Ende 2020 verabschiedete der Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, in dem auch eine Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft empfohlen wird. Obwohl bereits einige erfolgreiche Ansätze existieren, scheint es an dieser zentralen Schnittstelle der Extremismusprävention weiterhin Entwicklungsbedarf zu geben. Innovative Evaluationsvorhaben können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie dabei helfen, bestehende Initiativen zu stärken, mögliche Hürden zu überwinden und gleichzeitig den nötigen Raum zur klaren Abgrenzung zwischen den Akteursgruppen zu bieten.
Im September 2020 bekräftigte der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus die Bedeutung von sicherheitsbehördlicher und zivilgesellschaftlicher Kooperation in der Extremismusprävention und sprach eine dringende Empfehlung zu ihrer Stärkung aus.1 Auch Vorfälle terroristischer Gewalt wie in der jüngeren Vergangenheit in Dresden, Nizza und Wien, machen deutlich, dass die Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendiensten und in der Deradikalisierungs- und Rehabilitierungsarbeit tätigen, staatlichen und nichtstaatlichen Akteur.innen zwingend verbessert werden musst. So fordert auch die Untersuchungskommission zum Terroranschlag in Wien vom 02.11.2020 vor der Haftentlassung extremistischer Täter.innen gemeinsame Fallkonferenzen aller professionell beteiligten Akteur.innen.2 Nur ein koordiniertes und kohärentes Vorgehen aller Beteiligten kann dazu beitragen, das Risiko für ähnliche Ereignisse so weit wie möglich zu reduzieren.3
Dennoch ist grundsätzlich darauf zu achten, dass es zu keiner Verwischung von Verantwortlichkeiten im Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft kommt. Die unterschiedlichen Handlungsrahmen und -zwänge sollten wechselseitig anerkannt werden, denn sie setzen Kooperation und Austausch natürliche Grenzen: Während die Arbeit der Sicherheitsbehörden strukturiert wird durch das primäre Ziel der Gefahrenabwehr und die Prinzipien von Vertraulichkeit und Geheimhaltung, gelten bei Rehabilitationsmaßnahmen höchste Standards für den Vertrauensschutz in der Klient.innenarbeit. Dieser Balanceakt zwischen der Notwendigkeit zu Kooperation und Austausch auf der einen und der Abgrenzung zwischen den Akteursgruppen auf der anderen Seite gestaltet sich nach wie vor als eine der entscheidenden Herausforderungen des Arbeitsfeldes. Die wichtige Erkenntnis, dass zivilgesellschaftliche Organisationen nicht Teil eines sicherheitsbehördlichen Auftrags sein sollen, scheint sich mittlerweile aber bei allen beteiligten Akteur.innen durchzusetzen.
Teile der Zivilgesellschaft lehnen die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden jedoch grundsätzlich ab – häufig aus Sorge, gegenüber Klient.innen als unglaubwürdig zu erscheinen und somit an Legitimität für die eigene Arbeit einzubüßen. Andererseits verfügen auch Sicherheitsbehörden nicht über unbegrenzten Spielraum zur Zusammenarbeit, denn das für den Auftrag der Behörden notwendige Maß an Geheimhaltung setzt einem möglichen Austausch strikte Grenzen.
Herausforderungen in der Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft
In diesem Spannungsfeld entstanden in den letzten Jahren bereits vielfältige Kooperationsformen, die, trotz aller Schwierigkeiten, der Komplexität und Diversität des Handlungsfeldes zunehmend gerecht werden.4 Bestehende Kooperationsformate reichen von Verfahren zur Fallweiterleitung zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheits- sowie Justizbehörden bis hin zu fallspezifischen regionalen oder lokalen Austauschrunden und der gemeinsamen Abstimmung und Planung von sicherheitsbehördlichen und pädagogischen bzw. sozialarbeiterischen Maßnahmen.
Im Bereich der Islamismusprävention haben sich bereits einige Kooperationsformate auf Länderebene herausgebildet. Besonders relevant ist die Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen mit Sicherheits- und Justizbehörden im Kontext von Justizvollzug und in der Arbeit mit sogenannten ‚sicherheitsrelevanten Fällen‘. Dies meint Personen, die bereits straffällig, möglicherweise sogar gewalttätig, geworden sind oder denen diesbezüglich ein hohes Potential zugerechnet wird. Während also in einigen Bundesländern funktionierende Kooperationsansätze für die Islamismusprävention umgesetzt wurden, stehen die Beteiligten andernorts noch ganz am Anfang – besonders im Hinblick auf den Rechtsextremismus.
