Friedliche Revolutionen, welche beispielsweise in Polen, der DDR, oder jüngst im Sudan zum Ende von Diktaturen geführt haben, sind historische Wegscheiden, die nachhaltig die politische Entwicklung eines Landes prägen. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass friedliche Revolutionen langfristig die Stabilität und Qualität von Demokratien befördern. Demokratieförderung und Entwicklungszusammenarbeit können an diese Erkenntnisse anknüpfen.
Gewaltloser Widerstand gegen autokratische Herrschaft hat in den letzten Jahren neue öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren. In Folge von friedlichen Massenprotesten, Generalstreiks und zivilem Ungehorsam wurde im April 2019 Omar al-Baschir gestürzt, der den Sudan zuvor fast 30 Jahre diktatorisch regiert hat. Gewaltlose Widerstandsbewegungen können auf viele ähnliche Erfolgsgeschichten zurückblicken, wie etwa die Solidarność-Bewegung in Polen (1989/1990), die People Power-Bewegung auf den Philippinen (1986) und nicht zuletzt die friedliche Revolution in der DDR (1989/1990) verdeutlichen.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass friedliche Protest- und Widerstandsbewegungen besser geeignet sind, demokratischen politischen Wandel herbeizuführen, als gewaltsame Rebellionen. Allerdings bestand bis vor Kurzem noch Unklarheit darüber, wie sich erfolgreiche friedliche Revolutionen langfristig auf die Festigung und Konsolidierung von Demokratie auswirken. In unserem Buch „Nonviolent Resistance and Democratic Consolidation“ zeigen wir, dass friedliche Revolutionen pfadabhängige Prozesse auslösen, welche nachhaltig demokratische politische Entwicklung befördern.1
Demokratische Transitionen als historische Wegscheiden
Demokratische Transition bezeichnet den Wechsel von einem autokratischen politischen System hin zu einer Demokratie. Transitionsprozesse sind historische Wegscheiden, welche den Verlauf der Geschichte eines Landes nachhaltig prägen. Hier werden die Weichen gestellt, indem politische Institutionen reformiert und neu etabliert werden, welche dann den langfristigen Entwicklungspfad einer Gesellschaft bestimmen. Transitionen prägen so auch die politische Kultur einer Gesellschaft und ihrer Bürger*innen. Ereignisse wie die friedliche Revolution in der DDR, der Sieg der Solidarność über den Kommunismus in Polen oder die Überwindung der Apartheid in Südafrika sind hier nur einige Beispiele für den nachhaltigen Einfluss von Transitionsprozessen als Gründungsmythen und historische Referenzpunkte.
Grundlegend lassen sich drei Formen demokratischer Transitionen unterscheiden. Die historisch am meisten verbreitete Form der Demokratisierung ist geprägt durch politische Verhandlungen unter Eliten. Beispielsweise war die demokratische Transition in Spanien Mitte der 1970er Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Vertreter*innen des alten Regimes, Oppositionsparteien und Militärs unter der Moderation des spanischen Königs Juan Carlos I. In solchen Fällen gibt es unter Umständen auch Proteste der Zivilgesellschaft, allerdings tragen diese nicht maßgeblich zum Ergebnis des Transitionsprozesses bei und zivile Akteure spielen auch bei der Gestaltung der demokratischen Institutionen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Bei friedlichen Revolutionen dagegen ist die Zivilgesellschaft mit Protesten, Streiks und zivilem Ungehorsam substantieller Antreiber bei der Entmachtung von Diktatoren und der demokratischen Transition. Zudem gab es auch Fälle, bei denen demokratische Transitionen durch Waffengewalt von Rebellengruppen erzwungen wurden.2 Beispielsweise ging in El Salvador 1992 die Demokratisierung aus einem Friedensvertrag zwischen der Guerilla-Bewegung FMLN und der Militär-Regierung hervor.
Der nachhaltige Einfluss von friedlichen Revolutionen auf demokratische Entwicklungen
Unsere Ergebnisse zeigen, dass friedliche Revolutionen eine positive Wirkung entfalten – sowohl bezüglich der Stabilität als auch der Qualität der Demokratie. Demokratische Transitionen, welche maßgeblich durch gewaltlosen Widerstand herbeigeführt wurden, führen zu wesentlich stabileren demokratischen Regimen, als Transitionen, die durch gewaltsame Rebellion erreicht oder von politischen Eliten initiiert wurden. Konkret bedeutet dies, dass solche Demokratien länger bestehen bleiben und ein geringeres Risiko für den Zusammenbruch von demokratischen Institutionen besteht. Dieses Ergebnis erwies sich in den statistischen Analysen als sehr robust.
