The Prespa lake signing ceremony on 17 June 2018
The Prespa lake signing ceremony on 17 June 2018 | Photo: eeas | CC BY NC 2.0

Hindernislauf absolviert: Das Abkommen zum Namensstreit um Mazedonien tritt in Kraft

International durften sich die Regierungschefs von Griechenland und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien feiern lassen, nachdem sie im Juni 2018 einen Kompromiss zum Namensstreit zwischen ihren Ländern in die Form eines Abkommens gegossen hatten. Doch bevor diese Übereinkunft in Kraft treten konnte, musste sie viele Widerstände in den Parlamenten und Öffentlichkeiten ihrer Länder überwinden. Nun sind beide ins Ziel gekommen, allerdings zu erheblichen innenpolitischen Kosten. Zu hoffen ist, dass sich andere Konfliktparteien an diesem Wagnis des Kompromisses ein Beispiel nehmen.

Der Namensstreit und das Prespa-Abkommen

Der Namensstreit begann, als sich 1991 die damalige Teilrepublik Mazedonien von Jugoslawien gelöst und als „Republik Mazedonien“ für unabhängig erklärt hatte. Viele GriechInnen zeigten sich empört und skandierten „Mazedonien ist griechisch“. Die griechische Regierung behauptete, der Nachbarstaat beanspruche mit seinem Namen das gleichnamige Gebiet im Norden Griechenlands. Auch warf sie der Regierung der „Republik Mazedonien“ vor, den GriechInnen das Erbe der antiken Makedonen stehlen zu wollen. Der Streit ging so weit, dass Griechenland 2008 die Aufnahme des Nachbarlandes in die NATO und 2009 den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union verhinderte. Die blockierte euro-atlantische Integration sorgte für Spannungen zwischen den slawischen MazedonierInnen, die rund zwei Drittel der Bevölkerung der jungen Republik stellen, und den AlbanerInnen, die dort gut ein Viertel ausmachen. In Gesprächen mit dem Autor warnten albanische Politiker, die AlbanerInnen würden nach Alternativen zum gemeinsamen Staat suchen, bliebe der Beitritt zu NATO und EU dauerhaft versperrt.

Wie das im Juni 2018 am Prespasee geschlossene Abkommen vorgibt, soll die ehemalige jugoslawische Republik künftig „Republik Nord-Mazedonien“ oder kurz „Nord-Mazedonien“ heißen. Die Staatsangehörigkeit legte das Abkommen auf „mazedonisch/BürgerIn der Republik Nord-Mazedonien“ fest. Des Weiteren sollte das künftige Nord-Mazedonien nicht länger das kulturelle Erbe der antiken Makedonen beanspruchen. Verfassungsänderungen sollten all dies auf Dauer stellen. Im Gegenzug sicherte Griechenland zu, seinem Nachbarn nicht länger den Beitritt zur NATO und EU zu verwehren (hier ausführlicher zum Prespa-Abkommen).

Das mazedonische Parlament ratifiziert das Abkommen

Das Prespa-Abkommen hebt sich insofern von anderen Übereinkünften ab, als noch vor seinem Inkrafttreten die künftige Republik Nord-Mazedonien einem Großteil ihrer Verpflichtungen nachkommen musste. Die erste Etappe erwies sich als die einfachste. Noch im Juni 2018 ratifizierte das Parlament in Skopje das Prespa-Abkommen mit absoluter Mehrheit. Ministerpräsident Zoran Zaev konnte sich auf die Stimmen seiner Koalition verlassen, zusammengesetzt aus einer von seinem Sozialdemokratischen Bund geführten Wahlallianz und albanischen Parteien.

Daraufhin signalisierte die griechische Regierung der EU, dass sie nun die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Skopje unterstützt. Zudem sprach sich Athen in der NATO dafür aus, das künftige Nord-Mazedonien zum Beitritt einzuladen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die frühere jugoslawische Republik ihre Verfassung wie vom Prespa-Abkommen vorgesehen ändert. Diese Gegenleistung Griechenlands sollte der Regierung Zaev helfen, eine weitere Etappe zu bewältigen, die laut Prespa-Abkommen möglich, aber nicht verpflichtend war – ein Referendum über die Übereinkunft.

