Die Schlangenbader Gespräche werden oft als Stimmungsbarometer für die deutsch-russischen Beziehungen bezeichnet. Seit 1998 treffen sich dort hochkarätige TeilnehmerInnen aus Politik, Wissenschaft, Militär und den Medien, um sich über aktuelle Herausforderungen auszutauschen – dieses Jahr zum Thema „Die liberale Weltordnung am Ende? Herausforderungen europäischer Selbstbehauptung“.
Aus diesem Anlass haben wir mit Dr. Hans-Joachim Spanger, dem Mitgründer und Mitorganisator der Schlangenbader Gespräche, und mit Vera Rogova gesprochen, die über die wirtschaftliche Entwicklung in Russland promoviert und seit einigen Jahren regelmäßig an den Gesprächen teilnimmt. Was macht das Format so besonders und wie steht es um die deutsch-russischen Beziehungen? Droht ein neuer Kalter Krieg? Müssen wir die europäische Sicherheitspolitik neu denken?
Die Schlangenbader Gespräche 2019 finden vom 25. bis zum 27. April in Bad Nauheim statt und werden vom Peace Research Institute Frankfurt (PRIF/HSFK) gemeinsam mit der Moskauer Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet. Weitere Kooperationspartner sind die Konrad-Adenauer-Stiftung und das Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften (IMEMO).
Weitere Informationen zum Programm der Schlangenbader Gespräche 2019.
Transkript PRIF Talk: Schlangenbader Gespräche
Mit Vera Rogova und Hans-Joachim Spanger
Hans-Joachim Spanger: Entstanden sind die Schlangenbader Gespräche vor 21 Jahren im Nachgang zu der NATO-Russland-Grundakte. Unser Ziel war damals 1998 einen kleinen Workshop zu machen, der nach einem Jahr NATO-Russland-Grundakte einfach mal Bilanz zieht. Das war ein politiknaher Gesprächskreis in vergleichsweise kleinem Rahmen. Wir waren, glaube ich, ungefähr 25 bis 30 Teilnehmer aus Russland, unter anderem auch Diplomaten, Militärs und Politiker zu der Wissenschaft dazu. Daraus ist dann über die Jahre sehr kontinuierlich ein, je nach Ereignis, bisweilen auch sehr stark gewachsener Gesprächskreis geworden, der gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik angesiedelt ist. Wissenschaft insofern, als wir eben versuchen, grundlegende Gedanken zu produzieren und die in den politischen Prozess einzufüttern. Und in dem Rahmen hat es sich eigentlich all die Jahre bewährt, denn sonst gäbe es das nicht mehr.
Das schwierigste Jahr
Vera Rogova: Aus meiner Sicht war 2014 das schwierigste Jahr. Da war ja im März die Krim-Annexion und nur einen Monat später hat dann die Konferenz stattgefunden. Und da war man sich tatsächlich nicht so sicher: Wie soll man jetzt mit dieser ganz neuen Lage umgehen? Wie kann man überhaupt die Beziehungen zu Russland nach diesem Schnitt gestalten? Und es ging dann weiter – aber das war tatsächlich ein ziemlich schwieriges Jahr.
Hans-Joachim Spanger: Ich habe ja gewissermaßen die Gnade der frühen Geburt und aus der Perspektive kann ich natürlich sagen: für mich war das ein Déjà-vu. Ich bin habe ja meine politische und wissenschaftliche Sozialisation im Kalten Krieg erlebt und das, was wir 2014 hatten, das war die Sprachlosigkeit des Kalten Krieges. Das muss man schon sagen. Die Gnade der frühen Geburt hat allerdings dann auch insofern funktioniert, als da nun langjährig gewachsene Beziehungen zu vielen Teilnehmern bestehen und das hat über diese massive Krise einigermaßen hinweg getragen. Und da hat Vera völlig Recht: Seither entspannt es sich wieder, aber es ist ein anderes Klima als es vor der Krim-Annexion war. Atmosphärisch versucht man aufeinander zuzugehen, in der Sache bewegt sich nicht übermäßig viel – und zwar auf beiden Seiten nicht.
Die Bedeutung des Rahmenprogramms
Hans-Joachim Spanger: Darauf kommt es ganz entscheidend an. Früher hatten wir immer Weinproben. Die haben dazu geführt, dass man sich in der russischen Presse über unsere Weinproben unterhalten hat, an der unter anderem ein Generaloberst immer hoch begeistert teilgenommen hat. Das ist ganz wichtig, ich finde dieses Rahmenprogramm ist unverzichtbar: denn Konferenzen, auf denen man sich irgendwie austauscht, gibt es wie Sand am Meer. Aber welche, die eben versuchen, auch die Chemie zu produzieren, die man für Beziehungen bekanntermaßen braucht, gibt es nicht so viele.
