Kurz vor der Bundestagswahl 2017 wurden die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern” beschlossen. Sie machen Krisenprävention zu einem zentralen Anliegen deutscher Außenpolitik. In den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 hingegen ist dies eine Legislaturperiode später nur zum Teil angekommen. Vorschläge zur Stärkung der zivilen Krisenprävention und institutionelle Reformideen, wie die Einführung eines Nationalen Sicherheitsrats und einer Friedensverträglichkeitsprüfung, lassen dennoch auf mehr Aufmerksamkeit und positive Impulse in diesem Politikfeld hoffen.
Krisenprävention als Leitmotiv deutscher Außenpolitik
Die Prävention von Konflikten – breit verstanden als Prävention des Gewaltausbruchs, der Eskalation und des Wiederaufflammens von Gewalt – ist ein wichtiger Aspekt außenpolitischen Handelns. Dem Ausbruch von Gewalt möglichst vorzubeugen, ist effektiver und kostengünstiger als nachträgliches Krisenmanagement und Wiederaufbau – und rettet Leben. Im Fokus der Tagespolitik und der Medien steht jedoch allzu oft die Auseinandersetzung und Reaktion auf akute Gewaltkonflikte, wie zuletzt auf die Geschehnisse in Afghanistan und Mali statt beispielsweise auf Kamerun oder Burkina Faso.
Wenige Monate vor der Bundestagswahl im September 2017 verabschiedete die damalige Bundesregierung die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (im Folgenden: Leitlinien 2017). Sie verpflichten alle Ressorts in ihrem außenpolitischen Handeln und attestieren der Bundesrepublik „eine besondere Verantwortung für den Frieden“, die aus der deutschen Geschichte erwachse. „Kriege und Völkermord zu verhindern, Minderheiten und Menschenrechte zu schützen“, so die Leitlinien weiter, „gehört zur deutschen Staatsräson.“ Für das deutsche Engagement gelte zudem der „Primat der Politik und Vorrang der Prävention“. Das Ziel der Krisenprävention rückt damit ins Zentrum deutscher Außenpolitik und drückt sich beispielsweise darin aus, dass Deutschland gemäß der OECD CRS-Daten mit über 600 Millionen US-Dollar im Jahr 2019 zum weltweit größten Geber für Projekte im Bereich „Zivile Friedensschaffung, Konfliktverhütung und Konfliktbewältigung“ geworden ist.
Im Zentrum dieses Beitrags steht deshalb die Frage, wie sich die Parteien zur Umsetzung der Leitlinien 2017 und zur Bedeutung von Krisenprävention verhalten. Grundlage dieser Auswertung sind die Wahlprogramme der im Bundestag in Fraktionsstärke vertretenen Parteien (d.h. von CDU/CSU, SPD, FDP Bündnis90/Die Grünen, Die Linke und AfD) sowie Antworten dieser Parteien auf die von der HSFK eingereichten Wahlprüfsteine. Die Positionen der Parteien werden entsprechend der Priorität diskutiert, die sie dem Thema im Wahlprogramm beigemessen haben.
Klares Bekenntnis zu den Leitlinien als positive Ausnahme
Mit Blick auf die Leitlinien 2017 wirken die Wahlprogramme zunächst eher ernüchternd. Eine explizite Stellungnahme zu diesen findet sich ausschließlich im Wahlprogramm der Grünen. Ein Verweis auf eine „Staatsräson” findet sich nicht – auch nicht in den Antworten auf die Wahlprüfsteine. Auf eine historische Verantwortung Deutschlands für den Frieden verweisen explizit nur die Linken. Mit den Grünen und der Linken gibt es aber immerhin zwei Parteien, die der Krisenprävention einen eigenen Abschnitt widmen.
Die übrigen Parteien haben der Krisenprävention keine eigenen Abschnitte im Wahlprogramm gewidmet. Bei der SPD lässt sich wenig und bei den Wahlprogrammen von CDU/CSU, FDP und AfD kein konzeptionelles Denken zur Krisenprävention erkennen. Das ist auch insofern erstaunlich, als dass es Unions- und SPD-geführten Ministerien waren und sind, die die ressortgemeinsamen Leitlinien 2017 verabschiedet haben und seitdem mit der Umsetzung betraut sind.
