Frieden ist weitaus komplexer als nur das Schweigen der Waffen. Die Herstellung friedlicher Lebensumstände ist damit nicht mit der Vereinbarung einer Waffenruhe vollzogen. Zu einem nachhaltig friedlichen Leben gehören auch die entsprechenden gesellschaftlichen, politischen und sozio-ökonomischen Bedingungen. Dieses umfassende Verständnis von Frieden macht Peacebuilding, verstanden als Konfliktbearbeitung und Friedensförderung, so herausfordernd, wie auch das Beispiel der Sahel-Region zeigt. Welche Ideen und Ziele formulieren die aktuell im Bundestag in Fraktionsstärke vertretenen Parteien in ihren Wahlprogrammen und wie sehen sie Deutschlands Rolle in der Welt?
Jeder Konfliktkontext benötigt unterschiedliche Antworten. Diese enthalten selten ausschließlich sicherheits- und verteidigungspolitische Elemente, sondern bedienen meist ein ganzes Spektrum an Instrumenten: humanitäre Hilfe in akuten Notsituationen, politische Interventionen wie Mediation und diplomatische Verhandlungen, Stabilisierung im Sinne der Konfliktnachsorge, entwicklungspolitische Maßnahmen zur sozio-ökonomischen Entwicklung, und viele mehr. Wird Peacebuilding als Nexus friedens- und entwicklungspolitischer Instrumente verstanden, der eine langfristige und umfassende Strategie ermöglicht, muss für jeden Kontext der richtige Mix gefunden werden. Auch der Deutsche Bundestag ist regelmäßig mit Entscheidungen befasst, wie Deutschlands Engagement in Konfliktsituationen weltweit auszugestalten ist. Dabei geht es nicht allein um strategische Sicherheitsinteressen Deutschlands in der Welt, sondern vor allem um die Abwägung ganz konkreter friedenspolitischer Instrumentarien. Am Beispiel der Sahel-Region lässt sich erkennen, wie komplex diese Entscheidungen sind und wie unterschiedlich die Parteien im Bundestag diese bewerten.
Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl fragt dieser Blogbeitrag deshalb nach dem friedens- und entwicklungspolitischen Fokus der aktuell im Bundestag fraktionell vertretenen Parteien: Welche Rolle sehen die Parteien für Deutschland in der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung weltweit? Zu welchen friedensfördernden Instrumenten greifen die Parteien? Welche Strategie befürworten die Parteien in der Sahel-Region? Dabei stützt sich der Beitrag auf die aktuellen Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie die Antworten der Parteien auf von der HSFK eingereichten Wahlprüfsteine zu den Wahlprogrammen.
Welche Rolle sehen die Parteien für Deutschland in der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung weltweit?
Während CDU/CSU, SPD und Bündnis90/Die Grünen mehr Verantwortung für Deutschland in der Welt fordern, geht es der Partei Die Linke eher um die Stärkung von Glaubwürdigkeit im bisherigen deutschen Engagement und der FDP um die verbesserte Koordination bestehender Instrumente. Die AfD setzt sich in ihrem Wahlprogramm für einen stärkeren Fokus auf innere Angelegenheiten ein.
In ihrem Wahlprogramm versteht die CDU/CSU „Deutschland als Stabilitätsanker“ in der Welt, macht die eigene Sicherheit aber abhängig von der Stabilität anderer Regionen, wie dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika[1]. Fortgesetzt wird auch das Credo der letzten Bundesregierung: Die CDU/CSU fordert mehr Verantwortung für Deutschland, die Europäische Union (EU) und will die Vereinten Nationen (VN) „entscheidungs- und handlungsfähiger“ machen. Im Vergleich zu früheren Wahlprogrammen ist das erstmal nicht neu.
Ähnlich positioniert sich die SPD in ihrem Wahlprogramm. Angesichts des Selbstverständnisses als „Friedenspartei“ und der „weltweite[n] Führungsrolle“ Deutschlands, strebt die Partei an, auch die EU in eine solche Vorreiterrolle zu bringen und das multilaterale System wiederzubeleben. Dabei solle das „Primat der Politik“ auch in der Konfliktbearbeitung gelten und „Diplomatie und Dialog“ gestärkt werden, womit die Partei auch den internationalen Rufen nach einem gestärkten deutschen Engagement in diesen Bereichen nachkommen würde.
