Schulstreik vor dem Kanzleramt, 25.01.2018, Berlin
Schulstreik vor dem Kanzleramt, 25.01.2018, Berlin | Photo: Jörg Farys / Fridays for Future | CC BY 2.0

#Fridays4Future und die Europawahlen: Politikverdrossenheit sieht anders aus

Die Klimademonstrationen #Fridays4Future zeigen ein unterschiedliches Problembewusstsein zwischen der jungen Generation und den gegenwärtigen Politikerinnen und Politikern auf. Die Europawahlen am 26. Mai 2019 stehen nun im Mittelpunkt. Vor den letzten Europawahlen 2014 hat fast ein Drittel der jungen Wählerinnen und Wähler ihre Wahlentscheidung kurz vor oder sogar am Wahltag getroffen. Die angekündigten globalen Klimademonstrationen am 24. Mai könnten das Wahlergebnis beeinflussen – aber weniger die Unterrepräsentation der jungen Menschen in der Politik.

Die gegenwärtigen Klimademonstrationen #Fridays4Future zeigen, wie gewaltig das Problembewusstsein zwischen jungen Menschen in Europa, gar weltweit, und der aktuellen Generation von Politikerinnen und Politikern auseinander geht. Die junge Generation ist politisch und versucht auf ihre Weise und mit Nachdruck, sich Gehör zu verschaffen. Dabei mit im Blickfeld: die Europawahlen im Mai 2019. Die #Fridays4Future-Bewegung hat angekündigt, die Europawahl zur Klimawahl zu machen mit einem globalen Klimastreik zur Europawahl am 24. Mai 2019.

Die Freitagsdemonstrationen begannen mit der alleinigen Protestaktion von Greta Thunberg, immer freitags vor dem schwedischen Parlament, und erreichten ihren bisherigen globalen Höhepunkt in den Schülerdemonstrationen am 15. März: an 2083 Orten in 125 Ländern gingen insgesamt über 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler auf die Straße. Und die Proteste gehen weiter. Wir können davon ausgehen, dass diese Protestwelle noch nicht ihr Ende gefunden hat – und wir sollten es hoffen.

Während noch vor wenigen Monaten die meisten Politiker und Politikerinnen die Politikverdrossenheit der heutigen Jugendlichen beklagten und hervorhoben, wie sehr politisches Engagement vermisst wird, tun sich nun die Parteien schwer, eine Position zu den Klimademonstrationen zu finden. In den Medien werden vor allem Stimmen reflektiert, die sich kritisch zu den Freitagsdemonstrationen äußern, von Ermahnungen an die Schulpflicht, Anprangerung von Schulschwänzerei und Hinweisen auf die Notwendigkeit von Vermerken von Fehlzeiten im Zeugnis, Hervorhebung von mangelndem Fachwissen und der Androhung von Bußgeld.

Die Europawahl im Mai 2019 ist die nächste anstehende Wahl. #Fridays4Future hat seit längerem angekündigt, die Europawahl zur Klimawahl zu machen, um dadurch alle Parteien weiter unter Druck zu setzen. Die Politikerinnen und Politiker sollen an ihre Verantwortung zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens erinnert und daran gemessen werden. Die zentrale Forderung der Protestbewegung lautet: handelt jetzt! Wir können nicht darauf warten, in Klimafragen zu handeln, bis wir in euren Entscheidungspositionen sind.

Die politische Jugend: nicht institutionskonform aber nicht weniger interessiert!

Dass nun genau die junge Generation auf die Straße geht und für Klimaschutz und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens demonstriert, scheint auf den ersten Blick vielleicht etwas überraschend, ist aber nicht verwunderlich. Umfragen haben schon 2017 aufgezeigt, dass 47,8 % der jungen Menschen (unter 26 Jahren) den Klimaschutz und die Zerstörung der Natur als das wichtigste globale Thema ansehen, gefolgt von Kriegen und Ungleichheit. Auch die Shell Jugendstudie von 2015 zeigt auf, dass jungen Menschen die Bereitschaft zum umwelt- und gesundheitspolitischen Verhalten wichtig ist. Die zentrale Kernforderung der Protestbewegung reflektiert das globale Problembewusstsein: eine konsequente, radikale und sofortige Umsetzung der Vereinbarungen im Pariser Abkommen, um unter dem Ziel 1,5 Grad Erderwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau zu bleiben.

