Drei F16-Kampfflugzeuge auf einem Flugplatz
Die notwendige Infrastruktur für den Betrieb von U.S.-amerikanischen F-16-Kampfflugzeugen könnte in der Ukraine wohl erst nach einem Waffenstillstand errichtet werden. | Photo: U.S. Air Force photo by Tech. Sgt. Matthew Plew via flickr | Public Domain

Kampfflugzeuge für die Ukraine und das Risiko der Eskalation: Ein Realitätscheck

Nachdem mehrere NATO-Staaten der Ukraine nach monatelangem Ringen die Lieferungen von Panzern zugesagt haben, intensiviert die ukrainische Regierung ihre Forderungen nach Kampfflugzeugen westlicher Bauart. Allerdings wäre die Ukraine auch mit einigen westlichen Jets kaum in der Lage, die leistungsfähigen russischen Flugabwehrsysteme zu zerstören. Darüber hinaus, und wichtiger, stellen westliche Kampfflugzeuge enorme Anforderungen an Infrastruktur und Ausbildung. Eine Lieferentscheidung wäre in erster Linie ein politisches Signal für die langfristige Unterstützung des Landes. Auswirkungen auf dem Schlachtfeld hätte sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Kaum ist die Debatte über Kampfpanzerlieferungen an die Ukraine beendet, startet schon die nächste Diskussion: Soll der Westen modernste Kampfflugzeuge liefern? Westliche Kampfflugzeuge der vierten Generation wünscht sich die ukrainische Regierung schon seit Beginn der Kampfhandlungen. Die ukrainische Luftwaffe etwa forderte auf Twitter bereits im März 2022 US-amerikanische F-15 Eagle und F-16 Falcon. Von diesem Wunsch ist man seitdem nicht abgerückt: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bat auf seiner Europareise im Februar 2023 erneut um zusätzliche Waffenlieferungen und nannte neben Raketen mit längerer Reichweite auch Kampfflugzeuge.

Mit dem Druck auf westliche Staaten, jetzt auch diese Waffensysteme zu liefern, steigen allerdings auch die Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. So besteht die Sorge, die Ukraine würde mit westlichen Kampfflugzeugen Ziele auf russischem Staatsgebiet bombardieren – und das wiederum könnte Wladimir Putin dazu treiben, den Konflikt weiter zu eskalieren. Ungeachtet der Tatsache, dass die Ukraine bereits Ziele auf russischem Territorium angegriffen hat, ohne auf Flugzeuge zurückzugreifen, wird dieses spezifische Risiko der Eskalation allerdings überschätzt.

Warum Angriffe auf russisches Kernland unwahrscheinlich sind

Russland geht schon länger von einer westlichen Überlegenheit in der Luft aus und hat deshalb signifikante Ressourcen in die Entwicklung von integrierten Luftverteidigungssystemen investiert. Dabei zählen russische Systeme zu den leistungsfähigsten der Welt und decken große Teile des ukrainischen Luftraums ab. An den Frontlinien sieht sich die Ukraine sogar mit mehreren Ebenen verschiedener Flugabwehrsysteme konfrontiert. Um nicht schon aus großer Entfernung abgeschossen zu werden, fliegen ukrainische Kampfflugzeuge deshalb den Großteil ihrer Missionen nur wenige Meter über dem Boden, was ihre Leistungsfähigkeit erheblich einschränkt.

Trotz punktueller Erfolge der Ukraine bei der Unterdrückung russischer Luftverteidigungssysteme durch von den Vereinigten Staaten gelieferte Anti-Radar-Raketen wird die Bedrohung durch die russische Flugabwehr auch weiterhin ein relevanter Faktor im Ukraine-Krieg bleiben. Denn um feindliche Flugabwehrstellungen auf Dauer erfolgreich zu unterdrücken und zu zerstören, sind groß angelegte Luftkampagnen erforderlich, wie die Operation Allied Force während des Kosovo-Kriegs im Jahr 1999 illustriert.

