In ihren afrikapolitischen Leitlinien von 2019 beschreibt die amtierende deutsche Bundesregierung die Zukunft Europas und Afrikas als „untrennbar verbunden“ und strebt an, die Zusammenarbeit zwischen den Kontinenten zu intensivieren. Abseits der zentralen Themen, die im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 den Wahlkampf dominieren, lohnt demnach auch ein Blick auf jene, die weniger im öffentlichen Fokus stehen, darunter zum Beispiel die afrikapolitischen Positionen der Parteien. Wie äußern sich also die Parteien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 mit Blick auf den afrikanischen Kontinent?
Ein solcher Blick zeigt nicht nur eine gestiegene Relevanz des Kontinents für die außenpolitische Ausrichtung der Parteien, sondern auch eine thematische Ausdifferenzierung der zukünftigen Zusammenarbeit. Im Vergleich zum Wahlkampf 2017 widmen die Parteien heute in ihren Wahlprogrammen afrikapolitischen Überlegungen tendenziell mehr Platz. Auch inhaltlich stellen sich die Programme deutlich ausdifferenzierter als 2017 dar. Der damals dominante Fokus auf Flucht und Migration ist mit Ausnahme der AfD einer breiteren Palette an Themen gewichen.
Vor dem fiktiven Szenario, dass die jeweiligen Parteien der nächsten Bundesregierung angehören, beleuchtet dieser Blogbeitrag drei Fragen: Welche thematischen Schwerpunkte möchten die Parteien zukünftig in ihrer Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten setzen? Welchen Stellenwert räumen die Parteien dabei insbesondere der Konfliktbearbeitung und der Friedensförderung ein? Welche Rolle sehen die Parteien für Deutschland im Kontext der Zusammenarbeit von Europäischer und Afrikanischer Union? Dabei stützt sich der Beitrag auf die aktuellen Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie die Antworten der Parteien auf die von der HSFK eingereichten Wahlprüfsteine zu den Wahlprogrammen.
Zu Beginn eine allgemeine Beobachtung: Während SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke die Diversität des Kontinents explizit anerkennen, reproduzieren CDU/CSU und FDP eher ein homogenes und passives Bild eines einheitlichen Kontinents als reiner ‚Empfänger‘ deutscher Außenpolitik. Das Anstreben eines „modernen und differenzierten Afrikabildes“, wie es im Wahlprogramm der CDU/CSU steht, reicht nicht aus, wenn es nicht in konkrete Politik umgesetzt wird. Nur bei Bündnis 90/Die Grünen und der SPD spielen Dialog und die eigenverantwortliche Definition von Schwerpunktthemen auf Seiten der afrikanischen Partner eine Rolle. Demnach ist es diesen beiden Parteien wichtig, dass, anstatt eines hegemonialen Verständnisses in der Zukunft die selbstgesteckten Ziele der Partner, wie die Agenda 2063 der Afrikanischen Union, als „Richtschnur“ einer gemeinsamen Zusammenarbeit fungieren.
Thematische Schwerpunkte in der Zusammenarbeit: Die derzeitigen Regierungsparteien
Eine vom Beirat der Bundesregierung für Zivile Krisenprävention und Friedensförderung in Auftrag gegebene Auswertung der afrikapolitischen Strategiepapiere der Deutschen Bundesregierung kommt zu dem Schluss, dass ein Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung die aktuelle Afrikapolitik dominiert – zu Lasten einer differenzierten friedenspolitischen Wirkungslogik. Dies bestätigt ein Blick in die Wahlprogramme der aktuellen Regierungsparteien:
Wenig überraschend ist, dass die CDU/CSU in ihrem aktuellen Wahlprogramm den vergangenen Regierungsjahren treu bleibt: Der „Marshallplan mit Afrika“ ist weiterhin als Rahmen für die zukünftige Ausrichtung der Afrikapolitik vorgesehen, womit ein klarer Wirtschaftsfokus bleibt. So sieht die CDU/CSU private Investitionen, Zugang zu Kapital, Korruptionsbekämpfung und Rechtstaatlichkeit als zentrale Bausteine für nachhaltige Entwicklung.
