Der diesjährige hessische Friedenspreis geht an die türkische Ärztin Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı. Sie wird insbesondere für Ihr Engagement gegen Folter ausgezeichnet. Damit wird ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das damit einhergehende Verbot von Folter ist ein zentrales Menschenrecht. Der Einsatz von Folter muss weltweit bekämpft werden, denn Folter steht der Verwirklichung eines nachhaltigen positiven Friedens entgegen. Ohne Anerkennung von Folter und ohne eine Rehabilitation der Opfer werden Versöhnung und Aufarbeitung erschwert.

Folter als Friedenshindernis – Şebnem Korur Fincancı und ihr Einsatz für Folteropfer

Der diesjährige Hessische Friedenspreis geht an die türkische Ärztin Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı. Sie wird insbesondere für Ihr Engagement gegen Folter ausgezeichnet. Damit wird ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das damit einhergehende Verbot von Folter ist ein zentrales Menschenrecht. Der Einsatz von Folter muss weltweit bekämpft werden, denn Folter steht der Verwirklichung eines nachhaltigen positiven Friedens entgegen. Ohne Anerkennung von Folter und ohne eine Rehabilitation der Opfer werden Versöhnung und Aufarbeitung erschwert.

Folter in der Welt

Das Folterverbot gilt als eine der am weitesten anerkannten völkerrechtlichen Normen: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden,“ besagte bereits Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Dieses Verbot findet sich auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 wieder. Im 1984 unterzeichneten „UN Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ wurde das Folterverbot schließlich nochmals international bekräftigt. Dieser Anti-Folter-Konvention sind inzwischen 164 Staaten beigetreten. Das Folterverbot gilt unter Völkerrechtlern als sogenanntes ius cogens – als zwingende Norm, die nicht durch andere Verträge aufgehoben werden darf.

Nichtsdestotrotz wurde und wird gefoltert – weltweit und sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten: Blicken wir etwa auf weltweite Foltervorwürfe zwischen 2000 und 2011, die das CIRI Human Rights Data Project auf Grundlage von Berichten des US State Departments und Berichten von Amnesty International zusammengestellt hat, zeigt sich das deutlich. Die folgende Grafik gibt die Zahl der Länder an, in denen laut CIRI-Daten regelmäßig oder gelegentlich Foltervorwürfe erhoben werden:

Grafik zu Ländern mit Foltervorwürfen

Folter ist, neben sexualisierter Gewalt, ein häufig genutztes Instrument in bewaffneten Konflikten und in autoritären Regierungssystemen, um den Willen von Menschen und den Zusammenhalt von Gruppen zu brechen.

Auch gegen westliche Staaten wurden immer wieder Vorwürfe erhoben, sie hätten im Kampf gegen den Terror selbst gefoltert oder zumindest Folter in Partnerstaaten toleriert. Und nicht zuletzt in der Türkei gab es in der Vergangenheit immer wieder Foltervorwürfe. Die 1990 gegründete Türkische Menschenrechtsstiftung, deren Vorsitzende Şebnem Korur Fincancı ist, veröffentlicht hierzu seit 1993 regelmäßig Berichte. Auch in neuerer Zeit wurden immer wieder Foltervorwürfe gegen die türkischen Behörden erhoben, insbesondere im Rahmen des staatlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Putschisten.

Folter ist ein anhaltendes Problem. Immer wieder sehen jedoch auch Politiker in ihr ein probates Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus, so etwa Donald Trump Anfang 2017. Ähnliches sagte der neu gewählte zukünftige Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro vor einigen Jahren. Dies wird zwar in der Regel öffentlich kritisiert und spiegelt keineswegs die Mehrheitsmeinung in den meisten Gesellschaften wieder. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang aber das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, wonach die Zahl der Menschen, die Folter als eine legitime Taktik zur Informationsbeschaffung in Kriegszeiten betrachten, von 28 Prozent im Jahr 1999 auf 36 Prozent der Befragten im Jahr 2016 angestiegen sei. Insbesondere in Israel und den USA sei dabei die Zustimmungsquote höher als in anderen Staaten.