Konzeptionelle Auseinandersetzung bei den Grünen und der Linken
Die Grünen beginnen das außenpolitische Kapitel ihres Wahlprogramms mit den „großen Herausforderungen unserer Zeit”, bei denen Gewaltkonflikte zunächst keine Erwähnung finden. Im Folgenden erklären sie jedoch „auf Gewaltfreiheit und koordinierte Krisenprävention und regelbasierte sowie vorrangig zivile Konfliktbearbeitung” zu setzen. So fordern sie unter anderem, dass Deutschland „bei der politischen Entschärfung von Konflikten und in der zivilen Konfliktbearbeitung auf globaler Ebene eine treibende Kraft werden“ soll. In ihrem Abschnitt „Vorausschauend für den Frieden“ erwähnen die Grünen die Leitlinien 2017 dann nicht nur explizit, sondern führen auch aus, wie deren Umsetzung gestärkt werden soll. Es sollen zivilen Planziele eingeführt und personelle wie finanzielle Mitteln für zivile Krisenprävention erhöht werden. Erwähnung finden u.a. der Ausbau von Kapazitäten für Mediation, die Stärkung des Zivilen Friedensdienstes und des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) sowie die Förderung wissenschaftlicher Einrichtungen der Friedens- und Konfliktforschung. Das untermauern die Grünen auch in ihrer Antwort auf die Wahlprüfsteine. Bemerkenswert ist, dass die Grünen als einzige Partei auch Zielkonflikte zwischen verschiedenen Prioritäten beschreiben und auf inhärente Dilemmata verweisen.
Die Linke setzt sich in ihren außenpolitischen Werten und Grundideen deutlich von den Wahlprogrammen der anderen Parteien ab. Sie fordert nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel in der Außenpolitik”. Militärische Interventionen in Krisengebieten lehnt sie ab und fordert eine Beendigung sämtlicher Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie Thorsten Gromes in dieser Blogreihe bereits ausführte. Die bislang für Auslandseinsätze aufgewendeten Mittel sollen in ein „ziviles Aufbau- und Friedenssicherungsprogramm” investiert werden. Im Gegensatz zu den Grünen erfolgt bei der Linken keine Erwähnung oder gar Abwägung von zu erwartenden Zielkonflikten oder Dilemmata. Im Abschnitt zu „Ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention“ erfolgt stattdessen eine Erläuterung des positiven Friedensbegriffs der Partei. Darauf basierend fordert die Linke u.a. die Einführung eines „Menschenrechts auf Frieden”. Es sollen ein „Fokus auf zivile Friedensmaßnahmen“ gesetzt, die Mittel für den Zivilen Friedensdienst erhöht und Instrumente, wie das zivile Peacekeeping, gefördert werden. In ihrer Antwort auf die Wahlprüfsteine übt die Linke scharfe Kritik am „vernetzten Ansatz”, d.h. der engen Abstimmung von entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitischem Handeln, weil dies zu einer Vermischung ziviler und militärischer Logiken führe.
Krisenprävention als Randthema bei der SPD
Die SPD stellt in ihrem Wahlprogramm fest: „Die friedenspolitischen Herausforderungen nehmen zu. Gesundheitskrise, Klimawandel und Ungerechtigkeit verschärfen bestehende Konflikte und entfachen neue”. Von dieser Ausgangsbasis aus verweist die SPD darauf, dass sie die weltweite Führungsrolle weiter ausbauen wolle, die Deutschland schon jetzt bei der „Entschärfung internationaler Krisen und Vermittlung von Frieden” einnehme. Im Kontext der europäischen Nachbarschaftspolitik will sich die SPD zudem dafür einsetzen, dass auch „Europa eine Vorreiterrolle bei internationaler Krisenprävention, Friedens- und Demokratieförderung sowie zum Schutz der Menschenrechte einnimmt.“ Auch wenn es an einer konzeptionellen Verortung mangelt, wird die Krisenprävention somit hochrangiger angesiedelt als bei den Unionsparteien. Konkret soll das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) gestärkt und der Ausbau von zivilen Kapazitäten vorangetrieben werden. Angeführt wird auch die Idee der Schaffung eines parlamentarischen Mechanismus zur Prüfung der friedenspolitischen Verträglichkeit von Gesetzesvorhaben und anderen Maßnahmen. In ihrer Antwort auf die Wahlprüfsteine bekräftigt die SPD, „das intensive Engagement Deutschlands mit den erforderlichen personellen und finanziellen Mitteln auch in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen bzw. weiter ausbauen“ zu wollen.
