Am 23. September 2019 wurde der Hessische Friedenspreis der Albert-Osswald-Stiftung zum 25. Mal verliehen. Ausgezeichnet wurde der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed. Der Preis würdigt den Mut und die Weitsicht des jüngsten Staatschefs Afrikas. Kurz nach seinem Amtsantritt am 2. April 2018 beendete er den seit 20 Jahren schwelenden blutigen Konflikt mit dem Nachbarstaat Eritrea. Entschlossen ging er außen- und innenpolitische Reformen an und es gelang ihm eine weitgehende Liberalisierung seines Landes. Der Preis soll ihm Unterstützung sein und Abiy Ahmed darin bestärken, diesen schwierigen Weg weiterzuverfolgen. Wir präsentieren Auszüge aus den Reden bei der Preisverleihung im hessischen Landtag in Wiesbaden am 23. September 2019.
Boris Rhein, Präsident des Hessischen Landtags:
[…]Verehrte Frau Ministerin, Sie waren […] die erste Parlamentspräsidentin Ihres Landes. Ihnen als Friedensministerin unterstehen die Bundespolizei, der Geheimdienst und der Grenzschutz. Sie haben, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, nach der Kabinettsumbildung „den wohl schwierigsten Posten“ in der Regierung übernommen. Heute sind Sie hier bei uns in Hessen, und wir wünschen Ihnen bei Ihren schwierigen Aufgaben in Äthiopien von Herzen Erfolg, alles Gute und auch Gottes Segen.
Meine Damen und Herren, unsere Urteile über ferne Länder sind oftmals geprägt von einer, ich möchte sagen, diffusen Gewissheit. Wir meinen, Bescheid zu wissen. Gelegentlich steigt mit der Ungenauigkeit unseres Wissens auch noch die Festigkeit unseres Urteils.
Aber schon beim Gebrauch des Begriffes „ferne Länder“ halte ich inne. Gibt es eigentlich noch ferne Länder – in einer immer stärker zusammenwachsenden Welt, auf einer Erde, auf der über das Internet und allgegenwärtige Medien fast alles erfahrbar, zu jeder Zeit erlernbar und verstehbar geworden ist? Wahrscheinlich kann man sagen, dass beides stimmt: dass es im globalen Dorf keine Wissensschranken gibt und dass unser Blick aus Deutschland noch immer auf die sogenannte Erste Welt zentriert ist. Schon der Begriff „Erste Welt“ stellt ja eine solche Zentrierung dar.
Wir wissen viel zu wenig über die Welt um uns herum, beispielsweise, verehrte Frau Ministerin, darüber, dass in Äthiopien mehr als 90 verschiedene Volksgruppen leben oder dass 43,2 % der Bevölkerung in Äthiopien unter 15 Jahre alt sind. 43,2 %! Man muss sagen: Die äthiopische Alterspyramide sieht aus wie die Spitze eines gesunden Tannenbaums, und die deutsche erinnert dagegen an die Umrisse – ich will es mal so formulieren – eines Brummkreisels. Was wir allerdings über Äthiopien wissen, und zwar gesichert wissen, das macht uns Mut, Frau Ministerin, und das stimmt uns sehr hoffnungsfroh. Ihr Land befindet sich mitten in einem positiven Aufbruch. Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed, der 25. Preisträger des Hessischen Friedenspreises. Äthiopien hat die Chance, das Vorbild für den ganzen afrikanischen Kontinent zu werden. Diese Chance, diese riesengroße Hoffnung, die dies ja auch ist, ist mit einem Namen verbunden: Abiy Ahmed, den wir heute hier mit dem Hessischen Friedenspreis ehren.
Ich will dem Laudator nicht vorgreifen; ich will nur eines sagen: ein Mann mit einem muslimischen Vater und einer christlichen Mutter, ein Moslem, der mit einer Christin verheiratet ist, ein Friedensstifter, der in seiner Heimat einen 20-jährigen blutigen Konflikt beendet hat, ein Reformer, der auf die Bildung als großen Hoffnungsträger setzt.
„Friede, Freiheit und Demokratie sind kein Geschenk.“
Er selbst ist der Hoffnungsträger eines ganzen Kontinents und hat geschafft, was niemand mehr für möglich gehalten hat: Er hat Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea geschaffen. Er hat einen 20 Jahre langen Konflikt, der mehr als 100.000 Menschenleben gekostet hat, beendet.
