Am 22. November 2020 finden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Burkina Faso statt. | Photo: Voice of America via Wikimedia Commons | Public Domain

„Es ist nicht ausgeschlossen, dass einige versuchen werden, die Ergebnisse der Wahlurnen anzufechten.“

Den Auftakt zur Blogreihe anlässlich der am 22. November 2020 stattfindenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Burkina Faso bildet ein Interview mit Boukari Ouoba, Generalsekretär des burkinischen Journalistenverbands „Association des Journalistes du Burkina“ und Chefredakteur des Journals „Mutations“. Ouoba sieht in der prekären Sicherheitslage im Land die größte Herausforderung, sowohl im Vorfeld der Wahlen, als wichtigstes Thema im Wahlkampf, der an diesem Wochenende startet, wie auch als oberste Priorität der künftigen Regierung.

Das Interview wurde auf Französisch geführt und ins Deutsche übersetzt, die Fragen stellten Simone Schnabel und Antonia Witt.

Was steht Ihrer Meinung nach bei den Wahlen in Burkina Faso im Jahr 2020 auf dem Spiel?

Die erste Herausforderung ist, dass diese Wahlen stattfinden können, weil sie zum ersten Mal im Kontext einer prekären Sicherheitslage abgehalten werden, in die das Land seit 2015 gestürzt ist. Mehrere Monate lang waren die Menschen in Burkina Faso gespalten zwischen jenen, die aufgrund des Sicherheitskontexts und seinen Konsequenzen für eine Verschiebung der Wahlen plädierten und jenen, die sich für eine Einhaltung des Wahlkalenders einsetzten. Dieser Streit wurde im Rahmen eines politischen Dialogs beigelegt, der entschieden hat, die Wahlen zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen, zusammen mit einer Änderung im Wahlgesetz, die aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage zum Ausschluss bestimmter Ortschaften bei der Abstimmung führt. Gegenwärtig können daher in 22 Gemeinden – von insgesamt 351 Gemeinden – aufgrund der dortigen Sicherheitssituation keine Wahlen abgehalten werden.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Wahlbeteiligung der Burkinabe im Ausland. 2020 kann sich die burkinische Diaspora zum ersten Mal an den Wahlen, insbesondere den Präsidentschaftswahlen, beteiligen. Es ist das Ergebnis jahrelanger Forderungen, doch leider blieb die Begeisterung, sich dafür zu registrieren, weit hinter den Erwartungen zurück.

Eine weitere Herausforderung wird zweifelsohne die Akzeptanz der Wahlergebnisse sein. Zwischen den politischen Anführern gibt es ziemliche Spannungen. Der Oppositionsführer, der bei den Wahlen 2015 Zweiter wurde, gratulierte dem damaligen Wahlsieger Roch Marc Christian Kaboré, noch bevor die Wahlkommission das offizielle Ergebnis bekannt gab. Das kam unerwartet und wurde von allen begrüßt. In diesem Jahr scheint die Spannung zwischen den Protagonisten so hoch zu sein, dass man sich fragt, ob wir eine solche Geste des Fair Play wieder erleben werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einige versuchen werden, die Ergebnisse der Wahlurnen anzufechten.

Welche Rolle spielt die aktuelle Situation der Covid-19 Pandemie bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen?

Neben dem sicherheitspolitischen Kontext gibt es auch die gesundheitspolitische Situation im Lichte der Covid-19 Pandemie, die seit März 2020 auch in Burkina Faso ausgebrochen ist. Die Lage ist mit wenigen Hundert Fällen jedoch nach wie vor stabil. Seit Oktober haben die Schulen – unter der Voraussetzung, die geltenden Schutz- und Präventionsmaßnahmen einzuhalten – wieder geöffnet. Wenn die Schulen wieder offen sind, so denken wir, können auch die Wahlen ohne allzu große Angst vor dem Virus abgehalten werden. Die Wählerregistrierung war aufgrund des Virus eine Zeit lang ausgesetzt, wurde dann aber wieder aufgenommen, sodass die Pandemie den Wahlprozess kurzzeitig verzögerte, aber das hat sich wieder normalisiert. So, wie die Situation heute ist, müssten wir in der Lage sein, diese Wahlen ordnungsgemäß durchzuführen, unter Einhaltung von präventiven Maßnahmen.

Welche Lösungen befürworten die verschiedenen Parteien und deren Kandidaten für die vielfältigen Herausforderungen, denen Burkina Faso gegenübersteht?

Die Wahlkampagne beginnt am 31. Oktober, dann werden auch die Wahlprogramme bekannt gemacht. Aber ich denke, dass die Menschen nicht darauf warten, die politischen Programme zu erfahren. Die Erwartungen liegen vor allem auf einer Antwort auf die prekäre Sicherheitslage. Jeder Kandidat sollte den Burkinabe versichern können, mit welcher Strategie und welchen Mitteln er die Sicherheitsherausforderung, als erste Priorität des Landes, angehen wird. Wir wissen zum Beispiel, dass der 2015 gewählte Präsident Kaboré gar nichts zum Thema Sicherheit in seinem Wahlprogramm vorsah. Mit den Angriffen wurden nach und nach Maßnahmen ergriffen, oft improvisiert. Es ist daher ein Thema, das mit Spannung erwartet wird, und jeder Kandidat sollte sich darauf vorbereiten.