Im Wahlprogramm von Bündnis90/Die Grünen findet sich ein ähnliches Verständnis: Ziel müsse es sein, in Zukunft „treibende Kraft“ bei der „politischen Entschärfung von Konflikten“ zu werden. Die bisherigen vielversprechenden Ansätze für gewaltfreie Konfliktlösungen bräuchten aber eine bessere Ressourcenausstattung und ernstzunehmende ressortübergreifende Kohärenz. Als einzige Partei macht Bündnis90/Die Grünen einen konkreten Vorschlag zur Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen: bei einer Blockade im Fall von schwersten Menschenrechtsverletzungen soll die VN-Generalversammlung mit einer qualifizierten Mehrheit friedenserzwingende Maßnahmen beschließen können.
Mit der Forderung nach einem „Paradigmenwechsel in der Außenpolitik“ formuliert die Linke den am meisten ausgeprägten Reformvorschlag mit Blick auf Konfliktbearbeitung und Friedensförderung. Damit strebt die Partei in ihrer Tradition als „Friedenspartei“ an, „ein glaubwürdigeres Signal“ an Partner weltweit zu senden, indem in der Zukunft von einer konfliktverschärfenden Aufrüstungs-, Sanktions- und Interventionspolitik abgesehen wird. Stattdessen sollen eine friedenspolitische Außen-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik im Vordergrund stehen.
Im Kontrast zu SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke formuliert die FDP keinen Führungsanspruch in der Welt im Bereich Konfliktbearbeitung und Friedensförderung, sondern verweist im Wahlprogramm ausschließlich auf die Notwendigkeit, den Vernetzten Ansatz in Zukunft weiter voranzutreiben. Sie fokussiert damit die Neuausrichtung der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik „aus einem Guss“, bleibt aber in der konkreten Ausgestaltung unpräzise.
Deutlich weniger Substanz gibt das Wahlprogramm der AfD her, das eine „strikte Einhaltung des Nichteinmischungsgebots in innere Angelegenheiten von Staaten“ fordert und damit das Recht auf nationale Selbstbestimmung der Staaten betont. Damit einher geht das Verständnis der AfD für eine zurückhaltende Rolle Deutschlands in der Konfliktbearbeitung. Weitere Maßnahmen für Konfliktbearbeitung und Friedensförderung formuliert die AfD nicht.
Zu welchen friedensfördernden Instrumenten greifen die Parteien?
Während sich das Rollenverständnis deutschen Engagements auch in diesem Wahlkampf entlang parteipolitischer Markenkerne verhält und kaum Überraschungen zu Tage fördert, lässt sich hingegen in den Wahlprogrammen und den Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine eine Ausdifferenzierung des Instrumentariums in der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung beobachten.
Bei der CDU/CSU bleibt der Fokus auf der Bekämpfung von Fluchtursachen und damit motiviert vom Sicherheitsbestreben Deutschlands, womit sich eine Diskrepanz zwischen dem theoretischen Verständnis von Deutschland als Stabilitätsanker und konzeptioneller Leere in der praktischen Umsetzung ergibt. Ähnlich verhält sich die FDP, die beim Freiheitsnarrativ bleibt und den Begriff Frieden kaum verwendet. Da hilft auch die Forderung nach gestärkten zivilen Instrumenten nicht, wenn die einzig konkrete Idee zur Umsetzung der Vorschlag ist, 3% des Bruttoinlandsprodukts in die Bereiche Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie (‚3D‘ – Defence, Development, Diplomacy) zu investieren – was de facto aber einer Reduzierung der Summe der aktuell verausgabten Mittel in diesen Bereichen gleich kommt.
Die SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke zeigen dagegen ein komplexeres Verständnis von Friedensförderung. Zum Beispiel fordern Bündnis90/Die Grünen explizit eine Erweiterung des traditionell militärisch verstandenen Sicherheitsbegriffs um die Dimension der menschlichen Sicherheit, wodurch menschliche Bedürfnisse, über das Schweigen von Waffen hinaus, in den Mittelpunkt gerückt werden. Ähnlich dazu verwendet die Linke einen positiven Friedensbegriff, der unter Frieden „mehr als die Abwesenheit von Krieg“ versteht. Damit werden die Parteien der Notwendigkeit gerecht, neben sicherheitspolitischen Interessen auch längerfristigen friedens- und entwicklungspolitischen Unterstützungsbedarfen nachzukommen.
