Flugzeug vor blauem Himmel
Eine F-35A der US Air National Guard kommt in South Burlington, VT an. | Foto: Ryan Campbell/ US Air National Guard. |
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Verbesserte Glaubwürdigkeit: Zur Bedeutung der F-35A für die nukleare Teilhabe

Deutschland beschafft mit der F-35A Lightning II ein neues Trägerflugzeug für die nukleare Teilhabe der NATO. Diese Anschaffung ist umstritten. Bislang wurde in der Debatte allerdings nur unzureichend berücksichtigt, dass die F-35A ein wichtiges Glaubwürdigkeitsproblem der nuklearen Teilhabe lösen kann: Veraltete europäische Kampfflugzeuge wären im Verteidigungsfall kaum in der Lage, die leistungsfähigen Luftverteidigungssysteme der Russischen Föderation zu überwinden und US-amerikanische Atomwaffen ins Ziel zu bringen. Damit trägt die F-35A zu einer Stärkung der nuklearen Abschreckung bei, deren Relevanz seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine an Bedeutung gewonnen hat.

Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die nukleare Bedrohungslage für die NATO grundlegend verändert: Der russische Präsident Wladimir Putin versucht, seinen Angriffskrieg mit nuklearen Drohungen vor einer direkten Beteiligung der NATO abzuschirmen. Das steht im Widerspruch zur russischen Nukleardoktrin aus dem Jahr 2020, nach der Russland seine Nuklearwaffen primär zu Verteidigungszwecken im Falle einer existenziellen Bedrohung einsetzen möchte.

Der Wandel der russischen Sicherheitspolitik und Nukleardoktrin hatte sich schon länger abgezeichnet. So wurde in Fachkreisen intensiv diskutiert, ob Russland nach einem konventionellen Angriff auf einen NATO-Staat im Osten des Bündnisgebiets und der darauffolgenden Reaktion der Allianz möglicherweise den Einsatz von Atomwaffen androhen könnte, um die NATO zur Aufgabe zu bewegen und den Krieg damit für sich zu entscheiden.1 Darüber hinaus gilt es als wahrscheinlich, dass Russland mit Blick auf die kriegsbedingte Schwächung seiner konventionellen Streitkräfte die Bedeutung der eigenen Nuklearstreitkräfte erhöhen und die Schwelle für den nuklearen Ersteinsatz senken wird.2 Aufgrund dieser neuen Bedrohungslage steigt für die NATO auch die sicherheitspolitische Bedeutung der nuklearen Abschreckung.

Die nukleare Abschreckung der NATO stützt sich vor allem auf die Atomwaffen der Vereinigten Staaten, die auf U-Booten, Interkontinentalraketen und Bombern stationiert sind. Doch auch die in Europa stationierten US-Sprengköpfe spielen eine Rolle: Ungefähr 100 Atombomben des Typs B61 lagern auf Militärflugplätzen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Italien sowie der Türkei.3 Im Kriegsfall behält sich die NATO vor, diese Atombomben im Rahmen der nuklearen Teilhabe mit europäischen Kampfflugzeugen einzusetzen. Unter welchen Bedingungen dies tatsächlich geschehen würde, lässt das Bündnis allerdings bewusst offen – zur Abschreckung eines groß angelegten konventionellen Angriffs schließt die NATO auch einen nuklearen Ersteinsatz nicht aus. Nach dem Zwei-Schlüssel-Prinzip ist für den Einsatz der in Europa stationierten Atomwaffen sowohl die Zustimmung der Vereinigten Staaten als auch der europäischen Gastländer erforderlich; die Vereinigten Staaten und die NATO-Verbündeten teilen sich das Risiko und die Entscheidung des Nuklearwaffeneinsatzes. Nur wenn beide Parteien zustimmen, können die Sprengköpfe eingesetzt werden.

Doch Abschreckung kann nur funktionieren, wenn sie auch glaubhaft ist – und die nukleare Teilhabe hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Ohne Tarnkappenfähigkeiten und mit ihren veralteten Sensoren würden für den Atomwaffeneinsatz zertifizierte Kampfflugzeuge der vierten Generation wie die F-16 oder der Tornado nur schwer die leistungsfähigen, integrierten Luftverteidigungssysteme der Russischen Föderation überwinden und die Bomben dann noch erfolgreich ins Ziel bringen können. Allerdings planen bis auf die Türkei nun alle Gastländer der nuklearen Teilhabe, die F-35A Lightning II, die als das modernste marktverfügbare westliche Kampfflugzeug der neusten, sogenannten „fünften“ Generation gilt, einzuführen. Deutschland hat sich Anfang 2022 ebenfalls für die Beschaffung der F-35A entschieden und damit eine Grundsatzentscheidung über die Zukunft der nuklearen Teilhabe getroffen.