Friedliche Revolutionen befördern auch die Qualität der Demokratie nach der Transition. Demokratische Regime, die durch gewaltlosen Widerstand entstanden sind, werden demokratischer als solche, die auf anderen Wegen entstanden sind (vgl. Abbildung 1). Entscheidend ist dabei, dass gewaltloser Widerstand zu dauerhaften Verbesserungen im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit führt. Auch hier erwies sich das Ergebnis in den statistischen Analysen als sehr robust.
Nicht zuletzt gibt es Hinweise darauf, dass gewaltlose Widerstandsbewegungen auch die Chance erhöhen, dass eine Demokratie zwei friedliche Machtwechsel erlebt – ein gängiges Kriterium demokratischer Konsolidierung. Allerdings sind die statistischen Ergebnisse hier inkonsistent, da es keine Anzeichen dafür gibt, dass friedliche Widerstandsbewegungen als Antreiber der Transition die Wahrscheinlichkeit eines ersten friedlichen Machtwechsels durch Wahlen beeinflussen. Wenn jedoch ein erster friedlicher Machtwechsel erfolgt ist, kommt es in Demokratien mit Transition durch gewaltlosen Widerstand mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem zweiten friedlichen Machtwechsel.
Demokratisierung durch gewaltlosen Widerstand ist also förderlich für die nachfolgende politische Entwicklung eines Landes. Aber warum ist das so? Durch detaillierte Fallstudien, Feldforschung, und Interviews mit politischen Eliten konnten wir folgende Erkenntnisse generieren.
Friedliche Revolutionen kreieren im Transitionsprozess oft Verhandlungssituationen, durch die ein politisches System in einer relativ kooperativen Weise umgestaltet wird. Hierdurch entstehen inklusive Institutionen, die eine demokratische Kontrolle der Regierung und ein pluralistischeres Parteiensystem ermöglichen. So wurde bei der friedlichen Revolution in Benin Anfang der 1990er Jahre der Transitionsprozess maßgeblich durch eine Nationalkonferenz geprägt, bei der politische Parteien und zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsam über das neu zu schaffende demokratische System verhandelten. Dieser inklusive und auf Konsens ausgerichtete Prozess stellte nachhaltig die Weichen für die Schaffung robuster demokratischer Institutionen.
Zudem stärken friedliche Revolutionen langfristig die demokratische politische Kultur und befördern eine aktive Zivilgesellschaft, die bereit ist, die gewonnene Freiheit gegen Feinde der Demokratie zu verteidigen. Erfolgreiche gewaltlose Proteste fungieren als eine wichtige symbolische Ressource, auf die sich zivilgesellschaftliche Akteure berufen können, um später gegen demokratiefeindliche Bestrebungen zu mobilisieren. So entstand in Polen im November 2015 die Protestbewegung „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ in Reaktion auf die umstrittenen Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, dt. Recht und Gerechtigkeit), welche die Gewaltenteilung in Polen gefährden. Die Bewegung entstand nach dem Vorbild des „Komitees zur Verteidigung der Arbeiter“, welches die Gewerkschaftsbewegung Solidarność mitbegründete. In jungen Demokratien, die durch gewaltsame Rebellion entstanden sind oder maßgeblich von Eliten geformt wurden, bleiben die zivilgesellschaftlichen Akteure dagegen eher demobilisiert und entpolitisiert.
Weiterhin verhindern demokratische Transitionen, die durch friedlichen Widerstand geprägt waren, eine dominante Rolle des Militärs im neuen demokratischen System. So konnte nach erfolgreicher friedlicher Revolution in Burkina Faso 2014 ein späterer Putschversuch des Militärs durch zivilgesellschaftliche Mobilisierung vereitelt werden. In Fällen von gewaltsamer oder eliten-initiierter Transition nimmt das Militär oft einen dominanten Status im politischen System ein. Damit besteht ständig die Gefahr, dass militärische Einmischung oder gar Militärputsche eine Demokratie erodieren oder auf einen Schlag abschaffen.
Implikationen für die Demokratieförderung
Angesichts dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage, ob und wie externe Akteure friedliche Widerstandsbewegungen in Transitionsprozessen unterstützen können und sollten. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die EU haben Demokratieförderung als außen- und entwicklungspolitische Ziele definiert. Dementsprechend läge es nahe, friedliche Protestbewegungen zu unterstützen, um dadurch nachhaltige Demokratisierung zu befördern.
