Die am 28. September unterzeichnete Sicherheitsallianz zwischen Frankreich und Griechenland ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswerter Vorgang. Sie signalisiert den fortschreitenden Bedeutungsverlust der USA für die europäische Sicherheit einerseits und den zunehmenden französischen Führungsanspruch und seine Ungeduld mit zögerlichen Partnern andererseits. Vor allem aber schafft sie Risiken für die Europäische Union, für die NATO und, am wichtigsten, für den Frieden in Südosteuropa.
Zunächst verweisen Beobachter:innen auf Parallelen zwischen dieser Sicherheitsallianz und der kürzlich de facto gescheiterten Sicherheitskooperation Frankreichs mit Australien. In beiden Fällen zementieren französische Rüstungslieferungen die sicherheitspolitischen und strategischen Kooperationen bzw. deren Zusagen. Bei der aktuellen Allianz geht es um den Verkauf von zunächst drei Fregatten an Griechenland – ein Auftrag, bei dem sich Frankreich trotz offenbar günstigerer Angebote aus den USA und anderer europäischer Länder durchsetzen konnte. Darüber hinaus soll Griechenland über die bereits erworbenen 12 Rafale-Kampfflugzeuge sechs weitere dieses Typs erhalten. Eingebettet ist dieser Rüstungstransfer in eine umfassende sicherheitspolitische Vereinbarung, in dessen Zentrum mit Artikel 2 die wechselseitige Zusage von Unterstützung im Falle eines Angriffs auf das Territorium einer der Vertragsparteien steht.
Im Gegensatz zu der Vereinbarung mit Australien, bei der der Export französischer U-Boote scheiterte, weil sich Canberra schließlich doch für amerikanische U-Boote entschied, ist dieses Mal die europäische Sicherheit betroffen. Trotz der Rhetorik, der Vertrag richte sich gegen niemanden, ist der potenzielle Gegner klar: Es ist das NATO-Mitglied Türkei. Der Vertrag institutionalisiert eine militärische ad hoc-Koalition zwischen Frankreich und Griechenland, die sich bereits im Sommer letzten Jahres herausgebildet hat, als der griechisch-türkische Konflikt über Explorationsrechte, Territorialgewässer und die Abgrenzung exklusiver Wirtschaftszonen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer nach langen Jahren der Entspannung und Annäherung wieder gefährlich eskalierte, und Frankreich mit der Entsendung von Kriegsschiffen Unterstützung für Griechenland signalisierte.
Was macht die Allianz bemerkenswert?
Die neu geknüpfte Sicherheitsallianz zwischen Frankreich und Griechenland ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens markiert sie das rapide sinkende Gewicht der USA als sicherheitspolitische Führungsmacht in Europa. Wie erwähnt, eskalierten die territorialen Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei, die bis auf den Verfall des osmanischen Reiches zurückgehen, seit den 1960er Jahren periodisch immer wieder. 1974 während der Zypern-Krise unterblieb ein offener Krieg nur deshalb, weil die griechische Junta noch rechtzeitig merkte, dass sie ihn mit Sicherheit verlieren würde. Sogar noch im Januar 1996 führte der Streit um einen unbewohnten Felsen in der Ägäis an den Rand einer militärischen Konfrontation. In allen Fällen war es die USA, die zwischen beiden Staaten vermittelte bzw. auf beide erheblichen Druck ausübte, um eine Eskalation zu verhindern. Legendär ist die amerikanische Einschätzung, Europa habe auf dem Höhepunkt der Krise geschlafen, während Präsident Clinton am Telefon die Staatschefs beider Seiten zu Zurückhaltung drängte. Im Unterschied dazu waren die USA während der Krise 2020 nicht präsent und so übernahmen Paris und Berlin das Krisenmanagement. Allerdings mit unterschiedlichen Strategien: Während sich Frankreich mit der Entsendung von Kriegsschiffen klar auf die Seite Griechenlands stellte, betätigte sich Deutschland als neutraler Vermittler, der auf beide Seiten mit diplomatischen Mitteln einzuwirken versuchte.
Bemerkenswert ist zweitens, dass Macron die Geduld mit der Berliner Regierung und der EU verliert und seine Strategie des Konfliktmanagements durch militärische Stärke offen gegen den in der EU und besonders der deutschen Sicherheitskultur angelegten Reflex zu Ausgleich und Kompromisssuche durchsetzt. Offenbar mit Blick auf Heiko Maas und seinen damaligen Appell an beide Seiten, Zurückhaltung zu üben, kritisierte Macron nun bei der Vorstellung der Verteidigungsallianz in Paris die europäische (und deutsche) Naivität in Sicherheitsfragen. Mit Blick auf die Entsendung der Kriegsschiffe im letzten Sommer führte er aus: „Wenn wir unter Druck von Staaten geraten, die eine härtere Haltung einnehmen, müssen wir reagieren und zeigen, dass wir die Mittel und den Willen haben, uns zu verteidigen“.
Risiken für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Die französisch-griechische Allianz birgt erhebliche Risiken. Dies betrifft zunächst die EU und ihr Projekt einer autonomeren Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Mitsotakis und Macron stilisierten ihre Allianz als Baustein und Beitrag zu einer solchen. Damit liegt die Allianz in der Fluchtlinie der von Macron angestoßenen Europäischen Interventionsinitiative, die Koalitionen der Willigen auf dem Weg zur strategischen Autonomie favorisiert.
Sie zeigt aber auch die Risiken dieser Strategie. Die französisch-griechische Initiative war nicht abgestimmt, ging an den EU-Gremien vorbei und könnte die Gegensätze in der EU weiter vertiefen. Zudem signalisiert dieses Vorgehen einen französischen Führungsanspruch in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), der so ungeschminkt daher kommt, dass er Widerspruch provozieren wird.