Die modernisierte B61-12
Die B61-12-Version ist die neuste Entwicklung der B61-Familie und soll vollständig in die F-35A integriert werden. Die Atombombe verfügt im Gegensatz zu älteren Versionen über Steuerflächen sowie ein Trägheitsnavigationssystem. Damit kann sie Ziele mit einer Genauigkeit von ungefähr 30 Metern treffen, während ältere B61-Versionen – eingesetzt als Freifallbomben – allenfalls eine Genauigkeit von etwa 100 Metern erreichen. Durch die höhere Zielgenauigkeit lässt sich auch ihre Sprengkraftstärke reduzieren. Neben der höheren Präzision kann die B61-12 als gelenkte Bombe auch mit größerem Abstand zum Ziel eingesetzt werden und verbessert dadurch die Überlebensfähigkeit der Kampfflugzeuge und Besatzung vor und nach dem Waffeneinsatz.4

Die Glaubwürdigkeitsprobleme der nuklearen Teilhabe

Die Glaubwürdigkeitsprobleme der nuklearen Teilhabe sind vielschichtig und bestehen aus einer politischen und einer technischen Ebene. Das politische Kernproblem – ob ein US-Präsident im Kriegsfall tatsächlich bereit wäre, Atomwaffen zur Verteidigung Europas einzusetzen und damit möglicherweise Washington oder New York für Berlin oder Warschau zu opfern – lässt sich nicht auflösen und muss von den Verbündeten bis zu einem gewissen Grad akzeptiert werden. Ebenfalls ungelöst ist die Frage, ob sich die europäischen NATO-Staaten tatsächlich an einem Atomwaffeneinsatz beteiligen würden. Und schließlich hängt die politische Glaubwürdigkeit auch davon ab, ob die Vereinigten Staaten und die Verbündeten weiterhin willens sind, Kernwaffen in Europa zu stationieren. Zumindest zum aktuellen Zeitpunkt bestehen daran allerdings keine Zweifel. Auch Deutschland hat sich in der Nationalen Sicherheitsstrategie zur Fortführung der nuklearen Teilhabe bekannt.5

Das technische Glaubwürdigkeitsproblem der nuklearen Teilhabe hängt mit der militärischen Mission zum Nuklearwaffeneinsatz zusammen. Diese wird oft als außerordentlich komplex beschrieben: Flugzeuge und Besatzung müssten zunächst einen russischen Angriff überstehen, die Erlaubnis zum Atomwaffeneinsatz aus den USA und dem Gastland erhalten, sicher von der Luftwaffenbasis abheben, auf dem Weg zum Ziel in umkämpftem Luftraum betankt werden, die gegnerische Luftverteidigung überwinden, das Ziel visuell oder mit Hilfe der Bord-Sensoren identifizieren und anschließend die Bombe dort abwerfen.6

Nachdem die Entscheidung zugunsten eines Nachfolgesystems für die veralteten Tornado-Jagdbomber durch die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Jahr 2020 in Deutschland eine erneute Debatte über die Zukunft der nuklearen Teilhabe ausgelöst hatte, standen dabei technische Aspekte im Vordergrund. Zahlreiche Akteure aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft nahmen darauf explizit Bezug.7 Einige sprachen sich für ein Ende der nuklearen Teilhabe aus und begründeten dies oftmals mit der fehlenden technischen Glaubwürdigkeit.8

Neue technologische Fähigkeiten

In der aktuell praktizierten Form und mit der aktuell vorhandenen Technologie hat die nukleare Teilhabe tatsächlich ein wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem. Bislang wurde in der Debatte allerdings kaum berücksichtigt, dass Deutschland mit der F-35A ein neues Kampfflugzeug speziell für die nukleare Rolle beschafft und wie sich dieses System zusammen mit der modernisierten B61-12-Atombombe (siehe Infobox) auf die technische Glaubwürdigkeit der nuklearen Teilhabe auswirkt. Zusätzlich kauft die Bundesregierung weitere Eurofighter, die für die elektronische Kampfführung optimiert sind und gemeinsam mit der F-35A im Verbund operieren können.9