Ich finde, ein solcher Mann ist es wert, dass wir ihn ehren, dass wir ihn ermutigen auf seinem Weg zu Frieden, zu Versöhnung und zu Gerechtigkeit, und zwar auch im Inneren. Denn die Herausforderungen sind natürlich enorm. Deswegen sagen wir hier von Hessen aus, hier von Wiesbaden aus: Halten Sie nicht inne, bleiben Sie nicht stehen auf Ihrem Weg, auf diesem beeindruckenden und bewundernswerten Weg, den Sie eingeschlagen haben! Treiben Sie Ihre Reformen weiter voran, so wie Sie es getan haben: friedlich und integrativ.
Wir ehren mit dem Hessischen Friedenspreis einen herausragenden Politiker Afrikas, aber wir wollen damit auch ein Zeichen setzen, ein deutliches Zeichen für Demokratie und Frieden. Auch wir hier in Deutschland müssen wissen: Der Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939, die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges und damit die Entfachung des Weltenbrandes sind kein Menschenalter her.
Frieden, Freiheit und Demokratie sind kein Geschenk. Es sagt sich so leicht: Frieden, Freiheit und Demokratie sind ein Geschenk. – Sie sind kein Geschenk, denn wir müssen uns tagtäglich dafür einsetzen. Wir müssen uns täglich um Frieden, Freiheit und Demokratie bemühen, und wir müssen sie tagtäglich erkämpfen. Sonst sind Frieden, Freiheit und Demokratie schneller weg, als wir sie genießen durften. Unsere, die deutsche Geschichte lehrt uns, wie man es besser machen muss.
[…]
Das Kuratorium Hessischer Friedenspreis
• Prof. Dr. Nicole Deitelhoff
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz- Instituts Hessische Stiftung Friedens und Konfliktforschung (HSFK)
• Heike Hofmann
Vizepräsidentin des Hessischen Landtags
• Michaela Jäckel-Osswald
• Boris Rhein
Präsident des Hessischen Landtags
• Prof. Dr. Conrad Schetter
Wissenschaftlicher Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC)
• Prof. Dr. Ursula Schröder
Wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH)
• Karl Starzacher
Vorsitzender des Kuratoriums Hessischer Friedenspreis, Staatsminister a. D.
• Peter von Unruh
Direktor beim Hessischen Landtag
• PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner
Institut für interdisziplinäre Forschung, Heidelberg
• Veronika Winterstein
Vizepräsidentin des Hessischen Landtages a. D.
Volker Bouffier, Hessischer Ministerpräsident in seiner Laudatio:
Verehrte Frau Kamil, verehrte Exzellenzen, sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrter Herr Starzacher, sehr verehrte Frau Jäckel-Osswald, sehr verehrte Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, 1994 stiftete der ehemalige Hessische Ministerpräsident Albert Osswald den Hessischen Friedenspreis. Wir verleihen ihn also in diesem Jahr zum 25. Mal. Ein beachtliches Jubiläum und es ragt insofern schon etwas heraus. Es ragt aber auch heraus, weil wir einen Preisträger haben, der ganz Außergewöhnliches vollbracht hat. Ich habe die Ehre, Ihnen diesen ein bisschen vorzustellen. Das Kuratorium des Hessischen Friedenspreises bemüht sich seit 25 Jahren, Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise für Frieden und auch für Freiheit eingesetzt haben, zu ehren, zu würdigen und mit diesem Preis auszuzeichnen. Mit der damit verbundenen Anerkennung verbindet sich natürlich auch die Hoffnung, dass diese Arbeit dauerhaft erfolgreich bleibt. Die Preisträgerinnen und Preisträger – sie verbindet eigentlich immer eines: Sie haben eine Vorstellung, wie sie insbesondere den Menschen, die in ihrem Land leben, mehr Freiheit, mehr Wohlstand, mehr persönliche Sicherheit vermitteln können und sie tun dies in aller Regel auch unter Inkaufnahme persönlicher Gefahren oder auch des Scheiterns. Und deshalb ist dieser Friedenspreis für uns alle ein besonderes Ereignis.