Dominanz der Sicherheitspolitik bei Union und FDP
Die Unionsparteien erwähnen „Krisenprävention” in ihrem Wahlprogramm nicht explizit. Ihr außenpolitisches Kapitel „Neue Verantwortung Deutschlands in der Welt” leiten sie ungewöhnlich innenpolitisch ein und erklären „Unser Ziel heißt: Sicherheit und Frieden, Freiheit und Wohlstand für die Menschen in Deutschland“ (Hervorhebung durch die Autor:innen). Kurz und knapp konstatieren sie: „Es reicht nicht, auf Krisen nur zu reagieren. Daher werden wir eine Sicherheitsarchitektur schaffen, die bessere Koordinierung und einen vorausschauenden Ansatz möglich macht”. Dies wird später mit zwei Konkretisierungen versehen: der Idee einer „regelmäßig vorzulegenden nationalen Sicherheitsstrategie” und der Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats im Kanzleramt, „der außen- und sicherheitspolitische Koordinierung, strategische Vorausschau und nachrichtendienstliche Erkenntnisse des Bundes und der Länder zusammenführt”. In ihrer Antwort auf die Wahlprüfsteine verweist die Union auf das „Engagement der unionsgeführten Bundesregierung” im Rahmen der Umsetzung der Leitlinien 2017 und nennt hier als Schwerpunkte der weiteren Umsetzung vier Themenbereiche: der Zusammenhang von Klimafragen mit Frieden und Sicherheit, globale Gesundheitspolitik, die Stärkung der EU als Akteurin der Krisenprävention und der Zusammenhang zwischen Krisenfrüherkennung und krisenpräventiver Politik. Diese Themen wurden im Umsetzungsbericht der Bundesregierung im Frühjahr 2021 ebenso als Schwerpunkte benannt und sind Ergebnis eines interministeriellen Abstimmungsprozesses – dass sich die Union daran gebunden fühlt, ist löblich, zeigt gleichzeitig aber wenig Bereitschaft zur Innovation und eigener Schwerpunktsetzung.
Wie auch die Union verwendet die FDP eine eher sicherheitspolitisch geprägte Terminologie. Sie erwähnt Krisenprävention in ihrem Wahlprogramm in nur einem Nebensatz beim Verweis auf die Rolle von Frauen: „Wir Freie Demokraten sind überzeugt, dass Frauen weltweit eine elementare Rolle in der internationalen Friedenssicherung, Streitschlichtung und Krisenprävention spielen.” Im größeren Rahmen fordert die FDP „eine deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik aus einem Guss”. Die FDP will „deshalb, dass Deutschland stärker als bisher den vernetzen Ansatz in seinem internationalen Handeln umsetzt”, fordert also – im Duktus der Leitlinien 2017 – mehr ressortgemeinsames Handeln. Hierfür will sie „die sicherheitspolitischen Entscheidungsstrukturen anpassen und die finanziellen Voraussetzungen schaffen.“ Die Bedeutung eines vernetzten Ansatzes ebenso wie das Bekenntnis zu Freiheit, Menschenrechten und Demokratie hebt die FDP auch in ihrer Antwort auf die Wahlprüfsteine hervor, setzt sich aber dann eher mit den Beziehungen zu Partnerländern und konkreten Konflikten auseinander. Die FDP fordert, wie auch die CDU/CSU, einen Nationalen Sicherheitsrat, „der es ermöglicht, bei internationalen Herausforderungen vorausschauender und schneller planen, entscheiden und handeln zu können“.
Den wohl größten Kontrast stellt das Wahlprogramm der AfD dar. Die AfD stellt die Wahrung deutscher Interessen, insbesondere der „Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen” und die „Erlangung strategischer Autonomie für Deutschland und seine europäischen Partner” in den Mittelpunkt. Gewaltkonflikte und ihre Verhinderung werden nicht thematisiert, stattdessen das „strikte Nichteinmischungsgebot in innere Angelegenheiten von Staaten” angemahnt. Im Gegensatz zu den anderen Parteien wird auch keine, wie auch immer geartete, aktive(re) deutsche Außenpolitik mit Blick auf Konflikte und Krisengebiete gefordert. Auf die Wahlprüfsteine der HSFK hat die AfD nicht geantwortet.
Der Blick auf künftige Koalitionen: Mehr als gradueller Wandel möglich?