Als Kampfflugzeug der fünften Generation besitzt die F-35A eine Reihe an Fähigkeiten, die sie von bisherigen Trägerflugzeugen abheben: Tarnkappeneigenschaften, Sensorfusion und elektronische Kampfführung. Bis Anfang 2024 soll die F-35A zudem vollständig für den Atomwaffeneinsatz zertifiziert sein.10

Tarnkappeneigenschaften, auch bekannt unter der englischsprachigen Bezeichnung „Stealth“, machen die F-35A nicht vollständig für das Radar unsichtbar. Gleichwohl erlauben sie es dem Flugzeug, deutlich näher an feindlichen Radarstellungen zu operieren als vergleichbare Jets ohne solche Fähigkeiten. Die Vorteile von Stealth haben sich bereits im Zweiten Golfkrieg 1991 gezeigt. Während Kampfflugzeuge der vierten Generation von einer Vielzahl weiterer Jets eskortiert werden mussten, um den Schutz vor feindlichen Luftverteidigungssystemen und Kampfflugzeugen sicherzustellen, konnten die F-117 Nighthawks der US-Luftwaffe als weltweit erstes Tarnkappenflugzeug ohne weitere Unterstützung in irakischen Luftraum eindringen und ihre Missionsziele erfüllen.11

CNTR-Projekt
Das Cluster Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) erforscht militärisch relevante Neue Technologien und Entwicklungen in den Naturwissenschaften aus interdisziplinärer Perspektive. Die Wissenschaftler*innen des Clusters untersuchen Auswirkungen auf die internationale Sicherheit, ordnen diese wissenschaftlich fundiert ein und entwickeln auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Rüstungskontrolle.

Das Projekt wird über eine Laufzeit von vier Jahren (Januar 2023 bis Dezember 2026) vom Auswärtigen Amt gefördert. CNTR Logo

Mit Hilfe ihrer modernen Sensoren ist die F-35A außerdem in der Lage, feindliche Radarsysteme schnell zu lokalisieren, zu klassifizieren, und sie im Cockpit zu einem umfassenden Lagebild zusammenzuführen – eine Funktion, die auch unter der Bezeichnung „Sensorfusion“ bekannt ist. Das ist relevant, weil selbst für Tarnkappenflugzeuge während der Missionsplanung Lücken in der feindlichen Luftverteidigung identifiziert und anschließend Flugrouten gewählt werden müssen, die das Risiko einer Radarerfassung minimieren. Falls keine offensichtlichen Lücken vorhanden sind, werden diese durch Störung oder Unterdrückung feindlicher Radarsysteme aktiv geschaffen. Die Erstellung eines solchen Lagebildes ist normalerweise hochkomplex und erfordert neben der Nutzung unterschiedlicher Aufklärungsmittel auch umfangreiche Personalressourcen. In der F-35A erfolgt sie jedoch bis zu einem gewissen Grad vollautomatisiert.12 Ergänzend verfügt das Kampfflugzeug über ein vollintegriertes System zur elektronischen Kampfführung, mit dem es ohne Unterstützung durch weitere Flugzeuge feindliche Radarsysteme und Kommunikation stören kann.13

Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass die F-35A durch ihre Tarnkappeneigenschaften, Sensorfusion und ihre elektronische Kampfführungsfähigkeit deutlich sicherer in umkämpftem Luftraum operieren kann als bisherige Kampfflugzeugtypen.14

Auch die Verwundbarkeit während des Betankungsprozesses kann mit der F-35A höchstwahrscheinlich reduziert werden. Denn die Luftbetankung ist nur eine Möglichkeit, um die Reichweite von Kampfjets signifikant zu erhöhen. Eine andere Möglichkeit ist die Betankung mit laufenden Triebwerken auf Behelfsflugplätzen („Hot Pit Refueling“). Dabei verbleiben die Flugzeuge nur für die Betankung am Boden und heben anschließend sofort wieder ab. Die Behelfsflugplätze werden maximal 1-2 Stunden genutzt und anschließend wieder aufgegeben. Das senkt die Verwundbarkeit des Betankungsvorgangs signifikant, da Russland unmöglich alle in Frage kommenden Flugplätze oder Autobahnabschnitte beobachten und zum passenden Zeitpunkt angreifen kann. Deshalb setzen die US-Luftwaffe sowie alliierte Luftstreitkräfte zunehmend auf das Agile-Combat-Employment-Konzept und sogenannte „verstreute Operationen“.15 Im November 2023 hat die Norwegische Luftwaffe im Rahmen einer Militärübung in Finnland erfolgreich demonstriert, dass auch die F-35A in der Lage ist, von solchen Behelfsflugplätzen aus zu operieren.16

