Im dritten Interview der PRIF Blogreihe zu den Wahlen in Burkina Faso haben Simone Schnabel und Antonia Witt mit Lydia Rouamba vom „Institut des Sciences des Sociétés“ am „Centre National de la Recherche Scientifique et Technologique“ in Ouagadougou gesprochen. Lydia Rouamba ist promovierte Soziologin und beschäftigt sich mit den Themen Gender und Entwicklung. Im Interview spricht sie über die verschiedenen politischen Schwerpunkte und Taktiken der Regierungs- und Oppositionsparteien im Wahlkampf.
Das Interview wurde auf Französisch geführt und im Anschluss auf Deutsch übersetzt.
Was steht Ihrer Meinung nach bei den Wahlen in Burkina Faso im Jahr 2020 auf dem Spiel?
Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im November 2020 finden in einer sehr schlechten Sicherheitslage statt. Eine der Herausforderungen besteht darin, trotz der Tatsache, dass zahlreiche Menschen in Burkina Faso auf der Flucht sind, eine nennenswerte Teilnahmequote an den Wahlen zu erreichen. Gegenwärtig gibt es fast eine Million Vertriebene im Land.
Was die Kandidat*innen für die Präsidentschaftswahlen anbelangt, so ist die Opposition im Rennen um die Präsidentschaft uneinig, ihr Zusammenhalt bröckelt im Angesicht des derzeitigen Präsidenten Roch Marc Christian Kaboré. Für ihn geht es darum, die Wahlen im ersten Wahlgang zu gewinnen oder, wenn das nicht gelingt, strategische Allianzen zu schmieden, um komfortabel weiter regieren zu können.
Für die Oppositionsparteien, sollten sie die Wahlen nicht gewinnen, besteht die große Herausforderung darin, nicht zu schlecht abzuschneiden. Die politischen Gegner von Präsident Roch Kaboré müssen zeigen können, dass sie politisches Gewicht haben, dass sie politische Kräfte sind, mit denen man rechnen muss. Der Oppositionsführer Zéphérin Diabré, zum Beispiel, müsste dieses Jahr mehr Stimmen bekommen als 2015, also mehr als 29,6% der Stimmen. Seine Partei, die UPC (Union pour le Progrès et le Changement), befindet sich aktuell in einer tiefen Krise, so gab es etwa zwanzig Rücktritte wichtiger Kader. Diese Situation macht es für ihn noch schwieriger, die Mehrheit der übrigen Oppositionsparteien vor der Wahl hinter sich zu versammeln, sodass er im Falle einer Stichwahl zwischen ihm und dem amtierenden Präsidenten auf deren Unterstützung zählen kann.
Für den CDP (Congrès pour la Démocratie et le Progrès) – die Partei des ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré -, die nach dem Aufstand von 2014 die Macht verloren hat, besteht eine wichtige Herausforderung darin, an die Spitze zurückzukehren oder, falls dies nicht gelingt, die wichtigste Oppositionspartei zu werden und die Führung der Opposition zu übernehmen.
Kam Yéli Monique, Kandidatin der MRB (Mouvement pour la Renaissance du Burkina), ist die einzige Frau unter den 13 Kandidat*innen für die Präsidentschaftswahlen. Es sei daran erinnert, dass Saran Séré, eine der Schlüsselfiguren des Aufstands im Jahr 2014 und dann die einzige kandidierende Frau bei den Präsidentschaftswahlen nach dem Übergang im Jahr 2015, nicht als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt werden konnte. Grundsätzlich ist es für die kandidierenden Frauen schon eine enorme Herausforderung, als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt zu werden.
Welche Rolle spielt die aktuelle Situation der Covid-19-Pandemie bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen?
In den letzten Monaten waren die Zahl der Ansteckungen mit dem SARS-Covid-19 Virus wie auch die Zahl der Todesfälle in unserem Land gering. Die Krankheit ist also nicht wirklich ein Anliegen der Kandidat*innen im Wahlkampf, sie steht nicht im Mittelpunkt ihrer Reden. Allerdings respektieren nur wenige Menschen die vorgeschriebenen Barrieremaßnahmen und Vorgaben zur physischen Distanzierung, was ein Gesundheitsrisiko für diejenigen darstellt, die an den Versammlungen der Wahlkampagne teilnehmen.
Welche Themen wurden im Wahlkampf angesprochen und welche Lösungen für die Herausforderungen, denen Burkina Faso gegenübersteht, wurden vorgeschlagen?
Das Thema, das von allen Kandidaten als oberste Priorität genannt wird, ist die Sicherheit des Landes. Danach steht die wirtschaftliche Entwicklung mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, und Themen wie Gesundheit, Bildung, Förderung von Frauen und Jugendlichen, die Entwicklung der Solarenergie und die Wasserversorgung.
Die Parteien des präsidialen Mehrheitsbündnisses und die der Opposition machen im Wahlkampf fast die gleichen Vorschläge: sozialer Zusammenhalt, nationale Versöhnung, Kampf gegen den Terrorismus, Unterstützung von Jugendlichen und Frauen.
All diese Herausforderungen sind überwindbar, solange alle Akteure, ohne jeden Ausschluss, offen miteinander sprechen und die Interessen des Landes vor ihre persönlichen politischen Ambitionen stellen. Es bedarf eines wirklichen Paradigmenwechsels, um die vielfältigen Herausforderungen, vor denen das Land steht, mit Nachdruck anzugehen.
Was muss die neu gewählte Regierung tun, um das Sicherheitsproblem zu lösen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Staat und seine Institutionen (wieder) zu gewinnen?
Es gibt drei Dringlichkeiten, an denen die neu gewählte Regierung arbeiten muss: Die erste ist die Wiederherstellung der staatlichen Autorität in Gebieten, in denen die öffentliche Verwaltung, einschließlich der Schulen, geschlossen ist. Dies betrifft insbesondere den Norden des Landes und die Grenzregion zu Mali. Die zweite Notwendigkeit besteht darin, die Versöhnung zwischen den politischen Führungskräften, aber auch in der Bevölkerung einzuleiten. Wie Sie bestimmt gelesen haben, hat die derzeitige Regierung dem ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré, der sich derzeit im Exil in Côte d’Ivoire befindet, die Hand gereicht. Abgesehen von dieser Geste der Freundschaft gibt es jedoch viele rechtliche Fragen, die für eine effektive Versöhnung zwischen den politischen Führungen des Landes gelöst werden müssen. Allerdings darf sich diese Versöhnung nicht auf die politische Klasse beschränken, sondern muss auch die lokale Ebene einbeziehen; die Gemeinden, die traditionellen und religiösen Autoritäten. Darüber hinaus erhofft sich die Zivilgesellschaft eine bessere Verankerung des demokratischen Prozesses: weniger Korruption und Repression, mehr demokratische Freiheiten und Achtung der Menschenrechte, eine stärkere Beteiligung der Bürger*innen in der Verwaltung des Landes, z.B. in der Entscheidungsfindung. Eine dritte Dringlichkeit bezieht sich auf die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, die zwar nicht neu ist, aber nach wie vor ein großes Anliegen der Bevölkerung, insbesondere der jungen Menschen, darstellt.