Aufklärung von Folter und Versorgung der Opfer ist wichtig in der Konfliktaufarbeitung

Trotz der Fortschritte in der internationalen Verbriefung von Menschenrechten in Konventionen und im humanitären Völkerrecht, scheint die Kriegsführung heute nicht ziviler geworden zu sein. Berichte über die Grausamkeiten des Islamischen Staates in Irak und Syrien, über die Rücksichtslosigkeit der Konfliktparteien in Syrien oder die Brutalität der Milizen im Osten Kongos zeigen: Auch heute wird das Kriegsvölkerrecht missachtet. Ausbeutung, Versklavung und sinnlose Gewalt bis hin zu genozidären Auswüchsen sind wieder auf den Schlachtfeldern präsent. Folter ist dabei eine nahezu universelle Begleiterscheinung vieler Konflikte.

Friedensprozesse zwischen Staaten werden meist über Friedensverträge oder durch Streitschlichtungen abgeschlossen. Im Anschluss daran liegt es an den Diplomatinnen und Diplomaten die Beziehungen zwischen diesen Staaten wieder aufzubauen und zu stärken. Im Gegensatz dazu erfordern innerstaatliche Gewaltkonflikte tiefergehende Lösungen. Die Menschen müssen im Anschluss an den Konflikt wieder in einer Gesellschaft zusammenleben. Dies erfordert umfassende Prozesse der Versöhnung, aber auch der Aufarbeitung, Wiedergutmachung und strafrechtlichen Verfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen. Die Aufklärung der durch die Konfliktparteien begangenen Gräueltaten und die Thematisierung der Leiden der Opfer spielen insbesondere für die spätere Konfliktaufarbeitung eine wichtige Rolle, um Kreisläufe der Straflosigkeit zu beenden und um Wünsche nach Rache abzumildern.

Es gilt auch, die Opfer medizinisch zu versorgen und zu therapieren, wie etwa der International Rehabilitation Council for Torture Victims betont, in dessen Exekutivausschuss Şebnem Korur Fincancı ehemals Mitglied war. Folter hat vernichtende Konsequenzen für die Opfer, ihr persönliches Umfeld und die Gemeinschaft der sie entstammen. Ihr Leben wird jäh unterbrochen, die Zukunftsplanung zerstört. Die körperlichen und physischen Schäden wirken sich Jahre später noch aus. Folteropfer haben daher oftmals Probleme, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen oder ein normales Leben zu führen. Dies wirkt sich auch negativ auf eine Gesellschaft als Ganzes aus.

Um Folter nachweisen und die Opfer richtig medizinisch versorgen und therapieren zu können, ist eine systematische und umfassende Dokumentation solcher Verbrechen notwendig. Dies verleiht den Perspektiven der Opfer außerdem in späteren Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozessen mehr Gewicht. Hierfür hat die Arbeit von Şebnem Korur Fincancı geholfen, eine Grundlage zu schaffen.

Fincancı und ihr Einsatz für eine Systematisierung der Folter-Dokumentation

Gemeinsam mit der Menschenrechtsstiftung der Türkei kämpft Şebnem Korur Fincancı seit Jahrzehnten für die Opfer von Folter und gegen jene, die solche Misshandlungen begehen oder politisch rechtfertigen. Die Stiftung, an deren Spitze sie steht, betreibt fünf medizinische Rehabilitationszentren in den türkischen Städten Adana, Ankara, Diyarbakır, Istanbul und Izmir. Tausende wurden dort bereits kostenlos wegen folterbedingter Leiden behandelt. Fincancı gilt international als eine der renommiertesten Expertinnen zur Dokumentation von Folter. Auch in anderen Ländern wie Bosnien, den Philippinen, Irak und Bahrain, hat sie viele mutmaßliche Folteropfer untersucht, um die Beweisgrundlage für eine ordnungsgemäße strafrechtliche Untersuchung der Fälle zu stärken. Damit hat sie den Opfern eine Stimme verliehen und ihnen international Gehör verschafft.