Das mazedonische Referendum scheitert

Das am 30. September abgehaltene Referendum fragte: „Sind sie für die Mitgliedschaft in EU und NATO durch Akzeptanz des Abkommens zwischen der Republik Mazedonien und der Republik Griechenland?“ Fast 92% der abgegebenen Stimmen lauteten „ja“ und gut 6% „nein“. Allerdings beteiligten sich nur 37% der Stimmberechtigten. Da die Beteiligung unter 50% lag, war das Referendum ungültig. Die oppositionelle rechtsnationalistische VMRO-DPMNE feierte dieses Scheitern. Der Präsident der Republik aus ihren Reihen hatte das Abkommen als Selbstmord bezeichnet und die BürgerInnen aufgefordert, es ihm gleichzutun und die Abstimmung zu boykottieren. Ministerpräsident Zaev stützte sich auf die breite relative Zustimmung, um die geforderten Verfassungsänderungen dennoch auf den Weg zu bringen. Zuvor hatten Umfragen (s. auch hier) eine Mehrheit für das Prespa-Abkommen ermittelt. Die geringe Beteiligung ging zum einen auf das offenbar aufgeblähte Verzeichnis der Wahlberechtigten zurück. Zum anderen hatte Zaev angekündigt, auch bei einem verfehlten Quorum den Prozess fortzusetzen, und so den Stimmberechtigten einen Ansporn zur Teilnahme am Referendum genommen.

Das mazedonische Parlament ändert die Verfassung

Anfang Oktober setzte das Parlament in Skopje einen mehrstufigen Prozess der Verfassungsänderung in Gang. Verfassungsänderungen erfordern eine Zwei-Drittel-Mehrheit unter allen Abgeordneten. Das Wahlbündnis um die oppositionelle VMRO-DPMNE stellte aber 51 der insgesamt 120 Abgeordneten und hatte zuvor das Prespa-Abkommen als Kapitulation und Verrat zurückgewiesen. Die Regierung musste Teile der VMRO-DPMNE auf ihre Seite ziehen, um eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erlangen. Ohne substantielle Zugeständnisse konnte die Regierung nicht die notwendigen Stimmen zusammenbekommen. Korrekturen am Prespa-Abkommen waren unmöglich, ohne die griechische Zustimmung zu dieser Übereinkunft zu gefährden. Einige Abgeordnete der Opposition zeigten sich bereit, die Verfassungsänderungen zu unterstützen, sofern das Parlament eine weitreichende Amnestie für Ende April 2017 verübte Taten verabschiedet. Damals hatten Protestierende unter Mithilfe rechtsnationalistischer Abgeordneter das Parlament gestürmt (s. auch hier), um den sich abzeichnenden Regierungswechsel hin zu einer Koalition aus dem sozialdemokratischen Wahlbündnis und albanischen Parteien zu verhindern. Ein albanischer Politiker kam dabei fast ums Leben; Zaev wurde am Kopf verletzt.

Im Dezember 2018 verabschiedete das Parlament mit den Stimmen aller anwesenden Abgeordneten eine Amnestie für die am Sturm des Parlaments beteiligten Personen mit Ausnahme der OrganisatorInnen und GewalttäterInnen. Von dieser Regelung profitierten auch Abgeordnete der VMRO-DPMNE. Das brachte der Regierung den Vorwurf ein, sie opfere dem Prespa-Abkommen demokratische Prinzipien und die Geltung des Rechts.

Kurz vor dem finalen Votum über die Verfassungsänderungen forderten albanische Abgeordnete noch Verbesserungen für die von ihnen vertretenen BürgerInnen. Auch dem kam Zaev nach.

Am 11. Januar 2019 war es so weit: 81 der insgesamt 120 Abgeordneten unterstützten die Verfassungsänderungen, die den Staatsnamen auf „Republik Nord-Mazedonien“ festlegten und zudem bekräftigten, die Republik respektiere die Souveränität und territoriale Integrität ihrer Nachbarn.

Das griechische Parlament ratifiziert das Abkommen

Nun war das griechische Parlament am Zug, das mit Mehrheit das Abkommen ratifizieren musste, damit es in Kraft treten konnte. Das lief nicht ohne Drama. Nachdem in Skopje die Verfassungsänderungen verabschiedet worden waren, zerbrach die Regierung der linken SYRIZA mit den rechten Unabhängigen Griechen (ANEL). Der ANEL-Vorsitzende, Panos Kammenos, trat aus Protest gegen das Abkommen vom Amt des Verteidigungsministers zurück. Doch dieser Linie folgten nicht alle Abgeordneten und Regierungsmitglieder seiner Partei. Ministerpräsident Alexis Tsipras stellte im Parlament die Vertrauensfrage, die er am 16. Januar mit den Stimmen seiner SYRIZA, einigen ANEL-Abtrünnigen, einer unabhängigen Parlamentarierin und eines Oppositionsabgeordneten mit 151 zu 148 Stimmen gewann. Wenige Tage später gingen in Athen 60.000 Menschen gegen das Prespa-Abkommen auf die Straße. Dennoch ratifizierte am 25. Januar das Parlament das Abkommen mit 153 zu 146 Stimmen. Tsipras konnte auf zusätzliche Unterstützung von einigen Abgeordneten der oppositionellen To Potami zählen, deren Fraktion im Streit über den Namenskompromiss zerfiel. Wie zuvor in Nord-Mazedonien waren auch in Griechenland Abgeordnete bedroht worden, die die Übereinkunft unterstützten.