Diskussionen müssen nicht nur über geeignete Formate und Prozesse geführt werden, sondern auch über die Zielsetzung der Kooperation. Wenn Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden kooperieren, treffen fraglos unterschiedliche Handlungslogiken aufeinander.5 Auf der einen Seite steht die sicherheitsbehördliche Perspektive, die einer gesamtgesellschaftlichen Gefahrenminimierung verpflichtet ist. Auf der anderen Seite ist es die pädagogische oder sozialarbeiterische Praxis, die sich der Stärkung der individuellen Entwicklungsperspektiven der Beratungsnehmenden verschrieben hat. Gerade in dieser Unterschiedlichkeit der Akteur.innen und ihrer Perspektiven liegt aber auch eine potentielle Stärke der Kooperation. Beide Perspektiven können sich im Idealfall ergänzen und so nachhaltig positive Ergebnisse sowohl für die Sicherheit der Gesellschaft als auch für die individuelle Situation der Beratungsnehmenden sicherstellen. Dabei ist es notwendig, im gesamten Prozess dafür zu sorgen, dass sich die jeweiligen Maßnahmen in einer gemeinsamen übergreifenden Zielsetzung ergänzen – und nicht etwa konterkarieren.
Eine systematische Aufarbeitung der bisherigen Kooperationsformate und Erfahrungen mit Weg- und Zielkonflikten kann wertvolle Erkenntnisse für die Zukunft generieren. Dies gilt sowohl für den Aufbau neuer Formate (insbesondere dort, wo bislang noch kein formalisierter Austausch stattfand) als auch für die Weiterentwicklung der existierenden Zusammenarbeit.
Kooperationsförderung durch Evaluation6
Evaluationen der Präventionsarbeit können helfen, Erkenntnisse und Erfahrungen der Vergangenheit aufzuarbeiten und langfristig die Qualitätssicherung im Sinne einer dem Gegenstand angemessenen Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. Prozessorientierte, also parallel zu den Maßnahmen durchgeführte, Evaluationen können ihr Hauptaugenmerk direkt auf die Unterstützung von Kooperationsauf- und -ausbau legen und dadurch zu verbesserter Kommunikation und Transparenz zwischen den Akteur.innen beitragen. Aber auch Evaluationen, die nur Teilbereiche der Kooperationsstruktur betreffen, können mittel- bis langfristig für mehr Klarheit sorgen, indem sie die Handlungsprofile der Akteur.innen schärfen oder die jeweiligen Wirkungsannahmen der Maßnahmen konkretisieren. Zudem können Evaluationsformate dabei unterstützen, die Balance zwischen der Eigenständigkeit der jeweiligen professionellen Handlungsorientierung und den Erfordernissen der kooperativen Aufgabenerfüllung auszutarieren und im Zweifelsfall für wechselseitige Anerkennung und Akzeptanz der professionellen Grenzen werben.7
Bislang beschäftigen sich nur wenige Evaluationsvorhaben explizit mit diesem Aspekt. Eine Ursache dafür könnte in der Komplexität des Themas liegen, sowohl in Bezug auf Fragestellungen und Erhebungsformen der Evaluationen als auch mit Blick auf die Zugänglichkeit und Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten. Dennoch stellt sich die Frage, ob es zur Stärkung der staatlich-zivilgesellschaftlichen Partnerschaft nicht an der Zeit wäre, einen systematisch-forschenden Blick auf die konkreten Erfahrungen zu werfen? Wie gestalten sich die Kooperationsbeziehungen zwischen Zivilgesellschaft, Sicherheits- und Justizbehörden aus den jeweiligen Perspektiven? Welche Chancen und Herausforderungen birgt die Kooperation für die einzelnen Partner.innen? Wie kann aus bisherigen Erfahrungen gelernt werden? Und wie können die Hürden verringert und die Potentiale genutzt werden?