Nonviolent Resistance and Democratic Consolidation
Das Buch untersucht, wie unterschiedliche Transitionsformen die nachfolgende Entwicklung des demokratischen Systems beeinflussen. Dazu wurde für mehr als 100 Transitionen im Zeitraum von 1945 bis 2007 bestimmt, ob Demokratisierung wesentlich durch gewaltlose Widerstandsbewegungen, gewaltsame Rebellion, oder von Eliten herbeigeführt wurden.
Im Anschluss wurden diese Demokratien bis zu zehn Jahre nach der Transition in ihrer weiteren politischen Entwicklung hinsichtlich Stabilität, Demokratiequalität und Fähigkeit zum friedlichen Machtwechsel analysiert.
Nonviolent Resistance and Democratic Consolidation ist im Palgrave Macmillan Verlag erhältlich.
Diesbezüglich raten wir jedoch zur Vorsicht bzw. möchten betonen, dass es auf den Zeitpunkt und die Art der Unterstützung ankommt. Gegen eine generelle Förderung von friedlichen Protestbewegungen in Autokratien sprechen vor allem drei Gründe:
Erstens besteht keine Erfolgsgarantie. Die oben beschriebenen Ergebnisse beziehen sich auf Wahrscheinlichkeiten und Trends. Dementsprechend führen friedliche Revolutionen nicht zwingend zu stabilen Demokratien und es existieren auch Beispiele für nachhaltige Demokratisierung, die durch gewaltsame Rebellion oder von Eliten initiierte Reformen erreicht wurde. Zweitens birgt finanzielle Unterstützung durch externe Geber auch das Risiko der Schwächung von Protestbewegungen. Sie eröffnet die Gelegenheit der Diskreditierung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, indem selbige als „ausländische Agenten“ denunziert werden. Drittens stellt die Unterstützung friedlicher Widerstandsbewegungen die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) auch vor organisatorische Herausforderungen. Im Gegensatz zu NGOs sind Widerstands- und Protestbewegungen unter Berücksichtigung von Vergaberichtlinien und weiterer bürokratischer Anforderungen nur schwer in EZ-Programme zu integrieren. Widerstandsbewegungen sind in der Regel ein loser Zusammenschluss wechselnder Akteure, welche selten über Strukturen und organisatorische Kapazitäten verfügen, die für externe Geber relevant sind.
Demokratieförderung kann jedoch einen wichtigen Beitrag leisten, indem zum richtigen Zeitpunkt Strukturen geschaffen und Prozesse unterstützt werden, die einen inklusiven und friedlichen Ablauf der Transition ermöglichen. Dies ist vor allem relevant, wenn der Transitionsprozess schon etwas weiter fortgeschritten ist und Vertreter*innen der Widerstandsbewegung mit autokratischen Eliten über Reformen verhandeln – oder auch zum Zeitpunkt der Verhandlungen über die Neugestaltung politischer Ordnung, nachdem das autokratische Regime gestürzt wurde. Unterstützung kann beispielsweise konkret durch die Bereitstellung organisatorischer Ressourcen für Dialogveranstaltungen erfolgen, so dass nicht einseitig bestimmte Akteure bzw. Konfliktparteien unterstützt werden müssen. So kann ein Beitrag zu einem inklusiven Transitionsprozess geleistet werden, durch den Institutionen entstehen, die nachhaltige demokratische Konsolidierung ermöglichen.
Fußnoten
1 Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsprojekts „Gewaltloser Widerstand und demokratische Konsolidierung“, an dem der Autor gemeinsam mit Markus Bayer, Matteo Dressler, Véronique Dudouet und Daniel Lambach im Zeitraum von 2015 bis 2019 gearbeitet hat. Die zentralen Ergebnisse wurden in der Monographie „Nonviolent Resistance and Democratic Consolidation“ veröffentlicht.
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-39371-7
2 Fälle extern erzwungener Demokratisierung, wie z.B. die BRD nach dem zweiten Weltkrieg, wurden in den Analysen explizit ausgeklammert, da diese einer genuin eigenen anderen Logik der politischen Entwicklung folgen.
Download (pdf): Bethke, Felix, (2020): Gewaltlos zu mehr Demokratie? Wie friedliche Revolutionen nachhaltig demokratische Entwicklung stärken, PRIF Spotlight 7/2020, Frankfurt/M.