Die Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza wird plötzlich auch in der deutschen Politik deutlich. Doch fehlt bislang ein wirklicher Politikwechsel. Stärkerer diplomatischer Druck auf Israel, regionale Friedensinitiativen zu verfolgen, die konsequente Unterstützung des Völkerrechts in Bezug auf Rüstungsgüter sowie die Anerkennung von Entscheidungen internationaler Gerichte müssen in den Mittelpunkt der politischen Debatte rücken.
Die Lage im Gazastreifen wird von Tag zu Tag unerträglicher. Die Waffenruhe zu Beginn des Jahres hatte Israel im März einseitig gebrochen und seine Militäroffensive wieder aufgenommen und intensiviert. Mehr als 53.000 Palästinenser*innen, davon 70 Prozent Frauen und Kinder, wurden seit Beginn des Krieges im Oktober 2023 getötet, etwa 122.000 verletzt. Die jüngsten Militäraktionen waren die bislang tödlichsten, mit zum Teil mehr als hundert Opfern pro Tag. Sie verschärften nochmals die ohnehin desaströse humanitäre Lage im Kriegsgebiet. Mehr als zehn Wochen ließ Israel keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen. Die Bevölkerung ist akut von Hunger bedroht, das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps, Satellitenbilder belegen die weitgehende Zerstörung der Infrastruktur. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht vor der Gewalt und können ihr doch nicht entkommen. Vergangene Woche kündigte Premierminister Benjamin Netanjahu an, dass – offenbar auf Druck der USA – wieder Hilfslieferungen zugelassen werden, organisiert von einer undurchsichtigen privaten Organisation. Kritik wird laut, dass die ausschließlich im Süden des Gazastreifens geplanten Verteilzentren dem Ziel der Vertreibung dienten. Netanjahu hat zugleich angekündigt, dass die israelische Offensive unvermindert weitergehen wird.
Die Erweiterung der Kriegsziele der israelischen Regierung
Sie begann vor mehr als eineinhalb Jahren als Reaktion auf den Terroranschlag der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Die Hamas ermordete auf brutalste Weise wahllos etwa 1200 Menschen, nahm 240 Geiseln, vergewaltigte und misshandelte ihre Opfer. Die Geiseln zu befreien – noch immer werden im Gazastreifen 58 Menschen festgehalten – und die Hamas zu zerschlagen, das waren die von der israelischen Regierung zu Beginn ausgegebenen Kriegsziele. Doch inzwischen sind andere Ziele an ihre Stelle getreten. In einer Pressekonferenz erklärte Netanjahu am 21. Mai 2025 den Plan des US-Präsidenten Donald Trump, die Bevölkerung des Gazastreifens in andere Länder „umzusiedeln“, zur Vorbedingung für die Beendigung des Konflikts. Trumps Plan, so Netanjahu, sei „brilliant“ und „revolutionär“ und werde das Gesicht des Nahen Ostens verändern. Die Vertreibung der Palästinenser*innen, bislang lediglich von den rechtsextremen religiösen Kräften in der Regierungskoalition gefordert, ist somit zum offiziellen Kriegsziel geworden. Die aktuellen Pläne des israelischen Militärs sehen vor, dass Israel in zwei Monaten 75 Prozent des Gazastreifens kontrollieren wird. Die Bevölkerung – zwei Millionen Palästinenser*innen – soll in drei Enklaven auf einem Drittel der Fläche Gazas verbracht werden.
Die rechtsextremen religiös-zionistischen Hardliner haben bislang jeden Versuch, mit der Hamas über die Rückkehr der Geiseln und eine Waffenruhe zu verhandeln, als Kotau vor dem Feind gegeißelt und mit Koalitionsbruch gedroht. Das Schicksal der Geiseln ordnen sie dem Ziel unter, die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben und das Land unter israelische Kontrolle zu bringen, um dort erneut jüdische Siedlungen zu errichten. Das gleiche Ziel verfolgen sie im Westjordanland, wo seit dem 7. Oktober 2023 die Gewalt der jüdischen Siedler*innen gegen die palästinensische Bevölkerung sprunghaft angestiegen ist. Mehr als 20 Ortschaften wurden gewaltsam geräumt und 40.000 Menschen vertrieben – mit der Begründung des israelischen Militärs, verstärkt gegen palästinensische Terrorgruppen vorgehen zu wollen.
Der bizarr anmutende Vorschlag Donald Trumps, den Gazastreifen in die „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln – wohlgemerkt ohne die Palästinenser*innen – spielt den Rechten in die Hände; er hat auch Netanjahu dazu gebracht, offen auf diese Linie einzuschwenken. Und ähnlich wie Trump in den USA, versucht auch Netanjahu die demokratischen Institutionen zu untergraben, um freie Hand zu haben und seine Macht zu erhalten.