[…]Abiy Ahmed Ali ist der jüngste Staatschef Afrikas: 43 Jahre und ein Hoffnungsträger in seinem Land, aber auch weit über das Land hinaus. Der Präsident hat es erwähnt: Er hat nach 20 Jahren den Grenzkonflikt, im Grunde genommen die bewaffnete Auseinandersetzung, mit Eritrea beendet, und das drei Monate, nachdem er als Ministerpräsident ins Amt kam. Wenn man einen Blick zurückwirft: Diese Auseinandersetzung zwischen Äthiopien und Eritrea geht zurück in die 50er Jahre. Seinerzeit hat das damalige Kaiserreich Äthiopien Eritrea sozusagen einverleibt. Die Eritreer haben dies immer bekämpft und es war eine lange,
lange Zeit, in der diese Auseinandersetzung schwelte, gelegentlich eskalierte und nach Ende der britischen Kolonialzeit, 1970, wurde Eritrea eine Region Äthiopiens. Den Kampf der Eritreer um ihre Unabhängigkeit gab es schon damals. Das zieht sich praktisch durch die letzten 50, 60 Jahre. Nach dem Ende des äthiopischen Bürgerkrieges 1991 und im April 1993 haben sich die Vereinten Nationen diesem Konflikt angenommen und einen Schiedsspruch verkündet, wie denn in Zukunft diese beiden Länder nebeneinander leben könnten. Davor gab es ein Referendum. Dieses Referendum in Eritrea – ich habe dreimal nachgeguckt – endete für die Unabhängigkeit mit 99,8 Prozent, also praktisch jeder stimmte dafür. Der Wunsch der Eritreer, selbständig zu sein, den konnte man nicht ignorieren. Trotzdem blieben die Beziehungen angespannt. Es kam immer wieder zu Konflikten und dieser Konflikt hat sich ganz besonders um eine Stadt gedreht: Badme, ein kleiner Ort im Grunde genommen, der nach diesem Schiedsspruch, der dann durch die UNO kam, zurückgehen sollte an Eritrea. Äthiopien hat den Schiedsspruch nie anerkannt. Badme wurde besetzt und es war, wenn man so will, die Keimzelle dieses Dauerkonflikts, der vielfältige Auswirkungen hatte. Und es war, wenn man das so sieht, im Grunde genommen pars pro toto ein Konflikt um Unabhängigkeit, um das Zusammenleben zweier Völker, die sich doch sehr verbunden sind. Und man hat in fast 50 Jahren nie einen Weg des friedlichen Lösens dieses Konfliktes gefunden.
„Seit dem Sturz des Kaisers gab es eigentlich nie einen Regierungswechsel in Äthiopien, der ohne Blutvergießen und Gewalt lief. Das erste Mal war es diesmal anders.“
Umso bemerkenswerter, dass unser heutiger Preisträger, ich sagte es schon, wenige Monate nach Amtsantritt mit seinem Kollegen in Eritrea zusammentraf und erklärte, dass Äthiopien nun den Schiedsspruch ausdrücklich anerkenne, dass diese Stadt Badme zu Eritrea kommt. Er bot einen Friedens- und Freundschaftsvertrag an, weil er sich darüber im Klaren war, dass das Beenden der kriegerischen Auseinandersetzungen – der Präsident hat es erwähnt, weit über 100.000 Menschen sind alleine dort gestorben – nicht reicht. Wenn man ein guter Nachbar sein will, muss man auch versuchen, in anderen Dingen zusammenzukommen, im Handel, in der Nachbarschaft. Und deshalb ist dieser Friedensschluss so außergewöhnlich und so bemerkenswert. Das erfordert große Tatkraft, das erfordert Mut – ich komme da noch einmal drauf zurück – und es erfordert eine Vision von der Zukunft des eigenen Landes. Und das eigene Land kann nicht gelingen, wenn nicht auch im eigenen Land Frieden herrscht. Seit dem Sturz des Kaisers gab es eigentlich nie einen Regierungswechsel in Äthiopien, der ohne Blutvergießen und Gewalt lief. Das erste Mal war es diesmal anders. Der neue Präsident, Ministerpräsident, hat den bisher verbotenen Oppositionsgruppen die Hand gereicht, er hat sie legalisiert, er hat sie eingeladen, an der Entwicklung Äthiopiens teilzunehmen in einer gemeinsamen nationalen Anstrengung. Er hat tausende von Gefangenen befreit und er hat einen beachtlichen Teil des alten Sicherheitsapparates entmachtet, beziehungsweise aus dem Amt entlassen. Das sagt sich so leicht. Aber wenn man überlegt, was dahinter steht in diesen eineinhalb Jahren – wirklich eine im besten Sinne des Wortes Revolution. Nun liegt es auf der Hand, dass eine solche Veränderung Hoffnung begründet, aber auch Befürchtungen. Und dass diejenigen, die bisher sozusagen das Sagen hatten, das nicht gut finden, ist auch klar. Deshalb ist dieser Prozess begleitet durchaus von Rückschlägen, mit Gewalt, mit Enttäuschung, sowohl der Prozess zur Aussöhnung mit Eritrea wie auch im Inneren des Landes. Und wie könnte es eigentlich anders sein?
