Die Phänomene Rechtsextremismus und Islamismus erscheinen zunächst gegensätzlich. Zwar finden sich mit Blick auf Ideologien viele Gemeinsamkeiten. Historisch sowie in der eigenen Rechtfertigung von Gewalt gibt es jedoch auch Grenzen der Vergleichbarkeit; eine Differenzierung der Phänomenbereiche ist notwendig. Während Rechtsextreme mit dem Überleben der Rasse oder der Nation argumentieren, rechtfertigen Islamisten sich mit ihrer Interpretation des „Willen Gottes.“ Die Narrative nehmen auch Bezug aufeinander, verstärken sich reziprok und bestätigen ihre jeweiligen Weltanschauungen. Solche gemeinsamen funktionalen Elemente oder Brückennarrative, wie sie David Meiering im vorangegangenen Blogbeitrag bespricht, können für die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit relevant sein, da sie Ansätze des Dialogs beeinflussen und als best practices genutzt werden können.
Feindbild
Sowohl islamistische als auch rechtsextreme Ideologien beschwören einen Krieg zwischen der „Westlichen“ und der „Islamischen Welt“. Beide extremistischen Phänomenbereiche stellen so den derzeitigen Status Quo in Frage und propagieren, sich gegen das jeweils andere Feindbild verteidigen zu müssen. Klassische Motive sind ein Opfermythos und die Verteidigung selbstdefinierter Werte, welche die „alte Ordnung“ nicht verteidigen kann oder will. Die IslamistInnen stellen die RechtsextremistInnen als einen repräsentativen Teil der Gesamtgesellschaft dar, welcher den Islam ablehnt, während die RechtsextremistInnen die IslamistInnen als repräsentativ für alle Muslime betrachten. Julia Ebner geht in ihrer Annahme davon aus, dass die beiden Phänomenbereiche nicht vollständig ohne den jeweils anderen existieren könnten. Zwangsläufig sehen beide einen Krieg des Westens gegen die Islamische Welt kommen und versuchen diesen darüber hinaus auch aktiv herbeizuführen. Dieser „Endkonflikt“ führt für die überlegene Partei in der Logik der ExtremistInnen zu einer utopischen Version der Welt, da das identifizierte Übel beseitigt worden wäre und eine vollkommen „völkische“ oder „islamische“ Welt kein Böses mehr kennen würde, somit also ein Paradies auf Erden darstellen würde.
Rolle der Frau
Mit Blick auf die Rolle der Frau müssen in den Phänomenbereichen Islamismus sowie Rechtsextremismus zwei Dimensionen betrachtet werden: Zum einen ist das konservative Rollenbild der Frauen in den Ideologien sehr ähnlich, zum anderen muss die aktive Rolle der Frau in den Bewegungen selbst genauer beleuchtet werden.
Sowohl im Rechtsextremismus als auch im Islamismus herrscht ein konservatives Frauenbild vor. Wie ein Interviewpartner der Studie „Extremismusprävention in Deutschland“ formuliert: „Spätestens bei dem Thema Homophobie oder Frauenfeindlichkeit können sich dann alle einigen“ (S. 11). Frauen wird in beiden Phänomenbereichen eine häusliche Rolle zugewiesen, während eine „natürlich gegebene Überlegenheit des Mannes“ vorausgesetzt wird. Damit einhergehend sind Formen des Sexismus, „gefasst als traditionelle Geschlechterrollenorientierung zu Lasten von Frauen und die Abwertung von Frauen, die sich nicht an traditionelle Rollenmuster halten“ (S. 115) die Norm in beiden Bereichen.
Der physische Kampf fällt, bis auf wenige Ausnahmen, den Männern zu, jedoch werden Propaganda, Unterstützung und ideologische Aufgaben zunehmend von Frauen übernommen. Führende Persönlichkeiten der Jihadisten betonen die Wichtigkeit der Aufgaben, die Frauen ausführen. In einer neuen Entwicklung werden in der Propaganda des „Islamischen Staates“ (IS) nun auch Frauen im aktiven Kampf gezeigt, wobei sich ExpertInnen nicht sicher sind, für welche Zielgruppe diese Bilder veröffentlich wurden oder was dies insgesamt für den Konflikt und den „IS“ bedeutet. Es könnte sich entweder um eine bloße Propagandamaßnahme handeln um (westliche) Frauen anzusprechen, oder aber auch auf die Verzweiflung der Gruppierung hindeuten, da sie lang gepflegte Rollenbilder auflösen musste um trotz des Gebiets- und Einflussverlusts weiter handlungsfähig zu bleiben.
Frauen sind oft stärker in der Szene vernetzt und nutzen bevorzugt Social-Media-Kanäle, um potenzielle Rekruten zu erreichen. Dies hat oft ganz praktische Gründe: Frauen ist häufig der Zutritt zu den Treffpunkten der Männer versagt, so dass der virtuelle Raum ihnen einen leichteren Zugang ermöglicht. Sie arbeiten daher oft hinter den Kulissen und haben mehr Handlungsfähigkeit („agency“) als ihnen in der Öffentlichkeit zugestanden wird (Stichwort: „Jihadistenbraut“). Extremistinnen sind häufig stärker ideologisch gefestigt als ihre männlichen Pendants. In Interviews mit ExpertInnen wurde mehrfach betont, dass sich radikalisierungsgefährdete Frauen in ihren Wohnungen treffen, sich gemeinsam Propagandamaterial ansehen und sich hierdurch gegenseitig ideologisch bestätigen bzw. bestärken. Für einige ist bspw. eine Ausreise nach Syrien ein Akt des Feminismus und der Selbstbestimmung, um sich gegen die zugewiesenen, stark traditionellen Rollenbilder in den eigenen Familien zu Wehr zu setzen und der als „unmoralisch“ wahrgenommenen westlichen Wertewelt zu entfliehen. Sie sehen in der Vollverschleierung eine Art Befreiung von einer sexuell geprägten, hedonistischen Lebensrealität. Es ist hier zu betonen, dass sowohl bei RechtsextremistInnen (bspw. bei der Identitären Bewegung) als auch bei islamistischen ExtremistInnen der Anteil der Frauen in der Außendarstellung und Propaganda zum Zwecke der Rekrutierung überproportional dargestellt wird.