Die Fehler der deutschen Außenpolitik
Vera Rogova: Das ist natürlich immer schwer zu sagen. Was wäre wenn, oder wie wäre es anders abgelaufen – aber eine andere Kollegin von der HSFK, Evgeniya Bakalova und ich, haben vor zwei Jahren zum zwanzigsten Jubiläum der Schlangenbader Gespräche einen Bericht gemacht, wo wir alle Konferenzprotokolle der letzten 20 Jahre analysiert haben und geschaut haben: Welche Punkte kommen eigentlich immer wieder zur Sprache? Und es war sehr stark zu sehen, dass es eine Vorwurfshaltung von deutscher Seite aus zum Beispiel über den fehlenden demokratischen Prozess in Russland oder Defizite in Russland gab. Es war sehr verletzend für die russische Seite, das immer wieder vorgehalten zu bekommen. Es bestand stark der Wunsch auf eine Partnerschaft auf Augenhöhe, wie es immer wieder eingefordert wurde, und eben nicht auf eine beratende oder belehrende Einstellung. Ich glaube, das konnte die deutsche Politik nicht so gut, sondern für sie gab es diese Ansicht: Russland soll sich demokratisieren und wir erklären wie es in unserer Demokratie zugeht. Man hat da nicht genug darauf Rücksicht genommen, wie schwer der Prozess für Russland war.
Hans-Joachim Spanger: Man kann vielleicht noch eines anfügen: Die deutsche Politik ist stolz darauf, dass sie multilateral ist, Bündnispolitik ist. Das heißt Deutschland hat zwar bilaterale Beziehungen zu Russland, aber es gestaltet diese Beziehung auf der Grundlage des Bündnisses mit der Nato und innerhalb der Europäischen Union und achtet auch immer sehr stark darauf, dass alle anderen in irgendeiner Weise mitgenommen werden. Das ist ein gewisses Problem, weil die Osteuropäer, wie wir wissen, aus historischen und sonstigen Gründen ein erheblich distanzierteres Verhältnis zu Russland haben und dort permanent auf der Bremse stehen. Darauf Rücksicht zu nehmen heißt eben auch, mehr oder weniger auf der Bremse zu stehen und jedenfalls nicht eine Politik zu verfolgen, die man dann verfolgen würde, wenn man alleine handeln würde.
Das, was Vera gerade skizziert hat, ist ja die westliche Haltung gegenüber Russland. Nun sind die Russen ja nicht doof, sie können ja durchaus differenzieren, sie nehmen völlig korrekt wahr, dass diese westliche Haltung genauso geprägt ist, wie das Vera beschrieben hat: dass in diesem Spektrum Deutschland immer noch der Akteur ist, der am ehesten versucht, auf Russland zuzugehen.
Europäische Sicherheitspolitik neu denken
Vera Rogova: Es gibt tatsächlich sehr viele Herausforderungen, wie sich Europa jetzt positionieren kann. Ich glaube es ist wichtig, dass Europa eine eigenständige Politik macht und sich nicht zu stark von Spannungen zwischen den USA und China oder Russland vereinnahmen lässt, sondern selbst überlegt, welche Interessen und welche Werte auch …
Die EU ist nicht wie die USA im Moment sehr stark auf diese realpolitische Dimension ausgerichtet, sondern will auch Werte vertreten. Daran sollte man festhalten und diese Linie so durchsetzen und überlegen, welchen Beitrag Europa tatsächlich für die europäische Ordnung leisten kann.
Die Sorge vor dem neuen kalten Krieg
Hans-Joachim Spanger: Es ist sehr viel die Rede davon, um das besonders krass negativ zu skizzieren, dass wir uns in den Zeiten des Kalten Krieges befinden. Dieser Auffassung bin ich durchaus nicht. Wer den damaligen erlebt hat und erlebt hat, wie fundamental unterschiedlich Ost und West waren, der wird ganz schnell feststellen, dass das ja längst nicht mehr der Fall ist. Wir haben selbstverständlich erhebliche konfrontative Momente.
Wir haben, gerade auf dem Gebiet der nuklearen Rüstung wachsende Risiken und sind sehr nonchalant mit den Instrumenten umgegangen, die im Kalten Krieg entwickelt wurden, um diese Risiken unter Kontrolle zu bringen, in Gestalt etwa von Rüstungskontrolle. Das ist also die negative Seite. Die positive Seite ist, dass es unverändert massive und weit tiefgehende Kontakte und Kooperationen über diese neue Grenze hinweg gibt. Die gibt es mit Russland und – was die Wirtschaft betrifft – selbstverständlich auch mit China. China ist für Deutschland der wichtigste Markt mittlerweile, und den will man natürlich auch nicht verlieren, auch wenn Donald Trump einen Handelskrieg gegen die Chinesen lostritt. Das heißt: auf dieser Grundlage gibt ist natürlich gemeinsame Interessen, und es gibt auch die Möglichkeit, sich dieser gemeinsamen Interessen über Kommunikation und Kooperation bewusst zu werden. Das ist entscheidend, dass beides zusammen geht und insofern bin ich so pessimistisch offen gestanden nicht.
Die Schlangenbader Gespräche als Forum des Austauschs
Vera Rogova: Ich war schon immer sehr positiv den Schlangenbader Gesprächen gegenüber. Ich denke es ist sehr, sehr wichtig, dass es sie gibt, und dass es ein Format gibt, wo man sich austauschen kann. Als ich 2011 angefangen habe, da war die Atmosphäre eigentlich relativ gut. Es gab diesen Reset in den amerikanisch-russischen Beziehungen und das sah eigentlich ganz positiv aus. Aber gerade in den nächsten Jahren hat sich dann immer mehr die Lage verschlechtert und da war ich sehr froh, dass es ein Forum gibt, das trotzdem noch weiter Bestand hatte.
Interview / Redaktion: Karin Hammer