Seit dem Regierungswechsel 2014/2015 gibt es ein weiteres wichtiges Thema: die nationale Versöhnung. Es ist ein Thema, das die Menschen in Burkina Faso spaltet. Es gibt jene, die sagen, es gäbe keine Notwendigkeit für eine nationale Versöhnung als solche, und andere, die glauben, dass Versöhnung unabdingbar sei. Die derzeitige Regierung hatte sich nach dem Dreiklang „Wahrheit, Gerechtigkeit, Versöhnung“ in den Worten von Präsident Roch Kaboré selbst zur Versöhnung verpflichtet. Der Hohe Rat für Versöhnung und nationale Einheit (Haut Conseil pour la Réconciliation et l’Unité Nationale), der 2015 im Rahmen des Übergangs geschaffen und unter Roch Kaboré eingesetzt wurde, hat noch keine konkreten Ergebnisse hinsichtlich einer nationalen Versöhnung erzielt. Hier hat die gegenwärtige Regierung versagt. Ich denke, für die bevorstehenden Wahlen wird das ein Wahlkampfthema sein, für Burkinabe und die im Exil lebenden Landsleute zu wissen, was die neu gewählte Regierung vorschlägt. Daher müssen die Kandidaten einen Fahrplan in Bezug auf diese wichtige Frage und auch für die noch immer vor Gericht anhängigen Fälle – wie der Volksaufstand 2014, der Fall Thomas Sankara, der Fall Norbert Zongo, Dabo Boukari und sogar der Putsch-Fall, gegen den Berufung eingelegt wurde – vorlegen.

Es gibt weiterhin auch die Frage nach einem Wirtschaftsaufschwung, das ein Thema für den Wahlkampf sein wird. Zumindest seit 2011 haben wir die Wirtschaft noch nicht wieder auf Kurs gebracht. Es wird auch eine Herausforderung für die kommende Präsidentschaft sein, ein Konjunkturprogramm vorzuschlagen, das unsere Wirtschaft aus der Lethargie herausführen kann, in der sie sich seit Jahren, insbesondere seit Covid-19, befindet. Die Kandidaten sollten auch soziale Maßnahmen in Betracht ziehen, die die Kaufkraft der Bevölkerung im Allgemeinen begünstigen.

Worin liegt Ihrer Meinung nach das größte Konfliktpotential in Bezug auf die Wahlen und ihren Ausgang?

Ich sehe vor allem zwei große Risiken. Das erste bezieht sich auf den Sicherheitskontext aufgrund von Terrorismus. Es gibt das Beispiel des Nachbarlands Mali, das mit der gleichen Sicherheitslage konfrontiert ist wie Burkina Faso. Während der malischen Wahlkampagne wurde der Oppositionsführer, Soumaila Cissé, angegriffen, und als Geisel entführt, seine Mitarbeiter getötet. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass im Wahlkampf in Burkina dasselbe oder etwas Ähnliches passieren könnte.

Die zweite Herausforderung sehe ich in der Akzeptanz der Ergebnisse. Ein Teil der Opposition hat sich zusammengeschlossen und ein Abkommen unterzeichnet, welches vorsieht, im Falle einer zweiten Runde dem Kandidaten der Opposition im Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem amtierenden derzeitigen Präsidenten ihre Unterstützung zuzusprechen. Es ist also klar, dass die Opposition eine zweite Runde erwartet. Im Gegensatz zu 2015 sind die Rivalitäten in diesem Jahr so groß, dass die Kandidaten eisern an ihren Positionen festhalten könnten. Und bei der geringsten Gelegenheit könnten sie das Abstimmungsergebnis anfechten. Die Opposition hatte eine Überprüfung des Wahlregisters gefordert, das ist bereits geschehen. Wir müssen weiterhin wachsam bleiben.

Simone Schnabel
Simone Schnabel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Programmbereich „Glokale Verflechtungen“ der HSFK, wo sie zu afrikanischen Regionalorganisationen und der afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur sowie zu internationaler Entwicklungszusammenarbeit arbeitet. // Simone Schnabel is a Doctoral Researcher at PRIF’s Research Department “Glocal Junctions” where she is working on African regional organizations and the African Peace and Security Architecture, as well as on International Development Cooperation. | Twitter: @schnabel_simone
Antonia Witt
Dr. Antonia Witt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin der Forschungsgruppe „African Intervention Politics“ im Programmbereich „Glokale Verflechtungen“ der HSFK, wo sie zu afrikanischen Regionalorganisationen und zur Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur forscht. // Dr. Antonia Witt is a Senior Researcher and Leader of the Research Group “African Intervention Politics” at PRIF’s Research Department “Glocal Junctions” where she is working on African regional organizations and the African Peace and Security Architecture.

Simone Schnabel

Simone Schnabel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Programmbereich „Glokale Verflechtungen“ der HSFK, wo sie zu afrikanischen Regionalorganisationen und der afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur sowie zu internationaler Entwicklungszusammenarbeit arbeitet. // Simone Schnabel is a Doctoral Researcher at PRIF’s Research Department “Glocal Junctions” where she is working on African regional organizations and the African Peace and Security Architecture, as well as on International Development Cooperation. | Twitter: @schnabel_simone

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