Unterdessen gehen Tausende Israelis auf die Straßen, um gegen die Regierung Netanjahu zu demonstrieren. Sie fordern das Ende des Krieges und Verhandlungen mit Hamas, um die Geiseln zu befreien; und sie verurteilen die Angriffe auf die demokratischen Kontrollinstanzen. Immer mehr Gruppen schließen sich dem Protest an: Reservist*innen verweigern den Dienst, die Familien der Geiseln kämpfen unermüdlich für ihre Freilassung, befreite Geiseln kritisieren scharf die Regierung, ehemalige Geheimdienstchefs stellen sich gegen Netanjahu.
Lücke zwischen Analyse und Handeln in der deutschen Politik
Die Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen wurde in den letzten Wochen auch in Deutschland immer deutlicher – ob von ehemaligen Diplomat*innen, Völkerrechtlicher*innen oder humanitären Organisationen. Umfragen zeigen schon seit über einem Jahr, dass der Mehrheit der deutschen Bevölkerung das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen zu weit geht. Laut ZDF-Politikbarometer von Ende Mai, halten 80 Prozent der Befragten das israelische Vorgehen gegen die Hamas nicht für gerechtfertigt.
Auch in der Politik mehren sich plötzlich die kritischen Stimmen zu Israels Vorgehen. Friedrich Merz wurde am 26. Mai 2025 so direkt wie noch nie, als er betonte, er verstehe “offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel“ Israel vorgehe: „Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen.“
Abgesehen davon, dass das Leid der Zivilbevölkerung keine neue Entwicklung der letzten Woche ist (siehe dazu z.B. das Friedensgutachten 2024), bleibt die Frage, ob diesen Worten ein Politikwechsel folgt. In den letzten Wochen reihten sich Statements führender Politker*innen aneinander – vom Außenminister, der SPD-Fraktionsspitze, der Entwicklungsministerin oder Abgeordneten der Grünen-Fraktion. Sie alle beschrieben in teils sehr deutlichen Worten die Lage in Gaza als dramatisch und forderten einen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe.
Aber sie enthielten keinen einzigen Politikvorschlag, wie die Bundesregierung dieser Forderung Nachdruck verleihen kann. Als die engsten Verbündeten Deutschlands – Frankreich, Großbritannien und Kanada – am 19. Mai 2025 ihre Kritik mit einer Sanktionsdrohung untermauerten, schloss sich Deutschland nicht an. Als zwei Drittel der EU-Mitgliedsstaaten am 21. Mai 2025 beschlossen, das Assoziationsabkommen mit Israel angesichts des Vorwurfs der massiven Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Krieg überprüfen zu lassen, stellte sich Deutschland dagegen. Einzelne Abgeordnete bei Grünen und SPD, die wie die Fraktion Die Linke einen Stopp von Waffenlieferungen forderten, blieben lange allein.
Inzwischen fordern immer mehr SPD-Abgeordnete, darunter auch ihr außenpolitischer Sprecher, einen Stopp von Waffenlieferungen. Auch die Grünen-Fraktion schloss sich am 28. Mai 2025 dieser Forderung an. Der Außenminister findet es plötzlich „selbstverständlich“, dass die Bundesregierung, sollte die Gefahr einer Verletzung des humanitären Völkerrechts bestehen, keine Waffen liefert.
Es ist überfällig, dass sich die Bundesregierung auf konkrete Maßnahmen einigt, die den eigenen Mahnungen entsprechen. Handlungsleitend sollte es dabei erstens sein, diplomatische Initiativen in der Region zu unterstützen und Druck auf Israel aufzubauen, Verhandlungen hierüber ernsthaft zu führen. Zweitens muss die Einhaltung des Völkerrechts oberste Priorität haben, bei besagten Waffen- bzw. Rüstungsexporten, aber auch bei der Anerkennung von Entscheidungen internationaler Gerichte.
Friedensinitiativen mit diplomatischem Druck unterstützen
2024 forderte das Friedensgutachten bereits eine stärkere Rolle regionaler Akteure in einen Friedens- und Wiederaufbauprozess. Nun liegt seit März 2025 ein von Ägypten initiierter und von der Arabischen Liga angenommener Plan zum Wiederaufbau Gazas vor. Diese Initiative versteht sich als Gegenmodell zu Trumps Riviera-Plänen eines Gaza-Streifens ohne Palästinenser*innen und entwirft, wie in konkreten Phasen des Wiederaufbaus mit hohen Summen (ca. 50 Mrd. US $) ein florierendes Leben in Gaza für Palästinenser*innen aussehen könnte. Dabei trägt der Plan den Sicherheitsbedenken Israels Rechnung und entwirft Ideen für ein Regierungskomitee ohne Hamas-Beteiligung. Hierzu hatte auch die Hamas ihre prinzipielle Zustimmung gegeben. Die Initiative belebt auch die Idee der Arabischen Friedensinitiative von 2002 wieder, die die Anerkennung Israels und entsprechende Sicherheitsabkommen mit der Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staats verknüpft. Die Bundesregierung hat den Plan prinzipiell begrüßt und Unterstützung angekündigt – was es jedoch braucht, ist, Druck auf Israel aufzubauen, diesen Plan ernsthaft zu verfolgen und über offene Fragen zu verhandeln. Stattdessen lehnte ihn Israel, unterstützt durch die US-Regierung, rundweg ab.