Die Ratifizierung erfolgte gegen die öffentliche Mehrheitsmeinung. Laut einer am Vortag des Votums publizierten Umfrage hielten 62% der GriechInnen das Abkommen für “sicher oder wahrscheinlich schlecht“ und nur 27% für „sicher oder wahrscheinlich gut“.

Reaktionen und Perspektiven

Mitglieder von NATO und EU hatten sich jahrelang für eine Überwindung des Namensstreits eingesetzt; als Sondergesandter der Vereinten Nationen bemühte sich Matthew Nimetz um eine Übereinkunft. Westliche PolitikerInnen haben entsprechend für die Annahme des Prespa-Abkommens geworben, etwa Angela Merkel wenige Tage vor den entscheidenden Abstimmungen in Athen. Der Kompromiss zum Namensstreit und die Schritte zu seiner Umsetzung lösten aber nicht überall positive Reaktionen aus. Russlands Präsident Putin verurteilte die Übereinkunft als von außen aufgezwungen, um Nord-Mazedonien in die NATO zu holen und den Einfluss der westlichen Allianz auszudehnen.

Mit Inkrafttreten des Prespa-Abkommens ist die griechische Blockade der Annäherung Nord-Mazedoniens an die euro-atlantischen Organisationen überwunden, ein Beitritt des Landes aber noch nicht ausgemacht. Das gilt vor allem mit Blick auf die erweiterungsmüde EU. Ob künftige griechische Regierungen und Parlamentsmehrheiten der Aufnahme Nord-Mazedoniens zustimmen, bleibt abzuwarten. Im 1995 vereinbarten Interimsabkommen hatte Griechenland seinem Nachbarn zugesichert, nicht dessen Beitritt zu internationalen Organisationen zu blockieren. Genau das tat aber die griechische Regierung in NATO und EU in den Jahren 2008 und 2009. Das wertete der Internationale Gerichtshof im Dezember 2011 als Bruch des Interimsabkommens. In der Parlamentsdebatte über die Ratifizierung erklärte Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, Griechenland könne auch nach Inkrafttreten des Prespa-Abkommens den EU-Beitritt des Nachbars blockieren. Nach der breiten internationalen Unterstützung des Kompromisses liegt allerdings der Preis für eine solche Politik Griechenlands höher denn je.

Das Prespa-Abkommen als Vorbild

Die Regierungschefs Zaev und Tsipras für den Friedensnobelpreis zu nominieren, das hat Uided Bushamaui, eine Trägerin dieser Ehrung, angekündigt. Das mag überzogen erscheinen, beendete doch das Prespa-Abkommen weder einen Gewaltkonflikt noch verhinderte es eine unmittelbar drohende Eskalation. Aber Anerkennung verdient der Kompromiss zwischen Zaev und Tsipras allemal. Sie sind vom Muster abgewichen, auf Maximalpositionen zu pochen und eine Übereinkunft als Niederlage oder Landesverrat auszuschließen. Solche Muster sind gerade in Konflikten weit verbreitet, in denen die Beteiligten ihre kollektive Identität angegriffen sehen. Die beiden Ministerpräsidenten haben für den Kompromiss zum Namensstreit ihre Macht aufs Spiel gesetzt, und Zaev musste im Innern weitgehende Zugeständnisse machen, um die Übereinkunft durchzusetzen. Wieweit ihr Beispiel Akteure in anderen Konflikten inspiriert, hängt weniger am internationalen Zuspruch und mehr an den abzuwartenden Folgen für die politischen Karrieren von Zaev und Tsipras.

Thorsten Gromes
Dr. Thorsten Gromes ist Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich „Innerstaatliche Konflikte“. Seine Forschung konzentriert sich auf Nachbürgerkriegsgesellschaften und sogenannte humanitäre militärische Interventionen. // Dr Thorsten Gromes is a Project Leader and Senior Researcher at PRIF in the Research Department “Intrastate Conflicts”. His research focuses on post-civil war societies and so-called humanitarian military interventions.

Thorsten Gromes

Dr. Thorsten Gromes ist Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich „Innerstaatliche Konflikte“. Seine Forschung konzentriert sich auf Nachbürgerkriegsgesellschaften und sogenannte humanitäre militärische Interventionen. // Dr Thorsten Gromes is a Project Leader and Senior Researcher at PRIF in the Research Department “Intrastate Conflicts”. His research focuses on post-civil war societies and so-called humanitarian military interventions.

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