Laternenmast mit blau-weißem Plakat, auf dem eine Friedenstaube abgebildet ist und der Aufschrift "Ostermarsch. Die Waffen nieder! Friedensfähig statt kriegstüchtig". Im Hintergrund sind unscharf Menschen zu sehen.
Plakat für den Ostermarsch 2024 in Frankfurt am Main. | conceptphoto.info | CC BY 2.0

Verrennen sich die Ostermärsche?

Auch dieses Jahr finden in vielen Orten Deutschlands Ostermärsche statt. Die Aufrufe thematisieren vor allem den Krieg gegen die Ukraine, das Blutvergießen in Gaza nach dem Angriff der Hamas auf Israel, das massive Aufrüsten der Bundesrepublik und anderer NATO-Staaten sowie die Stationierung von Mittelstreckenwaffen. Es zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Aufrufen, doch wie auffällt, tun sich viele schwer mit Kritik an Russland, während sie Israel massive Vorwürfe machen.

Das Netzwerk Friedenskooperative beschreibt sich selbst als „Service- und Informationsbüro“ für die Friedensbewegung und dokumentierte bis zum 9. April 37 lokale Aufrufe zu Ostermärschen in Deutschland. Dieser Beitrag diskutiert die lokalen Aufrufe und setzt dabei den Schwerpunkt auf Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Ukraine und Russland

Der Abzug russischer Truppen könnte den Krieg in der Ukraine schnell beenden. Vor zwei Jahren forderten einen solchen Abzug nur acht von 48 ausgewerteten Aufrufen, und in diesem Jahr macht dies einzig der Aufruf für Mainz-Wiesbaden. Viele Aufrufe ziehen es vor, für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine einzutreten. „Diplomatie statt Waffenlieferungen“ oder „Verhandlungen statt Waffenlieferungen“, heißt es in den Aufrufen für Aschaffenburg, Bielefeld und München. Diese und ähnliche Formulierungen legen nahe, es gebe einen Gegensatz zwischen der Hilfe für die Ukraine in Form von Waffen einerseits und der Unterstützung von Friedensgesprächen andererseits. Allerdings schließt sich beides ebenso wenig aus wie zu kämpfen und gleichzeitig zu verhandeln. Das lässt sich in vielen bewaffneten Konflikten beobachten. In Friedensverhandlungen spielt das militärische Kräfteverhältnis, in dem sich die Konfliktparteien gegenwärtig oder in der Zukunft sehen, eine große Rolle. Weicht die von einem Friedensplan angestrebte Verteilung politischer Vorteile zu sehr von diesem militärischen Kräfteverhältnis ab, hat die benachteiligte Seite einen großen Anreiz, das Abkommen gar nicht erst zu unterzeichnen oder später nicht umzusetzen. An diesem Problem scheitern Friedenspläne immer wieder. Wer fordert, der Ukraine keine weiteren Waffen zu liefern, nimmt es damit gewollt oder ungewollt hin, deren Position in Verhandlungen zu schwächen und die von Russland zu stärken. Das gilt erst recht bei einem Ende der Sanktionen gegen Russland, wie im Aufruf für Bremen verlangt. Im Extremfall liefe das auf ein Kriegsende durch Kapitulation der Opfer des Überfalls hinaus.

Einige Aufrufe fordern allgemein ein Ende von Waffenlieferungen, was wohlwollend gelesen auch auf solche Hilfe für Russland zutrifft. Nennen aber die Aufrufe Länder, die keine Waffen erhalten sollten, dann beschränken sie sich zumeist auf die Ukraine und Israel. Appelle an Iran oder Nordkorea, sie sollten Russland keine Waffen mehr liefern, konnte ich in den ausgewerteten Aufrufen nicht finden. Das ist umso bemerkenswerter, als der Aufruf für Bremerhaven schreibt, durch europäische Waffenlieferungen gehe das Sterben in der Ukraine weiter. Die Aufrufe für Aschaffenburg, Frankfurt am Main, Goslar, Landshut und Traunstein sehen durch Waffenlieferungen Kriege in die Länge gezogen und immer grausamer werden. Hier drängt sich die Frage auf, ob die Menschen in der Ukraine meinen, die gelieferten Waffen zum Schutz auch ziviler Ziele vor Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen hätten den Krieg verschlimmert.