Darüber hinaus schlagen die drei Parteien konkrete Instrumente zur Friedensförderung vor: neben politischen Interventionen wie diplomatischen Dialog und Mediation, planen SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke, den Zivilen Friedensdienst sowie das Zentrum für internationale Friedenseinsätze zu stärken. Auch weisen die drei Parteien jeweils noch weitere Instrumente aus: die SPD plant, zusätzlich „Friedensemissäre“ in weltweite Verhandlungen zu entsenden und einen europäischen zivilen Friedenskorps aufzubauen. Etwas überraschend rücken Bündnis90/Die Grünen die EU sogar noch stärker in den Fokus als die SPD, indem sie beispielsweise die Rolle des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik der EU stärken und eine einsatzbereite Reserve an EU-Mediator:innen und Expert:innen zur Friedenskonsolidierung schaffen wollen. Während sich die drei Parteien konzeptionell grundsätzlich nahe stehen und die Ausgestaltung der Instrumente lediglich punktuell auseinander geht, ist ein entscheidender Unterschied die grundlegende Haltung der Linken, militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr abzulehnen und stattdessen ausschließlich auf das Konzept des Unbewaffneten Zivilen Peacekeepings (UCP) zu setzen. Dies steht entgegen dem Ziel von Bündnis90/Die Grünen, das deutsche zivile wie militärische Engagement in internationalen Friedenseinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen „signifikant [zu] erhöhen“.
Ein Beispiel: Peacebuilding in der Sahel-Region
Am Beispiel der Sahel-Region lässt sich dieses Ringen der Parteien im Spannungsfeld zwischen mehr Verantwortung in der Welt, der Vorsicht bei der Mandatierung militärischer Einsätze und dem steigenden Bewusstsein für zivile Strategien der Konfliktbearbeitung skizzieren. Trotz verschiedener Initiativen der internationalen Gemeinschaft, wie zum Beispiel die robuste VN-Friedensmission MINUSMA und die EU-mandatierte Mission EUTM-Mali, an denen Deutschland sowohl mit zivilen als auch militärischen Kräften beteiligt ist, hat sich die Sicherheitslage vor Ort zuletzt weiter verschlechtert. Die Sahel-Region ist zunehmend Ziel von terroristischen Gruppierungen und politischer Instabilität geworden und sieht sich zudem mit komplexen Herausforderungen, wie den Folgen des Klimawandels, konfrontiert. Diese Entwicklungen haben eine erneute Debatte über die Zukunft des internationalen wie auch des deutschen Engagements in der Region entfacht. Dabei wird nicht nur die Forderung nach einer neuen Sahel-Politik laut, sondern auch dafür plädiert, die Sahel-Region im eigenen Kontext zu betrachten und – angesichts der jüngsten Entwicklungen – nicht mit Afghanistan gleichzusetzen.
Das deutsche Engagement in der Sahel-Region ist das derzeit umfangreichste Engagement Deutschlands im Bereich internationaler Friedenseinsätze. Neben deutschen Soldat:innen sind zahlreiche zivile Fachkräfte in den Ländern der Region, unter anderem in Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad tätig. Nach der Bundestagswahl wird sich die neue Bundesregierung mit dem zukünftigen Engagement Deutschlands in der Region befassen müssen. Welche Strategie befürworten die Parteien also mit Blick auf die Sahel-Region? Diese Frage wurden den Parteien im Vorfeld der Blogreihe als Wahlprüfstein gestellt.
Als Partei, die nicht nur Verantwortung im Bundeskanzleramt, sondern auch im Verteidigungs- und Entwicklungsministerium innehat, liefert die CDU/CSU keine Antwort auf den Wahlprüfstein zur Sahel-Region. Damit lässt die Partei die Gelegenheit verstreichen, ihr Strategie-Papier von Mitte 2020 entsprechend der aktuellen Entwicklungen zu aktualisieren und anzupassen. Dies ist besonders bedenklich, zeichnet die Union doch für das bisherige Engagement Deutschlands in der Region mitverantwortlich.
Die SPD sieht in der Sahel-Region ein hohes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung vor Ort, für die internationale Gemeinschaft und damit auch für Deutschland. Daher strebt sie nicht nur eine stärkere Einbettung der militärischen Initiativen in die europäische Außen- und Entwicklungspolitik an, sondern benennt explizit auch eine engere Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren wie der Afrikanischen Union (AU) und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), um die Nachhaltigkeit europäischer Initiativen zu verbessern.