Meine Damen und Herren, der Präsident hat darauf hingewiesen, wir machen uns wahrscheinlich keine rechte Vorstellung davon, welche Herausforderungen dort zu bewältigen sind. Wenn wir hier in den nächsten drei Tagen im Hessischen Landtag wieder engagiert über die Zukunft unseres Landes debattieren und die Parteien ihre Vorschläge vorlegen werden, scheinen unsere Aufgaben, gemessen an dem, was ein Land wie Äthiopien stemmen muss, überschaubar.
„In diesem Gemisch etwas Positives und Konstruktives mit einer solchen Schnelligkeit zu erreichen, ist bewundernswert.“
Meine Damen und Herren, 105 Millionen Menschen, 120 ethnische Gruppen, 60 Sprachen und eines der ärmsten Länder der Welt. Ständig mit den großen Herausforderungen der Naturkatastrophen, der Dürre, des Wassermangels konfrontiert. Eine junge Generation, die Hoffnung hat, großes Wirtschaftswachstum aber auch große Bevölkerungsexplosion – in diesem Gemisch etwas Positives und Konstruktives mit einer solchen Schnelligkeit zu erreichen, ist bewundernswert. Wenn wir gelegentlich bei einzelnen Sachfragen darüber streiten, wie lange wir da brauchen, dann bekommt eine solche Leistung erst ihr richtiges Gewicht. Es ist teilweise historisch bedingt, es ist klimatisch bedingt, es ist politisch bedingt – zum ersten Mal der Versuch, nicht durch Repression und nicht durch Gewalt, sondern durch Versöhnung, durch Frieden, durch Gespräche ein solches Land in die Zukunft zu führen. Und das, denke ich, nötigt uns nicht nur Respekt ab und Bewunderung. Das ist auch der Grund, warum wir dieses Jahr den Hessischen Friedenspreis an den Ministerpräsidenten Äthiopiens vergeben wollen. Der Präsident hat darauf hingewiesen, wir wollen natürlich mit diesem Friedenspreis auch seine Arbeit unterstützen. Wir wollen auch ein bisschen den Blick lenken auf dieses Land und wir wollen auch deutlich machen, dass das, was dort geschieht, größte Auswirkungen auf Afrika, auch auf uns und im besten Sinne vielleicht die ganze Welt hat.
Und deshalb, meine Damen und Herren, wenn man sich überlegt, wie ein vergleichsweise junger Regierungschef die Dinge angeht, lohnt ein Blick auf seinen eigenen Weg. Er ist Sohn eines muslimischen Omoro und einer christlichen Mutter. Die Omoros sind die größte Bevölkerungsgruppe und die Amharen waren eigentlich die, die in den letzten Dezennien die politisch herrschende Klasse waren. Wir haben also ein Mixtum. Einer, der schon in seiner Familie zwei Religionen, zwei sehr unterschiedliche Ethnien erlebt hat. Diese Herausforderung muss für ihn ja die Begründung dafür gewesen sein, zu sagen: „Es muss eine Chance geben, wie in einer guten Familie, vielleicht auch in einem Land Gegensätze zu überwinden, Gemeinsamkeiten zum Tragen zu bringen und so, bei Beachtung aller Unterschiede, eine gemeinsame Zukunft für Äthiopien zu finden.“ Seine Jugend wurde geprägt – wie viele dort – im Widerstand gegen das damalige Regime. Das war das Derg-Regime, eine Militärjunta, wie so oft in dieser Welt. Diese Militärjunta hat auch in der Familie gewütet. Es war damals das Ziel dieser Junta, einen marxistisch-leninistischen Staat in Äthiopien aufzubauen und wie überall haben diejenigen, die die Form der Diktatur nicht ertragen konnten, dafür gebüßt. Sein Vater und sein Bruder wurden inhaftiert und sein Bruder kam dabei zu Tode. Mit fast 15 schloss er sich dann dem Widerstand an.
