Wladimir Putin und die russische Delegation sitzen an einem Konferenztisch gegenüber von Paul Kagame und der ruandischen Delegation.
Treffen des russischen und ruandischen Präsidenten mit Delegationen zum Russland-Afrika-Gipfel. | Foto: Paul Kagame via flickr | CC BY-NC-ND 2.0

Russlands Einflussnahme auf dem afrikanischen Kontinent

Sergei Lawrows jüngste Afrikareise unterstreicht noch einmal, dass Russland international keineswegs so isoliert ist, wie wir uns das im Westen wünschen. Sie bestätigt das Bild, das schon bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung Anfang März über die Resolution zur Verurteilung der russischen Invasion sichtbar wurde. Damals enthielten sich rund 25 der 55 afrikanischen Länder, darunter Schwergewichte wie Mosambik, Angola, Sudan, Südafrika und Mali. Während die VertreterInnen anderer Länder gar nicht erst erschienen, stimmte Eritrea sogar gegen eine Verurteilung (Cascais 2022). Diese Haltung überrascht auch deshalb, weil Russland mit dem Überfall auf die Ukraine erklärtermaßen zwei Normen verletzt, die in besonderer Weise konstitutiv sind – gerade für afrikanische Sicherheit: Zum einen das Uti possidetis-Prinzip, demzufolge bestehende Grenzen nicht verändert werden dürfen, ganz unabhängig davon, wie historisch ungerecht ihr Zustandekommen gewesen sein mag und ob sie anderen Prinzipien wie dem der nationalen Selbstbestimmung entgegenstehen; zum anderen das Verbot des erzwungenen Regimewechsels.

Wie also ist diese Äquidistanz vieler afrikanischer Länder zu erklären? Zunächst ist sie genau das, nämlich nicht eine Unterstützung Russlands, sondern Ausdruck einer Politik der Neutralität. Aus Sicht dieser Länder ist der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht ihr Konflikt, und in den zwischen Russland und dem Westen wollen sie sich nicht hineinziehen lassen. Im Gegenteil entsprechen Ungebundenheit und ein gutes Verhältnis zu Russland viel eher ihrer Interessenlage als eine Parteinahme. Die Idee der Blockfreiheit erlebt eine Renaissance, und zwar nicht nur in Afrika.

Zum anderen verdankt sich die (stillschweigende) Billigung des russischen Angriffskriegs auch der aktiven Afrikapolitik Moskaus der letzten Jahre, die jetzt im diplomatischen Ringen um eine Verurteilung des Angriffskrieges Früchte zu tragen scheint. Was aber sind die Instrumente, Strategien und Machtressourcen, mit denen das wirtschaftlich relativ schwache Russland den wirtschaftlich starken Westen, der sich zudem seiner „soft power“ rühmt, herausfordern könnte?

Diplomatie: Die Stärke Russlands ist die Schwäche des Westens

Das diplomatische Engagement Moskaus in Afrika ist beeindruckend und für viele Länder in der Region allein deshalb attraktiv, weil sich Russland als Alternative zu westlichem Einfluss anbietet. Enttäuschungen, Vorbehalte und Ressentiments gegenüber westlichen Partnern und Frankreich im Besonderen sind der Nährboden, auf dem der russische Einfluss wächst. Traditionelle Partnerschaften, die noch in die Zeit der anti-kolonialen Kämpfe zurückreichen, sind ein weiteres Band. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die russisch-afrikanische-Zusammenarbeit mit dem Gipfel von Sotschi 2019. Diplomatie alleine sichert aber keinen Einfluss.

Entwicklungspolitische Zusammenarbeit: ein Trumpf Russlands?