Dahingegen überrascht die SPD gleich mehrfach: Während im Wahlprogramm nur ein einziges Mal das Stichwort „Afrika“ vorkommt, liefert die SPD auf Nachfrage eine detaillierte Antwort, die sich an sozialdemokratischen Kernthemen orientiert. Als Referenzrahmen wählt die SPD die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs; Agenda 2030) und bezeichnet die Bekämpfung von Hunger und Armut (SDG 1), hochwertige Bildung (SDG 4), gute Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum (SDG 8), Innovation und Infrastruktur (SDG 9) und reduzierte Ungleichheiten (SDG 10) als Kernstücke für eine nachhaltige wirtschaftliche Transformation. Während auch hier der afrikanische Kontinent im Entwicklungskontext begriffen wird, zeigt die SPD ein Verständnis von nachhaltiger Entwicklung, das über den reinen Wirtschaftsfokus der CDU/CSU hinausgeht.
Thematische Schwerpunkte in der Zusammenarbeit: Die derzeitige Opposition
Welche thematische Schwerpunktsetzung lässt sich aber bei den aktuell nicht in der Bundesregierung vertretenen Parteien ausmachen? Wäre unter ihrer Regierungsbeteiligung zukünftig eine veränderte Schwerpunktsetzung zu erwarten?
Die FDP folgt grundsätzlich der Marktliberalisierung als ihrem Markenkern, auch in afrikapolitischer Hinsicht. Während die Partei zunächst noch die partnerschaftliche Stärkung von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft vorsieht, dominiert ein Fokus auf die „Integration Afrikas in regionale und globale Wirtschaftskreisläufe“. Als Themen in der Zusammenarbeit werden die Förderung von Wirtschaftspartnerabkommen, Zugang zum EU-Binnenmarkt und die Unterstützung der Afrikanischen Union (AU) bei der Realisierung der kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) genannt. Die beiden Themen „gute Regierungsführung“ und „Beteiligungsrechte“ bieten direkte Anknüpfungspunkte in Politik und Gesellschaft.
Die Partei Die Linke formuliert einen grundsätzlichen Reformbedarf der bisherigen Afrikapolitik: Zum einen fordert die Partei, die Umsetzung des „Marshallplans mit Afrika“ einzustellen. Ihre Schwerpunktthemen setzt die Linke in den Bereichen Ernährungssouveränität, Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur und sozial-ökologischer Klimaschutz. Dafür notwendig seien eine reformierte EU-Handelspolitik, eine agroökologische Landwirtschaft, die Förderung regionaler Entwicklung sowie die Durchsetzung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten. Zum anderen benennt die Linke so deutlich wie keine andere Partei die Notwendigkeit der vollumfänglichen Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama durch das Deutsche Kaiserreich zwischen 1904 und 1908.
Ein ähnlich breites und nahezu deckungsgleiches Themenspektrum zeigt sich bei Bündnis 90/Die Grünen. Gleichzeitig lehnt die Partei die Flüchtlings-, Handels- und Agrarpolitik der bisherigen Bundesregierung explizit ab. Stattdessen zieht sich das Narrativ der sozial-ökologischen Transformation durch das gesamte Wahlprogramm, auch mit Blick auf den afrikanischen Kontinent. Allerdings macht die Partei deutlich, dass vor allem die regionale Schwerpunktsetzung, wie sie in der Agenda 2063 der Afrikanischen Union formuliert ist, die zukünftige Zusammenarbeit definieren soll.
Einzig die AfD[1] verbleibt auch im aktuellen Wahlkampf im Vergleich zu 2017 im monothematischen, negativ konnotierten Framing: Für die Partei steht im Kontext des afrikanischen Kontinents das Thema „Bevölkerungsexplosion“ im Fokus und wird direkt verknüpft mit Migration und Asyl. Indem die AfD zusätzlich von „Migrationsdruck“ spricht, der „destabilisiert“, vorverurteilen sie einen ganzen Kontinent.