Das war kurz bevor der Staatschef, den manche noch kennen, Mengitsu Haile Mariam, gestürzt wurde. Und Abiy trat dann der Oromo Peoples‘ Democratic Organization bei – das ist eine der vier Parteien, die als Koalition, und ich zitiere jetzt „Revolutionäre Demokratische Front der äthiopischen Völker“, seit dem Sturz von Mengitsu regieren. Diese Kombination verschiedenster Parteien und Ethnien ist, wenn ich das richtig sehe, die politische Grundlage für Äthiopien, und sie ist seit vielen Jahren die bestimmende Kraft. Von daher kann man sagen, er ist seit frühester Jugend in der Entwicklung dieses Landes engagiert und dieses Engagement fand seine Fortsetzung beim Eintritt in die Armee 1993. Dort studierte er Computer- und Kommunikationstechnik, Kryptografie und wurde bis zum Oberstleutnant befördert. Er war aber auch stellvertretender Chef des Geheimdienstes, insbesondere zur Überprüfung oder zur Überwachung des Internets und des Telefonverkehrs. Also eine ganz außergewöhnliche Kombination. Er wurde dann im Rahmen der UN-Friedensmission in Ruanda eingesetzt. Er hat dann im eritreisch-äthiopischen Grenzkrieg gedient und ist 2010 Abgeordneter geworden. Dann kam er in das Unterhaus des äthiopischen Parlaments. Von 2015 bis 2016 war er Wissenschaftsminister Äthiopiens und bekleidete das Amt des Vizepräsidenten. Nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn wurde er neuer Ministerpräsident. Das vielleicht als kleinen Überblick über den Lebensweg.
„Das ist außergewöhnlich, das ist zukunftsweisend und das ist ermutigend, aber es ist auch gefährlich.“
Meine Damen, meine Herren, ich hatte es vorhin gesagt: Drei Monate nach Amtsantritt, das ist außergewöhnlich und es zeugt von einer Entschlossenheit, die mich beeindruckt. Ein Militär und ehemaliger Geheimdienstler – er wählt nicht den Weg, den so viele gehen, der Repression, und wenn es nicht anders geht, der Gewalt, sondern er schlägt genau den anderen Weg ein und reicht die Hand. Das ist außergewöhnlich, das ist zukunftsweisend und das ist auch ermutigend, aber es ist auch gefährlich. Denn natürlich werden diese Bemühungen konterkariert im Inneren wie im Äußeren. Zwei Umsturzversuche, die er beantwortet hat mit einer Fernsehansprache. Und das zeigt etwas von unserem Preisträger – indem er zum einen den Bürgerinnen und Bürgern zurief, sie sollten keine Angst haben, und denen, die versuchten, ihn mit Gewalt zu vertreiben, das Angebot zum Gespräch und zum Dialog gemacht hat. Das ist so beispielhaft, dass wir allen Grund haben, eine solche Persönlichkeit auszuzeichnen. Es ist aber auch für uns alle von großer Bedeutung, was dort in Äthiopien geschieht. Weil: Äthiopien ist ein Land – ganz nebenbei – mit 3000-jähriger Geschichte, das eine hohe Kultur hat. Und es ist ein Schlüsselland – wenn man so will – für ganz Ostafrika. Äthiopien ist engagiert, nicht nur mit Eritrea, Somalia, Sudan, Südsudan, also eine Ecke der Welt, die außerordentlich bewegt ist und in der Frieden eine Seltenheit ist. Und das spüren auch wir hier. Und wir spüren das in Europa, wir spüren das in Deutschland, wir spüren das in Hessen. Wenn wir schauen: Die Flüchtlinge, die zu uns kommen – Eritrea ist in Europa in der Spitzengruppe aller Flüchtlinge. Das heißt, das, was in Äthiopien gelingt, gelingen möge, das ist auch eine Verheißung für andere Länder. Und warum ist sie aus meiner Sicht so bedeutsam? Soweit ich das sehe, ist es das erste Mal, dass ein Friedensprozess nicht von außen kommt. Das ist nicht das Ergebnis einer militärischen Auseinandersetzung, es ist auch nicht das Ergebnis einer Konferenz internationaler Art, sondern es kommt von innen. Und dieses Von-innen-Kommende gibt der ganzen Sache eine außergewöhnliche Glaubwürdigkeit. Sie ist nicht oktruiert von der Ersten Welt, sie ist nicht belastet mit kolonialen Vergangenheiten, sondern sie ist das Ergebnis einer Entwicklung im eigenen Land durch einen Politiker mit Vision, mit Mut und Weitsicht. Und darin sehe ich eine große Chance, dass dieses Modell vielleicht auch von anderen aufgegriffen wird. Dabei tun wir gut daran – ich greife das auf, Herr Präsident, – wenn wir mit Beurteilungen zurückhaltend sind. Wenn wir sagen, was anderswo richtig sein soll, dann müssen wir einräumen, dass uns häufig die Kenntnisse und die Umstände fehlen, um es wirklich beurteilen zu können. Aber eines können wir tun: Wir können dieses Land in seiner Entwicklung unterstützen, wir können diesen Ministerpräsidenten und seine Ministerinnen und seine Minister unterstützen durch die Verleihung dieses Preises, durch öffentliche Anerkennung. Und ich finde, wir sollten es auch tun.