Einen besonders harten Ton schlägt der Aufruf für Berlin an: „Die deutsche Regierung macht sich schuldig, indem sie Kiew mit Waffen und Kriegsrhetorik unterstützt.“ Wüsste man es nicht besser, könnte man im Licht dieser Aussage meinen, die Ukraine habe Russland angegriffen und nicht umgekehrt. Der Berliner Aufruf schreibt zudem: „Erneut erklärt eine deutsche Regierung Russland zum Feind.“ Der Hamburger Aufruf hält der abgewählten Ampelregierung „Vernichtungsphantasien“ gegenüber Russland vor. Der Aufruf für den Ostermarsch in Heidelberg sieht die „tatsächlichen“ russischen Kriegsziele „vor allem“ darin, den NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern und die russischsprachige Bevölkerung im Donbass zu schützen. Dabei handelt es sich um eine problematische Lesart, wie mein PRIF-Kollege Jonas D. Driedger darlegt. Sie ignoriert die wiederholt proklamierten Ziele der „Demilitarisierung“, sprich das Wehrlosmachen der Ukraine, und deren „Entnazifizierung“, also Sturz ihrer gewählten Regierung, sowie die Versuche Russlands, sich möglichst große Teile der Ukraine einzuverleiben.

Immerhin handelt es sich bei den zuletzt zitierten Aussagen um vereinzelte Positionen, allerdings in Berlin und Hamburg an die beiden größten deutschen Städte gerichtet. Bei aller Kritik sind die Differenzen zwischen den Aufrufen zu beachten. Während etwa die Aufrufe für Bielefeld und Heidelberg in der Ukraine-Politik von US-Präsident Trump eine Chance sehen, warnt der für Landshut vor einem Diktatfrieden, der sich über die Interessen der Ukraine hinwegsetzt. Der Aufruf für Gronau schreibt ohne konkreten Bezug zur Ukraine, „mit Menschenfeinden lässt sich nicht verhandeln! Feinden der Menschlichkeit darf man sich auch nicht unterwerfen!“

Israel und Gaza

Ein Teil der Aufrufe thematisiert die Gewalt in Israel und Gaza, das aber auf unterschiedliche Weise. Zahlenmäßig dominieren Aufrufe, die Israel vorwerfen, in Gaza einen Völkermord zu verüben, so die für Augsburg, Berlin, Bielefeld, Hamburg, Heidelberg, Mannheim, Offenburg und Oldenburg. Der Aufruf für Hamburg beklagt das „infantile Gut-Böse-Denken“ und mangelnde Differenzierung und wirbt dafür, sich mit unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen. Wenige Zeilen später schreibt er, „wer den Völkermord Israels an den Palästinenser*innen kritisiert, bekommt die Keule des Antisemitismus-Vorwurfs zu spüren“. Gewalt gegen Israel und die jüdische Zivilbevölkerung erwähnt er nicht. Das macht der Aufruf für Oldenburg: „Nichts, auch nicht der mörderische Überfall der Hamas im Oktober 2023, kann den Völkermord an den Palästinensern und ihre Vertreibung rechtfertigen.“

Die Aufrufe für Bonn und Landshut setzen sich von anderen ab, indem sie Gewalt und Leid sowohl in Palästina als auch in Israel anprangern, ohne den Vorwurf des Völkermords zu erheben. Der Bonner Aufruf fordert unter anderem, alle Geiseln freizulassen, und der für Landshut erklärt: „Alle Kriegsverbrechen sowohl der Hamas und anderer bewaffneter antiisraelischer Gruppen als auch die der israelischen Regierung sind zu verurteilen. Menschenleben dürfen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.“

Aufrüstung und Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland

Unter dem Motto „friedensfähig statt kriegstüchtig“ wenden sich viele Aufrufe gegen die Aufrüstung Deutschlands und anderer NATO-Mitglieder. Sie sehen bei den europäischen NATO-Staaten weit höhere Ausgaben fürs Militär als in Russland, so die Aufrufe für Augsburg und Bremerhaven. Der Bonner Aufruf hält die europäischen NATO-Länder Russland militärisch für weit überlegen; ähnlich äußert sich der Aufruf für Leipzig. Die Aufrufe für Bremerhaven und Hamburg sprechen von einer militärischen Überlegenheit der gesamten NATO, von Atomwaffen abgesehen. Es mag vielleicht zu kurz greifen, allein die Militäretats und die Zahl der Waffensysteme zu vergleichen, unter anderem da Russland geringere Produktions- und Personalkosten hat und die europäischen NATO-Staaten nur eingeschränkt in der Lage sind, schnell Truppen und Waffen an mögliche Orte der Konfrontation zu verlegen. Zu bedenken ist aber auch, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt nur etwas höher liegt als das von Spanien. Fähigkeitslücken europäischer NATO-Staaten gegenüber Russland werfen die Frage auf, wie effizient die bislang verfügbaren Mittel eingesetzt wurden.