Stellenwert der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung
Während thematisch eine Ausdifferenzierung stattfand, bleiben Konfliktbearbeitung und Friedensförderung im afrikapolitischen Kontext der aktuellen Wahlprogramme (wie auch 2017) weiterhin unterrepräsentiert. Auch auf Nachfrage (siehe die Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine der HSFK) wird die Rolle Deutschlands in diesem Bereich bei den meisten Parteien genauso wenig ausbuchstabiert wie vor der letzten Bundestagswahl. Dies ist nicht nur besorgniserregend angesichts des Anspruchs nach mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt, sondern auch mit Blick auf die Zunahme an offenen Konflikten und den langfristigen Unterstützungsbedarfen von Post-Konfliktgesellschaften in Afrika.
Im Wahlprogramm von CDU/CSU wird der Kontinent lediglich im Zusammenhang mit der „langfristigen Sicherheit Europas“ in einem Friedens- und Konfliktkontext gesehen, womit sich ein eng definierter Friedensbegriff und eine „Versicherheitlichung“ des Diskurses beobachten lässt: Mit dem Thema Sicherheit werden die beiden Themen Migration und Terrorismus ins Spiel gebracht, wodurch eine Kriminalisierung von Migration stattfindet. Konkrete Maßnahmen– außer der „Befähigung zur Selbsthilfe“ in Form von Verbesserungen der Lebensperspektiven vor Ort – werden von der Partei weder im Wahlprogramm noch in den Antworten auf die Wahlprüfsteine nicht genannt.
Bündnis 90/Die Grünen sind die einzige Partei, die ausdrücklich die Themen Frieden und Konflikt auf dem afrikanischen Kontinent mitdenkt, indem zivile Krisenprävention, faire und sichere Migrationswege und die Unterstützung regionaler Friedensagenden als mögliche Bereiche der Zusammenarbeit genannt werden. Sowohl SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen bringen in der Konfliktbearbeitung regionale Akteure wie die EU und die Afrikanische Union ins Spiel. Während der Verweis auf die EU-Ebene in herausfordernden Situationen auch als Abwälzung von Verantwortung verstanden werden kann, ist der Versuch, die Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren zu stärken, zunächst positiv zu bewerten. Schließlich fordern die beiden Parteien damit nichts mehr, als dass die Ausgestaltung von Konfliktbearbeitung in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und deren Regionalorganisationen auch vor Ort geschehen kann.
Im Wahlprogramm der FDP spielt Konfliktbearbeitung und Friedensförderung auf dem afrikanischen Kontinent keine Rolle. In Sicherheitsfragen will die Partei laut Wahlprogramm den Kontinent nur unterstützen, „sofern geboten“, und positioniert sich damit zurückhaltend; selbst zivile Instrumente der Konfliktbearbeitung werden nicht benannt.
Am entschiedensten positioniert sich die Linke, die „soziale Sicherheit für die Menschen als Grundvoraussetzung zur Vermeidung von Konflikten“ begreift und damit als einzige Partei ausdrücklich den präventiven Charakter anerkennt, wenn Frieden und Entwicklung zusammengedacht werden. Im Vergleich zu anderen Parteien schließt die Partei eine militärische Beteiligung Deutschlands auf dem Kontinent aus. Grundsätzlich setzt die Partei ausschließlich auf zivile Instrumente in der Konfliktbearbeitung.
Der Vergleich der Parteipositionen mit Blick auf Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in Afrika zeigt, dass sich das Spektrum an Instrumentarien in der Konfliktbearbeitung zumindest im Bewusstsein mancher Parteien – nämlich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke – erweitert hat. Über deren Einsatz und das Ausmaß deutschen Engagements sind sich die Parteien aber uneinig.
Die Rolle Deutschlands im Kontext von Europäischer und Afrikanischer Union
Was die Parteien mit Ausnahme der AfD und Die Linke eint, ist der Fokus auf eine europäisch koordinierte Afrikapolitik. Welche Rolle Deutschland in einer europäischen Afrikapolitik einnehmen sollte, präzisieren aber nur Bündnis 90/Die Grünen. Gleichzeitig wird bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen deutlich, dass sie die Afrikanische Union als Pendant zur EU verstehen und diese Partnerschaft stärken wollen.