Fincancıs wohl bedeutendster Verdienst liegt in ihrem Einsatz für die Systematisierung der Forensik im Hinblick auf Folter. Sie ist eine der Hauptautorinnen des sogenannten „Istanbul Protokolls“, einem medizinischen Standardwerk zur Diagnostik von Folterverletzungen und anderer Formen grausamer Behandlung sowie der Therapie von Folterüberlebenden. Mit diesem Standardwerk hat sie dazu beigetragen, Ärztinnen, Ärzten und Folteropfern weltweit einen Weg zu eröffnen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Entwickelt wurde das Istanbul Protokoll zwischen 1996 und 1999 durch eine Expertengruppe unter Federführung der Türkischen Menschenrechtsstiftung und der Physicians for Human Rights. Ziel war es damals, international anerkannte Richtlinien zu formulieren. Auf ihnen soll eine sorgfältige Beweisaufnahme in mutmaßlichen Folterfällen basieren, damit die medizinischen Befunde in strafrechtlichen Verfahren als Beweismittel anerkannt werden. Mit einer solchen Dokumentation würden außerdem die Rechte der Opfer gestärkt, sagt Şebnem Korur Fincancı selbst. Auch könne man potentielle Täter so davon abschrecken, überhaupt zu Folter zu greifen, denn sie wüssten, dass die Opfer untersucht und die Ergebnisse gerichtsfest dokumentiert werden können. Das UN Hochkommissariat für Menschenrechte hat das Istanbul Protokoll im Jahr 2004 als Standard in diesem Feld anerkannt und benutzt es seitdem als „Handbuch zur effektiven Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafen oder Behandlungen.“

Ihr Engagement hat Şebnem Korur Fincancı immer wieder Probleme mit türkischen Behörden bereitet. Ihr wurde mehrfach die Lehrerlaubnis am Institut für Rechtsmedizin der Universität Istanbul entzogen, die sie jedoch wiederholt juristisch zurückerkämpfen konnte. Auch in jüngerer Zeit sah sich Fincancı mit Repressionen konfrontiert: Im Jahr 2016 wurde gegen sie ein Verfahren wegen Terrorpropaganda eingeleitet, weil sie sich an einer Initiative für Pressefreiheit in der Türkei beteiligt hatte. Ihr könnten mehrere Jahre Haft drohen. Im Februar 2018 beteiligte sie sich an einem Friedensaufruf der Istanbuler Ärztekammer gegen den Einmarsch der türkischen Armee im syrischen Afrin. Fincancı selbst entging in diesem Fall einer Verfolgung, einige der anderen Unterzeichner wurden jedoch vorübergehend festgenommen.

Kampf gegen Folter ist ein Beitrag zu einem nachhaltigen, positiven Frieden

Der Einsatz gegen Folter und Misshandlung, für die Verfolgung der Schuldigen und für die Therapie der Opfer ist ein wichtiger Einsatz für den Frieden. Frieden erfordert die Abwesenheit direkter physischer Gewalt, aber auch die Abwesenheit von Furcht. Nur wenn Menschen ihre Menschenrechte wahrnehmen und sich frei entfalten können, ist ein Frieden nachhaltig. In einem als positiven Frieden zu bezeichnenden Zustand herrschen Gleichheit und Gerechtigkeit und es kann Entwicklung stattfinden. Dies setzt Demokratie, politische Beteiligungsmöglichkeit und vor allem Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte voraus. Folter, Straflosigkeit und Ignoranz gegenüber den Opfern stehen einer Verwirklichung dieser Ziele und damit einem nachhaltigen Frieden im Wege und müssen daher bekämpft werden. Es ist wichtig, dass das Kuratorium des Hessischen Friedenspreises mit der Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2018 an Şebnem Korur Fincancı die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenkt.

Gregor Hofmann
Dr. Gregor P. Hofmann ist assoziierter Forscher der HSFK. Er arbeitet zu humanitärem Schutz sowie zur Prävention von Massenverbrechen und erforscht die Rolle von Gerechtigkeit für die Umstrittenheit internationaler Normen im Kontext der Vereinten Nationen. // Dr Gregor P. Hofmann is an associate fellow at PRIF. He works on humanitarian protection as well as on the prevention of mass atrocities and researches the role of justice for the contestation of international norms in the context of the United Nations. | Twitter: @gphofmann

Gregor Hofmann

Dr. Gregor P. Hofmann ist assoziierter Forscher der HSFK. Er arbeitet zu humanitärem Schutz sowie zur Prävention von Massenverbrechen und erforscht die Rolle von Gerechtigkeit für die Umstrittenheit internationaler Normen im Kontext der Vereinten Nationen. // Dr Gregor P. Hofmann is an associate fellow at PRIF. He works on humanitarian protection as well as on the prevention of mass atrocities and researches the role of justice for the contestation of international norms in the context of the United Nations. | Twitter: @gphofmann

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