Düsterer Blick auf kleine Balkone mit deutschen Flaggen
Die Mitte-Studie hat einen beachtlichen Anstieg rechtsextremer Einstellungen ermittelt. | Foto: © iStock.com/Dirk Hoffman,

Antimuslimischer Einstellungsrassismus als Faktor rechter Radikalisierung

Zum 21. September 2023 kam es zu einem großen Aufschrei in den Medien – mehr als 8% der Deutschen besitzen ein rechtsextremes Weltbild. So hatte die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung einen beachtlichen Anteil und Anstieg rechtsextremer Einstellungen ermittelt. Begleitet wird dies durch aktuelle Wahlumfragen in Ostdeutschland, die einen Siegeszug der – in Sachsen und Thüringen gerade vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften – AfD prophezeien. Doch wie konnte es zu diesem Erfolgen der extremen Rechten kommen? Eine Vermutung ist die extreme Ablehnung muslimischer Migration. Dieser Blogbeitrag beleuchtet, welche Rolle antimuslimische Einstellungen für die Mobilisierung der extremen Rechten spielen. 

Betrachtet man rechtsextreme, rechtsradikale und rechtspopulistische Kampagnen, wie sie gerade im Schatten des Terrorangriffes der Hamas und aktueller Migrationsdebatten wieder zunehmen, dann spielt das Feindbild Muslim*in darin eine wichtige Rolle. Immer wieder wird in diesen Kampagnen die drohende „Islamisierung des Abendlandes“ beschworen und ein Einwanderungsstopp für Menschen mit muslimischer Religionszugehörigkeit gefordert. Die Ablehnung von Migration ist eine spezifische Ablehnung der Migration aus Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung und von Menschen, die für solche gehalten werden. Begründet wird diese Haltung durch Verweise auf einen „dem Islam“ quasi „natürlich“ innewohnenden Antisemitismus und auf Frauenfeindlichkeit. Hinter diesen Anschuldigungen steht der Wunsch nach einer „ethnischen“ Homogenisierung der eigenen Nation und der Konstruktion eines Feindbildes sowie der Mobilisierung von Wählerstimmen und Unterstützer*innen. Denn mit kaum einem anderen Feindbild gelingt eine solche Mobilisierung besser. Immerhin die Hälfte der Deutschen schätzt den Islam als bedrohlich ein, wie die RIRA-Studie und der Bertelsmann Religionsmonitor zeigt.

Muslim*innen werden über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Gruppe kategorisiert, stereotypisiert und abgewertet. Dass gerade Vertreter*innen der extremen Rechten in ihren Einstellungsgerüsten selbst nicht die an Muslim*innen gestellten Erwartungen erfüllen, wird von Mitgliedern der extremen Rechten verleugnet. Im Gegenteil gelingt es ihnen sogar, antisemitische Positionen mit der Ablehnung von Muslim*innen zu verbinden. So konstruiert die unter Mitgliedern der extremen Rechten in Europa beliebte Verschwörungserzählung des „Großen Austausches“ eine Schimäre, in der Muslim*innen die „Einheimischen“ nach und nach ersetzen würden. Orchestriert würde dieser „Austausch“ von unbekannten Entitäten, die bei genauerem Blick unschwer als Jüd*innen identifiziert werden können. Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus greifen in dieser Verschwörungserzählung gut ineinander und markieren die zentralen Feindbilder der extremen Rechten.

Rassismus?

Wenn über Rassismus diskutiert wird, dann kommt in Deutschland schnell der Verweis auf die sogenannte „Rassismuskeule“ oder darauf, dass die Forcierung von antirassistischem Aktivismus doch nur eine Befindlichkeit von Minderheiten wäre. Diese Darstellung steht im kompletten Gegensatz zu vielfältigen Berichten von Alltagsrassismus in Deutschland. Auch wenn man in Einstellungsuntersuchungen schaut, drängt sich der Eindruck auf, dass rassistisch interpretierbare Überzeugungen weit verbreitet sind. Wenn 70% der Deutschen in der RIRA-Studie „den Islam als eine rückständige Religion sehen, die sie als unfähig bezeichnen sich der Gegenwart anzupassen“, so ein Item, dann ist dies als Hinweis auf Rassismus zu verstehen. Denn es handelt sich bei dieser Aussage um eine faktisch biologistische oder kulturalistische Beschreibung der Unveränderlichkeit von Menschen, also um Rassismus.