Damals standen den alliierten Luftstreitkräften allein zur Unterdrückung der feindlichen Luftverteidigungssysteme um die 80 Kampf- und Angriffsflugzeuge zur Verfügung. Diese feuerten im Rahmen der 78 Tage langen Militäroperation insgesamt 743 Anti-Radar-Raketen auf 44 bekannte Flugabwehrbatterien ab, um Manöverfreiheit für nachfolgende Jets sicherzustellen. Solche Anti-Radar-Raketen erzielen aber nur selten direkte Treffer, weil die Crew der Batterie ihr Radar im Falle eines Angriffs einfach ausschalten kann und somit in der Regel kein Ziel mehr für die anfliegende Anti-Radar-Rakete bietet. Für die Zerstörung feindlicher Flugabwehrsysteme stellte die NATO deshalb weitere Kampfflugzeuge ab, die beim Erscheinen neuer Boden-Luft-Bedrohungen in den serbischen Luftraum eindringen und diese mit schwerer Munition zerstören sollten. Dies gelang allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Von den modernsten Flugabwehrbatterien der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, insgesamt 25 SA-6 „Gainful“, wurden gerade einmal drei zerstört – und das, obwohl die Systeme damals bereits 30 Jahre alt waren.

Trotz des Einsatzes von elektronischen Gegenmaßnahmen und über 1.500 Schleppködern wurden außerdem zwei Flugzeuge der Koalitionsstreitkräfte abgeschossen sowie etliche weitere beschädigt. Nicht zuletzt waren Maschinen und Crews bis an die Grenzen von Mensch und Maschine ausgelastet, was das U.S.-amerikanische Air Combat Command nach der Operation dazu veranlasste, die geplanten Anschaffungen von für Unterdrückungsmissionen geeignete F-16CJ von 30 auf 100 Stück zu erhöhen.

Da selbst die NATO nur dank der Vereinigten Staaten über die Fähigkeiten für solche komplexen Luftkampagnen verfügt, wird auch die Ukraine kaum in der Lage sein, die russischen Flugabwehrsysteme mit einigen wenigen Jets dauerhaft zu unterdrücken oder gar zu zerstören. Außerdem wären neben Kampfflugzeugen weitere Flugzeuge zur Luftbetankung und Aufklärung erforderlich, die feindlichen Luftverteidigungssystemen schutzlos ausgeliefert wären. Nicht ohne Grund durften spezielle Flugzeuge zur Bodenaufklärung, die E-8 JSTARS (Joint Surveillance and Target Attack Radar System), schon 1999 nur außerhalb serbischen Luftraums operieren.

In Anbetracht der leistungsfähigen russischen Luftverteidigungssysteme wären Kampfflugzeuge westlicher Bauart daher praktisch ausschließlich defensive Waffen. Ausgestattet mit modernen Luft-Luft-Lenkwaffen könnten sie russische Jets von den Frontlinien zurückdrängen und durch ihre leistungsfähigen Radarsysteme auch beim Abfangen von Marschflugkörpern helfen. Ähnlich wie die bereits gelieferten HIMARS-Raketenwerfer kämen sie außerdem für den Angriff auf fixe Bodenziele wie Munitionsdepots nahe der Front in Frage. Angriffe auf russisches Territorium werden die ukrainischen Luftstreitkräfte aber kaum fliegen können – weder ohne, noch mit westlichen Jets. Die enorme Reichweite zahlreicher moderner Distanzwaffen fußt nämlich in erster Linie darauf, dass sie aus großen Höhen abgeworfen werden. Die Situation wäre nur dann anders, würde der Westen auch gleich Langstrecken-Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 1.800 Kilometern für die neuen ukrainischen Kampfflugzeuge mitliefern. Selbst diese wären allerdings verwundbar gegenüber russischen Flugabwehrsystemen zur Nahbereichsverteidigung.

Ausbildung, Betrieb und Logistik sind eine Herausforderung

Auch wenn das Eskalationsrisiko durch ukrainische Luftangriffe auf russisches Staatsgebiet gering ist, spricht eine Reihe anderer Faktoren gegen eine baldige Lieferung westlicher Kampfflugzeuge an die Ukraine. Diese sind zwar in erster Linie praktischer und nicht politischer Natur, erschweren aber trotzdem den zeitnahen Neuaufbau der ukrainischen Luftstreitkräfte mit modernen Jets der vierten Generation.