Ein weiteres Instrument russischer Einflusssicherung ist die entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Russlands entwicklungspolitisches Engagement in Afrika ist ein relativ junges Phänomen. Die UdSSR gehörte von 1960 bis 1990 zu einem der Hauptgeber von Entwicklungshilfe an afrikanische Staaten. Zusätzlich entsandte sie Militärberater, versorgte eine Reihe von Staaten auf dem afrikanischen Kontinent mit Waffen und orchestrierte die Stationierung kubanischer Streitkräfte in Angola, Äthiopien und anderen Ländern. Mit dem Zerfall der Sowjetunion verfiel auch dieses Engagement. In der Folge der „Transformationskrise“ (Spanger 2014: 3) der 1990er-Jahre wurde die Russische Föderation selbst zum Empfänger von Entwicklungshilfe. Erst nachdem sich die russische Wirtschaft erholt hatte, legte Putin mit dem Konzept zur „Beteiligung an der Unterstützung internationaler Entwicklung“ im Juni 2007 den Grundstein für die neue Entwicklungszusammenarbeit (Bakalova et al. 2012: 459, 467). In dieser Phase war russische Entwicklungspolitik sicherlich auch interessengeleitet und zielte auf die Rückgewinnung politischen Einflusses. Vor allem aber war sie eingebettet in multilaterale Strukturen und orientierte sich in erstaunlich hohem Maße an Standards und Richtlinien multilateraler Organisationen wie der OECD (s. dazu auch Gvosdev/Marsh 2014: 482ff). Die Annexion der Krim 2014 und der aufziehende Großkonflikt mit dem Westen stellt auch für dieses Politikfeld einen Bruch dar. Russland löste seine Entwicklungspolitik zunehmend aus dem multilateralen Rahmen und verkoppelte sie stärker mit geostrategischen Interessen. Dennoch ist die Entwicklungszusammenarbeit nicht das wichtigste Instrument. Denn zum einen bilden nicht afrikanischen Staaten, sondern wichtige Nachbarländer und traditionelle Partner wie Kuba geographische Schwerpunkte der russischen Entwicklungshilfe. Zum anderen hat Russland auf diesem Feld nicht so viel zu bieten. Oftmals hinkt die Umsetzung vieler Projekte mit afrikanischen Partnerländern, wie zum Beispiel Angola, den anspruchsvollen Zielen hinterher (s. auch hier). Schuldenerlasse, wie der für Mozambik, waren eher symbolisch und zudem oftmals mit Gegenleistungen verkoppelt, wie dem Zugang russischer Firmen zu Mineralressourcen.

Zukünftig werden drei weitere Instrumente wichtiger. Diese sind nicht nur effektiv, sondern bieten einen weiteren Vorteil: Sie lassen sich kostengünstig einsetzen und versprechen sogar Gewinn.

Die russischen Trümpfe: Rüstungszusammenarbeit, Propaganda und militärische Unterstützung

Das erste ist die Rüstungszusammenarbeit. Waffentransfers machen Russland zum wichtigen Handelspartner afrikanischer Staaten. Inzwischen stellt Russland den größten Waffenlieferanten Afrikas dar und soll seit 2015 rund 19 Militärabkommen geschlossen haben (Kondratenko 2020/ Müchler 2019: 39/ SIPRI 2021). Hauptabnehmer sind dabei Algerien, Ägypten, Angola und der Sudan (Kondratenko 2020). Ein Vorteil aus Sicht vieler Empfängerländer: Russland liefert ohne Konditionen, wie zum Beispiel die Forderung nach Einhaltung menschenrechtlicher Standards. Nicht selten erhält Russland im Austausch für Waffenlieferungen Konzessionen zum Abbau von Bodenschätzen oder geostrategische Vorteile wie den Zugang zu Häfen in Libyen (Mikovic 2020).

Nachrichtendienste und Propagandainstrumente wie Russia Today sind ein zweites Instrument russischen Einflusses. In Mali schürte auch Russia Today anti-französische Ressentiments. Wie groß der Einfluss russischer Informationskampagnen allerdings ist und wie weit er die Ausbreitung der anti-französischen Einstellungen in der malischen Öffentlichkeit bewirkte, ist, wie schon in anderen Fällen schwer auszumachen.