Rassismusforscher*innen sind sich weitgehend einig, dass Rassismus eine Ideologie, eine Struktur und ein Prozess ist, mittels dem bestimmte Gruppierungen über tatsächliche oder zugeschriebene biologische bzw. kulturelle Eigenschaften als wesensmäßig andersgeartet und minderwertige „Rasse“ oder ethnische Gruppen eingestuft werden. Rassismus ist damit in der Rassismusforschung heute keineswegs mehr allein auf Schwarze Menschen fokussiert, sondern erfasst alle auf Zuschreibungen kultureller Fremdheit beruhenden Abwertungen. Diese drücken sich in verschiedenen Rassismen aus (antischwarzer Rassismus, antimuslimischer Rassismus, antiasiatischer Rassismus, Antiziganismus…). Von Rassismus betroffene Gruppen sind zudem nicht selten mehrfach diskriminiert, z.B. durch zusätzlichen Sexismus und/oder Klassismus.

Es ist durchaus möglich, über Umfragen Einstellungsrassismus (bzw. Einstellungen, die man als Rassismus interpretieren kann) zu erheben. Die dabei auffindbaren Zahlen sind nicht allein auf einen individualisierten Rassismus beschränkt, sondern können teilweise auch Hinweise auf institutionellen oder strukturellen Rassismus im Sinne von historisch tief verankertem Rassismus in der Gesellschaft geben. Wenn also 70% der Deutschen den Islam pauschalisierend als rückständig ansehen und 75% als „in allen seinen Ausprägungen frauenfeindlich“, überschreitet man die Grenze einfacher Einstellungen genauso wie 28% der Befragten, die Muslim*innen ohne weitere Begründung pauschal die Zuwanderung nach Deutschland verweigern wollen.

Aber Radikalisierung?

Was hat antimuslimischer Rassismus nun mit Radikalisierung zu tun? Es ist offensichtlich, dass die extreme Rechte wie rechtsradikale (auch rechtspopulistisch genannte) Parteien die Ablehnung von Muslim*innen und des Islams sowie den bestehenden antimuslimischen Rassismus in der Bevölkerung aufnehmen und, wenn möglich, durch vielfältige Kampagnen und Medienarbeit für sich mobilisieren und verstärken. Diese Instrumentalisierung ist ein Erfolgsrezept, denn antimuslimische Einstellungen sind in empirischen Analysen der wichtigste Erklärungsfaktor für die Wahl der AfD. Da die Mobilisierung teilweise bis in die Mitte der Gesellschaft gelingt, kommt es zu einer nach rechts gerichteten Radikalisierung der Einstellung. Die Radikalisierung der Einstellungen entlang der Ablehnung von Muslim*innen birgt das Risiko einer Zustimmung zu weiteren Themen der extremen Rechten.

Doch nicht nur das: Die Feindbilder „Islam“ und „Muslim*innen“ dienen Mitgliedern rechter Gruppen als Mobilisierungsfaktor hin zur Gewalt. Man müsse sich ja gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ wehren, so die Argumentation. Für Vertreter*innen der extremen Rechten ist es dabei hilfreich, wenn unter Muslim*innen tatsächlich Antisemitismus oder ein sexistisches Rollenverständnis sichtbar wird. So können sie Muslim*innen als Feinde der deutschen Gesellschaft markieren. Und gegen diese sind ihrer Ansicht nach nur die Mitglieder rechter Organisationen verteidigungsbereit, da die Regierung und Politiker*innen der etablierten Parteien in einer Art Komplizenschaft mit den Muslim*innen oder den hinter dem „Großen Austausch“ stehenden Jüd*innen stehen.