Verschwörungstheorien und Antisemitismus
Ebenso sind antisemitische Verschwörungstheorien sowohl in rechtsextremen, als auch in islamistischen Kreisen weit verbreitet. Insbesondere die „Verschwörung des Weltjudentums“ findet in beiden Ideologien großen Anklang. Während Antisemitismus in Europa spätestens seit dem Mittelalter zu Pogromen und Diskriminierungen von Juden führte, wandelte sich das Bild in den muslimisch geprägten Ländern zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In Europa wurden Juden immer wieder für Katastrophen und Todesfälle verantwortlich gemacht und galten als reich und übermächtig, während in den überwiegend muslimisch geprägten Ländern historisch stets ein Bild des „feigen, armen und verächtlichen Juden“ vorherrschte (Bernhardt/Jaki 2010: 206). Lange Zeit galten arabische Länder trotzdem als Zufluchtsort für europäische Juden, da sie in diesen unbehelligt leben konnten, solange sie die geforderten Abgaben zahlten. Dies änderte sich mit der Rezeption der „Protokolle der Weisen Zions“ in der arabischen Welt sowie mit Sayyid Qutbs Aufsatz „Unser Kampf mit den Juden“ aus den 1950er Jahren. Den Juden wird in der darauffolgenden Zeit „ein Arsenal an negativen Eigenschaften und antiislamischen Weltverschwörungsplänen“ zugeschrieben (Verfassungsschutzbericht 2016: 186). Diese Ansicht wird verquickt mit der Gründung und Existenz des Staates Israel und dem Nahostkonflikt, ist aber nicht antizionistisch, sondern explizit antisemitisch geprägt und richtet sich entsprechend gegen die Gesamtheit der Juden. Dies führte allein zwischen 2012 und 2015 zu vier antisemitischen Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Europa, bei welchen insgesamt 13 Menschen ums Leben kamen. Antisemitische Propaganda wird in Deutschland von IslamistInnen aufgrund der Rechtslage eher verdeckt verbreitet, jedoch sind antisemitische Tendenzen in der gesamten Szene zu verzeichnen (Verfassungsschutzbericht 2016: 184–186).
„Die Protokolle der Weisen Zions“ haben auch auf rechte Denkschulen einen großen Einfluss. Bereits zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das nachweislich gefälschte Dokument immer wieder als Argumentationsgrundlage für antisemitische Einstellungen in der Propaganda genutzt. Auch heute werden „die jüdische Weltverschwörung“ sowie die jüdische Familie Rothschild in Foren und Diskussionen rechter Kreise immer wieder als Erklärung für alles Übel in der Welt identifiziert, mit schwerwiegenden Konsequenzen für das jüdische Leben in Deutschland. Auch wenn sich die neuen Rechten als Verteidiger des „christlich-jüdischen Abendlandes“ zu positionieren versuchen, um sich vordergründig von der klassischen Neonaziszene abzusetzen, sind Positionen zum Judentum oder zum Staat Israel weiterhin durch Antisemitismus und Antizionismus geprägt (S. 12). So stellt der Verfassungsschutzbericht von 2016 fest: „Rechtsextremistische Agitation ist geprägt von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie einer grundsätzlichen Demokratiefeindschaft“ (S. 38).
Implikationen für die Praxis
Die Übertragbarkeiten sowie die reziproken Bestätigungsprozesse in den Narrativen der extremistischen AkteurInnen führen zu der Erkenntnis, dass eine viel stärkere Zusammenarbeit und ein Austausch im Kontext der in beiden Phänomenbereichen tätigen PraktikerInnen stattfinden muss. Des Weiteren müssten gemeinsame Analysetools entwickelt werden, um die Trends in einem der Phänomenbereiche zu erkennen um im anderen Bereich direkt zu beobachten wie (und ob) reagiert wird. Das sichtbar machen der gegenseitige Abhängigkeit kann in bestimmten Kampagnen sinnvoll genutzt werden. Auf keinen Fall sollte jedoch das Narrativ des Krieges des Westens gegen die Islamische Welt verstärkt oder durch unbedachte Aussagen bestätigt werden. Im Bereich der Deradikalisierung zeigt die Erfahrung aus der Praxis, dass das Erkennen von Widersprüchen durch den Bezug der Phänomenbereiche aufeinander ein Türöffner für den Prozess der Selbstreflexion und des Zweifels bei den KlientInnen darstellen kann.
Bernhardt, M., & Jaki, J. (2010). Die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘: Die Genese der Idee einer jüdisch/zionistischen Weltverschwörung in Europa und der arabischen Welt. In Komplotte, Ketzer und Konspirationen. Bielefeld: transcript Verlag.
Lahoud, N. (2014). The neglected sex: The Jihadis’ exclusion of women from Jihad. Terrorism and Political Violence, 26(5), 780–802.