Evaluation als Kommunikationsplattform
Neben dem retrospektiven Blick auf bereits existierende Erfahrungen, ist es von besonderem Vorteil, prozessbegleitende Evaluationen in einem möglichst frühen Stadium des Kooperationsaufbaus anzusetzen. Denn gerade in der Konzeption von Präventionsmaßnahmen ist zu erwarten, dass eine Kooperation hohe Anforderungen an das personelle Engagement, die Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft sowie den gemeinsamen strategischen Ausblick der Partner.innen stellt. Von Beginn an mitgedachte Evaluationsdesigns können im Idealfall zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen und einen moderierenden Rahmen für den offenen Austausch aller Beteiligten bieten.
Auch im weiteren Verlauf der gemeinsamen Projektumsetzung ist eine regelmäßige und strukturierte Kommunikation unverzichtbar. In einem so komplexen Handlungsfeld wie der Extremismusprävention formieren sich kontinuierlich neue Herausforderungen, die spontane konzeptuelle und arbeitspraktische Anpassungen und Innovationen erfordern. Wie gehen die Kooperationspartner.innen beispielsweise damit um, wenn im Verlauf der Arbeit mit gewaltbereiten Personen unterschiedliche Einschätzungen vorliegen? Wenn also zum Beispiel die positive Einschätzung eines pädagogischen Trägers zur Entwicklung von Klient.innen dem negativen Ausblick einer Polizeibehörde entgegensteht, die an repressiven Maßnahmen festhalten möchte? Im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitung durch Evaluationsvorhaben können solche und ähnliche Herausforderungen dialogorientiert und praxisförderlich bearbeitet werden.
Mit Blick auf geringe Kapazitäten oder mangelnde Strukturierung in der Zusammenarbeit können prozessbegleitende Evaluationen helfen, zusätzliche Ressourcen und das notwendige Know-how zur Verfügung zu stellen, das zur Förderung dieser Bemühungen gebraucht wird. Selbst wenn Evaluationen nicht die Kooperation selbst ins Zentrum stellen, sondern beispielsweise interne Prozessanpassungen oder die Ausarbeitung von Wirkannahmen thematisieren, haben Sie das Potential, durch die Unterstützung der Arbeit der jeweiligen Partner.innen, die übergreifende Kooperation aller zu verbessern.
Grundsätzlich ist wahrscheinlich: Je früher eine Evaluation im Prozess des Kooperationsaufbaus ansetzt und je umfänglicher sie alle relevanten Akteur.innen einbezieht, desto mehr kann sie zur Unterstützung der Praxispartner.innen und der gemeinsamen Zusammenarbeit beitragen. Langfristig können solche Vorhaben den Weg für aussagekräftige Wirkungsanalysen ebnen, indem sie die Praxis wissenschaftlich fundiert stärken und gleichzeitig die notwendige empirische Datenbasis ausweiten. Um all diese Potentiale zu nutzen, ist es nur konsequent, dass sich die politischen Rahmengeber.innen gemeinsam mit Wissenschaft und sicherheitsbehördlicher wie zivilgesellschaftlicher Praxis an einen Tisch setzen und konstruktiv zusammenarbeiten – auch mit dem Ziel, Evaluationsstrukturen zu stärken. Eine weiterführende bundesweite und strategische Bearbeitung des Themas, inklusive einer angemessenen Ressourcenausstattung, verspricht wichtige Fortschritte in der Umsetzung und Steuerung der (deutschen) Extremismusprävention. Auch dieser Beitrag kann lediglich als Auftakt für eine breitere Diskussion und einer vertiefenden Veröffentlichungsreihe rund um die Themen Kooperation und Evaluation verstanden werden.
Das PrEval-Projekt beschäftigt sich mit Evaluationsbedarfen, -kapazitäten und -designs in der deutschen Extremismusprävention. In enger Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen und staatlichen Vertreter.innen der Fachpraxis werden beispielhafte, auf den jeweiligen Kontext angepasste Evaluationsdesigns entwickelt, unter anderem in den Bereichen Sekundär- und Tertiärprävention sowie an der Schnittstelle zur Gewaltprävention. Dabei werden auch Kooperationsformate zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden in den Blick genommen. Für 2021 sind im Rahmen des PrEval-Projekts vertiefende Veröffentlichungen zu dieser Schnittstelle geplant.
Download (pdf): Ruf, Maximilian/Walkenhorst, Dennis (2021): Evaluation im Kooperationskontext. Chancen zur Gestaltung der Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft, PRIF Spotlight 3/2021, Frankfurt/M.