[…]Deshalb, sehr verehrte Frau Ministerin Kamil, ist es mir eine Freude, dass Sie und Ihre Delegation heute da sind. Es ist uns eine Ehre. Wir hier in Hessen – gemessen an Äthiopien nur ein kleines Land – versuchen unseren Beitrag zu leisten mit dem Hessischen Friedenspreis, dass diese Welt ein Stück friedlicher wird, dass sie ein Stück sicherer wird. Und nehmen Sie bitte die besten Grüße und Glückwünsche an den Ministerpräsidenten mit, nehmen Sie mit unser aller festes Versprechen, dass wir in Zukunft Äthiopien noch intensiver verfolgen werden und schauen werden, wie sich die Dinge dort entwickeln. Und nehmen Sie unsere besten Wünsche und Glückwünsche zur Verleihung des Hessischen Friedenspreises an Sie mit, an Ihre Kolleginnen und Kollegen, an den Ministerpräsidenten, aber vor allen Dingen für die Menschen in Ihrem Land. Herzlichen Glückwunsch zum Hessischen Friedenspreis!
Originaltext der Urkunde
Das Kuratorium Hessischer Friedenspreis der Albert Osswald-Stiftung würdigt damit die Friedensinitiative von Herrn Abiy Ahmed für die Aussöhnung mit Eritrea und die damit verbundene Stabilisierung der Region sowie die innenpolitisch erzielten Fortschritte in der politischen und wirtschaftlichen Liberalisierung.
Herr Abiy Ahmed wird mit dem Hessischen Friedenspreis der Albert Osswald-Stiftung für seinen unermüdlichen Einsatz zur Aussöhnung von Äthiopien und Eritrea sowie seine innenpolitischen Reformbemühungen ausgezeichnet.
Herr Abiy Ahmed engagiert sich als äthiopischer Ministerpräsident unter schwierigen, von Waffengewalt und Unterdrückung zwischen ethnischen Gruppen geprägten Konflikten, für die Liberalisierung des Landes Äthiopien, sowie dessen Aussöhnung mit dem lange Zeit als verfeindet geltenden Eritrea. Sein Engagement führte schon zu diversen Anschlägen und Putschversuchen gegen ihn. Nach einem Attentat im Jahr 2018 ließ er sich nicht einschüchtern und rief im Fernsehen zu „Frieden, Versöhnung und Einigkeit“ auf.
Herr Abiy Ahmed ist bereits seit 2010 Mitglied des äthiopischen Parlaments, diente vorher unter anderem im eritreisch-äthiopischen Grenzkrieg und arbeitete als stellvertretender Direktor der Information Network Security Agency (INSA). Im April 2018 wurde er zum Ministerpräsidenten Äthiopiens gewählt und ist mit 43 Jahren der jüngste Regierungschef Afrikas.
In den Mittelpunkt seines Wirkens stellte er das Ziel, sowohl innen- als auch außenpolitische Reformen zu erzielen. Durch die Aufhebung des Ausnahmezustands, die Lockerung der Zensur, die Freilassung von über 1000 politischen Gefangenen, Verhandlungen mit den bis dahin als terroristisch eingestuften Oppositionsgruppen, dem verstärkten Kampf gegen Korruption und weitere innenpolitische und wirtschaftliche Reformen gelang ihm eine weitgehende Liberalisierung des Landes.
Besonders von Bedeutung ist auch die Aussöhnung mit dem langjährig verfeindeten Nachbarstaat Eritrea. Durch ein vielbeachtetes Treffen mit dessen Präsidenten kurz nach Abiy Ahmeds Amtsantritt konnte die Grenze zwischen beiden Ländern wieder geöffnet werden, und die diplomatischen Beziehungen wurden wieder aufgenommen. Nach gut 70 Jahren Feindschaft gelang Herrn Abiy Ahmed die Unterzeichnung einer Erklärung für Frieden und Freundschaft mit dem eritreischen Präsidenten. Diese Errungenschaft stabilisiert die gesamte Region und wirkt sich positiv auf die Sicherheitslage in ganz Ostafrika, insbesondere in Somalia aus.
Für sein beharrliches Engagement für Frieden, Freiheit und Demokratie in Äthiopien und für seinen unerschrockenen Einsatz für die Versöhnung mit Eritrea hat das Kuratorium Hessischer Friedenspreis der Albert Osswald-Stiftung Herrn Abiy Ahmed den Hessischen Friedenspreis 2019 zuerkannt (Foto der Urkunde: © Hermann Heibel, Hessischer Landtag, Kanzlei).
