mittel zur Herstellung von Frieden und Sicherheit in den Fokus ihrer Außenpolitik, setzen sich für eine höhere Anzahl an Frauen im diplomatischen und außenpolitischen Dienst ein und stärken die Durchsetzung der (Frauen-)Menschenrechte.
Für eine feministische Außenpolitik ist Geschlechtergerechtigkeit die Voraussetzung und gleichzeitig Mittel für Frieden und Sicherheit. Neben gerechter Repräsentation von Frauen in außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen, gehört dazu auch die Prävention von Krieg und Gewalt durch entmilitarisierte Konfliktlösung. Feministische Außenpolitik bezieht sich aber auch auf die Anerkennung kolonialer Machtstrukturen, um Geschlechtergerechtigkeit für alle zu erreichen.
Ein zentrales Instrument für die Umsetzung einer feministischen Außenpolitik ist die VN-Sicherheitsresolution 1325 aus dem Jahr 2000, die die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (WPS-Agenda) begründet. Doch wie positionieren sich die etablierten Parteien im Wahlkampf zur Bundestagswahl zu den Themen Frauen, Frieden und Sicherheit und feministische Außenpolitik? Stellt eine feministische Außenpolitik vielleicht sogar eine realistische Möglichkeit für die nächste Bundesregierung dar?
Das Geschlechterverständnis der Parteien
Um über feministische Außenpolitik zu sprechen, bedarf es zunächst eines grundlegenden Blickes auf das Geschlechterverständnis der aktuell in Fraktionsstärke im Bundestag vertretenen Parteien. Die Diskussion über die Bedeutung von Geschlecht spiegelt sich auch in den Wahlprogrammen von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD wieder. Diese Diskussion betrifft den Unterschied zwischen der biologischen, binären Definition von Frau und Mann und der feministischen Definition, die von einem sozial konstruierten Geschlechterverständnis ausgeht, das auf gesellschaftlichen Rollenbildern und Stereotypen beruht. Letztere beinhaltet auch LSBTQI (lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, nichtbinäre und intergeschlechtliche) Personen und berücksichtig damit diverse sexuelle Orientierungen. Ein intersektional-feministischer Ansatz geht davon aus, dass Geschlechtsidentität immer auch mit anderen Merkmalen, also z.B. Sexualität, Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit zusammenhängt (vgl. Kimberlé Crenshaw, 1989) und strebt die Aufdeckung darauf zugrunde liegenden Diskriminierungsformen und der ungleichen Verteilung von Macht an.
„Geschlechtergerechtigkeit ist eine Querschnittsaufgabe, die wir intersektional denken” heißt es im Wahlprogramm von Bündnis90/die Grünen, welches sich durch seinen diversen Ansatz in fast allen Politikbereichen auszeichnet. Die Partei setzt sich für die Gleichstellung „Menschen aller Geschlechter gleichermaßen” und für die gleichberechtigte Teilhabe von LSBTQI Personen ein. Ähnliche Auffassungen vertritt die Partei die Linke in dem Kapitel „Für Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Vielfalt der Geschlechter”. Die Linke warnt vor einer „Retraditionalisierung der Geschlechterrollen”, betont die Rechte von LSBTQI als „nicht verhandelbar” und wirbt für eine gerechte Verteilung von Arbeit, Zeit und Geld zwischen allen Geschlechtern.
Die SPD will sich für die „Anerkennung und Gleichstellung“ von LSBTQI Personen einsetzen und dies durch die „rechtliche Absicherung von LSBTIQ*-Familien und Trans* und Inter*Personen” erreichen. Die FDP hält sich in ihrer Geschlechterpolitik eher kurz. Sie versteht Geschlecht innerhalb des „liberalen Feminismus” und spricht damit vor allem die wirtschaftliche Einbeziehung von Frauen und LSBTQI Personen an. Bezogen auf Außenpolitik, fordert die FDP von den Vereinten Nationen „eine Konvention für LSBTI-Rechte nach dem Vorbild der Frauenrechtskonvention”.