Phrasenhaft wirkende deutsche Bekenntnisse zur Zweistaatenlösung stehen bisher der klaren Ablehnung eines palästinensischen Staates durch die israelische Regierung und Bevölkerungsmehrheit unkommentiert gegenüber. Gerade weil die Zweifel an der Machbarkeit, insbesondere angesichts der voranschreitenden völkerrechtswidrigen Siedlungstätigkeit im Westjordanland und der Gewalteskalation dort, fortbestehen, sind die nächsten Schritte entscheidend: Die nächste Möglichkeit für die deutsche Bundesregierung, ihre Position in konkrete Politik umzumünzen, wird die von Saudi-Arabien und Frankreich geleitete UN-Konferenz vom 17. bis 20. Juni 2025 sein. Dort soll eine breite internationale Anerkennung eine Staates Palästina erreicht werden. Dies sollte auch von Seiten der Bundesregierung erfolgen, um, wie es Präsident Macron als Ziel der Konferenz ausgegeben hat, sich zum Existenzrecht Israels und Palästinas klar zu bekennen.
Die universelle Geltung des Völkerrechts I: Einstellung von Rüstungsexporten an Israel
Um sowohl den diplomatischen Druck zu erhöhen als auch die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, sollte die Bundesregierung Rüstungsexporte an Israel einstellen. Mittlerweile gilt es als unbestritten, dass die israelischen Streitkräfte schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht im Gaza-Streifen zu verantworten haben. Zahlreiche Angriffe, wie jene auf 94% aller Krankenhäuser und 95% aller Schulen, lassen sich aus dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsprinzips seit geraumer Zeit nurmehr sehr schwer rechtfertigen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass bei derartigen unverhältnismäßigen Angriffen nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch von Deutschland gelieferte Waffen oder Waffenbestandteile zum Einsatz gekommen sind.
Der Vertrag gegen den Waffenhandel verbietet es, Waffen oder Waffenbestandteile an ein Land zu liefern, wenn das Risiko besteht, dass durch ihren Einsatz im Zielland eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte einhergeht. Dabei muss nicht explizit nachgewiesen werden, dass diese durch Waffen begangen worden ist, die von Deutschland geliefert wurden. Es geht viel eher um eine Risikoabwägung vor Erteilung einer Exportkontrollgenehmigung, im Rahmen derer alle relevanten Faktoren, einschließlich der Lage und des Verhaltens der Streitkräfte vor Ort, zu berücksichtigen sind.
In der Tat wurden bereits einmal zwischen März und August 2024 die Waffenlieferungen stark gesenkt. Diese wurden jedoch im Herbst 2024 nach einer schriftlichen Versicherung Israels, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten, wieder aufgenommen und stiegen stark an – auf ein Volumen von mehr als 146,5 Millionen Euro bis zum Jahresende 2024. Im ersten Quartal 2025 wurden bereits Rüstungsgüter im Wert von 28 Millionen Euro exportiert. Laut Bundesregierung wurden keine Kriegswaffen nach Israel exportiert, sondern nur „sonstige Rüstungsgüter“. Unter letzteren befinden sich aber auch Ersatzteile für Waffen, die im Gaza-Streifen eingesetzt werden können. Allein im Januar 2025 lieferte die Ampel-Regierung Rüstungsgüter im Wert von zwei Millionen Euro, darunter Getriebe für den Merkava-Panzer.
Sich auf die Zusicherung zu berufen, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird, war schon im Herbst 2024 politisch wie völkerrechtlich hoch problematisch. Fast ein Jahr später ist die Dringlichkeit noch höher, die Lieferung von Waffen einzustellen, die in Gaza oder im Westjordanland eingesetzt werden könnten, darunter Kleinwaffen, Panzergetriebe und Panzermunition. Eine solche Einstellung sollte die Bundesregierung auch transparent kommunizieren und die völkerrechtlichen Verstöße, die zum Waffenexportstopp führen, klar benennen, damit die politische Botschaft in Israel und international ankommt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es bereits in einigen anderen Ländern, allen voran den Niederlanden, Gerichtsentscheidungen gibt, wonach die Lieferung von Waffen sowie Waffenbestandteilen an Israel aufgrund seiner Kriegstaktiken nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sei.