Ministerin Muferihat Kamil, Äthiopische Friedensministerin:
[…]Ich habe heute das Privileg, Ihnen auch die tiefe Dankbarkeit unseres Ministerpräsidenten Abiy Ahmed zu übermitteln, dem Ministerpräsidenten der Republik Äthiopien. Er bedankt sich insbesondere auch für die Überreichung des Hessischen Friedenspreises der Albert-Osswald-Stiftung im Jahre 2019.
Im Namen meines Ministerpräsidenten möchte ich einige Anmerkungen machen und Ihnen zusichern, dass es für unseren Ministerpräsidenten eine große Ehre ist, Ihren Preis entgegenzunehmen. Ich bin außerordentlich gerührt heute und nicht nur sehr dankbar, sondern wir erkennen auch an, wie Sie die Leistungen des Ministerpräsidenten würdigen und wie Sie auch ganz klar erkannt haben, welche großen Herausforderungen für die Fortentwicklung und den Wohlstand der gesamten Region vor uns liegen.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, bitte gestatten Sie mir, die Botschaft des Ministerpräsidenten wie folgt vorzutragen:
„Obschon ich nicht persönlich heute unter Ihnen sein kann, akzeptieren Sie doch bitte meine tiefe Dankbarkeit und meine Wertschätzung für Ihre Anerkennung und für Ihren Preis. Ich erachte dies auch als eine Anerkennung des großen Wandlungsprozesses in Äthiopien, mit dem wir den Frieden in der Region sichern wollen und auch die Entwicklung der vielen Äthiopierinnen und Äthiopier weiter fördern wollen. Das gilt nicht nur für Äthiopien, sondern auch für den ganzen afrikanischen Kontinent, und da müssen sich alle gleichermaßen engagieren. Solche Anerkennungen, solche Preise bedeuten für uns alle eine große Motivation, die Entwicklung weiter zu fördern und weiterzutreiben.
Äthiopien hat ja sehr althergebrachte Beziehungen zu Deutschland. Für uns sind die zunehmenden bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Äthiopien von großer Bedeutung. Wir freuen uns insbesondere auf Ihr Engagement, auf die Investitionen, die berufliche Aus- und Weiterbildung und die Förderung der Industriebranchen und der Landwirtschaft.
Deutschland ist einer der stärksten Verbündeten in wirtschaftlicher Hinsicht. Sie sind der größte Importeur unseres Kaffees und unserer Textilien; dafür danke ich Ihnen. Ich weiß, dass wir eine hochrangige Delegation von Parlamentariern und Geschäftsleuten aus Deutschland in naher Zukunft in Äthiopien willkommen heißen werden. Wir freuen uns jetzt schon auf den Besuch.
„Wir bauen eine neue Gesellschaft auf der Grundlage unserer Vergangenheit auf.“
Sehr geehrte Damen und Herren, Exzellenzen, eine gerechte, friedliche, gleichberechtigte und nachhaltige Gesellschaft begründen und schaffen zu wollen, ist die Absicht unserer Regierung. Wir bauen eine neue Gesellschaft auf der Grundlage unserer Vergangenheit auf. In diesem Zusammenhang freue ich mich außerordentlich, meine heimische Philosophie „medemer“ teilen zu können, die sehr stark auf Synergien setzt. Wir wollen einander vervollständigen und in komplementären Beziehungen miteinander leben, damit wir von der gemeinsamen Stärke alle gleichermaßen profitieren können. Genau das ist wichtig für unsere Zukunft.
Deshalb ist „medemer“ auch die Grundlage für die Einheit und Solidarität in ganz Äthiopien. Dazu gehören natürlich eine umfassende Reformagenda, die wir seit einem Jahr umsetzen. Heute werden Sie in Äthiopien keinen Journalisten mehr in unseren Gefängnissen finden. Die politische Bandbreite, das demokratische Spektrum wird immer größer. Wir sorgen für die rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundfesten für den Demokratisierungsprozess, in dem wir uns zurzeit befinden.
Dazu gehört selbstverständlich auch die Geschlechtergerechtigkeit. In unserer Regierung sind 50 % der Mitglieder weiblich. Wir haben eine Staatspräsidentin, und auch dem höchsten Gericht des Landes sitzt eine Frau vor. Das ist eine Reform, die natürlich auch die Stärkung der Menschenrechte beabsichtigt. Wir werden also weiter daran arbeiten und uns bemühen, auf der Höhe der Erwartungen unseres Volkes zu sein.
Die Meilensteine, die wir erreicht haben, die wir auch weiter erreichen wollen, sind sozusagen die Grundfesten für die zukünftige Entwicklung unseres Landes am Horn von Afrika und des gesamten Kontinents. Mit dieser festen Überzeugung arbeiten wir gemeinsam für den Frieden. Meine Regierung arbeitet unermüdlich daran, für Äthiopien einen neuen Horizont der Hoffnung zu eröffnen.