Die CDU/CSU sticht durch die fehlende Erwähnung von diverser Geschlechterpolitik heraus und beschreibt ihr Ziel einer modernen Gesellschaft, in der „Männer und Frauen gleichberechtigt ihre Kompetenzen und Stärken entfalten” können. Als Maßnahme dafür nimmt sich die CDU/CSU vor, „Rahmenbedingungen für Frauen in allen Politikfeldern zu verbessern”. Die AfD vertritt die Ansicht, dass Geschlecht „durch die Geschlechtschromosomen bestimmt” wird und dass sich „das biologische Geschlecht […] unmittelbar auf viele Verhaltensaspekte von Männern und Frauen” auswirkt. Für die Partei besteht eine Familie aus „Vater, Mutter und Kindern“, sie lehnt andere Familienkonstellationen und Geschlechteridentitäten und -selbstbestimmung ab.
VN Resolution 1325, NAP und Friedensprozesse
Die VN-Sicherheitsratsresolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit” aus dem Jahr 2000 ist zu einem Meilenstein in der geschlechtersensiblen Friedensarbeit der Vereinten Nationen und zahlreicher Mitgliedsstaaten geworden. Die drei „P” – Prävention, Partizipation, Protektion – geben den Rahmen für geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik vor. Deutschland hat 2020 seinen dritten Nationalen Aktionsplan (NAP) verabschiedet, der die Umsetzung der Resolution anleitet. 2019 hat Deutschland im Vorsitz des Sicherheitsrates die Resolution 2467 auf den Weg gebracht, die sexuelle Gewalt in Konflikten beenden will und Opferschutz sowie Täter*innenbestrafung fordert.
Die SPD verweist in ihrem Wahlprogramm darauf, dass Friedensprozesse nur nachhaltig sein können, wenn die Belange und Interessen von Frauen berücksichtigt sind. Die VN-Resolution 1325 soll deshalb konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden. Auch die FDP schreibt Frauen eine elementare Rolle in der Friedenssicherung, Streitschlichtung und Krisenprävention zu. Ihre Position soll in der Krisen- und Konfliktbewältigung systematisch gestärkt werden, indem Frauen in den Vereinten Nationen, der EU und im Bund noch gezielter in Führungspositionen gebracht werden sollen. Zudem möchte die FDP die Resolution 1325 systematisch umsetzen.
Bündnis 90/Die Grünen betonen in ihrem Wahlprogramm, dass sie die Außen-, Entwicklungs-, Handels- und Sicherheitspolitik feministisch gestalten wollen – die VN-Resolution 1325 ist nur ein Baustein unter anderen. Im Wahlprogramm fordern Bündnis 90/Die Grünen einen Fokus auf die Sicherheit und Partizipation von Frauen in der Konfliktprävention, bei der Transformation von Konflikten und in Stabilisierungsprozessen. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen gilt es einzudämmen, reproduktive Rechte müssen gestärkt werden.
Die Linke begreift Feminismus international und solidarisch, die VN-Resolution 1325 muss als ein Bestandteil eines Bündels an Maßnahmen umgesetzt werden. Die Partei fordert die Realisierung ziviler Maßnahmen der Gewaltprävention und Konfliktlösung: „Deutsche Außen-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik muss Friedenspolitik und Geschlechtergerechtigkeit weltweit voranbringen.” Die CDU/CSU und auch die AfD erwähnen die VN-Resolution 1325 nicht in den Wahlprogrammen. Dennoch wurde der oben erwähnte dritte deutsche NAP und die VN-Sicherheitsratsresolution 2467 in der Regierungszeit von CDU/CSU und SPD beschlossen.