Insgesamt lassen die Wahlprogramme mit Blick auf die Leitlinien 2017 und die Bedeutung von Krisenprävention eher Kontinuität und graduelle Reformen erwarten. Abhängig von der Zusammensetzung einer zukünftigen Regierungskoalition könnten einige Vorschläge aus den Parteiprogrammen aber durchaus neue Impulse für die Entwicklung deutscher Außenpolitik, mehr Engagement in der Krisenprävention und Politikkohärenz setzen.
Die Stärkung ziviler Krisenprävention und die Einführung ziviler Planziele ist im Rahmen der Debatte um die Leitlinien 2017 nichts Neues. Die Stärkung von zivilen Kapazitäten taucht in unterschiedlicher Form sowohl bei der SPD und den Grünen als auch bei der Linkspartei auf. Die grüne Forderung nach zivilen Planzielen ist dabei am weitgehendsten, denn damit dürfte eine systematische Erhebung von Bedarfen und die Festlegung von konkreten Zielgrößen finanzieller und personeller Kapazitäten gemeint sein – während die anderen Parteien eher exemplarisch die Stärkung einzelner Akteure fordern. Auch wenn die CDU und die FDP „Krisenprävention” in ihren Wahlprogrammen nicht ausdrücklich erwähnen, könnte die Forderung nach der Erhöhung ziviler Kapazitäten sowohl in einer SPD- als auch in einer Unions-geführten Bundesregierung konsensfähig sein. Die weitreichendere Forderung der Grünen nach Planzielen könnte sich hingegen als eher schwer durchsetzbar erweisen.
Sowohl CDU/CSU als auch die FDP fordern in ihren Wahlprogrammen einen Nationalen Sicherheitsrat. Die Idee ist ebenfalls nicht neu, hat aber aktuell in der Afghanistan-Debatte wieder Auftrieb erhalten. Ob damit effektiver im Sinne der Krisenprävention agiert würde, ist unklar und wäre nicht zuletzt abhängig vom Mandat eines solchen Gremiums. Zwar fordern auch die Grünen in ihrem Programm einen Nationalen Rat für Frieden, Nachhaltigkeit und Menschenrechte, dieser wird jedoch im Kontext der Umsetzung der Agenda 2030 vorgeschlagen – und nicht in den Abschnitten zu Friedens- und Sicherheitspolitik eingeführt. Im Fall einer Koalition zwischen Union, Grünen und FDP wäre die Schaffung eines Nationalen Friedens- und Sicherheitsrats eine Option, sie hängt aber maßgeblich davon ab, ob sich die Parteien auf das Mandat für einen solchen Rat einigen könnten.
Der Vorschlag der SPD, einen parlamentarischen Mechanismus zur Prüfung der friedenspolitischen Verträglichkeit von Gesetzesvorhaben und anderen Maßnahmen einzuführen, ist weitreichend, könnte aber bei den Grünen und Linken auf offene Ohren stoßen. Die Grünen fordern neben dem bereits erwähnten Nationalen Rat für Frieden, Nachhaltigkeit und Menschenrechte einen „Nachhaltigkeits- und Menschenrechts-TÜV” für Gesetzesentwürfe. Eine Initiative hierzu wäre am ehesten bei Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen zu erwarten und sollte bei der Linken eher auf Zustimmung stoßen als bei der FDP.
Größere Aufmerksamkeit in den Koalitionsverhandlungen ist notwendig
Das Thema Krisenprävention bleibt in den meisten Wahlprogrammen ein Nischenthema. Eine konzeptionelle Auseinandersetzung findet nur in wenigen Programmen statt. Dabei wäre es gerade auch wichtig, Zielkonflikte und trade-offs verschiedener Konzeptionalisierungen von Krisenprävention sowie Kompromisse bei ihrer Institutionalisierung klar zu identifizieren und zu reflektieren. Dennoch benennen die Parteien unterschiedliche konkrete Instrumente und Maßnahmen, die die Idee der Krisenprävention in der deutschen Außenpolitik stärken könnten. Stärkere bzw. deutlichere Impulse wären von einer Rot-Grünen-Koalition, auch gemeinsam mit den Linken, zu erwarten. Nicht zuletzt könnte eine zukünftige Bundesregierung in diesem Themenfeld auch auf europäischer und internationaler Ebene deutliche Akzente setzen – wenn sie dies denn möchte.