Feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung konzentrieren sich auf Geschlechterverhältnisse in Kriegen, Konflikten oder in der Friedensförderung. Die Forschung analysiert Ursachen und Folgen von Geschlechterungleichheit und -diskriminierung, blickt aber auch auf verschiedenen Gewaltformen, also auf physische, strukturelle und systemische Gewalt, wie z.B. Sexismus und Rassismus. Feministische Friedens- und Konfliktforschung ist machtkritisch und inklusiv, sie stellt marginalisierte und unsichtbare Stimmen in den Mittelpunkt der Analyse von internationaler Politik. Unsere neue Blogreihe will die Vielfältigkeit der feministischen Forschung in der Friedens- und Konfliktforschung aufzeigen und politische Erfolge und Misserfolge sichtbar machen.
Krieg stellt Frauen vor besondere Herausforderungen, wie sich gegenwärtig in der Ukraine zeigt. Mehr als zehn Millionen Menschen sind auf der Flucht, überwiegend sind es Frauen und sie müssen das Überleben ihrer Familien sichern, sie schließen sich aber auch den kämpfenden Einheiten in der Ukraine an. Eine neue Studie von UN Women und Care International zeigt, wie sehr Krieg Geschlechterungleichheit verschärft. So sind es vor allem Frauen und marginalisierte Gruppen, die von Armut und Hunger bedroht sind. Die Studie betont auch, dass geschlechtersensible Menschenrechte sich in der Ukraine deutlich verschlechtert haben – auch LGBTIQ+ oder Rom*nja sind betroffen. Auch die Teilhabe von Frauen ist eingeschränkt. Bei den Friedensverhandlungen war bisher keine Frau vertreten. Feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung sind inklusiv und konzentrieren sich darauf, Ungerechtigkeit und Diskriminierungen zwischen den Geschlechtern sichtbar zu machen. Geschlechtersensible Menschenrechte sind weltweit hart erstritten worden und sie drohen vielerorts eingeschränkt oder vollkommen abgeschafft zu werden. Das plastischste Beispiel ist derzeit wohl Afghanistan, wo Mädchen ab Sekundarstufe 2 nicht mehr zur Schule gehen dürfen und Frauen mit dem Tragen der Burkha erneut aus dem öffentlichen Leben verbannt werden sollen. Aber auch in Demokratien, wie den Vereinigten Staaten von Amerika, sind geschlechtersensible Menschenrechte wie beispielsweise die Gesundheitsfürsorge keine Selbstverständlichkeit. Dort will der oberste Gerichtshof das Recht auf Abtreibung abschaffen und damit Frauen in ihrer Gesundheitsfürsorge einschränken.
Erfolge und Rückschritte in der geschlechtersensiblen Friedenspolitik
So gibt es in den vergangenen 20 Jahren beachtliche Fortschritte in der internationalen, aber auch nationalen geschlechtersensiblen Friedenspolitik zu verzeichnen. Mit der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000 sind Frauenmenschenrechte im höchsten UN-Organ verankert worden. Insgesamt 10 Resolutionen bilden seither die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit, welche unter anderem die Partizipation von Frauen an Friedensverhandlungen, Schutz vor sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, sowie die Prävention von Konflikten und Gewalt einfordert. Bis heute haben mehr als 98 Staaten nationale Aktionspläne verabschiedet, um aus Worten auch Taten folgen zu lassen.
Eine Reihe von Staaten hat sich inzwischen zu einer feministischen Außenpolitik bekannt, unter ihnen Schweden, Norwegen, Mexiko, Chile und auch Deutschland. Sicherheit wird hier nicht als militarisierte Sicherheit, sondern vor allem als menschliche Sicherheit mit dem Ziel verstanden, nicht nur (sexualisierte) Gewaltverhältnisse zu bekämpfen, sondern ein Leben für alle Menschen in gesicherten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu realisieren. Dennoch bleibt zwischen solchen politischen Absichtserklärungen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen insbesondere auch von Frauen, Mädchen und LGBTIQ+ Personen in Krisen- und Konfliktsituationen eine deutliche Diskrepanz bestehen. Mit unserer Blogreihe wollen wir darauf aufmerksam machen, wollen Forschungsergebnisse darstellen und praktische Umsetzungserfolge benennen. Andererseits wollen wir mit der Blogreihe aber auch Widerstände und Rückschritte thematisieren, mit denen sich die Verteidiger*innen gendersensibler Menschenrechte tagtäglich konfrontiert sehen.