Verbesserte Glaubwürdigkeit

Die F-35A Lightning II kann das Glaubwürdigkeitsproblem der nuklearen Teilhabe zwar nicht lösen, doch gemeinsam mit der modernisierten B61-12 wird sie zumindest die technische Glaubwürdigkeit an entscheidenden Stellen – der Verwundbarkeit in der Luft bis zum Atomwaffeneinsatz – verbessern können. Damit stärkt die Beschaffung der F-35A die nukleare Abschreckung gegenüber Russland.

Nachdem die Bundesregierung eine Grundsatzentscheidung zur Beschaffung der F-35A getroffen hat, sollte die Luftwaffe deshalb in Erwägung ziehen, gemeinsam mit weiteren NATO-Luftstreitkräften das Agile-Combat-Employment-Konzept zu übernehmen – das würde nicht nur die nukleare Abschreckung, sondern auch die Krisenstabilität stärken.17

Weiterlesen
Dieser Text basiert auf einem englischsprachigen Artikel, der zuerst auf der Plattform War on the Rocks veröffentlicht wurde.

Frank Kuhn, „Making Nuclear Sharing Credible Again: What the F-35A Means for NATO“, War on the Rocks, 14. September 2023.

Gleichwohl ist die F-35A Lightning II kein Wundermittel. Obwohl das Flugzeug bereits 2016 in Dienst gestellt wurde, weist es immer noch eine Vielzahl von Mängeln auf und befindet sich noch nicht in Serienproduktion. Diese Probleme können künftig sehr wahrscheinlich behoben werden: Im September 2023 durchlief die F-35 nach mehrjähriger Verspätung eine Reihe wichtiger Tests, die den Weg in die Serienproduktion ebnen könnten.18 Darüber hinaus sind technische Unzulänglichkeiten bei Kampfflugzeugen insbesondere in den Anfangsjahren alles andere als ungewöhnlich und für die US-Luftstreitkräfte ist die Beseitigung der Probleme schlichtweg alternativlos.19

Trotz der verbesserten technischen Glaubwürdigkeit der nuklearen Teilhabe gilt jedoch: Die beschriebene Verwundbarkeit der Luftstreitkräftebasen in Europa wird auch die F-35A nicht aus dem Weg räumen können. Um die Abschreckung auch gegenüber Russland zu stärken, haben die Vereinigten Staaten deshalb bereits 2020 modifizierte Sprengköpfe mit geringerer Sprengkraft auf ihren Atom-U-Booten stationiert.20 Infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der möglicherweise fragwürdigeren Zuverlässigkeit künftiger US-Regierungen wird die Diskussion um die nukleare Abschreckung der NATO allerdings noch weiter an Fahrt aufnehmen.


Cover PRIF Spotlight 12/2023 Download (pdf): Kuhn, Frank (2023): Verbesserte Glaubwürdigkeit: Zur Bedeutung der F-35A für die nukleare Teilhabe, PRIF Spotlight 12/2023, Frankfurt/M.

Zu den Fußnoten

 

 

 

 

 

 


 

Frank Kuhn

Frank Kuhn

Frank Kuhn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ sowie Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am PRIF. Zu seinen Forschungsinteressen zählen nukleare Abschreckung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Militärtechnologien und -strategien. // Frank Kuhn is a doctoral researcher at PRIF's „International Security“ research department and the project coordinator for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR). His research interests include nuclear deterrence, arms control and non-proliferation, as well as military technology and strategy. | Twitter: @_FrankKuhn

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Frank Kuhn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ sowie Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am PRIF. Zu seinen Forschungsinteressen zählen nukleare Abschreckung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Militärtechnologien und -strategien. // Frank Kuhn is a doctoral researcher at PRIF's „International Security“ research department and the project coordinator for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR). His research interests include nuclear deterrence, arms control and non-proliferation, as well as military technology and strategy. | Twitter: @_FrankKuhn

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