Risiken für die NATO
Darüber hinaus birgt die Allianz auch Risiken für ein gedeihliches Verhältnis zwischen NATO und EU und für die NATO selbst. Den eigentlichen Zweck der Allianz hat der griechische Ministerpräsident offen auf den Punkt gebracht. Es gehe darum, mit diesem Projekt, das einen europäischen Mantel bekommen soll, eine Abwehrfront gegen das NATO-Mitglied Türkei zu bilden. Damit bringen die beiden Allianzpartner die EU mehr oder weniger direkt in Stellung gegen die NATO. Dass die Türkei mit einer Blockade der NATO und ihrer Gremien reagieren könnte, ist offenbar ein Kollateralschaden, den Paris in Kauf nimmt.
Risiken für die Sicherheit im östlichen Mittelmeer
Am schwersten wiegen aber die Risiken für den Frieden in der Region. Kritik an der Außenpolitik des türkischen Präsidenten – für seine Innenpolitik gilt dies allemal – ist berechtigt. Die türkischen Alleingänge im Syrienkrieg und die Einmischung in die Konflikte in Libyen und um Berg-Karabach haben das türkische Verhältnis zu den USA und zu seinen europäischen Partnern schwer belastet.
Dies zeigte sich auch anhand des türkischen Vorgehens im jüngsten Konflikt im östlichen Mittelmeer. Politisch gipfelte es in dem höchst zweifelhaften und provokanten Versuch, mit dem von türkischer Militärhilfe abhängigen libyschen Ministerpräsidenten in Tripolis eine Einigung über die Abgrenzung der maritimen Interessen beider Länder im östlichen Mittelmeer zu erzielen. Das am 27. November 2019 unterzeichnete Memorandum of Understanding wurde ohne Einvernehmen mit anderen Mittelmeeranrainern erzielt und teilt das gesamte Meeresgebiet südöstlich der griechischen Insel Kreta zwischen der Türkei und Libyen auf. Damit reklamierten beide Länder zu Lasten der von Griechenland und Zypern beanspruchten ausschließlichen Wirtschaftszonen ein rund 460.000 qkm großes Einflussgebiet, in dem große Erdgasvorkommen vermutet werden. Die Entsendung türkischer Explorationsschiffe zur Suche nach Gas in Gebieten, die von Zypern beansprucht werden, führte schließlich zu der Konfrontation auf See zwischen türkischen, griechischen und dann auch französischen Kriegsschiffen.
Nur sind Griechenland und die griechisch-zyprische Regierung in diesem Konflikt ebenfalls keine Waisenkinder. Beide beanspruchen die exklusiven Rechte zur Ausbeutung von Ressourcen in ausgedehnten territorialen Hoheitsgewässern, ohne etwa die Ansprüche Nordzyperns und seiner türkisch-stämmigen Bevölkerung zu berücksichtigen. Griechenland bringt zudem wieder die frühere Forderung nach einer Ausdehnung der Hoheitsgewässer der vor der türkischen Küste liegenden Inseln von sechs auf 12 Seemeilen ins Spiel. Damit würde es, so die türkische Sicht, die Ägäis zu einem griechischen Binnensee machen.
Ausblick
Was passiert nun, wenn in einem Konflikt beide Seiten Maximalpositionen verfolgen und die eine Seite durch eine dritte Partei militärisch gestärkt wird? Folgt man klassischen Konflikttheorien, sind zwei Entwicklungen wahrscheinlich. Zum einen wird die militärisch gestärkte Seite in dem Konflikt ihre Positionen hochschrauben und versuchen durchzusetzen. Zum anderen könnte die Stärkung einer Konfliktpartei durch externe Unterstützung nur dann deeskalierend wirken und vordergründig Stabilität bringen, wenn die andere Konfliktpartei, anstatt ihrerseits ebenso aufzurüsten, die veränderte Machtbalance akzeptiert und ihre Positionen in dem Konflikt zurückschraubt.
Damit seine Allianz stabilisierend wirkt, müsste Frankreich folglich sowohl Griechenland zu Zugeständnissen bringen als auch genug Stärke signalisieren, um die Türkei davon abzuhalten, ihrerseits Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die alte Machtbalance wieder herzustellen. Ersteres ist keine leichte Aufgabe, zweites könnte Frankreich überfordern. Die Türkei ist trotz der aktuellen wirtschaftlichen Krise, die Erdogan durch sein erratisches Handeln verschärft, eine große und gerade militärisch starke und autonome Macht. Und die Türkei hat gezeigt, dass sie im Fall eines Konfliktes mit seinen NATO-Verbündeten nicht davor zurückschreckt, Hilfe auch von fragwürdiger dritter Seite anzunehmen. Das oft mit dem Begriff „Frenemy“ bezeichnete Verhältnis zwischen der Türkei und Russland ist zwar in jüngster Zeit aufgrund bilateraler Gegensätze in den Konflikten in Syrien, Libyen und um Berg-Karabach eher komplizierter geworden. Die Türkei hat aber in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass sie im Verhältnis zu Russland zu Flexibilität und Zugeständnissen bereit ist, wenn dies die Konfliktlagen mit den westlichen Partnern erfordern – etwa als sie modernste russische Luftabwehrraketen vom Typ S 400 kaufte.
Was also ist zu tun? In einer idealen Welt würde man eine abermalige internationale Kraftanstrengung zur Beilegung der griechisch-zyprisch-türkischen Konflikte erwarten, die auch den Status Nordzyperns umfassen müsste. In der realen Welt sind die Chancen darauf dramatisch gesunken und bleibt nur die Hoffnung, durch geduldiges Einwirken auf beide Seiten den Status quo zu stabilisieren. Vielleicht ist Heiko Maas Ansatz doch nicht so naiv.