Junge Menschen sind in der Politik unterrepräsentiert

Wer sitzt gerade eigentlich in den Parlamenten und entscheidet über wichtige Zukunftsfragen? Die unter 30-jähigen stellen ungefähr 1/3 der Bevölkerung in der Europäischen Union (weltweit über 50 Prozent der Gesamtbevölkerung) und die Jungen im Wahlalter 15-29 Jahre 17 %. Die demographische Verteilung spiegelt sich aber nicht in der politischen Repräsentation wider. Das durchschnittliche Alter im Bundestag liegt in der gegenwärtigen Legislaturperiode bei 49,4 Jahren wobei gerade einmal 21 der 709 Abgeordneten bei der Wahl 29 Jahre oder Jünger waren (2,9%). Um den Anteil an der Gesamtbevölkerung widerzuspiegeln, müssten 63 weitere Sitze mit jungen Menschen besetzt sein. Im Europaparlament sieht es nicht besser aus. Das Durchschnittsalter lag im April 2018 bei 55 Jahren mit den beiden jüngsten Abgeordneten im Alter von 29 Jahren.

Für die Parteien sind junge Menschen eine zu diffuse und schwache Wählergruppe, um wirklich ernstgenommen zu werden. Wahlen können mit jungen Menschen nicht gewonnen werden, entsprechend wenig Mühe geben sich Parteien, sie überhaupt zu erreichen. Die Wahlbeteiligung ist entsprechend niedrig. Bei den Europawahlen 2014 lag die Wahlbeteiligung der unter 24-jährigen gerade einmal bei 28 %, insgesamt bei 42,54 %, was keine wesentliche Änderung zum Wahlverhalten von 2009 darstellt. Nichtsdestotrotz sind junge Menschen der Europäischen Union eher positiv gegenüber eingestellt. Dies hatte sich zum Beispiel auch am Wahlverhalten zum Verbleib Großbritanniens in der EU gezeigt: 69 % der unter 30-jährigen (und 76% der 18- 21-jährigen) hatten sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen. Das Abstimmungsergebnis ist ein anderes.

Die #Fridays4Future-Proteste zeigen, dass sich viele junge Menschen für politische Themen interessieren und auch dafür eintreten – nur das Vertrauen in die etablierten Parteien ist nicht sehr hoch. Häufig war der Vorwurf zu hören, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hätten – anders als die Politikerinnen und Politiker – und dass ein Handeln für den Klimaschutz jetzt notwendig sei. Nur ist das Engagement vielfältiger und nicht institutionspolitisch fokussiert. Um dem gerecht zu werden, sollten neue Formen des politischen Engagements möglich sein. Sonst entwickelt sich immer mehr die gegenwärtige Unterrepräsentation der jungen Generation in unseren demokratischen Institutionen zu einem Demokratieproblem für Europa.

Kreative Ansätze für politische Partizipation werden benötigt

Möglichkeiten, die politische Partizipation zu stärken, gibt es viele. Angefangen damit, dass die Belange der jungen Generation von der momentanen politischen Elite ernst genommen werden und genauso Gewicht erhalten sollten wie andere Themen. Das reicht aber nicht aus. Politik sollte von denen gestaltet werden, die auch davon betroffen sind. Entsprechend sollte es mehr jungen Menschen ermöglicht werden, sich politisch zu engagieren und in Parlamente gewählt zu werden – eher klassisch wäre eine Jugendquote bei der Listenaufstellung natürlich eine schnelle und einfache Lösung – aber es gibt auch unkonventionelle Wege. Dafür könnte es direkt eine Quote für junge Menschen in Parlamenten geben. Diese wird dann via Direktwahl von jungen Menschen besetzt und nicht über die traditionellen Parteiwege. Nichtsdestotrotz, sollten oder müssen sich Parteien gesellschaftlich öffnen – auch zum eigenen Überleben. Offene Vorwahlen wären dafür ein erster Schritt. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Amtszeiten von Mandatsträgerinnen und -trägern auf maximal drei oder vier Legislaturperioden zu beschränken – dadurch müssten automatisch immer wieder neue Kandidatinnen und Kandidaten rekrutiert werden. Und wie wäre es zum Beispiel mit gewichteten Stimmen bei allen Themen, welche junge Menschen nachhaltig und langfristig betreffen? Wenn es um Klimapolitik oder andere zukunftsorientierte Fragen geht, bei denen die Konsequenzen der Entscheidungen vor allem von der jungen Generation getragen (und bezahlt) werden müssen, erhalten diese mindestens eine 1,5-fache Gewichtung ihrer Stimme. Damit könnte es auch wieder attraktiver werden, sich an politischen Prozessen zu beteiligen.

Reform des Wahlsystems notwendig

Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre wird schon lange diskutiert. In Malta und Österreich dürfen junge Menschen bereits mit 16 Jahren das Europäische Parlament wählen. Warum also auch nicht in anderen EU-Mitgliedsstaaten?