Am stärksten ausgeprägt ist der EU-Fokus bei der SPD, die in ihrem Wahlprogramm Ambition zur Veränderung zeigt, indem sie die Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika „deutlich ausbauen“ und „auf ein neues Level“ heben will. Die CDU/CSU ist in ihrer Formulierung ähnlich, wenn sie eine „vertiefte institutionelle Partnerschaft“ vorschlägt, zum Beispiel in Form eines EU-Afrikarats. Ähnlich positionieren sich Bündnis 90/Die Grünen und fordern zusätzlich eine aktivere Rolle Deutschlands innerhalb der EU. Während SPD und Bündnis 90/Die Grüne eine supranational koordinierte europäische Afrikapolitik anstreben, verweist die FDP sowohl im Wahlprogramm als auch in ihren Antworten zwar auch auf Europa, aber meint damit eine auf der Ebene der „europäischen Mitgliedstaaten abgestimmte Afrikapolitik“, die eher auf die intergouvernementale, also zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten stattfindende, Koordination setzt. Die Linke sieht dies bereits als gegeben und fordert weiterhin Deutschland im ‚driver’s seat‘, das bedeutet mehr nationale Selbstbestimmung in der Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern, als Abgabe von Kompetenzen an die Europäische Union.
Die Zusammenarbeit Deutschlands mit der Afrikanischen Union dagegen spielt bei der Partei Die Linke eine stärkere Rolle, beispielsweise schlägt die Partei den Aufbau eines afrikanischen zivilen Friedensdienstes vor. Bündnis 90/Die Grünen und die SPD sehen in der Afrikanischen Union ebenfalls einen zentralen Partner: Die SPD strebt in ihren Antworten auf die Wahlprüfsteine nicht nur eine „stärkere Kooperation mit den europäischen Partnern“ an, sondern auch mit der Afrikanischen Union und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Bündnis 90/Die Grünen wollen den afrikanischen Partnern bei der Umsetzung der regionalen Entwicklungs- und Friedensagenden zur Seite stehen. Im Kontrast dazu erwähnen CDU/CSU und FDP die Afrikanische Union nur im Zusammenhang mit der afrikanischen Freihandelszone (AFCfTA), die die Parteien unterstützen möchten.
Fazit: Von welchen Parteien ist ein Paradigmenwechsel zu erwarten?
Im Vergleich zum Wahlkampf 2017 lässt sich zwar eine thematische Ausdifferenzierung der Wahlprogramme entlang parteipolitischer Kernthemen beobachten (außer bei der AfD). Dennoch begreifen immerhin noch die Hälfte der Parteien, nämlich CDU/CSU, FDP und AfD, den afrikanischen Kontinent weiterhin vorwiegend im wirtschaftlichen Entwicklungskontext, in dem Frieden als Ausgangspunkt und wirtschaftliche Entwicklung als Ziel verstanden werden. Diese Beobachtung deckt sich mit der eingangs erwähnten Auswertung des Beirats zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung. Eine friedens- sowie entwicklungspolitische Ausrichtung lässt sich aktuell nur bei der Partei Die Linke und punktuell bei Bündnis 90/Die Grünen sowie der SPD erkennen. Diese wäre aber notwendig, um den komplexen Zusammenhängen zwischen Frieden und Entwicklung gerecht zu werden.
Je nach zukünftiger Regierungskoalition bleibt abzuwarten, ob diese einen Paradigmenwechsel in der Afrikapolitik vollziehen wird. Insgesamt ergeben sich große Schnittmengen bei den Themen in der Entwicklungszusammenarbeit, wobei von einer möglichen Rot-Grün-Roten Koalition eher ein Fokus auf soziale Sicherung im Sinne einer sozio-ökonomischen/ökologischen Entwicklung zu erwarten wäre und eine Regierung unter Beteiligung von CDU/CSU und FDP vermehrt auf Wirtschaftsförderung setzen dürfte. Größere Divergenzen sind in den Bereichen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung, insbesondere auch in Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren und dem Einsatz militärischen Zwangs zu erwarten.
[1] Da die AfD als einzige Partei nicht auf die gestellten Fragen geantwortet hat und das Wahlprogramm keine weiteren afrikapolitischen Überlegungen bietet, wird der Partei in diesem Blogartikel weniger Raum als anderen Parteien eingeräumt.