Etwas vorsichtiger formuliert es Bündnis90/Die Grünen: Die Partei spricht sich zwar grundsätzlich für die Fortsetzung des Engagements in der Sahel-Region aus, hält aber rein militärische Lösungen nicht für sinnvoll. Angesichts der Situation in Afghanistan fordert die Partei, aus den dortigen Einsätzen Lehren für die Einsätze in der Sahel-Region zu ziehen, obwohl Kontext und Anforderungen stark divergieren.
An den letzten Punkt schließt sich die Position der FDP an, die sich insgesamt noch zurückhaltender positioniert. Zusammen mit den internationalen Partnern sollen alle bisherigen Missionen aufgearbeitet und mögliche Alternativen in Betracht gezogen werden. Der Appell für ein vernetztes Handeln rekurriert nicht nur auf die ebenfalls geforderte vorausschauende humanitäre Hilfe in der Region, sondern deutet an, dass sich die FDP nicht klar für oder gegen eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung in Mali ausspricht.
Am entschiedensten positioniert sich die Linke, die einen Abzug der Bundeswehr aus Mali fordert und stattdessen die Stärkung ziviler Konfliktlösungsmechanismen fokussieren will. Die Partei sieht durch einen allein entwicklungspolitischen Fokus, nämlich der Förderung der sozialen Sicherheit, bereits einen „deutlichen Beitrag“ Deutschlands in der Region. Zusätzlich plant die Linke, der Afrikanischen Union den Aufbau eines afrikanischen Zivilen Friedensdienstes anbieten.
Ausblick: Konfliktbearbeitung und Friedensförderung nach der Bundestagswahl 2021
Auf das Primat der Politik in der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung können sich zunächst alle Parteien einigen. Jedoch lassen sich Divergenzen bei dessen Ausgestaltung beobachten. Während die Wahlprogramme von SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke zumindest Anlass geben, zukünftig stärker auf eine ganzheitliche friedens- und entwicklungspolitische Ausrichtung von Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zu hoffen, bieten CDU/CSU, FDP und AfD kaum konzeptionelle Ansätze zur Bearbeitung von Konflikten jenseits verteidigungs- und sicherheitspolitischer Instrumente.
Ähnliche Überlegungen von SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke zeigen, dass sich das Spektrum an Instrumentarien in der Konfliktbearbeitung im Bewusstsein dieser Parteien vergrößert hat. Dabei ist allerdings ein Fokus auf Prävention, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu beobachten, womit eine Lücke im Bereich der Konfliktnachsorge und der Unterstützung von Post-Konfliktgesellschaften bestehen bleibt. Neue Akteure im Peacebuilding, wie die Regionalorganisationen AU und ECOWAS, werden explizit nur von SPD und Bündnis90/Die Grünen aufgegriffen.
Das Beispiel der Sahel-Region zeigt, dass sich die Linke und Bündnis90/Die Grünen bei der Konfliktbearbeitung mit zivilen Mitteln konzeptionell nahe stehen, bei der Ergänzung um militärische Kapazitäten aber grundsätzlich unterschiedliche Positionen vertreten. Während die SPD in beide Richtungen anschlussfähig wäre, thematisiert sie die Verantwortung Deutschlands überwiegend auf EU-Ebene. Während sich die FDP zurückhaltend äußert, positioniert sich die CDU/CSU auch auf Nachfrage überhaupt nicht. Es bleibt abzuwarten, wie die doch deutlichen Positionierungen in kommenden Koalitionsverhandlungen zueinander finden können. Die neue Bundesregierung steht dann vor der Aufgabe, ihr Engagement in der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung weltweit und konkret in der Sahel-Region strategisch neu zu denken, am besten mit Weitblick und basierend auf einer präzisen Analyse.
[1] „Naher und Mittlerer Osten“ entspricht der Wortwahl des Wahlprogramms der CDU/CSU. Da es sich dabei um einen eurozentristischen Blick auf die Welt handelt, wird hier alternativ die Möglichkeit vorgeschlagen, die Region als „Westasien und Nordafrika (WANA)“ oder „Südwestasien und Nordafrika (SWANA)“ zu bezeichnen.