„Äthiopien und Eritrea haben ein neues Kapitel in ihren Beziehungen aufgeschlagen.“
Natürlich liegen auch Herausforderungen vor uns, mit denen wir klarkommen müssen, insbesondere im Hinblick auf die Demokratisierung der Gesellschaft, aber wir bemühen uns, das Beste daraus zu machen. Meine Regierung tut tatsächlich ihr Allermöglichstes und ihr Bestes, um die notwendigen Reformen zur Förderung der Demokratie in unserem Lande und der Rechtsstaatlichkeit auch tatsächlich umzusetzen.
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, wir haben am Horn von Afrika dafür gesorgt, dass sich die Lage normalisiert. In dieser Hinsicht freue ich mich, dass wir genau diesen Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea jetzt auch mit Ihnen teilen können. Äthiopien und Eritrea haben ein neues Kapitel in ihren Beziehungen aufgeschlagen, das uns aus der Finsternis der vergangenen Konflikte herausführt. Der starke politische Willen und die Entschlossenheit auf beiden Seiten, diesen Konflikten ein Ende zu machen, haben dies möglich gemacht. Wir arbeiten heute sehr eng zusammen an den dringlichen Herausforderungen, um auch die Zeit wieder aufzuholen, die wir mit den Konflikten verloren haben.
Die Politikerinnen und Politiker haben Brücken gebaut und somit schrittweise ein Umfeld geschaffen, in dem die Bürgerinnen und Bürger der beiden Länder von der Friedensdividende tatsächlich auch profitieren können. Dieser Frieden wird sich auf die ganze Region auswirken.
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, auch Südsudan bewegt sich derzeit in eine sehr vielversprechende Richtung, trotz der Herausforderungen. Der Waffenstillstand hält, und der Oppositionsführer ist zurückgekehrt. Auch hier gilt: Mit Führungsstärke, politischem Willen und Entschlossenheit besteht eine echte Chance, auch im Südsudan die Konflikte zu beenden.
„Unsere Grenzen sind für Flüchtlinge also offen, aber nicht nur unsere Grenzen, sondern auch unsere Herzen.“
Somalia arbeitet ebenfalls an einer effizienten und guten Regierungsführung, die dann die Sicherheit und den Wohlstand des somalischen Volkes stützen kann. AMISOM tut hier das Bestmögliche. Das heißt, in dieser Hinsicht spielt auch die Afrikanische Union unter den gegebenen Umständen eine wesentliche Rolle.
Wir erwarten nur das Allerbeste von dieser Zusammenarbeit, von den guten Beziehungen zwischen Äthiopien und dem Sudan. Wir haben daher die Initiative ergriffen, jetzt zwischen den beiden sudanesischen Konfliktpartnern vermittelnd tätig zu werden. Wir sehen deshalb heute, dass der Sudan relativ stabil ist. So weit zu den großen Entwicklungen am Horn von Afrika.
Äthiopiens Beitrag zu den allgemeinen Friedensprozessen der Vereinten Nationen ist der viertgrößte weltweit. Was Frauen in den Friedenstruppen betrifft, liegt Äthiopien an der Spitze. Äthiopien hat darüber hinaus derzeit ca. 1 Million Flüchtlinge aus etwa 26 Ländern aufgenommen. Unsere Grenzen sind für Flüchtlinge also offen, aber nicht nur unsere Grenzen, sondern auch unsere Herzen. Wir haben ein neues, sehr großzügiges Willkommenspaket, sodass die Flüchtlinge bei uns auch sozial und wirtschaftlich partizipieren können.
Abschließend lassen Sie mich, sehr verehrte Damen und Herren, Ihnen noch zusichern, dass Äthiopien immer weiter engagiert bleiben wird für eine friedliche, wohlhabende und nachhaltige Gesellschaft in unserer Region und für ganz Afrika. Wir haben getan, was wir konnten, um diese edle Sache zu verfolgen. Wir werden das auch weiterhin tun, um die Herausforderungen und Bedrohungen, die für unsere Nation ohnegleichen sind, auch bewältigen zu können.
Ich möchte mich noch einmal bedanken für Ihren Preis, der die starken Beziehungen zwischen Deutschland und Äthiopien bekräftigt und auf eine neue Stufe hebt. – Ich danke Ihnen.
Abiy Ahmed, Ministerpräsident der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien“.
Mehr Informationen zum Hessischen Friedenspreis.