Viele Aufrufe wenden sich gegen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Sie greifen dabei Argumente und Slogans auf, die der Friedensbewegung in den 1980ern große Mobilisierungserfolge brachten. Die Stationierung mache Deutschland zur Zielscheibe, heißt es in den Aufrufen für Bremerhaven, Freiburg und Oldenburg. Der Aufruf Rhein-Ruhr schreibt: „Die ab 2026 geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen allein in Deutschland erhöht die Gefahr eines Atomkriegs. Sie macht Deutschland zum Ausgangspunkt eines möglichen Atomkriegs und zum Ziel eines Präventiv- oder Gegenschlags.“ Unter anderem die Aufrufe für Bielefeld und Büchel problematisieren die geringe Vorwarnzeit beim Einsatz dieser Waffen. „Die Gefahr eines Krieges aus Versehen nimmt wegen der kurzen Vorwarnzeiten drastisch zu“, heißt es im Aufruf für Landshut. Während die Aufrufe für Bremerhaven, Oldenburg und Traunstein eine Ausstattung dieser Mittelstreckenwaffen mit atomaren Sprengköpfen befürchten, schrieb mein PRIF-Kollege Frank Kuhn im November 2024: „Eine nukleare Bewaffnung ist zumindest aktuell nicht vorgesehen und wäre technisch auch nicht unmittelbar realisierbar.“ Hervorzuheben sind die Aufrufe für Frankfurt am Main, Goslar und München, weil sie sich nicht allein an den Westen richten. Sie setzen sich für die umfassende und kontrollierte Abrüstung dieser Waffen ein, „einschließlich der russischen Mittelstreckenwaffen“.

Fazit

Angesichts des weltweiten Konfliktgeschehens fehlt es den Ostermärschen nicht an friedenspolitischen Anlässen. Es ist verständlich, dass die Aufrufe nur einige Themen aufgreifen und ihre Forderungen vor allem an die eigene Regierung richten. In einem bedeutenden Teil der Aufrufe zeigt sich aber ein Missverhältnis darin, wie sie die russische Regierung rhetorisch schonen, die Bundesregierung hingegen heftig angehen und Israel schlimmste Kriegsverbrechen vorwerfen. Neben einer problematischen Einseitigkeit gibt es auch unangebrachte Gleichmacherei. Die gebotene Differenzierung kippt in ihr Gegenteil, wenn sie alle Seiten gleichermaßen für Krieg und Gewalt verantwortlich macht. Der Aufruf für Unterlüß schreibt, „die eine oder andere Seite zu unterstützen, darf weder moralisch, ethisch, humanistisch noch religiös begründet werden“ und stellt damit Hilfe für den Angegriffenen auf die gleiche Stufe wie Hilfe für den Aggressor. Es wäre unfair, allen Teilnehmenden der kommenden Ostermärsche vorzuwerfen, sie würden mit ihrer Präsenz die problematischen Passagen der Aufrufe unterstützen. Die allermeisten von ihnen sind nicht für diese Aufrufe verantwortlich, die zudem von Ort zu Ort unterschiedlich ausfallen. Viele Menschen, die über die Ostertage marschieren werden, sehen sich motiviert von einem Wunsch nach Beendigung von Kriegen und dem Erhalt von Frieden, ohne dabei eine Pro-Putin- oder Anti-Israel-Position zu vertreten. Sie können in Diskussion mit anderen Teilnehmenden dafür werben, problematische Parteinahme wie auch falsch verstandene Differenzierung zu überwinden.

Thorsten Gromes
Dr. habil. Thorsten Gromes ist Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich „Innerstaatliche Konflikte“. Seine Forschung konzentriert sich auf Nachbürgerkriegsgesellschaften und sogenannte humanitäre militärische Interventionen. // Dr. habil Thorsten Gromes is a Project Leader and Senior Researcher at PRIF in the Research Department “Intrastate Conflict”. His research focuses on post-civil war societies and so-called humanitarian military interventions.

Thorsten Gromes

Dr. habil. Thorsten Gromes ist Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich „Innerstaatliche Konflikte“. Seine Forschung konzentriert sich auf Nachbürgerkriegsgesellschaften und sogenannte humanitäre militärische Interventionen. // Dr. habil Thorsten Gromes is a Project Leader and Senior Researcher at PRIF in the Research Department “Intrastate Conflict”. His research focuses on post-civil war societies and so-called humanitarian military interventions.

Weitere Beiträge zum Thema

Russlands heikles Spiel mit der Zeit Putin will den Konflikt mit der Ukraine nicht ernsthaft lösen. Aber er hält die Friedensverhandlungen am Laufen, weil sie ihm drei wichtige Vorteile bringen, meint Mikhail Poliansk...
A Sober Perspective for the Negotiating Table: Europe Must Contribute Diplomatically to Ending the War in Ukraine and Shape t... Despite the deadlocked military situation for Ukraine and the policy shift in the US, Germany and Europe still lack a negotiating strategy for a diplomatic solution. But only milit...
Mit nüchternem Blick zum Verhandlungstisch: Europa muss die Beendigung des Ukrainekrieges und den Rückzug der USA diplomatisc... Trotz der längst verfahrenen militärischen Lage für die Ukraine und bekannten Kurswechsels in den USA hielten Deutschland und Europa an der unrealistischen Strategie fest, nur mit ...