Denn trotz dieser bedeutenden Fortschritte gibt es Widerstände und Rückschritte gegen „gender“ und gendersensibler Menschenrechte, sowohl auf der internationalen, staatlichen als auch auf der lokalen Ebene. Diese Widerstände kommen auf verschiedenen Ebenen politischer und gesellschaftlicher Prozesse vor: international in den VN-Institutionen ausgehend von autoritären Staaten und konservativen pro-Familien Bündnissen, transnational ausgehend von verschiedenen rechten, autoritären und religiösen anti-gender Bewegungen, national von konservativen und rechten Parteien. In der Friedensförderung ist ein bekanntes Beispiel der öffentliche Widerstand gegen die LGBTIQ+-Rechte im kolumbianischen Friedensvertrag, der unter anderem zu dessen Scheitern geführt hat. Aber auch auf lokaler Ebene treten Widerstände auf, wie das Beispiel Afghanistans und die tödliche Gewalt gegen Menschenrechtsaktivist*innen zeigt.
Intersektionale Perspektiven auf Konflikte
Feministische Theorie ist seit den 1990ern Jahren von Schwarzen feministischen Wissenschaftler*innen geprägt. Kimberlé Crenshaw prägte das Konzept der Intersektionalität, welches die Mehrdimensionalität und Interdependenz von Unterdrückungs- und Diskriminierungsformen in einer Gesellschaft, nicht nur aufgrund von Geschlecht, aber auch von race, Klasse und Sexualität beschreibt. Diese mehrdimensionalen Ansätze spiegeln sich seit den 2000er Jahren immer mehr in der politischen Praxis und feministischen Friedensforschung, z.B. in der Kritik an Militarismus, Klimapolitik, exklusiven Friedensverhandlungen oder auch kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen – und damit in der weltpolitischen Agenda wider. Die Relevanz intersektionaler Forschungsansätze wird auch in Konfliktanalysen deutlich. Eine intersektionale Analyse macht die unterschiedlichen Wahrnehmungen, Vulnerabilitäten, und Betroffenheit von Krieg und dessen Konsequenzen sichtbar. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutlicht dies enorm. Kämpfende sind meist Männer und sterben daher öfter als Frauen im Krieg. Flüchtende und Opfer sexualisierter Kriegsgewalt sind meist Frauen und Menschen der LGBTIQ+ Community. Transpersonen in Kriegssituationen werden meist nicht anerkannt und geschützt. Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeiten haben in der europäischen Grenz- und Flüchtlingspolitik nicht die gleichen Rechte.
Ein wichtiger Bestandteil kritischer feministischer Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung sind post-koloniale und dekoloniale Theorien. Wissenschaftler*innen, wie Gayatri Spivak, Chandra Talpede Mohanty und Swati Parashar stellen Geschlechterfragen in den Mittelpunkt antikolonialer Kämpfe und verdeutlichen, dass die Emanzipation von Frauen nicht von der Befreiung kolonialer Unterdrückungsformen getrennt werden kann. Post-kolonial feministische Forschung kritisiert und dekonstruiert die anhaltenden Machtverhältnisse zwischen dem globalen Süden und Norden. In der Friedensförderung bezieht sich diese Kritik unter anderem auf die Umsetzung der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit. Diese schafft eine Politik, die ausgedrückt in Gayatri Spivaks Worten impliziert: „white man saving brown women from brown men“. Denn oft sind nationale Aktionspläne der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit im Norden nach außen gerichtet, betreffen also Konflikte und Länder im globalen Süden, während solche im Süden nach innen gerichtet sind und die nationale Politik adressieren. Für den globalen Norden bedeutet dies, dass nationale Aktionspläne und feministische Außenpolitik stets auch innenpolitische Dimensionen beinhalten sollten. Aber auch Prozesse der Anerkennung, Aufarbeitung und des aktiven Aufbrechens kolonialer Machtbeziehungen ist die Voraussetzung einer dekolonialen und feministischen Außenpolitik. In Forschungsprozessen richtet sich die post-koloniale Kritik gegen vorhandene Hierarchien zwischen Forschenden und erforschtem Subjekt sowie die westlich geprägte und meist im Norden verankerte Wissensproduktion.
Feministische Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung umfassen eben auch die Kritik der Wissensproduktion selbst, also die Methoden und Theorien internationaler Politik. Sie zielen darauf ab, Hierarchien in der Forschung zu dekonstruieren, und thematisieren die Identität der Forschenden. Feministische Forschung hat einen normativen Anspruch und will zu einer geschlechtergerechten und anti-rassistischen Gesellschaft beitragen.
Diese Blogreihe diskutiert intersektionale, queer- und postkolonial-feministische Fragen in unterschiedlichen Formaten in den Themenfeldern Außen- und Sicherheitspolitik, Peacebuilding, Menschenrechte, Flucht und Migration. Sie blickt auch auf gesellschaftspolitische und soziale Gerechtigkeit, analysiert Gewaltformen und Anti-Feminismus und will aufzeigen, wie solche inklusiven, feministischen Perspektiven die Friedens- und Konfliktforschung aber auch die politischen und sozialen Verhältnisse weltweit aber auch bei uns zu Hause verändern können.