Antimuslimischer Einstellungsrassismus wird auf diese Weise zu einem zentralen Faktor rechter Radikalisierung. Es ist nicht der einzige Faktor, aber wenn man statistischen Modellen glaubt, der stärkste. Im Sinne einer Radikalisierungsspirale dient er aber auch islamistischen Gruppen zur Mitgliederwerbung, kann man doch auf den rassistischen Westen verweisen und von rassistischer Diskriminierung betroffene muslimische junge Erwachsene Möglichkeiten zum Widerstand anbieten. Entsprechend ist es notwendig, bei allen – vielleicht auch berechtigten – kritischen Einwänden gegenüber manchen politischen und gesellschaftlichen Positionen muslimischer Mitbürger*innen, darauf zu achten, dass sich der bestehende antimuslimische Rassismus nicht weiter verstärkt. Zuletzt wird ein gegen Muslim*innen gerichtetes Meinungsklima immer der extremen Rechten und den sie vertretenden Parteien zugutekommen. Dies ist im Sinne einer Radikalisierungsspirale gefährlich und verstößt gegen Grundgesetz und Menschenrechte.

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der RADIS-Blogserie: Debatten zu islamistischer Extremismus. Mehr lesen.

Gert Pickel

Gert Pickel

Prof. Dr. Gert Pickel ist Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Er ist Co-Leiter des Standortes Leipzig des Forschungsinstitutes Gesellschaftlicher Zusammenhalt, einer der vom BMI geförderten Leiter der Verbundstudie „Institutionen & Rassismus“ sowie stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus- und Demokratieforschung (KReDo). Er ist beteiligt am vom BMBF geförderten Projekt „Radikaler Islam – Radikaler Anti-Islam (RIRA) und beschäftigt sich seit Jahren mit antimuslimischen Rassismus, Demokratieforschung und Rechtsextremismusforschung. // Prof. Dr Gert Pickel is Professor of Sociology of Religion and Churches at the Faculty of Theology at Leipzig University. He is co-director of the Leipzig site of the Research Institute for Social Cohesion, one of the BMI-funded directors of the joint study “Institutions & Racism” and deputy director of the Competence Center for Research on Right-Wing Extremism and Democracy (KReDo). He is involved in the BMBF-funded project "Radical Islam - Radical Anti-Islam (RIRA) and has been working on anti-Muslim racism, democracy research and right-wing extremism research for many years.

Gert Pickel

Prof. Dr. Gert Pickel ist Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Er ist Co-Leiter des Standortes Leipzig des Forschungsinstitutes Gesellschaftlicher Zusammenhalt, einer der vom BMI geförderten Leiter der Verbundstudie „Institutionen & Rassismus“ sowie stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus- und Demokratieforschung (KReDo). Er ist beteiligt am vom BMBF geförderten Projekt „Radikaler Islam – Radikaler Anti-Islam (RIRA) und beschäftigt sich seit Jahren mit antimuslimischen Rassismus, Demokratieforschung und Rechtsextremismusforschung. // Prof. Dr Gert Pickel is Professor of Sociology of Religion and Churches at the Faculty of Theology at Leipzig University. He is co-director of the Leipzig site of the Research Institute for Social Cohesion, one of the BMI-funded directors of the joint study “Institutions & Racism” and deputy director of the Competence Center for Research on Right-Wing Extremism and Democracy (KReDo). He is involved in the BMBF-funded project "Radical Islam - Radical Anti-Islam (RIRA) and has been working on anti-Muslim racism, democracy research and right-wing extremism research for many years.

Weitere Beiträge zum Thema

Umstrittene Begriffe pragmatisch definieren: Beispiel „Islamismus“ Extremismus, Fundamentalismus, Islamismus, Islamophobie oder Islamkritik sind allesamt umstrittene Begriffe, die in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen inhaltlich untersc...
Germany’s Pluralistic Society and its Contested Religious Heritage A new homeland ministry, further debates on Islam and Germany, new places for crucifixes in public buildings – all these political acts show that exclusive identity constructions a...
Warum werden Frauen Terroristinnen? Wider eine stereotype Betrachtung des weiblichen Terrorismus Punk-Band Frontfrau, Ex-Katholikin, Kosmetikverkäuferin – für die meisten klingt das nicht nach der Biographie einer der aktivsten Anhängerinnen des sogenannten Islamischen Staates...