Ein drittes und eher klandestines Instrument der russischen Afrikapolitik bildet die russische Söldnergruppe Wagner, die in letzter Zeit medial große Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Söldnergruppe, die durch ihre Beteiligung an der Annexion der Krim 2014 bekannt wurde, agiert unter dem Deckmantel einer privaten Sicherheitsfirma. Zwar dementiert der Kreml die Zusammenarbeit mit den SöldnerInnen – dennoch ist die staatliche Steuerung ein offenes Geheimnis. Sowohl das Aufgabenspektrum als auch die Einsatzorte der Gruppe Wagner sind vielfältig. Hauptsächlich agieren sie als Sicherheitsdienstleistende, zur Ausbildung von Militärpersonal oder als politische Beratungs- und Unterstützungskräfte. Verorten lässt sich das Agieren der Gruppe, unter anderem in der Ukraine 2014 (vermutlich ebenfalls aktuell), im Syrien-Krieg seit etwa 2016 und inzwischen auch in Afrika. Neben Einsätzen in Libyen, der Zentralafrikanischen Republik und zwischenzeitlich in Mosambik gerät die Gruppe Wagner aufgrund ihres Auftretens in Mali in den Fokus. Die Entscheidung der malischen Militärjunta, die Dienste dieser Söldnergruppe in Anspruch zu nehmen, war der Tropfen, der in Frankreich und der EU das Fass zum Überlaufen brachte und den Rückzug der französischen Truppen sowie der EU-Ausbildungsmission einleitete. Vorausgegangen war dem Ganzen ein massives Zerwürfnis zwischen Frankreich und der malischen Regierung. Aber auch weite Kreise der malischen Zivilgesellschaft waren von der früheren Kolonialmacht tief enttäuscht und kritisierten insbesondere deren Versagen, für Sicherheit zu sorgen. Ob Wagner hier Lösungen anbieten kann, darf allerdings bezweifelt werden. Risiken birgt der Einsatz der Wagner-Truppe insbesondere für die Zivilbevölkerung – über ein Massaker, das offenbar von Wagner-Söldnern und malischen Truppen in Moura in Zentralmali im März 2022 verübt wurde, berichtete Human Rights Watch.

Zugleich stellt sich die Frage, ob die Unterstützung durch die Wagner-Söldner die Schlagkraft der malischen Streitkräfte im Kampf gegen salafistisch-dschihadistische Gruppen erhöht. Denn die Wagner-Söldner sind keineswegs eine gut ausgebildete, bewaffnete und militärisch effektive Truppe. Bei Zusammenstößen mit amerikanischen Truppen in Syrien 2018 kam es beispielsweise zu starken Verlusten auf Seiten der Söldnergruppe.

Zurück zur Einflusspolitik?

Bei allen Unzugänglichkeiten des russischen Instrumentenkastens bleibt dennoch eines festzuhalten: Russland ist in Afrika keineswegs ohne Einfluss: Und Russland ist nicht die einzige nicht-westliche Macht, die in Afrika mit großem Einsatz ihre Interessen verfolgt. Steht also eine Wiederkehr des Ringens außerafrikanischer Staaten um Einflusszonen in Afrika bevor? Ein solches Bild übersähe die Bedeutung afrikanischer Eigenständigkeit und Problemlösungsfähigkeit. Statt Einfluss sichern zu wollen, wäre deutsche und europäische Politik gut beraten, afrikanische Autonomie zu stärken.

Carolin Brockmann

Carolin Brockmann

Carolin Brockmann studiert im Master Politikwissenschaft mit der Vertiefung Internationale Beziehungen an der RWTH in Aachen und absolvierte ein Praktikum an der HSFK. Ihre Forschungsinteressen sind Afrikapolitik, internationale Konflikte und Friedenskonsolidierung. // Carolin Brockmann is studying Political Science with a specialization in International Relations at the RWTH in Aachen and completed an internship at PRIF. Her research interests are African politics, international conflicts and peacebuilding.
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Matthias Dembinski
Dr. Matthias Dembinski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programmbereich „Internationale Institutionen“ und Projektleiter an der HSFK. Er forscht zu Fragen von Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen, regionalen Sicherheitsorganisationen und humanitären Interventionen. Sein regionaler Schwerpunkt ist Westeuropa. // Dr Matthias Dembinski is Senior Researcher in the research department “International Institutions” and project manager at PRIF. His research interests are questions of justice in international relations, regional security organisations and humanitarian interventions. His regional focus is Western Europe.

Carolin Brockmann

Carolin Brockmann studiert im Master Politikwissenschaft mit der Vertiefung Internationale Beziehungen an der RWTH in Aachen und absolvierte ein Praktikum an der HSFK. Ihre Forschungsinteressen sind Afrikapolitik, internationale Konflikte und Friedenskonsolidierung. // Carolin Brockmann is studying Political Science with a specialization in International Relations at the RWTH in Aachen and completed an internship at PRIF. Her research interests are African politics, international conflicts and peacebuilding.

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