Feministische Außenpolitik
Bündnis 90/Die Grünen und die Linkspartei, die sich in der Vergangenheit bereits beide für das Konzept ausgesprochen haben, benennen eine feministische Außenpolitik als konkretes Ziel. Die Linke fordert insgesamt einen „Paradigmenwechsel in der Außenpolitik”. Diese „muss feministisch, sozial und ökologisch werden” und soll insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen miteinbeziehen, Rüstungsexporte stoppen und die stärkere Mitbestimmung von Ländern des Globalen Südens ermöglichen. Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit ist damit auch Teil der Vorstellungen einer feministischen Linken Außenpolitik, die insgesamt auf einem internationalen, intersektionalen und solidarischen Feminismus beruht.
Auch Bündnis 90/Die Grünen orientieren sich stark an der zivilgesellschaftlichen Vorstellung einer feministischen Außenpolitik und möchten die Expertise dieser Akteur*innen in einer weiteren Konzeption aktiv einbinden. In ihrer feministischen Außenpolitik setzen sie auf „die Achtung der Rechte marginalisierter Gruppen, auf Zusammenarbeit und Rechtsstaatlichkeit, auf Gewaltfreiheit und koordinierte Krisenprävention und regelbasierte sowie vorrangig zivile Konfliktbearbeitung in einer eng vernetzten Welt“.
Deutschland soll seinen Beitrag dazu leisten, die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten und die internationale Politik zu dekolonialisieren. Während sich das feministische Verständnis der Grünen und Linken sehr ähnelt, unterscheiden sich die Parteien maßgeblich durch die Vorstellung der Umsetzung, für welche die Grünen im Unterschied zu den Linken sehr konkrete Maßnahmen benennt, wie beispielsweise die nachhaltige Finanzierung feministischer Maßnahmen.
FDP und SPD nehmen zwar keine explizite Stellung zum Konzept der feministischen Außenpolitik, vertreten aber ein inklusives Geschlechterverständnis und beziehen damit diverse vulnerable Gruppen in außenpolitische Überlegungen mit ein. Die starke Bezugnahme auf internationale Rahmenwerke zur Stärkung von Geschlechtergerechtigkeit im Wahlprogramm der SPD zeigt, dass feministische Ideen weiterhin ihren Platz im Bereich der Außenpolitik erhalten sollen.
Die CDU/CSU erwähnt auf außenpolitischer Ebene lediglich die Stärkung von Frauen und Mädchen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Dass die AfD hingegen keinerlei Verbindung zwischen Außenpolitik und Geschlechtergerechtigkeit herstellt, war zu erwarten, nachdem ihre Bundestagsfraktion im Oktober 2020 einen Antrag gegen feministische Außenpolitik in den Bundestag einbrachte.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich über die Positionen der sechs etablierten Parteien im Bundestag in den Bereichen Geschlechterverständnis, Resolution 1325 und feministische Außenpolitik folgendes sagen: Ein intersektional-feministisches Geschlechterverständnis kann den Parteien Bündnis 90/die Grünen und Die Linke zugeschrieben werden, während die FDP und SPD Geschlecht immerhin als LSBTQI-inklusiv versteht, die CDU/CSU dazu schweigt und die AfD vom rein biologischen Geschlecht ausgeht. Die VN-Resolution 1325 unterstützen alle Parteien bis auf die AfD, allerdings unterscheiden sich die Parteien erheblich in ihren Aussagen, etwa im Hinblick auf eine eigene Budgetierung nationaler Aktionspläne.
Eine feministische Außenpolitik ist nur für Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke unabdingbarer Bestandteil außenpolitischer Forderungen. Die FDP und SPD integrieren mit ihrem jeweiligen Geschlechterverständnis und der Bezugnahme auf internationale Regelwerke zumindest feministische Ideen in ihre Außen- und Sicherheitspolitik. Für CDU/CSU und AfD spielt eine feministische Perspektive auf Außenpolitik keine Rolle. Inwieweit die Außen- und Sicherheitspolitik der nächsten Bundesregierung feministisch sein wird, bleibt also abzuwarten.