Der Vertrag über die Europäische Union, Art. 14, Abs. 3 legt fest, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments in „allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt“ werden. Der EU-Direktwahlakt bestimmt die Rahmenbedingungen für die Europawahl. Ein einheitliches europäisches Wahlsystem gibt es jedoch momentan nicht, da die Durchführung der Wahlen dem nationalen Wahlrecht unterliegt. Dies hat zur Konsequenz, dass die Konditionen zur Teilhabe an den Wahlen wie zum Beispiel das Wahlalter gravierend variieren können, abhängig vom Herkunftsland in der Europäischen Union. Dies zeigt sich aber auch in anderen Bereichen – in Griechenland und Italien kann erst mit 25 Jahren und in Rumänien mit 23 Jahren das passive Wahlrecht ausgeübt werden. Auch kann nicht in allen Ländern per Briefwahl abgestimmt werden, und in der Tschechischen Republik, Irland, Malta und der Slowakei ist eine Wahl von außerhalb des Landes nicht möglich. Gerade solche Regelungen treffen vor allem die mobile und europäisierte Jugend, für die Erasmus kein Fremdwort mehr ist.

Und was bedeutet das für die Europawahlen im Mai?

Eine Umfrage im Nachgang der letzten Europawahlen 2014 hat gezeigt, dass fast ein Drittel der jungen Wählerinnen und Wähler ihre Wahlentscheidung kurz vor oder sogar am Wahltag getroffen haben. Wenn es die #Fridays4Future-Bewegung schafft, vor den Europawahlen europaweit für die Umsetzung der Klimaziele zu mobilisieren, kann sich dies deutlich auf die Parteipräferenz auswirken. Allein eine deutlich höhere Wahlbeteiligung der jungen Menschen könnte ein wichtiger Faktor für die zukünftige Zusammensetzung des Europaparlamentes werden.

Die zukünftigen deutschen Vertreterinnen und Vertreter im neuen Europäischen Parlament: Unterrepräsentation von jungen Menschen unter 30 Jahren und Frauen

Die Parteien haben jetzt noch die Möglichkeit, ihre thematischen Schwerpunkte so zu setzen, dass diese glaubhaft die Belange der jungen Menschen berücksichtigen. Die Umsetzung der Klimavereinbarungen wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Wenn Sie dann gewählt werden, liegt es an Ihnen zu zeigen, dass entsprechend verantwortlich gehandelt und abgestimmt wird. Denn die Parteilisten für die Europawahl sind schon lange gewählt – auf aussichtsreichen Listenplätzen finden sich nur eine Handvoll Kandidatinnen und Kandidaten unter 30 Jahren wieder. Alle Listenplätze betrachtet sind es immerhin 16,78 %. Das Durchschnittsalter aller Kandidatinnen und Kandidaten beträgt auch bei dieser Wahl 45,2 Jahre. Auffällig ist zudem die ungleiche Verteilung zwischen Frauen und Männern auf den Listenplätzen. Gerade einmal 34 % Frauen finden sich auf den Listenplätzen wieder. Auch bei der Repräsentanz der jungen Generation spiegelt sich dieser Missstand wider. Unter allen Kandidatinnen und Kandidaten, die 30 Jahren oder jünger sind, wurden nur 34% Frauen auf Listenplätzen gewählt. Die politischen Parteien wären also dringend angeraten sich dieser ungleichen Repräsentation zu stellen. Zudem könnte der neue Druck genutzt werden, um Reformen des Wahlrechts für die nächsten Europawahlen voranzubringen. Warum sollte es für die Europawahl 2024 nicht ein einheitliches Wahlsystem mit gleicher Repräsentation aller Altersgruppen (und Geschlechter) geben?

Rebecca Wagner

Rebecca Wagner

Rebecca Wagner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im Programmbereich „Innerstaatliche Konflikte“ an der der HSFK. Sie arbeitet an einem Promotionsvorhaben zu Wahlen in Zeiten von Einschränkungen der zivilen und politischen Handlungsspielräume. / Rebecca Wagner is a Doctoral Researcher in PRIF’s Research Department “Intrastate Conflicts”. Her PhD focuses on resilience of civil society in face of shrinking civic spaces at elections. | Twitter: @rebewagner

Rebecca Wagner

Rebecca Wagner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im Programmbereich „Innerstaatliche Konflikte“ an der der HSFK. Sie arbeitet an einem Promotionsvorhaben zu Wahlen in Zeiten von Einschränkungen der zivilen und politischen Handlungsspielräume. / Rebecca Wagner is a Doctoral Researcher in PRIF’s Research Department “Intrastate Conflicts”. Her PhD focuses on resilience of civil society in face of shrinking civic spaces at elections. | Twitter: @rebewagner

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