Zunächst einmal erfordern weit verbreitete Flugzeugmodelle wie die U.S.-amerikanische F-16 Fighting Falcon oder der europäische Eurofighter Typhoon für Betrieb und Wartung hochqualifiziertes fliegerisches und technisches Personal. So gehen erfahrene F-16-Ausbilder:innen davon aus, dass mindestens zwischen sechs und zwölf Monaten hochintensives Training erforderlich wären, bevor ukrainische Pilot:innen überhaupt in den Kampf geschickt werden könnten. Westliche Kampfflugzeuge mögen sich bei der Flugleistung nur geringfügig von den sowjetischen Typen der Ukraine unterscheiden, doch technologisch ist der Unterschied riesig – insbesondere bei den Radarsystemen, Systemen zur elektronischen Kampfführung sowie anderen Sensoren.

Ein noch größeres Problem als die Ausbildung des fliegerischen Personals wären allerdings die Instandhaltung und die Ausbildung des technischen Personals. Denn während Artilleriegeschütze oder Panzer auf dem Landweg nach Polen oder ein anderes NATO-Land transportiert und dort gewartet werden können, müssen Flugzeuge in der Regel dort repariert werden, wo sie nach ihrer Mission gelandet sind – also in der Ukraine. Die Ausbildung des technischen Personals benötigt je nach Qualifikationsstufe aber mehrere Jahre bis Jahrzehnte, und darüber hinaus müssten auch noch sämtliche Handbücher übersetzt werden.

Zumindest zu Beginn müsste daher wohl eine nicht unerhebliche Zahl an zivilen Auftragsnehmern aus dem Westen das ukrainische Bodenpersonal bei der Wartung unterstützen – und das auf Flugplätzen, die sofort zu wichtigen Zielen für russische ballistische Raketen und Marschflugkörper würden. Daraus ergeben sich auch tatsächlich Eskalationsrisiken: Wenn bei einem russischen Luftangriff etwa eine größere Anzahl westlicher Staatsangehöriger ums Leben käme, dann könnte der politische Druck auf die jeweiligen Regierungen steigen, direkt ins Konfliktgeschehen einzugreifen.

Gleichzeitig sind die meisten westlichen Kampfflugzeugmodelle ohnehin nur für den Betrieb auf gut ausgestatteten Flugplätzen mit umfangreicher Infrastruktur zur Wartung und hochwertig asphaltierten Start- und Landebahnen ausgelegt, denn ihre niedrigen Triebwerkseinläufe sind anfällig für das Einsaugen von Fremdobjekten. Da während des Krieges mit regelmäßigen Angriffen auf ukrainische Flugplätze durch russische Raketen und Marschflugkörper gerechnet werden muss, könnte die erforderliche Infrastruktur für den Betrieb der Jets also vermutlich erst nach einem Waffenstillstand errichtet werden – auch wenn die Ukraine bereits jetzt damit begonnen hat.

Eine Ausnahme bildet dabei die schwedische Saab JAS-39 Gripen, die optimal auf die ukrainischen Bedürfnisse zugeschnitten wäre. So ist die Gripen für den Betrieb auf improvisierten Start- und Landebahnen oder sogar Autobahnen ausgelegt und benötigt für die Wartung lediglich sechs Personen, von denen zudem nur eine hochqualifiziert sein muss. Die anderen fünf können Wehrpflichtige oder Mannschaften ohne besondere Ausbildung sein. Außerdem passt sämtliches Equipment für grundlegende Wartungsarbeiten in gerade einmal zwei Fahrzeuge.

Nach vorne blicken

Aus strategischer Sicht spricht einiges dafür, dass Unterstützerstaaten zeitnah eine Entscheidung für die Lieferung von Kampfflugzeugen treffen. Denn gerade im Falle eines Waffenstillstands sollte die Ukraine beim Aufbau einer langfristigen und glaubhaften Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland unterstützt werden. Da die Ausbildung des fliegerischen und technischen Personals äußerst zeitaufwendig ist, sollte damit bereits jetzt begonnen werden.