Die universelle Geltung des Völkerrechts II: Entscheidungen internationaler Gerichte befolgen
Ein weiterer problematischer Aspekt der bisherigen deutschen Politik ist der Umgang mit Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe, wie am Beispiel des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag gegen Benjamin Netanjahu deutlich wird. Netanjahu wird beispielsweise vorgeworfen, dass er das Kriegsverbrechen des Hungern-Lassens der Zivilbevölkerung als Kriegstaktik (mit) zu verantworten habe. Wenngleich Benjamin Netanjahu nicht die Staatsbürgerschaft eines Vertragsstaats des IStGH besitzt, geht der überwiegende Teil der juristischen Lehrmeinung davon aus, dass er im Falle einer Einreise nach Deutschlands jedenfalls an den IStGH auszuliefern wäre, da das völkerstrafrechtlich relevante Delikt auf dem Territorium eines Vertragsstaats des IStGH, Palästinas, begangen worden ist. Trotz der relativ klaren Rechtslage versicherte der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, dass Netanjahu die Möglichkeit haben solle nach Deutschland zu reisen und damit einhergehend auch keine Sorge vor einer möglichen Auslieferung an den IStGH haben müsse.
Die Inkohärenz im Hinblick auf allgemeine Bekenntnisse zum Völkerrecht und der Missachtung der Gerichtshöfe in diesem speziellen Fall auch über Bundeskanzler Merz hinaus ist offensichtlich. Sie ist nicht nur schädlich für die Institution des IStGH selbst, sie untergräbt auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands und untermauert einmal mehr den Vorwurf der Doppelstandards, wie selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags betonte.
Ähnlich verhält es sich mit dem Internationalen Gerichtshof. Am 29. März 2023 hat Südafrika Klage gegen Israel auf Basis der Genozid-Konvention erhoben. Unter anderem hat Südafrika Israel vorgeworfen, die Genozid-Konvention durch das bewusste Hungern-Lassen der Bevölkerung verletzt zu haben. Noch hat der IGH in der Sache selbst nicht entschieden, wohl aber vorläufige Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen verhängt. Sollte der IGH in der Sache selbst entscheiden, wäre Deutschland – wie alle anderen UN-Mitglieder auch – an dessen Rechtsansicht völkerrechtlich gebunden.
Deutsche Nahost-Politik als Gegenteil einer interessengeleiteten Außenpolitik
Keine der hier skizzierten Politikoptionen ist neu. Alle fanden sich im Friedensgutachten 2024 und finden sich auch in der diesjährigen Ausgabe. Sie bedeuten weder, dass Deutschland das reale Problem des wachsenden Antisemitismus in Deutschland und der Welt ignoriert, noch dass Deutschland seine historische Verantwortung für das Existenzrecht Israels in Frage stellt oder sich international weniger für dieses Existenzrecht als Heimstatt für Juden und Jüdinnen einsetzt. Die Bundesregierung könnte und sollte sich stärker an die Seite derjenigen in Israel stellen, die in Politik, Zivilgesellschaft, Menschenrechtsorganisationen oder Universitäten für Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte einstehen.
Außenminister Wadephul betonte bei seiner Amtseinführung eine „grundnüchterne Orientierung an unseren Interessen als Deutsche und Europäer“. Es ist schwer nachzuvollziehen, welchen Interessen die bisherige deutsche Außenpolitik mit Blick auf den Gazakrieg dient. Sie entspricht nicht der Staatsräson im Sinne des Beistands Deutschlands für die Sicherheit Israels, die nur eine nachhaltige Friedenslösung im Nahostkonflikt bringen kann. Sie widerspricht dem Interesse Deutschlands, die verbliebenen Geiseln in Gaza zu befreien. Sie untergräbt den Einfluss und die Glaubwürdigkeit Deutschlands nicht nur in der arabischen Welt, sondern im gesamten Globalen Süden. Sie nährt den Vorwurf von Doppelstandards des Westens und erschwert diplomatische Anstrengungen, wichtige Länder im Globalen Süden in Bezug auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Unterstützer der Ukraine zu gewinnen. Sie steht zunehmend international isoliert da, sogar innerhalb der EU und unter den eigenen Bündnispartnern. Sie unterminiert das Völkerrecht, internationale Institutionen und genau die regelbasierte Ordnung, die deutsche Politiker*innen so dringend aufrechterhalten wollen. Sie führt auch in Deutschland zu einem Vertrauensverlust von Teilen der Gesellschaft in die eigene Politik und zu verstärkter Polarisierung. Eine solche Politik ist das Gegenteil einer interessengeleiteten Außenpolitik.