Der Debatte um Kampfjet-Lieferungen stünde aber etwas mehr Ehrlichkeit gut zu Gesicht: Mit Kampfflugzeugen der vierten Generation wird die Ukraine weder in der Lage sein, Bodenziele auf russischem Territorium anzugreifen, noch könnten die Jets in wenigen Wochen oder Monaten geliefert sowie in Betrieb genommen werden. Insbesondere lenkt die öffentliche Debatte von der Frage ab, zu welchem Zeitpunkt welche Modelle mit welchen Waffensystemen an die ukrainischen Luftstreitkräfte geliefert werden könnten und sollten. Dies ist im Hinblick auf die militärische Lage in der Ukraine, die militärischen Anforderungen, aber auch mögliche Eskalationsrisiken differenziert zu betrachten.

Da die Lieferung wartungsaufwendiger Flugzeuge wie der U.S.-amerikanischen F-16 erst nach einem Waffenstillstand an die Ukraine Sinn ergibt, könnten die Ukraine, Schweden und westliche Partnerstaaten mittelfristig erörtern, unter welchen politischen Bedingungen eine Lieferung von Gripen-Kampfjets an die Ukraine in Frage käme. Denkbar wäre ein ähnliches Arrangement wie bei den Kampfpanzern: Die Vereinigten Staaten könnten für die Zukunft die Lieferung von F-16 zusichern, während Schweden mittelfristig Saab Gripen zur Verfügung stellt. Deutschland könnte sich an einer solchen Einigung zumindest finanziell beteiligen, realistisch wäre sie aber vermutlich erst nach der Aufnahme Schwedens in die NATO. Um die Eskalationsrisiken in Grenzen zu halten, könnte zudem auf die Lieferung von Marschflugkörpern mit großer Reichweite verzichtet werden.

Kurzfristig wäre zu prüfen, ob der Westen zumindest MiG-29 an die ukrainischen Luftstreitkräfte liefern könnte. Denn ungeachtet ursprünglicher Pläne Polens hat die Ukraine bis heute keine Flugzeuge sowjetischer Bauart erhalten, obgleich die Vereinigten Staaten im Frühjahr 2022 die Lieferung wichtiger Ersatzteile auf den Weg bringen und damit den Klarstand der bestehenden Flotte verbessern konnten. Möglich wäre zudem die rudimentäre Integration weiterer westlicher Waffensysteme, nachdem die Vereinigten Staaten bereits AGM-88-Anti-Radar-Raketen sowie JDAM-Präzisionsmunition geliefert haben. CBU-97/105, auch bekannt unter der Bezeichnung Sensor Fuzed Weapon, wären aus militärischer Sicht hocheffektiv gegen russische Fahrzeugkolonnen auf ukrainischem Territorium, verstoßen trotz geringer Blindgängerquote und technischen Vorrichtungen zur Zielfindung aber vermutlich gegen die Streubombenkonvention.

Da die Ukraine westliche Kampfflugzeuge ohne die Hilfe von westlichem Wartungspersonal im Land wohl erst in einigen Jahren in Betrieb nehmen und einsetzen könnte, wäre eine Lieferentscheidung also in erster Linie ein politisches Signal für die langfristige Unterstützung des Landes. Auswirkungen auf dem Schlachtfeld hätte sie erst einmal nicht.

Frank Kuhn

Frank Kuhn

Frank Kuhn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ sowie Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am PRIF. Zu seinen Forschungsinteressen zählen nukleare Abschreckung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Militärtechnologien und -strategien. // Frank Kuhn is a doctoral researcher at PRIF's „International Security“ research department and the project coordinator for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR). His research interests include nuclear deterrence, arms control and non-proliferation, as well as military technology and strategy. | Twitter: @_FrankKuhn

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Frank Kuhn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ sowie Projektkoordinator des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am PRIF. Zu seinen Forschungsinteressen zählen nukleare Abschreckung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Militärtechnologien und -strategien. // Frank Kuhn is a doctoral researcher at PRIF's „International Security“ research department and the project coordinator for the Cluster for Natural and Technical Science Arms Control Research (CNTR). His research interests include nuclear deterrence, arms control and non-proliferation, as well as military technology and strategy. | Twitter: @_FrankKuhn

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